Kapitel 5
Als Almina bei der Naturmagierin eintraf, sah diese nicht sehr glücklich aus. Besorgt blickte sie sich um und zog anschließend das Mädchen in ihr Haus.
„Was machst du hier?", fragte sie fast schon verstört. „Wenn dich jemand gesehen hat, dann bekommen wir beide Ärger. Und für wen es schlimmer sein wird, kannst du dir sicherlich denken."
„Verzeihen Sie", sagte Almina leise und senkte betreten den Kopf. „Ich wusste einfach nicht, was ich sonst tun sollte."
„Was hast du da überhaupt?" Meyra bückte sich und sah auf das schwarze Etwas in Alminas Gewand. „Glaubst du etwa, ich kann eine verbrannte Pflanze wieder zum Leben erwecken? Da muss ich dich enttäuschen. Den Tod kann nicht einmal ich besiegen. Und ich sage dir gleich", nun senkte die Frau ihre Stimme zu einem Flüstern, „wenn du einen Nekromanten suchst, brauchst du gar nicht mehr zurückkommen. Todesmagie ist streng verboten."
„Nein, nein", sagte Almina hastig und schüttelte zur Bekräftigung den Kopf, „darum geht es nicht. Wirklich nicht. Aber Sie haben die Beete von Mutter angelegt und kennen sich mit den Pflanzen aus ..."
„Du hast die Beete deiner Mutter verbrannt?" Schockiert wich die Naturmagierin zurück.
„Nein, bitte lassen Sie mich ausreden und erklären." Almina seufzte. „Meine Schwester ist doch erst fünfzehn. Es dauert noch zwei Jahre, ehe sie ihre Gabe bekommt. Und sie fühlt sich ein wenig zurückgesetzt."
„Sie hat die Beete verbrannt?!", rief Meyra und schlug beide Hände entsetzt vor ihr Gesicht. „Oh weh! Wohin sind wir gekommen, wenn die Primordialis ganz ohne Prophezeiung bereits die Welt zerstören statt zu schützen!"
Nun stampfte Almina zornig auf. „Nein und nochmals nein! Darf ich bitte endlich ohne Unterbrechung ausreden?!"
Meyra Quintoris ließ die Hände sinken und sah überrascht auf das energische Mädchen vor sich. Dann seufzte sie und gab nach.
„Bitte setz dich. Aber leg vorher die tote Pflanze ab." Sie blickte um sich und holte schließlich ein tönernes Gefäß, das sie auf den Tisch stellte. „Dort hinein, bitte. Darf ich dir einen Tee anbieten oder frisches Wasser?"
Almina schüttelte den Kopf und gab die Pflanze mitsamt der Asche in das Gefäß. Danach sah sie auf ihre verschmutzte Schürze. Auch Meyra bemerkte die Flecken und stieß erneut einen Seufzer aus.
„Komm mit, du kannst das Gewand hinten im Garten ausschütteln. Aber mach schnell, dass dich nicht noch eine Nachbarin entdeckt."
Almina eilte sich und kam rasch zurück. Sie setzte sich zur Naturmagierin an den Tisch und erzählte.
„Kaida hat von irgendjemanden die Zutaten für Regenbogenmagie erhalten und sich eine Geranie aus Mutters Garten geholt, um mit ihr zu üben. Der Zauber misslang und sie pflanzte die Geranie zurück in den Boden." Hier stockte Almina. Wie viel durfte oder vielmehr musste sie verraten? Wie konnte sie der Frau aus der Familie der Quintoris vertrauen? Vielleicht war es besser, wenn sie zunächst nur etwas andeutete und sich nicht selbst benannte.
„Ich bin sofort in den Garten geeilt, als ich davon erfuhr. Da war die Bescherung bereits passiert. Die Regenbogengeranie hat auf einen Umkreis von etwa sechs Pflanzen ihre Farben versprüht und leuchtete selbst in einem grellroten Schimmer."
„Grellrot, sagst du?"
„Ja, es war ein roter Farbton, der alle anderen Farben deutlich überstrahlte."
„Also kein heller Rotton, sondern ein strahlender? Vielleicht ein Rot wie von einem Feuer? Oder doch eher Rot wie Blut? Oder noch anders?" Die Magierin beugte sich über den Tisch und sah Almina sehr ernst und durchdringend an.
„Äh, so genau habe ich nicht darauf geachtet."
„Hm, nun gut. Was passierte dann? Immerhin ist dieses klägliche Pflänzchen nicht mehr am Leuchten. Ich nehme an, es handelt sich hierbei um die für Übungszwecke missbrauchte Geranie?"
Almina schluckte nervös. Jetzt kam sie zu der Stelle, wo sie keine gute Erklärung hatte, wenn sie nicht diese unsägliche Macht in sich erklären wollte. Dabei schalt sie sich in Gedanken. Hatte sie nicht sowieso vorgehabt, die Naturmagierin zu fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gab, die unheilvolle, zerstörerische Macht loszuwerden?
„Also, ähm, irgendwie war ich das wohl, die dann passiert ist."
Sie konnte spüren, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Da saß sie nun vor einer Magierin aus dem fünften Geschlecht, die weit unter ihr stand. So weit unten, dass sie nicht zusammen gesehen werden durften, sofern es die Familienältesten nicht genehmigten. Aber hatte ihre Mutter den Kontakt denn nicht indirekt dadurch genehmigt, dass sie die Naturmagierin beauftragt hatte, den Garten zu gestalten? Jetzt war ein Unglück mit dem Garten geschehen, also brauchte man doch wieder die Hilfe der Magierin der Quintoris.
Meyra saß einfach nur da und schaute abwartend. Dieses Mal wäre Almina eine Unterbrechung sehr recht gewesen, doch die bekam sie nicht. So holte sie tief Luft und begann mit dem Geständnis.
„Ich bin die Eine aus der Prophezeiung." So, sie hatte es gesagt. Mit großen Augen sah sie die ältere Magierin an.
„Was hat die Prophezeiung mit dieser armen, toten Kreatur zu tun?" Meyra zeigte stirnrunzelnd auf die Geranie.
„Haben Sie mich nicht verstanden? Ich bin die Eine! Ich zerstöre. Meine Macht ist aus mir herausgeflossen und hat die gesamte Regenbogenmagie verbrannt, sodass alle Pflanzen, die mit ihr in Kontakt gekommen sind, mit verbrannt oder zumindest angesengt wurden."
Meyra sah das Mädchen vor sich durchdringend an. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es klingt zwar nobel, dass du nicht nur deine Schwester in Schutz nehmen willst, sondern sogar die Last der Prophezeiung zu tragen bereit bist, aber mir ist es lieber, wenn du ehrlich gestehst, dass du und Kaida mit Feuer gespielt habt. Möchtest du, dass ich die Pflanzen heimlich ersetze, damit deine Mutter nichts bemerkt? Oder wie habt ihr zwei euch das vorgestellt?"
„Wir haben nicht mit Feuer gespielt! Ich habe sie mit meiner Macht verbrannt!"
Meyra schüttelte seufzend den Kopf, stand auf und holte aus einer Schublade ihres Kräuterschrankes ein dünnes Holzstöckchen hervor. Dann ging sie zu dem Tongefäß und stocherte in der Erde herum. Sie beugte sich dicht darüber und pikste vorsichtig in die tote Pflanze. Schließlich ging sie zurück zum Schrank und holte eine kleine Phiole mit Flüssigkeit. Sie gab einen Tropfen auf die tote Pflanze und beobachtete.
Auch wenn Almina keine Ahnung hatte, was die Naturmagierin dort tat, beugte sie sich vor und schaute zu. Konnte es sein, dass die Frau ihr glaubte? Vielleicht fand sie sogar heraus, was der Grund für dieses sonderbare Verhalten der Regenbogengeranie gewesen war.
„Und du sagst, die Pflanze hat erst im Garten die Farben versprüht?" Meyras Stimme klang angespannt.
„Ja, obwohl sie bereits vorher abgefärbt hat. Kaida hat bunt getupfte Hände und Unterarme."
Der Naturmagierin entwich ein kurzes Kichern, ehe sie wieder ernst blickte. Sie gab einen weiteren Tropfen auf eine andere Stelle der Geranie. Danach einen Tropfen auf die Erde und schließlich einen auf die Asche. Als sie hochschaute, sah sie sehr besorgt aus.
„Kannst du mir deine Macht zeigen, mit der du die Pflanze getötet hast?"
Langsam schüttelte Almina den Kopf. „Nein, sie brodelt einfach so heran. Und dann drängt sie nach außen und zerstört."
„Einfach so, sagst du? Du kannst sie nicht kontrollieren?"
Almina nickte beklommen. Sollte sie froh sein, dass die Magierin so nüchtern an die Sache heranging? Bedeutete das, sie wusste eine Möglichkeit, wie man diese Macht bezwang? Oder bedeutete es, dass sie völlig ahnungslos war und nichts und niemand die Macht aufhalten konnte? Der Gedanke war bitter. Denn in dem Fall gab es nur eins, was die Erde retten konnte. Daran wollte sie aber nicht denken! Sie war doch erst siebzehn!
„Warte hier."
Meyra Quintoris verließ den Raum. Almina hörte, wie die Tür zum Garten geöffnet wurde. Dann entfernten sich Schritte und kamen nach ein paar Minuten zurück. Es dauerte nicht lang, da betrat die Magierin mit einer Pflanze in einer Schale den Raum. Sie stellte sie schweigend vor Almina. Die blickte verwundert auf die Zinnie.
„Spürst du etwas?"
„N... Nein", erwiderte Almina verwirrt.
„Gar nichts? Fühl gut in dich hinein. Achte auf jede noch so kleine Veränderung."
Almina schloss die Augen und atmete tief in den Bauchraum, füllte die magische Seele mit all ihrer Kraft. Sie spürte ein sanftes Kribbeln, wie es immer aufkam, wenn sie in der Schule kleinere Übungen machten. Doch dieses machtvolle Pulsieren und Kribbeln, wie es sich mit der unheilvollen Macht ankündigte, blieb aus. Sie öffnete die Augen.
„Nein, da ist nichts."
„Diese Zinnie", begann die Naturmagierin zu erklären, „war sehr krank. Ich habe sie mit mehreren Zaubern und intensiver Magie aufpäppeln müssen." Die Magierin fuhr mit ihren Fingern knapp oberhalb der Blüten entlang. „Hier kann ein geschulter Magier sehen, wo die Magieströme entlang verlaufen. Ganz zarte hellgrüne bis vanillegelbe Fäden." Sie sah nun hoch und Almina in die Augen. „Wenn du die Macht in dir trägst, die Magie zu verbrennen, weshalb spürst du dann nichts?"
Ratlos blickte Almina von der Naturmagierin zur Pflanze. „Ich weiß nicht. Es passiert nicht immer. Nur manchmal. Vielleicht braucht die Macht auch wieder Zeit. Ich habe vorhin zig Pflanzen geschädigt und die Geranie sogar getötet."
„Mag sein, mag auch nicht sein", murmelte die ältere Frau. „Geh jetzt nach Hause und teile deiner Mutter mit, dass ein missglückter Zauber die Pflanzen beschädigt hat. Bitte sie, nach mir zu schicken. Nur dann kann ich eurem Garten helfen und vielleicht auch dir."
„Ich danke Ihnen." Almina stand auf, warf einen letzten traurigen Blick auf die tote Pflanze und eilte dann hinaus.
Während sie heimging, wurde ihr bewusst, dass sie nun noch mehr Fragen hatte als zuvor. Dabei wollte sie doch Antworten finden!
„Ich muss Anela einweihen", murmelte sie.
Aber erst würde sie mit ihrer Mutter sprechen. Denn Kaida, da war sie sicher, erzählte ganz bestimmt nichts.
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