44| Rauschwache - Tonic
Mein verdammter Schädel brummt wie die Hölle persönlich und es fühlt sich irgendwie an, als würde ein wirklich fettes Tier auf mir liege. Es ist ein ungewohnter Druck, der mir fast die Organe zum Arsch heraus jagt. Wie zum Teufel bin ich eigentlich ins Bett gekommen? Und was liegt da auf mir? Das ist ja nicht auszuhalten. Ich öffne die Augen und das erste verschissene Ding, das ich zu Gesicht bekomme, ist eine leere Flasche Vodka, die mit Klebeband an meiner Hand haftet. Mein besoffenes Ich hat tatsächlich einen guten Sinn für Humor, das hab ich ganz vergessen.
Auf irgendeine Art und Weise vermisse ich mein Shirt und fühle mich fast wie eine dumme Schlampe in einem fremden Apartment. Vielleicht bin ich in einer Parallelwelt, in der ich mit einem meiner ehemaligen Weiber tauschen muss. Gott, wäre das grauenhaft. Wer sich von mir ficken lässt, muss schließlich ein Leben am Limit führen. Auf den Seilen zwischen Tod und Erbarmen tanzen, das muss es sein. Verdammt, jetzt muss ich mir auch noch eine leichtbekleidete Fotze vorstellen, die auf irgendwelchen Seilen turnt. Das ist doch alles scheiße und mein Schädel platzt gleich in der Mitte wie ein überfahrener Fahrradhelm. Was ist gestern Abend passiert?
Vorsichtig richte ich den Blick zur Seite und erwarte insgeheim, ein Weib in meinen Armen liegen zu sehen. Wahrscheinlich eines, das ich gestern im Rausch noch fickbar fand. Allerdings kommt es ganz anders. Das darf doch nicht wahr sein. Ist es wirklich Charlie, der seinen Schädel auf meiner Brust liegen hat und selig schläft? Könnte es nicht irgendwie eine bärtige Tussi sein, die ich gestern aufgerissen hab? Nein, es ist tatsächlich Charlie, ich erkenne ihn an der Art, wie er das Gewächs in seinem fahlen Gesicht getrimmt hat. Sein dunkelbraunes Haar lockt sich leicht im Nacken. Das fällt eigentlich kaum jemandem auf, ich schätze, nur ich hab es jemals bemerkt. Vielleicht, weil ich der Einzige bin, der auf Charlie achtet.
Ist ja alles schön und gut, aber wie kommt er in mein verdammtes Bett? Wäre ich plötzlich durch Zauberhand über Nacht schwul geworden, könnte ich mich ganz bestimmt daran erinnern. Oder etwa nicht? Es ist ja nicht so, dass ich mich daran störe, wenn zwei Kerle eine Beziehung eingehen. Im Gegenteil, ich verstehe dieses ganze Gelaber von wegen unethisch und was weiß ich nicht alles überhaupt nicht, aber ich persönlich stehe im Normalfall auf Titten. Was sollte ich auch sonst sagen, mein wahrscheinlich bester Freund ist transsexuell und liegt verfickt nochmal in meinem Bett. Was geht hier eigentlich vor sich? Hab ich gestern wirklich so viel getrunken? Es wäre ja nicht das Erste Mal, dass ich eine Flasche Vodka im Alleingang leere.
»Charlie, wach auf, du Arsch. Wir haben vielleicht ein Problem«
Beim Versuch, die Flasche von meiner Hand zu lösen, treffe ich Charlie mit dem Ellenbogen an der Stirn. Besonders begeistert ist er nicht, als er die Augen öffnet, dafür aber offensichtlich nackt. Zumindest trägt er kein Shirt mehr. Ich hab ihn doch nicht etwa flachgelegt? Nicht, dass ich mich jetzt deshalb hassen würde. Ach, wem lüge ich hier etwas vor? Ich hab noch nie auch nur eine verfickte Beziehung aufrecht erhalten können, davor hab ich doch insgeheim Angst. All diese Schlampen, die ich je hatte, waren mir egal, aber Charlie will ich um jeden Preis nicht verletzen. Er starrt mich für einen kurzen Moment verwirrt an, bevor auch er realisiert, was wohl oder übel passiert ist. Ehe ich ihn noch davon abhalten kann, schlägt er die Decke zurück und springt aus dem Bett. Die Panik in seiner Stimme jagt mir Schrauben durch die Ohren.
»Fuck, haben wir etwa...«
»Ich fürchte, ja. Kannst du dir trotzdem bitte etwas anziehen?«
Ich schwöre es, ich versuche wirklich krampfhaft, in sein Gesicht zu sehen, aber die Tatsache, dass er völlig nackt vor mir steht, lenkt mich ab. Mich, wo ich doch sonst immer die Fassung behalte. Wo mich doch sonst nichts schockieren kann, weil ich schon alles gesehen hab. Im Affekt greife ich neben das Bett, denn ich weiß, dass dort ein ranziges, nach Frittenfett riechendes Shirt liegt. Es hat ein paar Löcher an den Ärmeln und sieht auch sonst eher aus, als wäre es aus dem Container mit Kleidung für Bedürftige gefallen. Es muss also Charlie gehören, er trägt doch immer dieses Second Hand Zeug. Wie sonst auch von mir selbst überzeugt werfe ich es also zu ihm hinüber und er zieht es sich mit aufgerissenen Augen über den Kopf.
Ich kann meinen scheiß Blick einfach nicht von ihm lösen, auch dann nicht, als mein Gedächtnis langsam aber sicher wieder damit beginnt, die Lücken von selbst zu füllen. Die Überdosis, das Krankenhaus, der Kuss und alles, was danach im Alkohol unterging. Wie so gottverdammt viel in meinem Leben. So oft hab ich am Morgen in eine leere Flasche geschaut, weil ich irgendetwas darin ertränken wollte. Meist war ich bloß daran interessiert, mich selbst nicht mehr sehen zu müssen, weil ich mich kaum ertragen kann, wenn ich nicht drauf bin. Ebenso wie jetzt. Ich hasse mich in diesem Moment und nur ein Schuss Dope könnte mich wieder auf den richtigen Weg bringen, zurück zur Arroganz.
»Warum zur verfickten Hölle liegt meine Hose im Wohnzimmer, du Sau? Ich könnt grad meinen, du hast mir K.O Tropfen eingeflößt«
Schimpft Charlie aus dem Nebenraum und ich kann aus seiner Stimme heraus hören, dass er genauso verwirrt ist, wie ich es bin. Ob ich das gut finden soll, weiß ich allerdings nicht. Meine Jeans kann ich zum Glück am Fußende des Bettes entdecken, meine Unterhosen, sowie mein Shirt bleiben jedoch verschwunden. Das ist nicht mein Problem, ich wohne schließlich hier und kann mir jederzeit etwas aus dem alten Schrank holen. Für mich hat ohnehin nichts und niemand einen besonderen Wert. Abgesehen von Charlie. Vielleicht. Also rein theoretisch. Wem mache ich hier noch etwas vor? Verarschen kann ich nur andere, mich selbst nicht und erst recht kann ich nicht vor mir selbst davon laufen. Natürlich könnte ich es versuchen, doch ich würde kläglich scheitern. Wie Charlie, als er sich mal an einem kalten Entzug versuchte.
»Das war gar nicht mehr nötig, du hattest eine Überdosis und warst voller Medikamente«
Gebe ich grinsend zurück und lehne mich so überlegen wie sonst auch in den Türrahmen. Ein positiver Nebeneffekt; ich kann Charlie ungestört dabei beobachten, wie er sich über den Tisch beugt, um nach seiner Hose zu greifen. Dabei wirft er eine leere Flasche Bier zu Boden und zieht den Kopf ein, als würde er erwarten, dass ich ihn deshalb anschreie. Irgendwie sehe ich ihm gern zu, die Art, wie er sich bewegt, hat seltsamerweise etwas von einer Katze. Einer mit drei Beinen und ohne jede Form von Tastsinn. Er hat so dünne Beine, ich kann mich in meinem noch immer währenden Rausch vage an die Wirbel auf seinem Rücken erinnern, die mich an eine Perlenkette erinnern.
»Und das hast du als Entschuldigung genommen, mich flachzulegen? Du bist echt 'n nymphomanisch veranlagter Drecksack«
Scherzt Charlie, als seine dürren Stockbeine in der verschlissenen Jeans verschwinden und sein Gesicht erstarrt. Er sieht mich an, als wolle er meine Lebensform analysieren. Dabei sind wir beide Verlierer, ich sowieso, weil ich mir immer und immer wieder einrede, auch nur einen verfickten Deut besser zu sein. Ich weiß nicht genau, was es denn nun ist, aber die sentimentalen Schnitzel unter den Menschen nennen es Schamgefühl und ich hasse es, dass es mich dazu zwingt, meinen Schädel zu senken. Irgendwie ist mir warm und verfickt nochmal kalt zur selben Zeit, doch ich weiß, dass ich ganz bestimmt nicht krank werde, denn mein Immunsystem arbeitet übermäßig und zu jeder Zeit. Wenn ich ehrlich bin, war ich seit meiner späten Jugend nicht mehr so richtig krank. Das Kotzen zählt nicht, das ist bloß ein Nebeneffekt vom Heroin.
»Wollen wir es nicht einfach vergessen? Wir können uns auch einen Schuss aufkochen, ich hab nämlich noch ein bisschen Zeug hier«
Schlage ich vor und Charlie fängt eifrig an zu nicken, er grinst wie ein Honigkuchen Pferd auf Kokain und ich muss mich zusammenreißen, um nicht darüber zu lachen. Er knöpft seine Jeans zu, wahrscheinlich hätte er sich das auch gleich sparen können, wenn ich ihn mir so ansehe. Diese billige Hose rutscht ihm ohnehin sogleich wieder ein gutes Stück nach unten, die liebe Schwerkraft eben. Ohne sie würde ich an der Decke hängen und mich verfluchen. Also eigentlich so ähnlich wie sonst auch. Scheiß drauf, ich brauche jetzt sofort einen Schuss, damit ich das Elend nicht mehr sehe und Charlie geht es da wohl nicht anders.
Wirkt Tonic langsam auch für euch menschlicher oder geht es nur mir so?
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