73| Sensibilisierungsprinzip - Øyriøn
»Bury me softly in this womb. I give this part of me for you. Sand rains down and here I sit, holding rare flowers in a tomb.«
Ich glaub, Carnage mag's, wie ich sing. Er schließt einfach die Augen und hört mir zu. Das schätz ich so sehr an Tieren, sie halten ihre Fresse und unterbrechen nich. Carnage wirkt wie 'n Kiffer, so entspannt und doch, als könnt er wen töten. Guter Hund, wirklich. Tiere sind allgemein gute Wesen, der Mensch is jedoch von innen nach außen und durch und durch kaputt. Das erklärt ihn nich, es sensibilisiert ihn auch 'n Scheiß, es is mir nur grad eingefallen. Ich weiß nich, was mit mir nich stimmt, aber ich muss schon seit 'ner längeren Zeit immer und immer diesen einen verfickten Song von Alice In Chains vor mich hin singen. Es tut mir sehr leid, Layne Staley. Seine Stimme is so ziemlich das, was Leute dazu bewegt, sich Heroin ins System zu hauen, um wenigstens die Chance zu haben, so zu singen wie dieser Mann. Er is 'n Engel in 'ner Welt voller Dämonen und ich bin nich mal religiös.
»Down in a hole and I don't know if I can be saved. See my heart, I decorate it like a grave. Oh, you don't understand who they thought I was supposed to be. Look at me now, a man who won't let himself be.«
Klag ich kaum hörbar vor mich in die dicke Luft. Man könnt 'se glatt mit 'ner Schere zerschneiden oder mit den zitternden Händen ergreifen. Ich hab zu viel geraucht, doch es hilft irgendwie gegen die bestialischen Halsschmerzen vom Kotzen. Und das Kotzen hilft gegen den abartigen Pein vom Leben, das mich schon wieder so verdammt mürbe stimmt. Ich muss an 'nen alten Kumpel meinerseits denken. Man könnt ihn 'ne scheiß Kanalratte nennen, denn im Grunde genommen war er eine. Jedenfalls hat er so gerochen, aber eigentlich war er ein ziemlich angenehmer Kerl, wenn man sich die Mühe machte, ihn etwas näher kennen zu lernen. Sein Name war Konstantin, nannte ich ihn doch Cash, weil's das war, was er immer hatte, obwohl er im Heim lebte und von den anderen Jungen in seiner Wohngruppe regelmäßig auf die Fresse bekam. Ihm fielen über die Zeit 'n paar Zähne aus, weil er Crack rauchte und er schenkte mir seine Pfeife, weil er wusste, wie gern ich ihm beim Rauchen zusah. Er war mein großer Held, als ich elf Jahre alt und dumm wie 'n Stück Hundescheiße am Wegrand war. Ich wollt so sein wie er, nich realisierend, dass ich inzwischen so viel schlimmer bin als er. In jeder Hinsicht.
»Down in a hole, losin' my soul. Down in a hole, losin' control. I'd like to fly but my wings have been so denied.«
Cash mochte die Musik von den Beatles und ironischerweise hasste er Johnny Cash, er war so 'n guter Kerl, find ich. So schade, dass ich auf seiner Beerdigung die Fresse nich aufbekommen hab, ich feiger Sack. Ich hab doch immer mit ihm rumgehangen, weil er sonst keine Freunde hatte und's mir auch nich viel besser erging. Ja, verdammt, ich fand ihn dermaßen cool. Wie er auf'm Weg nach Hause immer die mit Blut verschmierten Taschentücher vom Boden aufhob und an ihnen roch. Im Nachhinein kann ich natürlich sagen, dass es absolut bescheuert is, denn nun bin ich auf der anderen Seite. Ich bin der, der die Taschentücher und die leeren Kanülen verliert. Irgendein Kind wird meine Hinterlassenschaften vielleicht finden. Entweder es ekelt sich und bleibt auf'm guten Pfad des Lebens. Dem, in dem's keinen Platz für Heroin und Suchtfickerei gibt. Ja, entweder das, oder das rotznasige Blag wird 'n zweites Ich. Cash war 'n großartiger Mensch, ich kann's gar nich oft genug sagen, aber wie so viele, die unter den Tisch gekehrt und bei Klagen getreten werden, hatte er Probleme und tanzte in der Nacht mit seinen Dämonen auf der Grenze zwischen Sucht und Suizid entlang.
»Down in a hole and they put all the stones in their place. I've eaten the sun so my tongue has been burned of the taste. I have been guilty of kicking myself in the teeth. I will speak no more of my feelings beneath.«
Er starb, als man es am wenigsten erwartet hätte und vielleicht war's gerade deshalb 'ne gute Zeit zum Sterben. Wir hatten den ganzen Sommer über immer wieder zusammen gesessen und er hatte gemeint, dass er am liebsten im August sterben würde, weil in der Zeit das Wetter so schön sei. Damals hab ich noch nich verstanden, was er damit meinte, doch zwei Wochen später sollt ich's recht zügig erfahren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es 'ne Millionen Dinge gibt, die 'n Kind mit elf scheiß Jahren nich sehen sollt und 'n verfickter Suizid gehört dazu. Kinder sollten wissen, dass das Leben nich immer so läuft, wie man sich's wünscht und dass es 'n Weg gibt, den verzweifelte Menschen nutzen, wenn 'se nich mehr weiter wissen, doch es mir anzusehen, is immer hart. In jedem Alter. Ich wünsch mir, dass ich allein verreck, denn ich will keinen mit 'nem Trauma zurücklassen, wie Cash es getan hat. Doch davon abgesehen war er 'n verdammt guter Kerl.
»Down in a hole, losin' my soul. Down in a hole, losin' control. I'd like to fly but my wings have been so denied.«
Er fragte mich, ob ich seine Pfeife haben wolle, wenn er nich mehr da sei und ich entgegnete bloß, dass ich 'se gern nehmen würd. Denn ich war 'n kleines Arschloch und verstand nich, dass Cash nur jemanden brauchte, der sein Zeug an sich nahm und den hatte er in mir gefunden. Er zeigte mir, wie man Crack rauchte und ich fand's höllisch geil. Seither muss ich immer an Cash denken, wenn ich die Pfeife im Schrank liegen seh. Scheiße, ich würd alles verkaufen, aber das Ding nich. Da hängt so viel dran. Mehr noch als das Blut, das mir aus der Nase schoss, weil ich das Crack beim ersten Mal nich so ganz vertrug und der Schweiß von Cash im Angesicht des Todes. Es kleben Erinnerungen an 'nen verdammt guten Menschen an dieser abgewetzten Pfeife. Völlig egal, ob 'se inzwischen schon gar nich mehr funktioniert. Sie bedeutet mir viel, weil auch Cash mir viel bedeutet hat.
»Bury me softly in this womb. Oh, I want to be inside of you. I give this part of me for you. Oh, I want to be inside of you. Sand rains down and here I sit, holding rare flowers in a tomb. Oh, I want to be inside.«
Vielleicht hätt ich ihn fragen müssen, weshalb er sich dazu entschieden hat, zu gehen. Er war doch erst siebzehn, das is kein Alter zum Sternen, dachte ich damals. Ja, ich hätt ihn echt fragen sollen, warum er sich das Leben nehmen wollt und er hätt bestimmt geantwortet, dass ihn einfach alles stresst wie Scheiße und dass er's nich mehr aushält. Seine Depressionen, die nich besser wurden, weil 'se schlicht und ergreifend nich heilbar sind, sie haben ihn mit umgebracht. Zum Mord verholfen. Es war nich der Aufprall, der seine Organe und sein Rückgrat zerschmetterte wie 'n scheiß Taco. Eher die Tatsache, dass sich keiner um ihn scherte, weil er 'n Kiffer war und die konnte man schon damals nich leiden. Cash war zu unsensibel für die von der Pharmaindustrie erzeugten Probleme der Plastikmenschen in ihren Plastikkleidern und ihren Plastikgedanken. Er schiss auf das Sensibilisierungsprinzip und auf die Normen, die ihm verboten, in der Öffentlichkeit zu heulen, wenn er's so wollt. Verdammt, er war mein Kindheitsheld.
»Down in a hole, losin'my soul. Down in a hole, feelin' so small. Down in a hole, losin'my soul. Down in a hole, out of control. I'd like to fly but my wings have been so denied.«
Carnage hebt den Kopf. Vielleicht halluzinier ich ja schon wieder, aber es sieht irgendwie aus, als würd er weinen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Tiere fühlen und so lange Menschen denken, dass Tiere nich fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nich denken. Irgendso 'n scheiß Spruch, den ich neulich irgendwo gesehen hab. Aber irgendwie steckt auch was Wahres dran. Leise seufzend und laut leidend kraul ich Carnage hinter den Ohren und heul ihm ins Fell. Er hält mich aus, toleriert mich. Dieser Hund zeigt so viel Größe, er könnt 'n scheiß Therapiehund werden. So verdammt viel Liebe in seinen Augen und so wenig Angst in seinem Herzen. Cash war mein Kindheitsheld, der aufs Sensibilisierungsprinzip schiss und Carnage is mein Gegenwartsgenerationsheld, der auf Vorurteile scheißt.
Mich würde ehrlich gesagt interessieren, wie Øyriøn in eurem Kopf aussieht. Wie würdet ihr ihn beschreiben?
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