Kapitel 4

Natürlich behielt Almina recht. Schon von weitem konnte sie den missglückten Versuch ihrer Schwester erkennen. Was Kaida nicht bedacht hatte, ihre schlecht gewirkte Magie hatte die Geranie ernsthaft in ihrer Struktur beschädigt. Sie war nicht einfach bunt, sie färbte auf ihre Umgebung ab. Deshalb auch die bunten Tupfer auf Kaidas Händen und Unterarmen. 

„Oh nein, warum hat das unselige Mädchen die Geranie zurück ins Bett gepflanzt?" Besorgt eilte Almina zur Unglücksstelle. „Wie soll ich das nur rückgängig machen?" 

Die Siebzehnjährige wusste, wenn einer helfen konnte, dann war das die Naturmagierin Meyra Quintoris. Der Schaden hatte bereits die umliegenden Blumen erfasst und streute sich viel zu schnell weiter. 

Je näher Almina dem verseuchten Beet kam, desto stärker spürte sie eine Unruhe in sich keimen. Es grummelte in ihrem Magen und bald schon nahm der Druck zu. Ungläubig blieb sie stehen. Wieso hier? Ausgerechnet jetzt! Keuchend lehnte sie sich nach vorn, griff an ihre Oberschenkel und atmete hastig ein und aus. Ein leichter Schwindel erfasste sie. So heftig hatte sie es noch nie verspürt. Oder vielleicht doch und sie hatte es nur verdrängt? Auf jeden Fall drängte dieses ungewollte Gefühl höher, erfüllte ihren Bauchraum, dann die Brust und strebte schließlich in ihren rechten Arm hinein. 

„Nein, bitte nicht", jammerte sie, richtete sich auf und starrte fassungslos auf ihre Hand. Noch sah sie ganz normal aus. Etwas blass vielleicht, aber nicht viel anders als sonst. 

Das pulsierende Gefühl wanderte den Arm hinunter. Und nun konnte sie das Schimmern unter der Haut erkennen. Sehr schwach, dennoch eindeutig erkennbar. Es wanderte zielstrebig zu ihrer Hand und schon spürte sie es in jeden Finger fließen. Ihre ganze Hand leuchtete in strahlendem Blau. Der Druck in ihrem Körper hatte nachgelassen, jedoch pulsierte nun die Hand. Sie konnte sehen, wie einige hauchdünne Fäden an bläulicher Magie in Richtung des kranken Blumenbeetes strebten. 

Mit weit aufgerissenem Mund verfolgte sie den Weg und setzte wie automatisch Fuß um Fuß in genau die Richtung. Als sie sich nicht länger sträubte, erkannte sie eine Harmonie in ihrem Körper. In Bauch und Brust, wo ihre Atmung sich mit der magischen Seele verband, entstand diese sonderbare Macht und versuchte einfach nur hinauszufließen, um zu ... Ja, was eigentlich?

Je näher Almina dem Beet kam, desto intensiver wirbelte es in ihrem Inneren. Pulsierend floss die blaue Magie aus ihr heraus, legte sich auf die Pflanzen und umhüllte die kranken Farben. Nun konnte sie auch erkennen, dass nicht die Regenbogenfarben alles zerstörten. Die Geranie, die in der Mitte der kranken Magie stand, leuchtete fast schon vor roter Magie! 

Fassungslos sah Almina zu, wie sich die blaue Macht aus ihren Fingern vorankämpfte und die äußeren befallenen Blumen Blatt für Blatt und Blüte für Blüte von den rötlichen Schlieren befreite. Der nächste Strom glitt auf die zweite äußere Blumenreihe. Ein heftiger Schwindel überkam die junge Magierin. Es zehrte an ihr, so viel Magie bilden zu müssen. Ächzend sank sie auf ihre Knie, hielt aber weiter die rechte Hand ausgestreckt. Näher an das befallene Beet herangehen, konnte sie nicht, und auch nicht mehr zuschauen. Mit geschlossenen Augen konzentrierte sie sich auf das Pulsieren tief in ihrem Inneren. Sie atmete so viel Sauerstoff ein, wie sie nur konnte, um ihrer magischen Seele zu helfen. Atemzug um Atemzug glitt tief in ihre Lunge und schickte wertvolle Energie in den Bauchraum. Ein unermüdlicher Wandel vollzog sich und immer weiter drangen die blauen Magiewellen durch ihren Körper zur Hand. Sie konnte fühlen, wie stark die Macht war, wie dominierend. Diese fremde Macht gab vor, was zu tun war. 

Kurz huschte die Frage Almina durch den Kopf, ob das bei allen Magiern so war mit ihrer besonderen Gabe. Steuerte immer die Gabe den Magier statt umgekehrt? Dann war der Gedanke auch schon wieder weg und übrig blieb nur die Konzentration auf die Atmung. Jeder tiefe Atemzug wurde sofort in die magische Seele umgeleitet. Almina wurde übel und ihr Kopf fühlte sich ermattet an, wie ausgebrannt. Die Zeit schien stillzustehen und der ermüdende Kampf gegen die rote Magie gar nicht aufzuhören. 

Dann endlich war es vorbei. 

Erschöpft fiel sie zu Boden und blieb erst einmal keuchend liegen. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn und ihre Atmung kam nur noch flach und hastig. Ihr Puls raste, als ob sie einen Spurt hinter sich hätte. Nie hatte sie es für möglich gehalten, dass Magie so anstrengend sein konnte. Ihr wurde bewusst, wenn es nicht jetzt aufgehört hätte, dann hätte sie sogar sterben können. 

Bei dem Gedanken riss sie die Augen auf und hob den Kopf ein wenig an. Vor ihr lag das Blumenbeet ihrer Mutter und sah sehr mitgenommen aus. Einige Blätter wiesen Brandspuren auf. Doch am schlimmsten stand es um die Geranie in der Mitte dieses unheilvollen Chaos. Sie war schwarz, zumindest das, was von ihr noch übrig war. 

Bestürzt richtete sich Almina auf. Sie kroch zu dem Beet und starrte fassungslos auf das, was sie angerichtet hatte. So viel Zerstörung und Tod. Wie sollte sie das erklären? Vielleicht war Kaidas Handlung nicht in Ordnung gewesen und ganz sicher auch schädigend. Doch getötet hatte sie, Almina, die Geranie und die anderen Blumen teilweise schwer verletzt. 

Sie blinzelte heftig. Tränen lösten sich aus ihren Augen und rannen die Wangen hinab. In genau diesem Moment hasste sie die Prophezeiung, die sie Wort für Wort auswendig kannte. 

Findet die Eine, denn sie bringet die Not! Aller Untergang sie werde! Weh der Erde!", zitierte sie schluchzend die letzten Verse. „Ich bin dazu verdammt, die Erde zu vernichten." 

Weinend robbte sie über den Boden zu den ersten Pflanzen, die nur leicht verfärbte Blätter hatten. Da war kein rötlicher Schimmer, aber auch kein bläulicher. War da überhaupt eine rötliche Magie gewesen? Sie hatte nur das grelle Rot in der Mitte des Unheils gesehen. Sie konnte wohl noch dankbar sein, dass Kaida keine Pflanze aus der Mitte des groß angelegten Beetes gewählt hatte, sondern eine Geranie, die irgendwie noch ziemlich am Rand wuchs. Andernfalls wären sicher alle Blumen des gesamten Beetes von ihrer Macht zerstört worden. 

„Verzeih mir", flüsterte sie und strich mit der linken Hand vorsichtig über die angegriffenen Blätter der Pflanze vor sich. „Ich dachte, meine blaue Magie würde nur die rote Magie auflösen. Ich habe nicht geahnt, dass sie dich verletzt." 

Sie sah auf die anderen Blumen. „Verzeiht mir." 

Auch wenn die Pflanzen ihr nicht antworten konnten, so wusste sie, dass diese sie verstanden. Meyra Quintoris konnte sogar hören, was die Natur sprach. Auch wenn sie nur der fünften Familie angehörte, so hatte sie eine außergewöhnliche Gabe erhalten, die normalerweise der ersten und zweiten Familie vorbehalten war. Doch das Schicksal verteilte nicht immer so, wie es schon Jahrhunderte bekannt war. Vielleicht konnte Kaida bei der Naturmagierin ausgebildet werden. Immerhin hatte die Mutter auch erlaubt, dass eine Magierin der niederen Familie den Garten gestaltete. Sicher gestatte sie Kaida, zu der Frau in die Lehre zu gehen. 

„Ich verstehe das alles nicht", schluchzte Almina und strich die Tränen von ihren Wangen. „Wie konnte der Zauber so etwas bewirken? Eigentlich hätte die Blume bereits in Kaidas Zimmer explodieren und dort die Farbe verstreuen müssen. Wieso ist das erst hier draußen passiert?" 

Ihr Verstand gewann allmählich die Oberhand über den Schmerz, den ihr Versagen ausgelöst hatte. Sie richtete sich auf, wischte noch einmal die lästigen nachfließenden Tränen fort, und betrachtete das zerstörte Beet. In einem Umkreis von etwa zwei Metern um die Geranie herum war die Zerstörung erkennbar, wobei sie immer schwächer wurde. Die Wandelröschen ganz außen hatten nur Verfärbungen an den Blättern, während die Zinnien fast alle ihre Blütenblätter verloren hatten und braun verfärbte Blätter. Sehr zu ihrer Überraschung wirkte der Lavendel völlig intakt, der in einem Halbbogen um die Geranien angepflanzt war. Doch alle Geranien wirkten wie abgestorben, die magisch verzauberte sogar verkohlt. 

Almina ging vorsichtig zwischen den Blumen hindurch, bis sie bei der verkohlten Blume angelangt war. Ja, hier war die Erde frisch angedrückt worden. Kaida hatte anscheinend sehr vorsichtig die Pflanze aus dem Erdreich gehoben und mit in ihr Zimmer genommen. 

„Warum ausgerechnet diese?" Almina runzelte die Stirn. „Weshalb hat sie nicht ein Wandelröschen am Rand für ihren Versuch gewählt?" 

Natürlich hätte das nicht wirklich einen Unterschied gemacht. Ihre dumme Macht, die ihr von der Prophetin Talandia prophezeit worden war, hätte dennoch die Blumen in weitem Umkreis zerstört. Allerdings wären dann weniger beschädigt worden, da auch der Kiesweg betroffen gewesen wäre, wo keine Pflanzen wuchsen. Jetzt hatte es mit voller Wucht ausschließlich die wunderschönen Blumen getroffen. 

Almina nagte nervös an ihrer Unterlippe. Dann fasste sie all ihren Mut zusammen und grub mit bloßen Händen die verstorbene Pflanze aus. Sie achtete darauf, auch die Asche mitzunehmen, von der sie glaubte, dass sie von der Geranie stammte. Sehr vorsichtig hob sie alles auf den Schürzenteil ihres Obergewandes und richtete sich anschließend behutsam auf. Vielleicht war ihr Gedanke dumm. Aber ihr fiel in ihrer Not nichts Besseres ein. Sie musste die Naturmagierin Meyra um Hilfe bitten. Vielleicht konnte diese erklären, was hier geschehen war. Und ... das hoffte Almina noch viel mehr ... vielleicht konnte Meyra Quintoris einen Rat geben, wie sie diese zerstörerische Macht in sich loswurde. 



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