98| Deliriumsgelaber №28 - Charlie
Wie sie mich alle anstarren.
Und sich dabei besser fühlen.
Und auch irgendwie schlechter.
Alles zur selben Zeit.
Mir is jetzt schon die ganze Zeit über verdammt schlecht und ich muss mich zusammenreißen, um nicht vor den Fremden und Matze in den Kreis aus Stühlen zu kotzen. Ich bin unkontrolliert und kann nich aufhören, zu zittern. Der Typ mit dem Vokuhila wechselt sich immer ab. Glotzt auf den Boden und dann so komisch zu mir. Kaut an den Fingernägeln. Beißt sich die Fingerkuppen blutig. Schaut wieder zurück.
»Mein Name is Charlie und ich bin 'n Junkie.«
»Hi, Charlie.«
»Und ich brauch 'n Schuss.«
»Wir auch, Charlie.«
Ich bin mir in diesem Moment nicht ganz sicher, ob das Gespräch wirklich stattfindet oder mich die Hallus langsam aber sicher doch kriegen. Tonic sitzt fast schon angespannt neben mir und rutscht auf seinem ungemütlichen Stuhl herum. Er hat sich 'n alten, eiternden Einstich aufgekratzt und die Wunde blutet ganz leicht, doch er hat die Arme vor der Brust verschränkt, damit man nich sieht, dass er so tropft. Kluger Mensch und so tapfer. Früher hatte ich noch Angst vor ihm. Warum auch immer. Sein Bart wird irgendwie immer und immer dichter, denn er hat sich seit gefühlten vier Wochen nicht mehr rasiert. Steht ihm aber, so 'n Vollbart. Wenn's denn mal einer wird. Meine Magenwand frisst sich schon selbst, in meinem Schädel steigt 'ne fette Party und ich bin nich eingeladen.
Hör auf, zu heulen.
Is doch deine Schuld.
Dass du süchtig bist.
Hat dich keiner gezwungen.
Also, gefällst aufrichten, du Trümmertranse. Pack den Stier bei den Eiern oder was auch immer. Hör auf, so verdammt erbärmlich zu sein. Wobei das eher so 'n bisschen is, als würd man zu jemanden sagen, er solle doch bitte aufhören, einen Meter achtzig groß zu sein. Pardon, hier in scheiß Neukölln kennt man weder Bitte noch Danke. Man nimmt sich, was man braucht, auch und ganz besonders dann, wenn man's sich nicht leisten kann. Es spielt keine Rolle, ob du reich bist oder nicht, eines Tages stirbst du sowieso und ins Grab kannst du dein ganzes Geld ohnehin nicht mitnehmen. Deshalb hab ich von vorn herein einfach keins, dann tut's mir wahrscheinlich auch nicht so sehr weh, wenn ich sterbe und alles über der Erde lassen muss. Vererben kann ich auch nichts, aber im Verderben bin ich ganz gut.
Verdorben und verrottet.
Mein Hirn martert.
Und ich weiß es.
Ich muss hier was ändern.
Denn Einsicht is ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung und 'ne Reise beginnt mit 'nem qualvollen Schritt über 'n scheiß Nagelbrett. Die Nägel arbeiten sich irgendwann ins Fußbett ein und man spürt sie gar nicht mehr. Stört sich nicht mehr dran. Und läuft seinem Ziel entgegen. Ich hoff jedenfalls mal, dass es so sein wird. Dass dieser Entzug mir was bringt und ich mich hinterher im Spiegel ertragen kann, ohne zu kotzen. Dass ich eines Tages vielleicht ganz für mich allein fröhlich sein kann und das scheiß Heroin zu meinem Glück nicht mehr brauch.
Tonic lächelt mich plötzlich an.
Und ich weiß es.
Weiß, was das bedeutet.
Wir werden uns selbst besiegen.
Würde Charlie vor euch stehen, gäbe es etwas, das ihr ihm sagen würdet?
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