61| Rauchschwade - Øyriøn

Blauer Dunst füllt meine schwarzen Teerlungen und streicht 'se schön von innen, damit 'se wenigstens erträglich sind, wenn 'se schon nich funktionieren. Ich bin schon irgendwie 'n theatralischer Bastard, aber der Tag stirbt langsam und mir steigt die Kotze hoch. Auf der durchgefickten Couch hocken und wie 'n Irrer zittern is jetzt auch nich unbedingt, was ich mir für 'nen entspannten Nachmittag wünschen würd. Mein Atem rasselt gegen die gebrochenen Rippen und es is Musik in meinen Ohren. Ich kann den Schmerz der Welt noch immer spüren, ich lebe und klebe am Leben, ich weiß auch nich so genau, warum. Das Leben hat doch nie wirklich was für mich getan.

»Dir geht's noch nicht viel besser, oder?«

Fragt Shelby, sie hat den Kopf auf meine Schulter gelegt, allein ihre Anwesenheit beruhigt mich schon 'n bisschen. Ohne sie hätt ich mir nämlich wahrscheinlich schon längst die Haut von den Knochen gerissen, damit es endlich wieder 'n wenig kälter hier drin wird. Ich schwitz wie 'n Köter im Hochsommer, doch mein Herz is kalt und ich dreh langsam durch. Ich werd normal. Mir geht's nich gut. Ich fühl mich wahnsinnig. Tollwut und AIDS, beides lacht mich aus, der Scheiß hat im Gegensatz zu mir noch seinen Stolz. Ich hab meinen auf 'nem schmierigen, dunklen Parkplatz aus 'nem alten, von Rost zerfressenen Auto ans Heroin verkauft, auf Raten. Es wartet schon wieder auf die nächste Bezahlung. Fick dich doch.

»Mir ging's kaum je schlechter, aber du bist hier, also werd ich's schon irgendwie überleben«

Carnage liegt auf'm vollgekotzten, nach Magensäure und geplatzten Träumen müffelnden Teppich und es würd mich in diesem Moment um ehrlich zu sein auch nich mehr allzu groß stören, wenn der Köter seinen Senf dazu gibt und zum krönenden Abschluss noch drauf pisst. Der Geruch hier in meiner beschissenen Ranzbude is ohnehin schon sehr miefig. Wahrscheinlich fängt's im Bad auch schon zu schimmeln an, wer weiß? Die Welt is suizidal und die heuchlerische Gesellschaft frisst sich langsam aber sicher selbst, wer würd sich da noch großartig dran stören, wenn 'n elender, ekelhafter Junkie in 'ner Bude an Pilzen in der Lunge verreckt? Na, falls ich die nich schon hab. Ich muss an meine Nachbarn denken und daran, was 'se schon so alles mit mir erlebt haben.

Die kleine Familie von nebenan, die mich jetzt bereits 'n paarmal dichtgefixt im Treppenhaus gefunden haben. Ich an deren Stelle hätt mich liegen lassen, 'n Verrückter wie ich verdient's doch auch wahrscheinlich gar nich anders. Jedenfalls nich in 'ner Welt, in der Junkies scheinbar das größte Übel sind. Öffnet die blinden Augen, verfickte Scheiße. Wir versinken in diesem Moment im Terror und es is die Hölle, doch wir finden's einfach zu geil, unsere verschissene Welt mit 'ner phlegmatischen Null-Toleranz zu zerstören. Also sagt mir nich, ich sei krank. Arm sind die, die Augen haben und doch nich sehen können. Die blinden Arschlöcher, die uns regieren und über unsere Köpfe hinweg entscheiden. Mir is schon wieder so übel. Nur gut, dass Shelby hier is, sonst wär ich wahrscheinlich längst verreckt.

Das Telefon klingelt, glaub ich jedenfalls. Ich hab seit 'ner verfickten Ewigkeit nich mehr mit anderen Leuten telefoniert, wenn man mal von Charlie absieht, der mich neulich noch zum Drücken in seiner ekelhaften Bude eingeladen hat. Wann hab ich den eigentlich zuletzt gesehen? Das is seltsam, mein Gedächtnis hat Lücken so groß wie Einschusslöcher im Zweiten Weltkrieg. Sieht von oben doch bestimmt aus wie Schweizer Käse. Wenn man viel mit anderen Junkies abhängt, fragt man sich um ehrlich zu sein manchmal, ob man 'se jemals wiedersieht. Scheiß Neukölln is ohne die richtigen Verbindungen 'n verdammt hartes Pflaster. Mit den falschen stirbt man langsam und qualvoll, mit den richtigen eigentlich immer recht schnell und keiner merkt's je.

Ich kenn halt die Pestkönigin und 'n paar andere Dealer, aber deren Schießbuden sind 'ne Verarsche. Das kann sich kein Schwanz antun. Vielleicht bin ich auch bloß verwöhnt, aber die Pestkönigin passt irgendwie auch 'n bisschen auf ihre Leute auf. Ich hab jetzt schon so oft miterlebt, dass 'se Kinder wieder nach Hause schickt und vor Razzien warnt. Ich war auch mal bei einer anwesend, das jetzt aber schon zwei Jahre her oder so. Es war 'n Chaos und am Ende lag ein Toter im Raum, es war irgendwer, den ich nich kannte und wahrscheinlich auch nich hätt kennen müssen. Irgendwann tut man sich unter Drückern zusammen und bildet 'ne schräge Symbiose. Gestörte Menschen müssen doch vernetzt sein. Es kommt nur drauf an, wie intensiv man lebt, dann is die Sache mit der Dauer auch ganz schnell nich mehr von Relevanz. 

Vielleicht sollt ich ja auch mal ans Telefon gehen, denk ich so ganz still bei mir und lehn mich nach vorn. Shelby denkt bestimmt, ich muss schon wieder reihern, denn sie geht 'n bisschen auf Abstand, um nach 'nem Eimer zu greifen, der höllisch nach Kotze stinkt. Es stimmt eigentlich, Bröckchen von irgendwas von irgendwann kitzeln meine Speiseröhre, doch ich erbrech mich in meine Mundhöhle und schluck den Scheiß wieder runter. Schmeckt aufgewärmt nur noch beschissener. Interessiert mich nich, bin ja bloß ich, das muss keiner wissen. Ich greif nach dem Hörer und starr kurz auf die Nummer. Das müsst Tonic sein, glaub ich jedenfalls. Aber warum würd der alte Bastard ausgerechnet mich anrufen und dann um die Uhrzeit? Hat ihm wieder irgendeine Frau zum Dank 'n Tripper angehängt? Witzig fänd ich's ja um ehrlich zu sein schon.

»Was rufst du mich jetzt an? Musst du nich arbeiten?«

»Hey, hier is Dimmu. Ich wollte euch alle für heute Nachmittag um halb fünf zur Pestkönigin bestellen, weil ich euch unbedingt was erzählen muss und das kann nicht warten«

Kräht mir Dimmu ins Ohr, eigentlich heißt 'se ja Dagmar und ich hatt schon immer irgendwie das Gefühl, dass die Frau dezent einen an der Waffel hat, aber im Grunde genommen is 'se ja ganz nett. Ich frag mich nur, was 'se denn so dringendes zu erzählen hat. Sie is doch sonst nich so drauf versessen, von neuen Errungenschaften zu berichten. Shelby blickt mich prüfend von der Seite an, sie versteht ganz sicher ebenso kein Wort, ihr hübsches Gesicht spricht Bände. Womit hab ich 'se denn eigentlich verdient? Ich fühl mich schuldig. Dimmu hat wieder aufgelegt, vielleicht war's ja auch bloß 'ne Halluzination, wobei ich auf der anderen Seite langsam aber sicher zurück in die hässliche Realität katapultiert werd und es gefällt mir nich.

Jetzt muss ich doch ins Bad, ganz dringend. Mein Magen wollt die halbverdaute Kotze wohl doch kein zweites Mal aufnehmen, 'n bisschen seltsam, wenn man betrachtet, was ich sonst so alles zu mir nehm. Ich spring auf, versuch zu ignorieren, das keine Beine nich so wollen wie ich's grad gern hätt und schlepp mich rüber. Es is mühsam und ich bin zu müde, der Hurensohn im Spiegel lacht mich aus. Fick dich. Halt dein Maul. Du siehst nich besser aus, sei schon still. Bitte. Das Lachen wird lauter, unerträglicher, infernalischer. Es is 'ne neue Dimension. Ich lach über mich selbst und doch nich mit mir. Shelby steht ihm Türrahmen. Sie is bereit, mir zu helfen, doch ich kann 'se damit jetzt nich weiter belasten. Halt die Fresse, zweites Ich. Irgendwie muss ich's doch zum Schweigen bringen.

Ich denk nach, der gräuliche, flüssige Inhalt meines Schädels verteilt sich dabei quer über die angegammelten Fliesen, auf denen sich wahrscheinlich bereits ganz eigene Kulturen bilden. Ich hör auf, nachzudenken und fang an zu handeln. Mit 'nem widerlich röchelnden Schrei und meinen Fäusten schlag ich auf den Spiegel ein und das hämische Gelächter verstummt. Mir is immer noch übel und grad jetzt kommt alles wieder auf mich zurück. Komm nur, ich bin bereit zum Sterben. Meine Zeit is gelebt und geliebt hab ich bestimmt brennend genug. Geglaubt hab ich zwar nie treu genug, aber ich komm ohnehin in die Hölle, also scheiß drauf.

Ich kotz leise hustend und laut heulend auf die Fliesen, Shelby is immer noch hier. Bewundernswert, dass 'se noch immer nich gegangen. Ich bin angewidert von mir selbst und sie küsst mich auf die Wange. Ich bin mir sicher, sie liebt mich, dabei bin ich alles andere als liebenswert. Ich bin widerwärtig und 'n scheiß Fixer noch obendrein. Völlig leergekotzt lass ich den Kopf hängen und sink an der Dusche hinab, Shelby sitzt neben mir und hält meine Hand. Die Hand, an der noch 'n bisschen Galle klebt und es stört 'se kein bisschen. Gottverdammt, ich liebe sie, könnt ich doch nur die Zeit anhalten, ich würd's tun, ohne zu zögern.

Shelby überrascht mich immer wieder, geht es euch da genauso?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top