77| Lagenwechsel - Pin Pin
»Herr Schwarz, haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie sehr ich Sie als einen Mitarbeiter geschätzt habe?«
Fragt mein Chef noch im selben Moment, in dem ich sein verdammtes Büro betret. Scheiße, er will mich rausschmeißen und, ganz ehrlich, er hat jedes Recht dazu. Ich setz mich auf seine Geste hin auf den muffigen Stuhl, der seinem massigen Schreibtisch aus imposantem Eichenholz gegenüber steht. Ich fühl mich so klein vor ihm, so seelisch nackt und hier drin riecht's auch irgendwie 'n bisschen nach Zigarre. Mein Chef raucht ganz gern in seinem Büro, aber alle Drogen sind natürlich ausnahmslos das größte Übel der Welt. Ich schätz mal, er is der König der Doppelmoral und ich krieg mal wieder kein verficktes Wort über die Lippen. Stattdessen halt ich den Kopf gesenkt und vermeid Blickkontakt. Mein Atmen stinkt ganz erbärmlich nach Kotze, denn ich hab mich vorhin übergeben, dabei fiel mir 'n zweiter Zahn aus. Diesmal war's der rechte Schneidezahn. Das is jetzt auf jeden Fall nich mehr zu verheimlichen. Scheißegal, ich hab's verdient.
»Wissen Sie, für einen kurzen Moment nur tat's mir um ehrlich zu sein leid, diese Sache mit dem Schlaganfall. Allerdings erzählte man mir im Nachhinein, Sie würden dieses Teufelszeug nehmen. Sie wissen schon, dieses Heroin. Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht erklären, was ich davon halte.«
Er klingt so überheblich wie immer und zwischen seinen Worten und dem falschen Lächeln durch gepresste Zähne trieft der Hass. Ich weiß schon, er konnte mich noch nie so richtig leiden, weil ich nich grad der Beste war und mit meinem bloßen Erscheinungsbild negativ aufgefallen bin. Aber ich hab mir Mühe gegeben. Ich lass es dennoch zu, dass er mich mit seinen Worten verletzt, denn mir is bewusst, was ich für 'n verfickter Verlierer bin. Mir geht's nich gut, ich muss speihen, weil ich die Wahrheit nich ertragen kann. Das is weit verbreitet unter uns Junkies. Wir können's einfach nich. Und deshalb lügen wir uns was zurecht und fixen drauf, bis unsere eigene kleine Welt zur Aussage passt. Trauriges Leben eigentlich, aber es is mein Leben und ich steh dazu, weil ich muss. Wenigstens dieses eine Mal. Mein Chef hört für 'n kurzen Moment auf zu reden und durchbohrt mich mit seinem prüfenden Blick. Ich wünschte nur, er würd mir damit den Kopf von den Schultern lasern, denn ich will jetzt grad nicht mehr existieren. Doch ich muss meine Chance nutzen, mich einmal in meinem Leben selbst zu verteidigen.
»Ich... ich bin grad dabei, aufzuhören. Glauben Sie mir, ich hab mir schon seit vier Tagen keinen Schuss mehr gesetzt.«
»Und das soll ich Ihnen glauben? Schauen Sie mich mal gefälligst an, Ihre Augen sind rot und glasig, was daran soll mich davon überzeugen, dass Sie damit aufgehört haben? Das Erbrochene an Ihrem Kinn vielleicht?«
Speiht er mir fast schon gereizt entgegen und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch vor mir. Ich zuck zusammen, vielleicht hab ich insgeheim Angst vor ihm, kann schon sein, ich bin der größte Schisser, den ich kenn. Irgendwer meinte mal, die Angst vorm eigenen Chef einem in manchen Situationen echt den Arsch retten kann. Ich glaub, es war Øyriøn, oder etwa nich? Keine Ahnung, ich hab mir grad fast in die Hosen geschissen, doch ich lass mir nichts anmerken, denk ich jedenfalls. Es wird immer schlimmer, mein Arm scheint sich schon längst von mir abgesondert zu haben, er will nich mehr zu mir gehören, meine Zähne tun's ihm nach. Verlasst mich ruhig alle, es is gut so. Ich hab's verdient. Mein Chef schnippt mit den Fingern vor meiner Fresse herum, ich weiß, was er von mir will. Ich soll mit der Wahrheit rausrücken, doch ich kann nich, ich muss mich schon wieder zusammenreißen, um nich zu kotzen. Mir is übel, ich will weg von mir. Mit Job oder ohne, is mir egal, mir geht alles am Arsch vorbei, solange ich irgendwas hab, mit dem ich mich von meiner deprimierenden Realität ablenken kann.
»Ich hab geweint. Des Schlaganfalls wegen. Und das Erbrochene stammt daher, dass ich mich vorhin übergeben hab, weil ich krank geworden bin. Meine Frau hat mich auf Methadon gesetzt.«
Das is gelogen und wie. Gestern, als ich bei der Pestkönigin war, hab ich mir 'n Schuss gesetzt, im Anschluss gleich noch einen. Ich hab Jennifer nich davon erzählt, sie hätt mich sonst wahrscheinlich zum Entzug geschickt, oder mich verlassen. Sie hat mir schonmal damit gedroht, als ich völlig drauf nach Hause kam, auf den Teppich kotzte und dann ins Koma fiel. Es war kein richtiges Koma, nur 'n Schlaf, der für zehn Stunden anhielt. Ich hab mich danach allerdings nich besonders gut gefühlt. Von da an ging's dann stetig bergab. Irgendwann kommt man einfach nich mehr hoch, das obligatorisch, wenn man 'n Junkie is. Ich hab noch nie irgendwen getroffen, der's raus geschafft hat. Und wenn doch, dann hab ich's vergessen, mein Gedächtnis is für'n Arsch, aber hallo. Mein Chef schüttelt den Kopf, ich weiß, dass er mir nicht glaubt, denn ich bin 'n absolut beschissener Lügner. Wie soll ich Jennifer so wieder unter die Augen treten? Ich liebe sie doch und sollt sie nich enttäuschen, das hat sie nich verdient. Sie tut so viel für mich. Katharina lacht im Verborgenen über mich und ich würd ihr dennoch folgen, selbst wenn sie mich jenseits von Gut und Böse verliert. Weil ich 'n rückgratloser Arsch bin. Mein Chef schnaubt erzürnt.
»Tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht glauben, Herr Schwarz. Es ist mir auch nicht möglich, Sie weiterhin zu beschäftigen. Mal davon abgesehen, dass ich Sie und Ihre Sucht ekelhaft finde. Guten Tag.«
»Aber ich kann mich ändern, ich bitte Sie.«
»Verschwinden Sie aus meinem Büro, es gibt für Sie keinen Grund mehr, sich hier aufzuhalten. Wollen Sie, dass ich den Sicherheitsdienst rufe?«
Er is aufgestanden und er schreit mich mit seiner vor Wut zitternden Stimme an, ich will im Boden versinken. Dieser verdammte Job hat mir zwar im Grunde genommen nichts bedeutet, doch ich hab ihn gebraucht, um mich irgendwie über Wasser zu halten. Andernfalls wär ich schon 'n bisschen früher verrückt geworden, weil ich mir kein H mehr hätt leisten können. Ich brauch die Arbeit doch und trotzdem wurd ich grad gefeuert. Es stört meinen Chef nich, dass er Menschenleben zerstört. Warum denn auch? Einen scheiß Junkie kann man schließlich nich einstellen und man darf ihm nich trauen. Die Drücker sind gefährlich und sie verleiten Kinder dazu, böse Dinge zu tun. Völliger Bullshit, wir wissen doch selbst, dass wir uns da keine Zuckerwatte durch die Venen jagen und wir ekeln uns manchmal auch vor uns selbst, wir können's bloß nich lassen, weil's das is, was 'ne scheiß Sucht ausmacht. Und wenn du's einfach aufgeben und 'n normales Leben führen kannst, warst du niemals wirklich süchtig. Ich steh auf und geh langsam zur Tür.
»Ich werd mich wahrscheinlich umbringen und nur damit Sie's wissen, das wird Ihre Schuld sein.«
Sag ich noch und verlass das Büro, ich tu nur, was er von mir will und ich kann seinen Blick in meinem Rücken spüren. Er verachtet mich und irgendwie beruht es auf Gegenseitigkeit. Auf nach Hause und der Frau Reue heucheln. Das wär's, was 'n normaler Mensch jetzt tun würd, ich hingegen werd mich jetzt auf'n Weg zur Pestkönigin machen und ihr 'n bisschen Gesellschaft leisten. Ich brauch 'n Schuss, sonst dreh ich durch. Okay, scheiß auf den Job, bin ich halt gefeuert worden, kann ich jetzt auch nich mehr ändern. Ich bin 'n scheiß Loser und Loser werden immer auf den dunklen Seiten des Lebens wandeln. Ganz egal, ob sie sich 'n Taschenlampe mit auf den Weg nehmen, um sie herum wird's auf alle Zeit dunkel bleiben und wenn die Batterien der Taschenlampe hin sind, müssen sie es auch wieder erkennen. Sie werden dazu gezwungen, weil die ganze Welt um sie herum sich nich dran stört, solange sie selbst das Licht auf ihrer Seite haben.
Es könnte alles so perfekt sein, denk ich ganz leise bei mir und verlass schließlich das Gebäude. Hinter mir die Arbeitswütigen und vor mir scheiß Neukölln. Beim Sex macht die Wahl zwischen Arschloch und Fotze mehr Spaß, würde Tonic jetzt wahrscheinlich sagen. Oder auch nich, wo er sich ja als schwul herausgestellt hat. Irgendwie ironisch und ich muss lächeln. Ich zünd mir 'ne Zigarette an und geh lautlos den Weg entlang. Es is zu warm für den Winter und die Schaufenster sind bitter süß dekoriert, ich muss wieder kotzen. Direkt neben 'nem Spielwarengeschäft sickert meine Galle in den pappigen Schnee. Katharina grinst, nimmt meine Hand und begleitet mich zur Pestkönigin.
Hättet ihr an der Stelle des Chefs anders gehandelt oder hättet ihr Pin Pin auch gefeuert?
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