85| Bruttoscheißprodukt - Øyriøn

Ich muss überlegen. Abwägen. Wer bin ich? 'N scheiß Fixer. Wer will ich eigentlich sein? In diesem Moment nur allzu gern 'n Toter. Ich hab doch gar kein Geld für all das, was 'se Therapie und Behandlung nennen, in Wirklichkeit aber auch bloß 'n kläglicher Resozialisierungsversuch auf falschem Wege ins Niemandsland is, der in meinem Fall ja ohnehin auf jeden Fall nach hinten los geht. Doch was is schon Geld? Bedrucktes Papier und der Mensch braucht es nich. Er kann auch gänzlich ohne überleben. Und wenn er's auch nich könnt, wär er damit in den Taschen geboren.

Bin ja fast 'n bisschen froh drüber, dass ich keins hab, ich bin nämlich nich auf dieser Welt, um mich Tag für Tag kapput zu arbeiten, für 'n Job, der mich unter Wasser zieht und sich dann an meiner stinkenden Leiche labt. Das is doch auch irgendwie der Sinn des Lebens. Einfach mal 'n wenig zu leben, weil man da is, das eigene Sein genießen und sich dran erfreuen, die verpestete Luft atmen zu dürfen. Diese Lust aufs Leben, die so vielen schon so tragisch lang vergangen is, weil 'se glauben, sie könnten ihr verficktes Geld mit in den Tod nehmen.

Mit dem, was ich da so den ganzen Tag über von mir geb, bin ich zwar schon immer irgendwie die Hassfigur Nummer eins für die Menschheit, die auf 'n läppischen scheiß Befehl hin ihr Leben für die Regierung opfern würd. Das is allerdings vollkommen okay, schätz ich jedenfalls. Mir wird diagnostiziert, ich sei nich stark genug, mich selbst zu ertragen und ich muss nur drüber lachen. Diagnosen sind doch Bullshit, es gibt keine Störungen, sie sind 'ne dreckige Erfindung, um die Anderen zu kesseln, damit 'se nich mehr stören wie 'ne Leiche, die in der Ecke vor sich hin vergammelt und dabei 'n ganz unangenehmen Geruch entwickelt. Oder zweifach verdaute Kotze, hatt ich beides schon. Aber es is doch wirklich so. Wer anders denkt, wird von den Arschlöchern in Weiß in die Ecke diagnostiziert und schon wieder lieg ich in meiner eigenen Kotze. Sie rinnt mir zähflüssig in den Mund und schmeckt süßlich. Außerdem nach dem Döner von vorhin.

Ich weiß, es mag erbärmlich aussehen und das is es im Grunde genommen wahrscheinlich auch, doch ich weiß, wer ich bin und wer ich sein will. Der Preis dafür is allerdings mein verdammter Verstand. Ich hab ihn wohl oder übel verloren, als ich anfing, Heroin zu konsumieren und ich erkenn es voller falschem Stolz als Teil meines Lebens an. Allerdings is er in dieser ekelhaften Phase der Selbstfindung wichtig, sein Dogma jeden Morgen aufs neue an die Wand zu hängen und es zu erschießen. Wer's dort einfach hängen lässt, der is systemkonform und 'n feiges Schaf, das springt, wenn man nur pfeift. Die alte Generation, die jetzt angewidert auf uns herunter schaut, hat alles einfach genauso gelassen, damit wir direkt mal mit ihrem Scheißdreck aufwachsen müssen. Und sich hinzustellen und zu behaupten, wir, die neue Generation X, würden die Schuld an allem tragen, was in dieser Welt nich richtig läuft, is kackendreist und einfach feige.

Zu ängstlich, um der verfickte Realität ins Auge zu blicken. Ich bin Systemkritiker und ich liebe jeden Einzelnen, der mich hasst, aus Protest rein platonisch. Und egal, wie oft mir beim röchelnden Kotzen noch der scheiß Klodeckel auf den geschädigten Schädel knallt, es wird sich nichts dran ändern, dass ich für meine persönliche Wahrheit kämpf. Die alte, arrogante Generation hat all diese bescheuerten Normen und Werte festgelegt und dieses System aufgebaut, ich bin der Stuhlsäger, denn für mich is Fortpflanzung und scheiß Wirtschaft nich die einzige Wahrheit. Und Wachstum schon gar nich und das nich, weil ich das Bruttoinlandsprodukt nich raff. Ich tu's nämlich sehr wohl, ich find's nur völlig unnötig. Scheiß drauf, stürz das System, denn jedes System fällt irgendwann wie 'n verficktes Kartenhaus in sich zusammen und solange säg ich halt guten Gewissens am Stuhl und seh das Gute im Schlechten. Also muss ich clean werden. Shelby stupst mich vorsichtig an.

»Oliver, du zitterst ja. Soll ich vielleicht das Fenster schließen?«

»Nein, hier drin stinkt's irgendwie nach Rauch und mein Alter soll später wenigstens die Kaution zurück kriegen.«

Sag ich und Shelby grinst. Ihr Kampfhund, der eigentlich keiner is, schläft schon wieder. Er schnarcht ganz leise, das offene Fenster, durch das sich grad meine letzten Gehirnzellen abseilen, scheint ihn offensichtlich gar nich wirklich zu stören. Dabei hat er kaum 'n richtiges Fell. Er is halt halt einfach hart im Nehmen. Anders als ich. Plötzlich wacht er allerdings auf und starrt mich aus seinen gefährlich seelenvollen Augen an. Und da soll noch einer sagen, hinter den Augen von Tieren würd keine Seele wohnen. Dem scheiß ich heftig auf die Fußmatte und schluck vorher Abführmittel. Bevor ich das indirekte Lächeln im Gesicht des Hundes erwidern kann, setzt sich Carnage auf. Der Rüde sieht mich für 'n kurzen Moment weiter an und bricht dann einfach den Blickkontakt ab, um sich die Eier zu lecken. Dieser Hund is mein verdammter Held. Mein kleiner, leicht verstörender Anti-Held.

Shelby trinkt Wasser statt Whiskey, sie weiß sicher, was sie tut. Vielleicht, weil sie sich selbst etwas wert is und ich nur 'n scheiß Loser bin, der sich eines Tages von der Brücke stürzt. Mir is nur die Poesie wichtig, die alle anderen zum Kotzen bringt, weil 'se nämlich nich so richtig verstehen, worum es mir denn geht. Darum, dem Ekel 'n völlig neuen Horizont zu geben und ich bin verdammt nochmal freiwillig antiautoriäter. Wär ich 'n Teil dieser in die falsche Richtung funktionierenden Gesellschaft, würd ich mich selbst hassen. Shelby lacht neben mir und wenn 'se das tut, hab ich irgendwie den Wunsch, ewig zu leben. Wie Chuck Schuldiner. Satan hab ihn selig.

»Dein Vater is 'n Arschloch. An deiner Stelle würd ich die Bude hier zuqualmen und Leichen in die Wände mauern.«

»Ach, ich liebe dich. Du bist sowohl mein verficktes Kryptonit, als auch die Chemo für meine Venentumor.«

Schwärm ich, denn ich bin verliebt. Mein Schatz is einmal nich der Tod, wer hätte das nur gedacht? Vorhin hab ich meinen alten Herrn angerufen, damit er sich schonmal seelisch darauf vorbereiten kann, dass ich morgen bei dieser verfickten Veranstaltung auftauchen werd. Allzu arg begeistert war er von meinem Anruf allerdings nich, was ich irgendwie verstehen kann. Auf diesen scheiß Feiern kann ich nämlich nur eine einzige Sache so wirklich verlässlich und das is mich daneben zu benehmen. Es liegt mir einfach im vergifteten Blut, das sicher Menschen töten könnt, wenn's so wollte. Muss schon peinlich sein, 'n Junkie zum Sohn zu haben, nich war? Es is schrecklich, wenn die Außenstehenden das Detail in der faszinierenden Tragik nich erkennen. Ja, ich bin 'n hässlicher Mensch, der sich an den Unfällen des Lebens erfreut. Ich erschaff 'ne Massenkarambolage aus verficktem Selbsthass und Stoff, dann fahr ich alles mit dem Panzer platt und Shelby küsst mich. Ihre Stimme is die Erlösung in 'ner Welt, bestehend aus schrecklichen Qualen und Menschen, die sich vor lauter Selbstgefälligkeit selbst den Schwanz lutschen wollen. Sie waschen sich die Hände in Unschuld und Wichse.

»Ich liebe. Ob als Øyriøn oder Oliver, es is mir egal, das sollst du wissen.«

»Die meisten Leute können Oliver nich leiden und Øyriøn hassen sie dann erst recht.«

»Weil diese Fotzen sich mit keinem von beiden richtig beschäftigen. Sie wollen sich bloß nich zu viel informieren, damit sie keine Angst vor Welt kriegen. Aber mir bist du verdammt wichtig, also scheiß auf das, was dein Vater sagt. Du bist der Gewinner, denn du lebst bewusst und er schuftet nur seine Zeit auf der Erde ab.«

Flüstert sie mir ins Ohr und bettet meinen schmerzenden Kopf in ihren Schopf. Sie streicht mir die Tränen von den Wangen und ich will einfach, dass dieser Moment niemals endet. Verdammt, ich will so viel, denn das is es, was Menschen tun. Sie wollen, also nehmen sie es sich, doch woher, wenn man seine Wünsche nich bezahlen kann? Shelbys Worte sind wie Balsam für meine gebrochene Seele. Sie flicken mein zerstörtes Inneres nach all dem Leid wieder zusammen und es is das erste Mal in meinem erbärmlichem Leben, dass ich überhaupt jemals ganz sein will. So lang war ich 'n Scherbenmensch und hab die Welt in Bruchstücken erlebt. Ich war mein eigener Feind und ich muss den bekämpfen, der mir das alles angetan hat. Ich muss mich selbst erschießen, wenn man so will. Und man will auf jeden Fall so. Doch es wär in Ordnung, denn ich hab gelegt und würd glücklich sterben, allerdings hat das noch Zeit.

Wie stellt ihr euch eigentlich Øyriøns Vater vor? Was für ein Mensch ist er in eurem Kopf? Das würde mich interessieren.

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