Falling Chestnut - Die Bowlingkugel auf 4 Hufen - Kapitel 2

Ein aufregender Winter

In dieser Woche lernte Will wie verrückt geworden auf seine Arbeit und schrieb dafür in der darauf folgenden Woche eine glatte Eins. Noch nie zuvor war er so motiviert an seine Arbeit gegangen, das merkte sein Vater natürlich. Eines Morgens, als sein Vater endlich das Zuchtverzeichnis telefonisch erreichte, wurde ihm mitgeteilt, dass zwar bereits ein Pferd mit dem Namen Chestnut eingetragen worden sei, jedoch Falling Chestnut noch zur Debatte stand. Vor lauter Vorfreude, seinem Sohn davon zu berichten, warf er die geliebte Vase seiner Frau vom Fensterbrett und hinterließ auf dem Teppichboden mit einem Gläschen Rotwein einen mächtigen Fleck, bevor er sich zu seinem Sohn auf die Couch setzte. Wills Mutter Beth Sanders, eine hübsche, braunhaarige, junge Frau versuchte währenddessen verzweifelt den Fleck herauszubekommen und alle Scherben der Vase einzusammeln.

„Will, ich glaube, ich habe eine Überraschung für dich...", grinste Richard

„Bin ich mit Black Unity für das Sprinter-Derby in Greenswell gemeldet?", Wills Augen glänzten. Man musste eine Menge Glück haben, es zu schaffen, für dieses große Ereignis gemeldet zu werden, weil es meistens nach wenigen Tagen schon voll besetzt war.

„Ja, das auch, aber noch etwas anderes... Ich meine Black Unity kann „Falling Chestnut" in diesen Tagen wohl kaum alleine lassen, oder?", Richard beobachtete, wie sein Sohn vor Freude einen roten Kopf bekam.

„Er ist gemeldet? Ich...ich, ich meine Chestnut war noch nicht vergeben?", Wills Vater schüttelte den Kopf.

„Chestnut schon, aber Falling Chestnut noch nicht und ich meine, die Kastanie ist dir doch auf den Kopf gefallen, das würde passen habe ich gedacht. Außerdem kannst du ja trotzdem Chestnut zu ihm sagen. Ich musste mir wegen dem Namen ein Haufen Gelächter der Eintragungsstelle liefern lassen –das kann ja nur was werden - haben sie gesagt, aber ich kenne Chestnuts Eltern und weiß, dass aus ihm einmal ein großer Sieger wird" Es war enorm wichtig einem Pferd, das einmal ein Rennpferd werden sollte – vor Allem bei Englischen Vollblütern, wie Chestnut eines war – einen Namen zu geben, den noch kein Pferd vor ihm getragen hatte, damit man – falls es sich bewährte – es für immer mit einem einzigartigen Namen in die Geschichte eingehen lassen konnte und damit es bei einem Rennen nicht passierte, dass es zwei Pferde mit dem gleichen Namen gab, dann würden die Zuschauer nämlich völlig durcheinander geraten.

„Die sollen noch einmal etwas über Black Unitys erstes Fohlen sagen, dann komme ich und zeige ihnen, was nur was werden kann...!" Will war sauer auf die Leute vom Amt, weil sie sich über sein Fohlen lustig machten, obwohl sie es noch nicht einmal gesehen hatten.

„ Wann ist das Rennen?", fragte er seinen Vater.

„Im Januar, wir müssen schon einmal mit dem Training beginnen oder zumindest versuchen, Black Unity in Form zu bringen. In diesem Zustand gewinnt sie nicht mal ein Ponyrennen in Buxtehude", Richard räusperte sich und stand auf. Aus dem obersten Regal eines Schrankes zog er ein altes, verstaubtes Buch mit Ledereinband hervor. Es war vollkommen verstaubt, die Seiten vergilbt. Auf den ersten Blick nichts wirklich aufregendes, doch als Richard den Umschlag abwischte und ein schwarz-weiß Bild von seinem Großvater auf einem Rennpferd herausrutschte, begannen Wills Augen zu glänzen. Sein Großvater war vor sieben Jahren in einem Rennen tödlich verunglückt. Daraufhin wollte Wills Mutter, dass ihr Sohn sich ebenfalls von diesem gefährlichen Sport lossagte, hatte damit aber keinen Erfolg. Seine kleine Schwester Emma war damals nur betreten bei ihrer Mutter gestanden. Will wusste, wie gerne sie Rennen reiten wollte, doch ihrer Mutter zuliebe hatte sie nie damit angefangen.

„Dieses Buch hat deinem Großvater gehört", begann Richard über den damalig berühmtesten Rennreiter zu sprechen, den es je gegeben hatte: Michael Truman Sanders.

„Das ist sein Renntagebuch. Er hat hier alle Rennen genau geschildert, Strategien aufgeschrieben und die Techniken verschiedener Reiter notiert. Dieses Buch solltest du hüten, wie deinen Augapfel. Dein Großvater hat es mir vermacht und ich habe ihm versprochen, es niemals jemandem zu verraten, was darin stand. Doch du, mein Sohn, bist eine Ausnahme. Ich sehe in dir einen großen Champion. Und jetzt geh und mach Black Unity fertig, wir haben viel zu tun", mit einem Nicken nahm Will das wertvolle Buch entgegen, strich mit den Fingern über den ledernen Umschlag und nahm es mit auf sein Zimmer, dann zog er seine Reiterklamotten an, um in den Stall zu Black Unity und Chestnut zu gehen. Chestnut war schon etwas rundlicher geworden in den letzten zwei Wochen. Nicht mehr so mager wie der neugeborene Winzling, der verwundert neben seiner Mutter gekauert hatte. In der letzten Woche hatte Will mit Black Unity oftmals Ausritte gemacht, Chestnut an ihrer Seite, dabei hatte er gemerkt, wie ungestüm das kleine Fohlen doch sein konnte. Mal patschte es durch die Pfützen der Umgebung, dann jagte es fallenden Blättern hinterher und wenn Will Black Unity zu einem Arbeitsgalopp antrieb, zischte Chestnut so schnell wie der Wind nebenher. Ein wunderbares Fohlen, dachte sich Will, als er den temperamentvollen Hengst mit weiten Sprüngen neben sich her galoppieren sah. Das wird einmal ein richtiges Rennpferd.

„Will, träumst du etwa schon wieder?", rief Richard hinter dem Jungen, der noch immer in seinem Zimmer stand. Will schüttelte nur den Kopf und ging dann beschämt nach draußen. Als er den Kopf seinem Vater zuwendete, sah er, dass dieser vorwitzig grinste.

„Wie ich bereits sagte... Du bist wie ich in meinen jungen Tagen", damit wendete er sich ab und ging in Richtung der Küche.

Will, der sich schon mächtig freute zu seiner Stute und ihrem kleinen Fuchsfohlen zu gehen rannte die Treppe hinunter, nahm dabei zwei Stufen auf einmal und stolperte auf halbem Weg nach unten. Glücklicherweise konnte er sich rechtzeitig am weiß gestrichenen Geländer festhalten und somit einen schlimmen Sturz vermeiden. Puh, dachte Will und setzte seinen Weg durch den himmelblau gestrichenen Flur fort, an dessen Wänden eingerahmte, vergilbte Zeitungsausschnitte von den Rennsiegen seines Vaters und Großvaters hingen und ganz am Ende sogar das Bild, als Will an seinem ersten Rennen teilgenommen und gewonnen hatte mit der damals noch dreijährigen Black Unity. Stolz lächelnd schloss Will die Tür hinter sich und ging über den Hof, unter der Kastanie hindurch auf das Stallgebäude zu. Inzwischen waren alle Früchte von dem alten knorrigen Baum gefallen und der belästigte Will so nicht länger mit seinen kleinen Wurfgeschossen, was dem Jungen sehr zusagte, denn nach mehreren Wochen, in dem der Baum in voller Reife gestanden hatte tat ihm sein Kopf mächtig weh, nach all den Kastanien, die darauf gelandet waren. Seufzend erreichte Will den Stall. Black Unity war mit dem kräftigen Chestnut nun nicht mehr in dem geheimen Stallgang untergebracht worden, sondern schon in einer abschließbaren Box für Stuten und ihre Fohlen. Das Fohlen schien jeden Tag um einen Ganzen Kopf größer zu werden und da schien man auch schon seine erste Schwäche zu erkennen. Falling Chestnut würde riesig werden. Viel zu riesig für ein kompaktes, wendiges Rennpferd. Doch Will glaubte an seinen kleinen Hengst und ließ ihn jeden Tag neben seiner Mutter über die Rennbahn sausen.

Nach einem ganzen Winter Training konnten sich die Resultate dann auch sehen lassen. Eine extrem fitte Rennpferdestute und ein aufgewecktes Fohlen, das es liebte in einem gewaltigen Tempo die Zielgerade entlang zu preschen. Es machte auch nichts aus, dass er seine Mutter dabei nie einholte. Dafür war Black Unity erstens viel zu schnell für ihr Fohlen und zweitens hatte sie einfach zu viel Erfahrung. Als Wills Vater jedoch mitbekam, dass sein Sohn das Fohlen auf der Rennbahn mitlaufen ließ, verbot er es ihm, weil man Chestnut bloß nicht zu sehr daran gewöhnen sollte, immer mit seiner Mutter auf der Bahn zu rennen...

„Sonst dreht er beim Derby völlig durch!", hatte er gesagt. Daraufhin wollte er Chestnut am Halfter bei sich stehen haben, als Will mit Black Unity einen Arbeitsgalopp auf der Bahn machen sollte. Doch der temperamentvolle Junghengst wollte sich von Richard überhaupt nichts sagen lassen. Zornig fing er an zu wiehern und auszukeilen. Er wollte auch mit seiner Mutter laufen! Wie besessen zerrte er am Führseil, während Richard Sanders verzweifelt versuchte das wildgewordene Fohlen zurückzuhalten. Nach ein paar Minuten heftigen Kämpfens hatte Falling Chestnut sich aus dem eisernen Griff von Wills Vater befreit und sauste seiner Mutter hinterher.

„Da haben wir den Salat!", seufzte Richard und machte sich auf das Fohlen wieder einzufangen. Doch Chestnut dachte gar nicht daran! Er wollte mehr als nur zu seiner Mutter: Sie überholen, vor ihr über das Gras galoppieren – Das wollte er! Da seine Mutter nur einen normalen „Ausrittsgeschwindigkeitsgalopp" machte, holte er sie binnen Sekunden ein, dann jedoch fiel er ein Stückchen zurück. Jetzt hat er seine Kondition verbraucht, dachte Richard grinsend und ritt auf einem der Begleitpferde hinter Black Unity und Chestnut her. Black Unity, die sich Sorgen um ihren Sohn zu machen schien, machte langsamer und fiel zu Chestnut zurück. Da rannte der kleine, als gäbe es schon heute den großen Preis zu gewinnen. Wie vom Blitz geschlagen hastete Black Unity hinterher, denn sie wollte ebenfalls als Erste im Ziel ankommen, doch Chestnut war schon fünf Längen * vor seiner Mutter und diese holte mit jedem Sprung ein Stückchen zu ihrem Sohn auf... Selbst nach dem Ziel wollte das kleine Pferd nicht aufhören zu rennen, obwohl es schon gewaltig schnaufte. Erschöpft blieb Chestnut dann nach einer Weile stehen und rang nach Luft. Seine Beine zitterten, doch man konnte erkennen, dass er auch noch eine Meile weiter gerannt wäre, wenn er dadurch vor seiner Mutter angekommen wäre. Richard Sanders ging langsam mit einer Abschwitzdecke auf Chestnut zu. Sein Fell dampfte und war verschwitzt. Nachdem Wills Vater ihm die Decke übergelegt hatte, betastete er die zierlichen Beine des Fohlens, ob es sich beim Rennen verletzt hatte. Nur eine kleine Wunde über einem Huf konnte er entdecken, die sich Chestnut wohl mit seinen viel zu langen Beinen selbst beim Rennen zugefügt hatte, aber sonst nichts.

„Wir können froh sein, dass ihm nichts passiert ist!", sagte Richard zu seinen Sohn.

„So ein Pferd wie Chestnut habe ich noch nie zuvor gesehen! Trotzdem! Du solltest ihn besser die nächste Zeit nicht mehr auf die Bahn mitnehmen, wenn du beim Derby keine Probleme bekommen willst!", Will nickte und führte seine beiden Pferde in den Stall. Nachdem er Black Unity abgesattelt und geputzt hatte, kniete er sich neben den im Stroh kauernden Chestnut und kraulte ihm die Mähne.

„Ich bin so stolz auf dich mein kleiner! Ich verspreche dir, das machen wir bald mal wieder", dann ging er aus dem Stall heraus und ließ ein aufgeregtes, fuchsfarbenes Fohlen zurück.

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