Out (of order)
Sicht: Palle
Ich war nervös. Sehr nervös.
Warum?
Nur, weil Manu vorbeikommt.
Ich war so nervös, dass mich sogar Carlotta darauf ansprach, als es einigermaßen ruhig war: „Geht's dir gut oder warum bist du heute so unfassbar hibbelig?" Sie lachte, ich wurde rot und lachte verlegen mit. Es war doch wirklich seltsam, oder? Ich war noch nie nervös, nur weil Manu zu mir kommen würde, warum war ich es also jetzt?
Bestimmt nur, weil er sich gestern so seltsam verhalten hatte.
„Alles gut", antwortete ich ihr. Sie nickte, hakte nicht weiter nach und dann war das Gespräch auch schon wieder beendet, denn die kleine Verschnaufpause war ebenfalls vorbei.
Wir waren beide bis 18 Uhr eingeteilt und als wir um viertel nach unsere Fahrräder aufschlossen, fragte sie mich, ob ich Lust habe, mit ihr beim Libanesen was zu essen zu holen. „Ich kann leider nicht, sorry. Ich treffe mich gleich noch mit jemanden."
„Oh, deshalb bist du heute so nervös gewesen!", sagte sie dann. „Hoffentlich ist es die Person wert. Du warst echt neben der Spur." Sie lachte wieder und ich lachte erneut aus Verlegenheit mit. Gleichzeitig dachte ich mir, dass Manu es definitiv wert war. Er ist einfach ein toller Mensch.
Carlotta schwang sich auf ihr Rad, was ich ihr gleich tat. „Ich treffe mich nur mit einem Freund", meinte ich noch schnell, bevor wir getrennte Wege gingen. „Dann trotzdem viel Spaß. Bis dann", sagte sie daraufhin. Ich verabschiedete mich auch von ihr und wir fuhren los.
Um halb sieben war ich zu Hause und Manu kam um sieben. Bis dahin räumte ich noch schnell ein bisschen auf. Ich musste an gestern denken. Er war so seltsam, so anders als sonst und es ist zwar nicht selten so, dass wir uns mehrere Tage hintereinander treffen, aber dass er mich so schnell gefragt hat, ob wir uns heute wieder sehen könnten, fand ich dann doch komisch.
Es klingelte. In kürzester Zeit war ich an der Tür und ließ Manu rein. Er wirkte nervös, hatte seine Hände in seine Hosentasche, sah erst auf den Boden, bevor ich ihn begrüßte und auch als er dann in meiner Wohnung drinnen war, stand er nicht so locker wie sonst. Er kratzte sich am Kopf, aber es war eindeutig eine Geste der Unsicherheit. Es war, als wüsste er nicht wohin mit sich selbst, dabei war er schon oft hier. Sogar öfter, als meine Eltern.
Etwas bedrückte ihn, und das machte mich besorgt.
„Setz dich doch", lud ich ihn, mich selbst zu einem Lächeln zwingend, auf meine Couch ein. Als wäre er ein Schauspieler, dem man gerade seine Regieanweisung souffliert hatte, kehrte wieder Leben in den Jungen und er setzte sich. „Willst du was trinken? Wasser, Cola, Fanta?" Ich machte eine kurze Pause. Vielleicht braucht er Alkohol? „Bier, oder.... so?"
Ich spielte mit meinen Händen. Was mache ich bitte mit einen Manu wie diesen, der gerade völlig apathisch in meinem Wohnzimmer auf meiner Couch sitzt?
Manu schüttelte den Kopf. „Wasser reicht, danke." Ich nickte und holte uns zwei Gläser und eine Flasche Wasser. Es hätte mich, um ehrlich zu sein, nur noch mehr gewundert, wenn er auf mein Alkohol Angebot eingegangen wäre. Ich glaube, ich habe ihn noch nie viel trinken gesehen.
Er bedankte sich nochmal, als ich ihm das Glas gab und mich zu ihm setzte. Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, fragte ich ihn, was los sei. Daraufhin faste er sich an sein Handgelenk und sah dorthin. Dann sah er wieder zu mir. „Es ist eigentlich kein großes Ding, aber ich bin schon eine kleine Drama Queen, also musst du mir das verzeihen." Er räusperte sich und sah wieder zu Boden.
Ich musste etwas schmunzeln. Er hatte recht, er war in der Tat eine kleine Drama Queen, aber meistens empfand ich das mehr als amüsant als nervig.
„Also", sagte er dann, „Tim, also, der blonde große Typ von gestern." Ich nickte. Der, vor dem Eiscafé, mit seinem Freund. „Das war nicht nur irgendein alter Schulfreund von mir."
Manu sah wieder hoch, zu mir, in meine Augen. Ich sah in seine.
„Er- äh... Wir... wir waren früher zusammen." Er war still, ich sagte nichts. Die beiden waren ein Paar gewesen.
„Also, er ist mein Ex-Freund", sprach er dann, als müsste er es nochmal verdeutlichen. Ich nickte.
Deshalb war es eine so unangenehme Situation. Und ich Volldepp frag ihn auch noch, ob irgendwas zwischen ihnen mal vorgefallen ist...
Manu musterte mich ganz genau. Er wartete vermutlich auf eine Reaktion von mir, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich zu fragen, warum mich dieser Fakt so komisch fühlen ließ. Er machte mich nicht fröhlich per se, aber innerlich musste ich schon lächeln, obwohl mir zugleich auch übel wurde. Es war kein Ekel gegenüber der Vorstellung von zwei Männern in einer Beziehung, sondern... Ich wusste es auch nicht ganz, aber es fühlte sich fast so an, als würde mir schlecht werden, wegen mir selber. Oder war das Neid? Aber warum Neid?
„Alles... alles okay, Patrick?", fragte mich Manu irgendwann, Verunsicherung in seiner Stimme. Ich schreckte aus meinen Gedanken hervor und fasste mich am Kopf. „Sorry, ja, alles in Ordnung!", entgegnete ich schnell. Was sagt man eigentlich nach sowas?
„Ähm, heißt das, du bist schwul?" Ich kratzte mich am Unterarm. „Oder bi oder, äh... pan?", ergänzte ich schnell.
„Tatsächlich bin ich schwul, ja", antwortete er dann und lächelte leicht. Ich nickte. Was sagt man dazu? ‚Herzlichen Glückwunsch! Das ist ja cool!' wohl kaum.
„Danke, dass du mir das sagst", meinte ich dann, ebenfalls lächelnd. Er winkte ab. „Ich wollte dir das schon lange sagen, aber ja..."
Hatte er sich nicht getraut? Ob ich irgendwas gesagt oder getan hatte, was ihn hat zögern lassen?
„Es tut mir leid, falls es sich so angefühlt hat, als könntest du mir das nicht sagen", meinte ich dann. Manu schüttelte den Kopf. „Du hast gar nichts gemacht", beruhigte er mich sofort. „Ich war mir einfach nur unsicher, wann und wie ich was sagen soll. Ich mein, keiner, der cis und hetero ist, stellt sich so vor, oder? Oder sagst du, wenn du neue Leute kennen lernst ‚Hey, ich bin Patrick, cis und hetero.'?" Er lachte leicht. Ich musste schmunzeln. Das stimmte allerdings.
„Cis war, wenn man sich mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem man geboren wurde, oder?", fragte ich ihn. Ich hatte den Begriff noch nicht sehr oft gehört und ich habe mich eher als Teenager mit LGBTQ+ Themen beschäftigt, anders als heute. Da habe ich sowas förmlich verschlungen.
Manu nickte. „Wenn das Geschlecht, mit dem du dich identifizierst, mit dem, welches dir an deiner Geburt zugewiesen wurde, übereinstimmt, bist du cis."
Es war kurz still.
Ich wäre fast in Gedanken an meine Teenager Zeit gerutscht, wenn Manu nicht etwas gesagt hätte: „Weißt du, bisher war das einer der besten Reaktion auf mein Coming out." Er lächelte zufrieden.
„Echt?", fragte ich. „Immerhin hab ich erst gar nichts gesagt und dich direkt gefragt, was deine sexuelle Orientierung ist." Ich kratzte mich verlegen am Kopf. Sowas ist nicht gerade charmant, würde ich sagen.
Aber Manu schien das eher weniger zu stören. Er zuckte nur mit den Schultern und meinte, dass zwar alle seiner persönlichen Outings nicht direkt schlecht verliefen, aber dass die bisherigen ziemlich emotional und in seinen Augen dramatisch wirkten. „Deine Frage war – zumindest finde ich das – auch okay, weil du nicht direkt davon ausgegangen bist, dass ich schwul bin, weißt du? Ich hätte dir darauf ja nicht antworten müssen und außerdem ist es irgendwie süß, dass du dich dafür bedankt hast. Aber wie gesagt, ich hab es nur deshalb erst jetzt getan, weil ich nicht fand, dass ich mich so vorstellen muss und irgendwann kam es mir dann auch dumm vor, dir das so zu sagen. Aber gestern, als ich Tim zusammen mit seinem Freund getroffen habe und ich euch einander vorgestellt habe, kam es mir einfach falsch vor, nichts zu sagen. Das hat mich gestern auch nicht mehr losgelassen, also sorry, dass ich so anders war als sonst. Es hatte nichts mit dir zu tun."
„Okay, das ist gut. Ich kenne halt persönlich nur cis-hetero Leute, wenn wir von maudado und Zombey mal absehen, deshalb war ich so nervös."
Manu stieß mir mit seinem Ellenbogen in die Seite. „Hattest du etwa Angst, dass ich unsere Freundschaft kündige?" Darüber musste sogar ich lachen.
„So extrem würde ich das nicht ausdrücken. Ich wollte dich halt nicht verletzen, auch wenn es nur aus Versehen gewesen wäre", erklärte ich.
„Ich lass es dich schon wissen, wenn du mich verletzt", entgegnete er.
„Also dann" Ich grinste ihn an. „Lass uns was zocken."
Es war fast genauso wie sonst auch: Wir spielten Mario Party, Manu gewann die meisten MiniGames und ich ging ganz knapp als Sieger hervor. Es war ein wirklich schöner Abend, bis Manu ging. Ich meine das nicht, weil ich ihn vermisste (was ich zwar zugegebenermaßen schon ein bisschen tat, denn seine „Präsenz ist einfach ein Geschenk vom Himmel", wie er es einst ausgedrückt hatte), sondern eher, weil ich wieder daran denken musste, wie ich jahrelang auf Google irgendwelche Sexualitäten gesucht habe, mich in sämtliche Foren eingelesen habe und sämtliche Tests gemacht habe. Damals war ich eigentlich so sicher wie heute, dass ich hetero bin; nämlich nie zu hundert Prozent.
Ich hatte es nur immer erfolgreich verdrängt. Ich bin nie einem Jungen oder einen Mann über den Weg gelaufen, der dafür gesorgt hat, dass ich mich selbst hinterfrage, aber jetzt?
Manus coming out vor mir kam mir so vor, als hätte er einen versteckten Lichtschalter gefunden und betätigt, nur mit dem Unterschied, dass er das Licht nicht einschaltete, sondern wieder aus machte.
Vielleicht war das vermeintliche Licht auch gar kein echtes Licht, sondern nur ein Schein?
Schon damals habe ich mich gefragt, wie heterosexuelle und homosexuelle Menschen sich so sicher sein konnten, dass sie wirklich nur auf ein Geschlecht stehen. Woher willst du wissen, dass es nicht vielleicht doch eine Person gibt, dessen Geschlecht nicht in die Kategorie deiner Sexualität passt?
Ich hatte mir damals einfach nur eingeredet, dass ich solange hetero bin, bis ich jemanden, der nicht weiblich ist, treffe, der dieselben oder zumindest ähnliche Gefühle in mir auslöst. Aber das ist Schwachsinn.
Ich muss nicht erst jemanden treffen, um sowas herauszufinden.
Vielleicht wird es mit 22 Jahren endlich mal Zeit, mich selbst zu finden, oder besser gesagt, meine sexuelle Orientierung.
Aber wie soll ich das bitte tun?
☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆☆
Frohes neues Jahr und hoffentlich hattet / habt ihr einen guten Schulstart!
Direkt zum letzten Absatz des Kapitels was: Es ist natürlich völlig egal, wann man sowas herausfindet. Man ist dadurch keine schlechtere Person, wenn man sich selbst erst spät entdeckt und im Umkehrschluss ist man auch keine bessere Person wenn man das früh tut. :)
Und jetzt etwas zur Story im Allgemeinen:
Die, die meinen Jahresrückblick gelesen haben, wissen bereits, dass es nur noch wenige Kapitel hier geben wird. Ich schätze mal, dass es noch so ungefähr 4 Kapitel sein werden.
Das nächste Kapitel könnte mit etwas Glück bereits nächsten Monat rauskommen! :D
Und das wars eigentlich auch schon von mir!
Wie immer hoffe ich, dass es euch gefallen hat und wünsche euch noch einen schönen Tag!
LG LMS☆
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top