9| Fixerehrlichkeit - Pin Pin
Die ganze Wohnung riecht nach Verurteilung und ich will lieber vergehen, als vollends einzutreten, aber ich hab keine andere Wahl, denn ich wohne verdammt nochmal hier und ich kann auch nich ewig wegbleiben. Nach dem Besuch bei der Pestkönigin hab ich mich sofort auf den Weg nach Hause gemacht und jetzt bereu ich's irgendwie. Wie so vieles in meinem scheiß Leben.
Ich nehm den Zylinder ab, zieh mein nach Kotze müffelndes Jacket aus und häng es über die Heizung, obwohl es theoretisch allein stehen könnte. Irgendwie find ich mich grad selbst ekelhaft und würd am Liebsten sofort unter die Dusche springen, aber zuerst muss ich Jennifer begrüßen.
Eigentlich will ich mich ihr gar nich zeigen und ihr den Anblick ersparen, aber ich muss es tun, denn ich bin die hässliche, stinkende Wahrheit, die sie geheiratet hat und wenn ich ehrlich bin, schäm ich mich ein bisschen für mich selbst. Aus der Küche dringt Musik und ich glaub, es läuft Alice In Chains. Eine wundervolle Band und Layne Staley is einer der besten Sänger, die mir auf die Schnelle einfallen.
Irgendwo is er Grunge, Punk und richtig alter Rock in Einem und wenn ich ihn mal treff, werd ich ihm vielleicht die Hand schütteln. Lebt er überhaupt noch? Ich hab wohl mal gehört, er sei auch 'n Junkie. Schade um ihn und seine schöne Stimme, da kommt man schwer raus. Eigentlich gar nich mehr, ich weiß ja, wovon ich rede.
Mit trägen Schritten schlurf ich in die Küche und find meine Frau am Tisch sitzend. Ganz leise singt sie Nutshell und wünscht sich hoffentlich dabei, dass ich an 'ner Überdosis sterb, denn ich bin ein schlimmer Mensch und der Song handelt von Heroin. Ich glaub, er sollte mich unruhig stimmen und bekehren, allerdings hab ich mir vor kurzem erst zu dem Lied 'n Schuss gesetzt und Øyriøn hat mit mir gesungen.
Ach, Øyriøn. Den kannt ich schon, da hieß er noch Oliver. Tut er heute immer noch, allerdings bloß auf'm Papier, denn draußen nennen ihn alle Øyriøn und viele der Arschgesichter wissen nich mal, wie er richtig heißt. Ich würd lügen, würd ich sagen, ich könnt mir 'n besseren Freund als ihn vorstellen.
»Hallo, Schatz. Wo warst du denn? Ich hab mir schon Sorgen gemacht«
Grüßt mich Jennifer und hört auf zu singen, als ich den Raum betret, der Plattenspieler dudelt allerdings weiter und ich genieß insgeheim die schöne Melodie der Akustikgitarre, die den engelsgleichen Gesang von Layne Staley begleitet. Der Mann is 'n Nadelstern am Junkiehimmel. Oder so ähnlich.
Ich lehn mich zu Jennifer hinunter und küss sie auf den Mund, ihre Lippen schmecken nach Erdbeer Lipgloss. Lipgloss is für kleine Mädchen, aber ich lieb sie zu sehr, um ihr das zu sagen. Immerhin kommt sie vom Land und hatte keine richtige Kindheit. Sie hat auf'm Feld gearbeitet und am Abend aus der Bibel vorgelesen bekommen. Heut is sie mit 'nem widerlichen Fixer verheiratet, der seinen verfickten Arsch einfach nich hochkriegt. Wie das Leben manchmal so spielt.
Mir scheißt es irgendwie immer in den Weg und warum auch immer hat es stets Dünnschiss, wenn's das tut. Ich beschwer ich schon gar nich mehr, ich nehm's einfach so hin und stell mir vor, es gibt Typen, die noch ärmer dran sind als ich's bin. Langsam wird's schwer, aber ich geb nich auf. Vielleicht wird's ja irgendwann was mit dem Entzug. Wahrscheinlich eher nich, aber allein die Hoffnung hält mich davon ab, mir die Rübe wegzuballern.
Mein Blick fällt auf das Ende des Tisches, Natalie sitzt dort in ihrem Hochstuhl und findet die Welt noch schön. Das wird ihr hoffentlich niemals vergehen. Sie is erst vier Jahre alt, aber sie hat schon ein paar krasse Sachen zu mir gesagt. Dass sie weiß, dass ich mir Glück spitze zum Beispiel. Das waren ihre Worte. Was Heroin is, weiß sie nich und ich hoffe, sie wird's niemals erfahren.
Ich wünsch mir echt, dass ich elendig verreck, bevor sie alt genug is, um zu wissen, dass ich mir kein Glück, sondern den schleichenden Tod persönlich unter die Haut jag, denn ich bin auch kein Vater für sie. Natürlich, ich hab sie gezeugt, aber ich bin nie so wirklich da und ich hasse mich dafür so sehr, dass ich mich gern erschießen würd. Jetzt sofort.
Mein vergiftetes Blut soll die Wände entlangrinnen und sich mit meiner gelblichen, zähflüssigen Hirnmasse vermischen. Ich will, dass mein Innenleben durch den ganzen Raum fliegt, damit man ein für allemal weiß, dass ich nich mehr bin, nich mehr sein werd und ehrlich gesagt auch niemals wirklich war.
Natalie lacht mich von ihrem Hochstuhl aus an und in diesem Moment fällt mir ein, dass sie echt keinen Vater hat. Da is bloß dieser stinkende, räudige Fixer, der sie einfach in diese scheiß Welt gesetzt hat, ohne sie zu fragen. Nein, ich hätt sie tatsächlich fragen können, ob sie geboren werden will, oder nich. Die meisten Kinder aus schlechtem Haus gründen doch selbst 'ne beschissene Familie und ich will nich, dass es Natalie so geht.
Was, wenn sie sich irgendwann das Leben nimmt, wie meine erste Freundin Katharina es getan hat? Oh, Katharina. Liebste Katharina, wie viele Gedichte ich dir gewidmet hab, dir die schönen Seiten des Lebens zeigen wollt und trotzdem bist du gesprungen. Weg von mir und weg vom Leben. Ich hab dich geliebt, verdammt und niemand wird je das Loch in meinem Herzen füllen, das du dort gelassen hast.
Vielleicht wird es jemand oberflächlich zuschütten, aber ich werd es immer noch spüren und ich kann mir gar nich genug Glück oder Tod in die Adern hauen, als dass ich diesen Schmerz betäuben könnte. Diesen unbeschreiblichen Schmerz, jemanden zu verlieren. Jemanden, den man liebt. So, wie ich dich geliebt hab, Katharina.
Warum hast du das getan? Warum nur? Du warst so verboten schön und ich hab dich geliebt. Du hast mir mal auf die Brust gekotzt und ich hab dich geliebt. Du warst so unglücklich und ich hab dich geliebt. Du hattest nur ein Auge und ich hab dich verfickt nochmal geliebt. Katharina, meine Liebste. Die Königin, die meine Welt mit eiserner Hand regierte. Eisen gemacht aus Zuckerwatte.
Sie is gesprungen und ich wollt sie noch festhalten, ich wollte, aber sie is gesprungen. Eigentlich war sie schon Monate vorher tot, aber sie hat sich tapfer durchgeschleppt und ich meide diesen Ort noch heute. Wenn's mir mal wieder schlecht geht, denk ich an meine geliebte Katharina und dann geht's mir wieder 'n bisschen besser.
»Schatz, wo warst du? Bitte antworte mir, du machst mir Angst«
Jennifers Stimme fleht und ich reiß den Kopf zu ihr hin, hoff dabei, dass er endlich abfällt und ihr vor die Füße rollt. Sie hat mich 'n zweites Mal gefragt, weil ich 'n Idiot bin, der nich richtig aufpassen kann, aber das kennt man von mir gar nich anders. Jedenfalls nich mehr. Früher war ich gut in meinem Job und vielleicht könnt ich's heut noch, aber das Heroin macht mich kaputt und das Schlimmste daran: ich weiß es, aber ich kann nich handeln. Bin wie gelähmt.
»Tut mir leid, ich will dich nich anlügen. Gestern war ich bei Øyriøn und heute bei der Pestkönigin, aber ich hab mir keinen Schuss gesetzt«
Ich bin kurz überrascht, dass ich so ehrlich sein kann, da fällt mir auf, dass ich vergessen hab, anzuhängen, dass ich Opiumzäpfchen geschluckt hab, statt sie mir in den Arsch zu schieben, weil ich 'n vergesslicher, wahrheitsferner, submissiver Bastard bin. Auf der anderen Seite muss ich Jennifer das jetzt nich auch noch erzählen, schließlich is sie grad so stolz auf mich, denn sie strahlt über's ganze Gesicht.
Irgendwie bin ich mir nich unbedingt sicher, ob sie mich liebt, oder doch eher nur den Kerl, der ich mal war, denn was zum Fick auch immer ich jetzt bin, kann man nich mehr lieben. Um mich herum fallen Trümmer aus den Wänden und ich stürz mit ihnen. Sie treffen mich am Kopf und begraben mich unter ihnen. Die Trümmer heißen allesamt Heroin.
Verdammt, es is überall und ich bin einfach nur verfickt nochmal süchtig. Ich will nich mehr und ich kann das nich. Ja, ich hör mich weinerlich an, aber ich glaub nich, dass mich einer wieder so nennen würd, müsst er 'n paar Tage in meiner jämmerlichen, zerstochenen Haut verbringen.
Ich spiel schon wieder mit Worten. Das mach ich in letzter Zeit oft. Zum Zeitvertreib mit Worten spielen, dabei kenn ich die Regeln nich. Øyriøn kann das, er hat die Regeln gemacht und ich bin einfach nur erbärmlich, weil ich ehrlich bin und trotzdem lüge.
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