EINE KLINGE UND EIN GESCHENK
~
Hastator, Hauptstadt von Nyradon, 438 nach der Eroberung
„Weißt du was, Solofar?" Schwungvoll stieß Gezzarro die Ruderstange ins Wasser und bewegte das kleine Boot einige Meter weiter durch das dunkle, schlammig riechende Wasser der Kanäle von Hastator. Fackeln spiegelten sich wabernd auf der Oberfläche, wild tanzend im warmen Wind.
Solofar hob amüsiert den Blick von dem Rapier und dem Lappen in seinen Händen und wandte sich zu seinem Freund um. „Was?"
„Eigentlich wollte ich immer Dichter werden." Wehmütig lauschte der Panthera den Klängen einer Geige, die aus einer der Tavernen am Ufer drangen. Lachende Männer in farbenfrohen Kostümen überquerten tänzelnd eine Brücke, die das Wasser überspannte, eine Löwin, nackt bis auf klirrenden Goldschmuck, sprang im Takt um sie herum. Ihr hohes Kichern hallte in den Gassen wider.
Der Ipotame stieß ein Schnauben aus. „Ein Dichter." Es hätte zu ihm gepasst.
„Aye, ein Dichter. Ich wollte ein Instrument lernen und von dem schönen Weib von Hastator singen. Vielleicht ein paar Balladen schreiben, und davon reich und berühmt werden und alle zu Tränen rühren."
„Du weißt schon, dass das Schöne Weib aus Aidestrad kommt."
Gezzarro verdrehte die Augen. „Aus jeder Stadt kommt ein schönes Weib. Das macht das Lied so gut."
„Was interessieren dich die Weiber?", fragte Solofar spöttisch und spürte, wie ein schmales Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte. Du suchst nach jenen des anderen Geschlechts, und ich suche nichts. Nur die Perfektion der Alchemie und der Klingen.
Der Panthera zuckte mit den Schultern. „Der schöne Mann von Hastator ist wohl leider nicht so ansprechend für die gewöhnlichen Besucher einer gewöhnlichen Taverne. Aber den Huren würde es wohl gefallen."
„Warum folgst du deinem Traum nicht?"
Gezzarro lachte. „Ich kann weder ein Instrument spielen noch singen. Zum Dichten fehlt mir die Geduld."
„Manchmal frage ich mich wahrlich, wie es dir gelungen ist, der hervorragende Fechter zu werden, der du bist", bemerkte Solofar trocken. Ich erinnere mich, wie viel Geduld ich brauchte, für jedes Mal, in dem Lord Hyatt mich in den Staub stieß und mir das Schwert an die Kehle setzte.
Gezzarro blickte versonnen in das Wasser, das sich schmatzend um die Stange kräuselte. „Angeborenes Talent, nehme ich an. Der Mann, der mir das Fechten beibrachte, war wohl der einzige Lehrer, der je zufrieden mit mir war." Er grinste, und seine Zähne blitzten orangefarben im Feuerschein. „Schließlich hatten meine Brüder mehr schlecht als recht vorgelegt. Bei allen Höllen, Massimo hat gegen mich verloren, als ich zwölf Jahre alt war, und er ist fast zwanzig Jahre älter als ich!"
Solofar widmete sich wieder seinem Schwert, mit einem leisen Zischen glitt das Tuch über das Metall. „Der achte von acht Söhnen. Ich sollte mit Cassius mehr Mitleid haben." Als erster von vier ist man wahrlich gesegnet, und als vierter von vieren, die Verachtung des Vaters und die Missbilligung der eigenen Mutter, die einem stets die eigenen Fehler und die Größe der Älteren vorhält, durchlebt man die Höllen.
Gezzarro lachte laut auf. „Du hast drei jüngere Brüder, Solofar. Du hast das Leben eines Gottes, du kannst tun, was du willst. Du bist es, der die Maßstäbe setzt, während deine Brüder immer in deinem Schatten stehen. So, wie wir alle in Massimos Schatten standen. So, wie ich in sieben männlichen und drei weiblichen Schatten stehe."
Solofar spuckte auf das Tuch und wischte an einem besonders hartnäckigen Fleck auf der Klinge. „Wirst du nun bitter, Gezzarro?"
„Nein, niemals. Wo wäre ich, wenn ich bitter wäre? Nicht hier, auf den Kanälen von Hastator, kurz davor, dem Conte di Seste gegenüberzutreten, mit zwei Klingen an der Seite und dir vor mir?" Der Karakal lachte erneut. „Nein, ich amüsiere mich über die Wege des Lebens, dass sie mich heute, in dieser Nacht, auf diesen Kanal geführt haben. Dass ich, der jüngste Sohn eines niedrigen Adeligen, der alle Schönen Künste studierte, weil das Priestertum, das mein Vater mir so zuvorkommend zur Wahl stellte, die Liebe mit sehr skeptischen Blicken beäugt, nun mit sagenhaften achtzehn Jahren in einen nicht genehmigten Fechtkampf gegen einen Conte der Geparde ziehe."
„Du hast jedes deiner Studien nach je nur einem Semester abgebrochen, und ich bezweifle, dass du Philosophie länger ertragen wirst." Oh, er ist der Meister der Übertreibungen. Aber was erwarte ich bei einem ziellosen, faulen, viel zu schnell begeisterten Karakal, dessen gesamtes Leben auf Betrügereien beim Spiel, der Gutmütigkeit seiner Freunde und dem kläglichen Vermögen seines Vaters basiert? Und auf zwei Schwertern, natürlich.
Beleidigt spuckte Gezzarro ins Wasser. „Ich bin bester Laune, Solofar, und nur, weil du Angst vor deinem ersten Fechtkampf gegen einen Adeligen hast, gegen jemanden, der sein Fach wirklich kennt, musst du sie mir nicht verderben!"
Solofar lachte leise in sich hinein. „Ich habe keine Angst. Du schon. Sonst würdest du nicht so viel reden."
„Ich mag oft Angst haben, und vor einer ganzen Menge Dingen, wie betrunkenen Stadtwachen und guten Spielern, aber nicht vor dem Fechten." Aus dem Augenwinkel sah Solofar, wie Gezzarro sich in die schmale Brust warf. „Fechten ist die einzige Sache, bei der ich wirklich ich selbst sein kann."
Solofar unterdrückte ein amüsiertes Schnauben. „Es mag sein, dass du recht hast", meinte er nur, mit einem Hauch von Ironie in der Stimme, der sich allen Versuchen, ihn zu unterdrücken, standhaft widersetzte.
Gezzarro bemerkte ihn. „Und ich warte immer noch sehnlichst auf jemanden, bei dem ich ich selbst sein kann, ohne dass mir der arrogante Spott eines viel zu schweigsamen Ipotame entgegenschlägt, Solofar Darke!", rief er, Belustigung in seiner empörten Stimme.
Solofar schob umständlich das Rapier in die Scheide und zog seinen Parierdolch. „Verzeih mir", seufzte er beiläufig, und fuhr mit seiner Waffenpflege fort.
Gezzarro schob sie mit neuem Elan den Kanal entlang. „Oh, niemals. Vielleicht, wenn ich mich nach deinem glorreichen Sieg auf deine Kosten betrinken kann."
Wann betrinkst du dich jemals auf deine Kosten? Aber nun, ich habe das Gold schließlich. Und wenn derjenige, den ich meinen besten Freundin dieser Höllenstadt bezeichne, kein Gold hat, so soll es mir recht sein. Wenigstens verträgt er nichts, sodass es selten mehr als ein Shilling wird. „Betrachte es als ein Versprechen", sagte er ehrlich.
Der Panthera gab ein zufriedenes Geräusch von sich. „Nun musst du nur noch gewinnen. Dem Conte einen hübschen, blutigen Schnittverpassen."
Solofar hob das Schwert und betrachtete eingehend die Klinge. Das Leder des Griffs schmiegte sich an seine linke Hand, als wäre die Waffe ein Teil seines Körpers. „Es gibt kaum Dinge, die einfacher sind."
„Halte dich zurück. Nicht, dass du jetzt große Töne spuckst und dich der Conte doch in Stücke schneidet. Er ist nicht der übliche Gossenfechter, die uns bisher begegnet sind, sondern einer der besten Geparde. Selbst der Meisterfechter der Nebelparder hatte seine Schwierigkeiten, ihn zu besiegen."
Unbeeindruckt verstaute Solofar das Schwert. „Ohne prahlen zu wollen, ich besiegte einen der Lords von Ilron, als ich jünger war als du."
„Das beweist nur, wie schlecht eure Fechter sind."
Solofar schnaubte und schwieg. Da hat er jedoch recht. Lord Messyah war ein beklagenswert schlechter Kämpfer.
„Da wären wir." Ein letztes Mal stieß Gezzarro die Stange in das dunkle Wasser, warf das Seil des Bootes um einen Pfosten und knotete es sorgfältig fest.
Ein kleiner Platz erstreckte sich vor ihnen, mit einem marmornen Brunnen in der Mitte, gesäumt von herrschaftlichen, stillen Kaufmannshäusern. Fackeln vor einer Taverne ließen orangefarbenes Licht über das helle Gestein zucken, ein paar Trinker beäugten skeptisch die beiden Panthera, die vor dem Brunnen standen. Der Conte di Seste und sein Sekundant hielten sich militärisch gerade, unbewegt blickten sie ihren Gegnern entgegen, zwei präzise Schatten vor dem Feuer.
„Nun, Solofar, zum ersten Mal bin ich dein Sekundant und nicht umgekehrt." Aufgeregt blickte Gezzarro auf den Platz, dorthin, wo der Conte stand und wartend das Gewicht verlagerte. „Jetzt kannst du zeigen, was dein Lord Hyatt dir beigebracht hat, in den vierzehn Jahren, in denen du in seinen Diensten standest."
Hyatts strenges, vernarbtes Gesicht tauchte vor Solofars innerem Auge auf, seine donnernde Stimme, mit der er Befehle über den Fechtplatz rief. Blitzendes Metall, fliegende Haare, das Weiße in Slivs Augen, als er zu Boden fiel. Er erlaubte sich ein kleines Lächeln. Der Conte hat keine Chance.
Gerade, als er sich erheben wollte, hielt Gezzarro ihn auf. „Warte", sagte er und zog unter der Sitzbank des Bootes ein Bündel hervor. „Hier."
„Was soll das sein?"
Der Panthera verdrehte die Augen. „Mach es einfach auf. Dann kannst du immer noch dumme Fragen stellen."
Solofar schlug den dunklen Samt zur Seite und enthüllte eine Maske, geformt wie ein weißer Vogelkopf, mit langem Schnabel und goldenen Verzierungen. Der Lack glänzte im Feuerschein.
„Wenn man gegen den Hochadel von Nyradon kämpft, hat es Brauch, dass die Gegner Masken tragen", erklärte Gezzarro. „Ich habe eine für dich anfertigen lassen. Ich habe dafür zwar so oft betrogen wie noch nie, aber irgendwie musste ich es dir zurückzahlen, dass du mir regelmäßig die Zeche bezahlst."
Vielleicht hättest du erst einmal deine Schulden bezahlen sollen, bevor du mir ein Geschenk machst. „Man kann vieles über dich sagen, Gezzarro di Varia, klug bist du nicht. Aber ich danke dir dennoch." Solofar sah eine Antwort in seinen Augen und unterbrach ihn. „Ich meine es ernst. Danke." Entschlossen lockerte er die Waffen in den Scheiden, setzte die Maske auf und band sie im Nacken zu. Ich verstehe nun, warum sie Masken tragen. Es mag mir albern erscheinen, doch man fühlt sich nicht wie man selbst. Nicht wie ein Gelehrter, nicht wie ein Ritter. Unbesiegbar, unbezwingbar. Unsterblich.
Gezzarro nickte anerkennend. „Es hat sich gelohnt, nicht klug zu sein", befand er mit gedämpfter Stimme. „Du siehst aus, als könntest du den König höchstselbst besiegen. Vom Conte ganz zu schweigen."
Ohne eine Antwort erhob Solofar sich und trat auf die Kaimauer. Hinter sich hörte er das leise Schwappen des Wassers gegen das Gestein, Gezzarros leichtfüßige Schritte, und das leise Klirren seiner Waffen, ein Geräusch, das zu gleichen Teilen Ruhe und brennende Anspannung durch seine Adern trieb. Fest jagte er jegliche Gedanken aus seinem Kopf, bis nur die Erinnerung an das Gefühl von Klingen in den Händen und der Klang von Stahl auf Stahl blieben.
Die stählerne Maske in der Form eines Sichelmondes blickte ihm entgegen, die Augen des Conte glühten blau hinter den Augenlöchern. Es ist wahrlich anders als die anderen Kämpfe. Keine Beleidigungen, keine Drohungen. Nur zwei Adelige, die um die Ehre kämpfen. Stumm blickte er dem Panthera entgegen, und er spürte, wie sich ein finsteres Lächeln auf seine Lippen schlich.
Verliere, Conte di Seste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top