Falling Chestnut - Die Bowlingkugel auf 4 Hufen - Kapitel 3


Das Training

Nach einem ganzen Winter lang Training mit Black Unity war Will schon etwas aufgeregt. Bei Schnee und Eis hatte er Kurven laufen geübt, damit seine Stute selbst bei Matsch und Pfützen nicht den Halt verlor. Dafür war das Greenswell Derby nämlich bekannt: Scharfe, glitschige Kurven bei denen man gerne mal den Halt verlor. Black Unity machte sich gut. In dem Rennen würde sie auf berühmte Rennpferde wie „Reviewer" und „Golden Sun" treffen. Doch bevor es so richtig losging hatte Richard Sanders Black Unity und Will für ein „kleineres" Rennen gemeldet, in dem ebenfalls Reviewer lief. Richard wollte sich ein Bild von der Technik seines Jockeys und der Geschwindigkeit des Pferdes machen, um Will nachher nützliche Tipps zu geben, wie er mit ihm umspringen sollte.

Winson Park. Ein Rennen über eine Distanz von 1800 Metern. Black Unitys siebtes Rennen. Man sollte nicht vergessen zu erwähnen, dass dies ein Rennen war, in dem sowohl Stuten, als auch Hengste laufen durften, also doch kein wirklich „kleines", wie Wills Vater versprochen hatte. Zwei Tage vor dem Rennen sollte Will einmal mit Black Unity und einer Gruppe von weiteren Rennpferden von den Nachbarhöfen ein Proberennen abhalten. Chestnut konnte sich inzwischen einigermaßen zusammenreißen, wenn er seiner Mutter beim Rennen zusah, doch man sah ihm an, dass er am liebsten sofort hinterherlaufen wollte. Vier Pferde am Start. "Brownie Lister", "Jakelin Ryder", "Nobody's Task" und "Black Unity". Sie wurden nacheinander in die alten Startboxen geführt, die noch aus der Zeit von Micheal Truman Sanders stammten und dringend einen neuen Anstrich vertragen könnten.

Unbemerkt ließ sich ein Mann aus der Presse; ein Freund von Richard Sanders auf einer der Zuschauerbänke nieder und stellte seine Stoppuhr. Die alte, rostige Starterglocke ließ ihren kratzigen Ton über die Bahn rauschen und im selben Moment sprangen die Türen zu den Startboxen auf. Will hielt seine Stute zurück, was ihr überhaupt nicht passte. Mit einem mächtigen Sprung katapultierte sie sich zwei Längen vor die anderen und entfernte sich mit jedem Sprung weiter von ihnen. Jetzt waren es schon vier Längen, fünf Längen. Doch die anderen gaben sich nicht so leicht geschlagen. Während Jakelin Ryder mit seinem Reiter schon drei Längen hinter Brownie Lister und Nobody's Task lief, arbeitete sich der Braune Hengst Brownie Lister an dem Grauschimmel Nobody's Task vorbei, um den zweiten Platz zu verteidigen. Jetzt lag Black Unity wieder nur drei Längen vorn. Jakelin Ryder jedoch stieß nach vorn und rollte das Feld von hinten auf. Mit einem gewaltigen Tempo holte er zu Nobody's Task auf und überholte den schwächelnden Grauen, dann setzte er sich an der dritten Stelle fest, bevor es in die Kurve zur Zielgeraden ging. Noch immer lag Black Unity mit einem Abstand von drei Längen vorn. Brownie Lister schien ebenfalls langsam die Luft auszugehen und er wurde unmerklich langsamer. Will hielt Black Unity auch zurück, um sie für die lange Zielgerade zu rüsten und auszuruhen. Da vernahm er neben sich einen donnernden Hufschlag. Brownie Lister überholte ihn! Nein! Es war nicht Brownie Lister, es war Jakelin Ryder. Er hatte sich in der Kurve an die Außenseite gesetzt und war freiwillig den längeren Weg gegangen, bei dem man viel schneller laufen musste, um dann auf der Zielgeraden einen Vorsprung zu haben. Jetzt, wo es in die Gerade ging wurden seine Sprünge immer länger. Eine Spezialität seines Jockeys war es schon immer gewesen, einen Schwächeanfall des Pferdes mit einem schlechten Start vorzutäuschen und dann unbemerkt in den Kurven oder auch erst auf der Zielgeraden vorzustoßen, das war die Gefahr und jetzt, wo Will sich in solch einer Situation befand wusste er auch nicht, was zu tun war. Jakelin Ryder schob sich immer weiter an Black Unity vorbei, doch die hatte noch nicht alles gegeben und rannte, als ob es um ihr Leben ginge. Sprung für Sprung holte sie zu Jakelin Ryder auf und sprang eine halbe Länge vor ihm ins Ziel.

Erschöpft galoppierten die beiden Pferde noch eine Weile, dann blieben sie stehen und ihre Jockeys gaben sich die Hand.

„Ein klasse Pferd hast du da. Ich wünsch' dir übermorgen viel Glück in Winson Park. Danke für dieses Rennen!", lächelte Jakelin Ryders Reiter Raoul Michaelsen und führte sein Pferd zur Dusche hinter dem Stall. Ein wenig erschöpft schlenderte Will mit Black Unity zur Box und deckte sie mit einer Abschwitzdecke zu, gab ihr Futter und Wasser und einen Apfel als Belohnung. Sie war vollkommen erschöpft, aber trotz alledem war Will stolz auf sie. Jakelin Ryder wurde nur selten geschlagen. Er war ein extrem wendiges Pferd und um 20cm kleiner als seine Stute. Man sagte immer, dass große Pferde nicht richtig rennen konnten, kleine wären flinker und wendiger, aber bei Black Unity stimmte das nicht! Sie war zwar groß, konnte dafür aber auch längere Sprünge machen und hatte auch kräftigere Hinterbeine mit denen sie im perfekten Gleichgewicht vorstoßen konnte. Sie war eben eine Schwarze Einheit...

Nachdem er seine Stute versorgt hatte wollte er zu Chestnut, der nun in einer anderen Box, gegenüber seiner Mutter zur Entwöhnung untergebracht worden war. Doch da war das fuchsfarbene Fohlen nicht. Verwundert ging Will nach draußen zu seinem Vater, der neben Mason Fuchs, einem Reporter saß, der seit der Schulzeit eng mit seinem Vater befreundet war.

„Neununddreißig Sekunden, wenn ich's dir sage!", rief Mason und hyperventilierte dabei fast.

„Ihre schwarze Stute ist auf drei Achtelmeilen* neununddreißig Sekunden gelaufen. Wenn sie diese Leistung in Greenswell bringt, knackt sie den Bahnrekord von „Lightning Strike"!" Wills Vater schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu seinem Sohn hinüber, der sich zu ihnen gesellte.

„Das kann doch gar nicht sein! So schnell ist Black Unity noch nie gelaufen!", noch immer wirkte Richard Sanders positiv schockiert.

„Bis zum heutigen Tag vielleicht noch nicht. Es scheint, als hätte das Training im Winter sich nun doch noch gelohnt und ich verspreche ihnen, dass sie die Früchte schon bald im Greenswell-Rennen ernten können. Es gibt nämlich so Gerüchte, dass Lightning Strike auch dabei sein soll", damit nahm Mason seine Jacke und reichte Richard zum Abschied die Hand.

„Ich vertraue deinem Urteil, deine Stoppuhr hat sich noch nie geirrt und ja; Lightning Strike ist auch für das Rennen gemeldet, ich hoffe nur, dass der Handicaper Unity nicht zu viel Blei aufpackt, sonst stehen ihre Siegeschancen schlecht"

„Glaubst du! Ich jedenfalls werde auf Black Unity wetten so viel ist klar, wenn sie übermorgen so fit ist wie heute, dann überholt sie die anderen spielend..." als Mason Wills ungläubiges Gesicht sah, setzte er sich doch noch einmal hin.

„Wie ich sehe habt ihr einen kleinen Neuzugang bekommen! „Falling Chestnut". Ein temperamentvoller kleiner Kerl. Vorhin, als seine Mutter vorbeigelaufen ist, hatte ich das Gefühl, als wollte er sich losreißen und ihr nachjagen", Mason grinste. Mit seinen grauen Augen und blonden Haaren erinnerte er Will ein wenig an seinen Großvater. Wenn sie nur wüssten, dachte er lächelnd.

„ Ich hatte heute das Gefühl, dass es Black Unity nicht darum ging für mich zu laufen, wie sie es sonst immer macht, sondern, als hätte sie einen Wettstreit mit Jakelin Ryder und wollte ihm nur zeigen, wer die Chefin ist", begann er und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht, „Als ich sie zurückhalten wollte, hat sie sich aus meinem Griff losgerissen und den Kopf geworfen, als passe ihr das gar nicht und dann ist sie in Führung gegangen, obwohl ich sie schonen wollte"

Mason Nickte, dann sah er auf und bemerkte Chestnut, der sich losgerissen hatte und über die Rennbahn stürmte.

„Ganz schön temperamentvoll der kleine!" rief er aus, „an eurer Stelle würde ich ihn beim Rennen komplett in einer Box verschanzen, damit er das nicht auch in Greenswell macht"

„Haben wir vor", entgegnete Will gelassen und winkte mit einer Hand ab, „Dem kleinen werden wir die Flausen schon austreiben. Dann verabschiedete sich Mason Fuchs und Will brachte Chestnut, nachdem er ihn wieder eingefangen hatte in seine Box. Am Abend hatte er ihn noch longieren wollen, um seine Gangarten und Trittfestigkeit zu fördern und ihn ein wenig zu bewegen, doch das konnte er sich jetzt wohl sparen. Mit einem alten Handtuch trocknete er Chestnuts durchnässtes Fell ab und legte ihm eine Decke über, damit er sich nicht erkältete, dann setzte er sich zu dem Fohlen in die Box und holte das alte Buch seines Großvaters aus einer Nische in der Wand. Er hatte es von seinem Zimmer in den Stall umgelegt, denn in seinem Zimmer war er ohnehin kaum. Er zog es vor sich zu seinen Pferden zu gesellen, wo er sich richtig entspannen konnte. Die Pferdeboxen waren sozusagen seine zweiten Zimmer. Er wickelte das Buch aus dem Ledereinband und fing an zu lesen. Da war eine Seite, in dem sein Großvater den perfekten Rennreitsitz geschildert hatte und wo man am besten sein Gewicht hin verlagern sollte, damit ein Pferd leichte laufen konnte und wohin man das Bleigewicht am besten schnallen sollte, wenn der Handicaper dem Pferd viel Gewicht gegeben hatte. Dann tauchten Erkenntnisse auf, die Wills Großvater bei den Rennen gemacht hatte. Die unberührten Grasstreifen auf der Zielgerade waren also keineswegs glitschig und gefährlich für die Pferde, sondern boten genügend Halt für einen schnellen Endspurt. Das würde Will sich merken, weil dieser Streifen von allen anderen gemieden wurde. Er würde sich somit genug Freiraum schaffen, um mit Black Unity an den anderen vorbeizuschießen. Hoffte er jedenfalls. Nach einer Stunde Lesen klappte er das Buch zu und schlief ein.

Als er wieder aufwachte, war es bereits Morgen und er lag noch immer im Stroh. Will öffnete die Augen und erschrak furchtbar, als zwei riesige braune Augen ihn anglotzten und zwei weiche Nüstern immer wieder gegen seine Nase stießen und dabei sein Gesicht in einen warmen Atem hüllten. Als Will endlich aufhörte auf die weiße Blesse des unverschämten Fohlens zu schielen, taten ihm seine Augen weh.

„Falling Chestnut! Was fällt dir ein mich so zu erschrecken", lachte Will und kraulte Chestnut zwischen den Ohren. Der schnaubte nur und ließ ein kratziges wiehern hören während er seinen Kopf nervös nach oben riss und ihn dabei ein wenig schüttelte.

„Jetzt hab ich dich auch mal erschreckt. Jetzt weißt du mal, wie das ist!" Chestnut legte beleidigt die Ohren an, als hätte er alles verstanden, vielleicht war er aber auch nur beleidigt, weil sein neues „Spielzeug" neuerdings seinen eigenen Willen hatte. Will stand auf und ging aus der Box, dann holte er ein Stück Brot für Chestnut und fütterte die Pferde, bevor er zum Frühstücken ins Haus ging. Wills Mutter saß noch am Tisch und blätterte in einer Zeitung.

„Und? Gut geschlafen?" , fragte sie, nachdem sie Wills Gesicht kurz gemustert hatte. Will nickte und fasste sich ins Gesicht, weil seine eine Backe juckte. Vor lauter Schreck rutschte ihm beinahe das Herz in die Hose. Er hatte auf einem von Chestnuts... naja... Fallobst gelegen und dieses hing ihm auch jetzt noch im Gesicht. Vor lauter Scham errötete Will und zog sich ins Bad zurück. Seine Mutter grinste nur. Typisch, dachte sie. Nachdem Will sich den Schmutz aus dem Gesicht gewaschen hatte setzte er sich an den Frühstückstisch und trank heißen Kakao und ein Marmeladenbrot, dann nahm er sich einen Teil der Zeitung vom Stapel und blätterte nach den Sportnachrichten. Einen Artikel über das Rennen in Winson Park las er laut vor. Er war wohl von Mason Fuchs geschrieben, denn es stand viel über Black Unity darin.

„Liebe Renn- und Pferdefreunde. Auch morgen wird es nach langem Warten endlich wieder ein Rennen geben, das sich meiner Meinung nach lohnen wird. Nach Anmeldeschluss gehen einige der besten Rennpferde dieser Gegend an den Start. „Wishes Vanity" wird die Nr. 1 tragen, „Silberpfeil" die Nr. 2, „Shadowdance" die Nr. 3, „Black Unity" die Nr. 4 und „Crashing Wave", die Nr.5.

Die absoluten Favoriten dieses Rennens sind ohne Zweifel Black Unity und Wishes Vanity. Ich habe diese beiden laufen sehen und bin mir darüber im Klaren, dass sie uns ein gigantisches Rennen liefern werden. Ich kann noch nicht sagen, wer gewinnen wird, aber sowohl Black Unity als auch Wishes Vanity sind in Topform. Black Unity der Champion des letztjährigen Blue-Meadow- Cup, oder Wishes Vanity, die Siegerin des letzten Greenswell- Derbys. Genau vorhersagen kann man das heute noch nicht, aber ich bin sicher, dass keiner, der dieses Rennen besucht, es bereuen wird!"

Will blickte auf. Sein Vater stand in der Tür undblickte nachdenklich drein. Will faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und legte sie auf den Stapel zurück.

„Was denkst du, wird der Handicaper den beiden Pferden nach diesem Artikel aufpacken?", fragte er seinen Vater.

„135 Pfund, nicht mehr werde ich Black Unity tragen lassen, sonst rennt sie sich zu Tode"

„Und was, wenn er ihr mehr aufpackt. Für einen Rückzieher ist es dann zu spät", entgegnete Will trotzig. Sein Vater nickte Nachdenklich, dann verließ er das Zimmer. Er hatte ja Recht. Auch Will wurde jetzt nachdenklich. Black Unity war ein ungefähr um drei Längen besseres Pferd als Wishes Vanity und bekam demnach auch drei Pfund mehr als diese, um einen Ausgleich zu schaffen. Doch war Wills Stute diesem harten Rennen dann auch wirklich gewachsen?? Will hoffte und betete, dass sie es sein würde. Schon am morgigen Tag sollte er es erfahren...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top