89| Abstoßendes Selbst - Pin Pin
Die Einstiche an meiner Armbeuge haben inzwischen so 'ne extrem violette Färbung angenommen. Könnt ich den Arm spüren, so würd ich jetzt wahrscheinlich schon die ganze Zeit über vor Schmerzen schreien, meinte Jennifer vorhin noch. Sie is wirklich enttäuscht von mir, ich kann's in ihren schönen Augen sehen. Das is alles deine Schuld, Katharina und ich liebe dich trotzdem noch über alle Maßen. Is das denn gesund? Ich weiß es nicht, jeder Arzt würde mich sicher für verrückt erklären, aber ich bin kein Arzt. Ich bin einfach nur ein Junkie, der in Ruhe sterben möchte, wenn die Sache mit der Würde schon nich mehr hinhaut. Natalie steht im Türrahmen, weil Jennifer sie vor 'ner Stunde aus'm Kindergarten geholt hat. Jetzt starrt sie mich entgeistert an aus ihren großen, wissbegierigen Augen. Es tut mir so leid, dass sie meinen Verfall sehen muss.
»Was hast du denn?«
Fragt sie vorsichtig und taumelt zur Couch, wo ich in meinem eigenen Saft gare und hoff, dass mir der verdammte Arm endlich abfault, damit ich nicht mehr diese scheiß Phantom Schmerzen hab. Die Ärzte sagten, er is gelähmt und nur noch zur Ästhetik dran, so is es dann auch. Punkt. Oh, dieser Pein, den ich nich spüren kann. Er würde mich vielleicht beruhigen und mir das Gefühl geben, noch 'n ganzer Mann zu sein, denn so komm ich mir grad so überhaupt nich vor. Jennifer steht wahrscheinlich in der Küche, jedenfalls hat sie gesagt, sie wolle mir 'n kalten Umschlag machen. Ihre Fürsorge rührt mich so sehr. Sie hat unheimlich viel Liebe zu geben. Ich wünschte nur, sie könnte sie an jemanden weitergeben, der sie auch verdient. Natalie klettert neben mir aufs Sofa und zeigt auf meinen Arm. Ein komischer Strich zieht sich durch meine Haut. Vielleicht 'ne Blutvergiftung, vielleicht seh ich langsam auch noch schlecht. Keine Ahnung, ich bin so taub. Wie in Watte gehüllt, die Schläge von außen auf meinen geschundenen Körper erreichen mich nich mehr. Eine positive Sache hat der Scheiß doch. Ob's sich so anfühlt, wenn man eingeschläfert wird? Vielleicht. Ich weiß es nicht und ich muss mit meiner Tochter sprechen. Ihr 'ne Lektion mit auf den Weg geben, damit sie nich so wird wie ich. Die Ära der Fixer muss gestoppt werden.
»Ich bin krank, aber das hab ich mir selbst angetan. Wenn dir jemand 'n Tütchen voll Glück anbietet, dann musst du immer ablehnen, hörst du, Natalie? Niemals annehmen, das Tütchen, ganz egal, was drin is, niemals annehmen. Versprichst du es mir?«
»Ja, ich verspreche es. Ich werd das Glück niemals annehmen. Ich seh ja, dass es dich nicht glücklich macht.«
Ihre Worte sind wie kleine Dolche, die sich durch meine Brust bohren und mein Herz in tausend Stücke reißen. Die Tatsache, dass Natalie mit ihren vier Jahren so viel mehr weiß als ich, is nur noch schmerzhafter. Denn auch die meisten schlauen Menschen werden nich glücklich, weil sie irgendwann erkennen, wie beschissen es in dieser Welt zugeht und das nichts fair is. Dass auf den Einzelnen gespuckt und der Mehrheit der Arsch geküsst wird. Es is keine schöne Welt, in der wir leben müssen, deshalb entfliehen die Junkies ihr, ohne dabei zu sterben. Denn ihnen gefällt das Leben, nur eben nich so, wie es is. Gott, ich sollte Øyriøn anrufen und wieder mit ihm philosophieren. Wer hätte gedacht, dass zwei Gymnasiasten mal Drücker werden? Wir waren doch so gut in der Schule und Øyriøn wollte Psychologie studieren. Wir hatten Träume, verdammt, was is nur geschehen? Jennifer kommt wieder ins Wohnzimmer und schickt Natalie in ihr Zimmer, ihre Stimme so streng, dass man keine Widerworte geben möchte. Wo is die sanftmütige Frau, die mich trotz meiner Heroinabhängigkeit geheiratet hat? Ich vermisse sie irgendwie.
»Was du da hast, ist auf jeden Fall eine Blutvergiftung. Sei froh, dass du sie nicht spüren kannst. Mein Gott, denkst du eigentlich auch mal an mich und was du mir damit antust?«
Blafft sie mich an und setzt sich zu meiner Rechten. Tränen laufen ihr in aller Ruhe über die Wangen. Sie wirkt so zerbrechlich in Momenten wie diesen und es is alles allein meine Schuld. Ich hätt ahnen sollen, dass ich Menschen nur unglücklich mache, ich bin wie das Heroin selbst. Jetzt muss ich schon wieder daran denken, wie ich Øyriøn kennengelernt hab. Damals, als er noch Oliver und ich Constantin war. Ein Name, der mich für Prügelattacken qualifizierte und Oliver warf eines Tages einen großen Stein nach den Schlägern. Er meinte, ich bräuchte einen besseren Namen, sah mich kurz an und entschied sich dann für Pin Pin. Weil ich schon immer viele Buttons auf der Jacke trug. Diese Dinger, die man auch Pins nennen kann. Und so traf man sich halt im Unterricht und an den Wochenenden. Man ging zusammen feiern, saufen, Scheiße bauen und abstürzen. Wir ließen uns die Haare wachsen und fingen aus Protest an, böse Musik zu hören. Erst Grunge, dann Punk und schließlich Black Metal. Jennifer wischt sich mit dem Ärmel über die Augen und ich hab das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
»Es tut mir wirklich leid. Ich fühl mich, als würd ich den Bezug zur Realität verlieren. Das hier, das is nicht, was wir wollen.«
»Und ich bin mir nicht sicher, ob ich dich noch liebe. Du hast so viel zerstört mit dem, was aus dir geworden ist. Manchmal wünschte ich, du wärst gewalttätig, damit ich einen Grund hätte, mich zu fragen, ob ich dich wirklich liebe.«
Flüstert sie mit einem Mal und ihre Worte brechen mir zusätzlich sämtliche Gliedmaßen. Ich will sterben, am liebsten jetzt sofort. Jennifer hasst mich. Ich bin so 'n Vollidiot, denn ich hab's geschafft, dass mich die Frau, die ich liebte, nicht mehr will. Verdammt. Ich unfähiges Stück Scheiße. In mir wächst der Wunsch, mich aus'm Fenster zu stürzen. Oh, Katharina, warum hast du mir das angetan? Ich hab dich doch geliebt. Sagte ich Katharina? Scheiße, ich meinte eigentlich Jennifer. Ich fühl mich nicht wohl damit, meinen Kopf im Schoß einer Frau liegen zu haben, die sich nich sicher is, ob sie mich noch liebt, denn ich will ihr keine Last sein und trotzdem bin ich die wahrscheinlich größte Bürde in ihrem Leben. Einen körperlich kranken Menschen zu pflegen scheint dagegen rein gar nichts zu sein. Manchmal, da hab ich irgendwie das Gefühl, in der völlig falschen Welt geboren zu sein. Und meine Liebste hasst mich. Trotzdem streicht sie mir die Haare aus der Stirn. Ich wünschte nur, es würd mich 'n bisschen beruhigen. Mir is schlecht, hoffentlich erstick ich an meiner eigenen Kotze.
»Versteh mich nicht falsch, Constantin. Du bist in meinen Augen kein schlechter Mensch, aber du brauchst wirklich dringend Hilfe und ich weiß nicht, ob ich den gewachsen bin. Es ist nicht nur das Heroin, sondern auch das, was es über die Jahre aus dir gemacht hat. Als ich dich kennengelernt hab, da warst du ganz anders und auf unserer Hochzeit hast du mir versprochen, damit aufzuhören, aber es ist nur noch schlimmer geworden.«
Jetzt heult sie Rotz und Wasser in meinen nach Versagen miefenden Pullover.
»Manchmal, wenn du im Rausch sagst, dass du darüber nachdenkst, dich umzubringen, machst du mir Angst, weil ich nicht weiß, ob du es ernst meinst oder nicht. Aber du warst nicht immer so, ich vermisse diesen lebensfrohen Kerl, in den ich mich verliebt hab. Wo... wo ist dein Kampfgeist?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, okay? Mein Leben geht in die Brüche, ich wurde gefeuert und die Frau, die ich liebe, hasst mich, wie soll da nicht daran denken, den leichten Weg zu wählen? Es wär doch so viel einfacher, nich wahr? Sich das Hirn rauspusten und für immer glücklich sein. Das wär's.«
Murre ich so vor mich hin und Jennifer krallt sich in meinen Haaren fest. So viel Panik in ihrem Griff. Ganz so, als hätt sie Angst, dass ich geh. Pah, schön wär's, wer würd mich denn schon vermissen, wenn ich geh? Jennifer schluchzt herzerweichend.
»Das meine ich! Hör auf damit, sofort! Wenn du stirbst, könnte ich es mir niemals verzeihen, weil ich weiß, dass ich dir eigentlich helfen muss, aber ich hab nur keine Ahnung, wie. Sag mir doch einfach, wie ich dich damit unterstützen kann, mit diesem Scheiß aufzuhören, verdammt nochmal. Ich komme vom Dorf, bei mir zu Hause gab es keine Junkies, das ist so eine Stadt Sache, da hab ich keine Ahnung von und ich will nicht, dass du dir das Leben nimmst.«
»Dann bleib einfach hier. Für mich gibt's keinen Grund, am Leben zu bleiben, wenn du nich bei mir bist.«
Ein sehr emotionales Kapitel, jedenfalls meiner Meinung nach. Was glaubt ihr allerdings, wie sich Pin Pin und Jennifer kennengelernt haben?
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