37| Pillhead liebt - Øyriøn

Es klopft an der Tür, ich glaub's jedenfalls, denn ich hab das Gefühl, dass ich schon wieder in 'ner anderen Dimension gefangen bin. Das Heroin lässt die scheiß Geräusche bloß noch bedingt zu mir durchdringen und die Kotze läuft mir den Hals runter. Is es vielleicht Shelby? Ich hoff's doch, denn ich vermiss 'se mehr als den Stoff, der mich umbringt. Deshalb raff ich mich langsam auf und will mir die erbärmlich stinkende Kotze aus'm Gesicht wischen, doch damit wär ich ewig beschäftigt, denn ich besteh zur Hälfte aus Erbrochenem.

Ich erschieß mich seit Jahren jeden verfickten Tag selbst, doch die Nadeln bringen mich jedesmal wieder zurück, obwohl ich's nich verdient hätt. Mein Leben werf ich ja sowieso weg, ich sollt's wem anders schenken, der sich drüber freut. Die Tür is gar nich geschlossen, ich hab 'se offen gelassen, weil's meine Nachbarn nich stört, was mit mir passiert. In 'ner Konsumgesellschaft wie der hier sind 'se nich nötig und bloß Gäste. Selbst für's Gaffen sind 'se zu lethargisch, das is unglaublich. Meine Sicht klärt sich langsam wieder.

Das Heroin verschwindet aus meinem Blickfeld, krallt sich aber wie 'ne alte Katze an mein Stammhirn und ich seh die schönste Frau der Welt vor mir stehen. Sie starrt mich entgeistert an und ich kann 'se echt verstehen. Muss ekelhaft sein, 'n verschissenen, wertlosen Fixer wie ich halt einer bin, am Boden liegen zu sehen. Vor allem jetzt, wo ich mich dermaßen vollgekotzt hab, dass meine Gallenblase schon kapituliert und schier verreckt. Tut mir leid, treuer Freund, jedes einzelne Organ in meinem Körper sollt nich die Bürde haben müssen, 'n Teil von mir sein zu müssen.

»Oliver, was hast du denn angestellt?«

So viel Schock in ihrer herrlichen Stimme. Mehr Angst noch als Tabak und Teer, das fickt mich irgendwie. Shelby stürzt zu mir und fällt auf die Knie. Volles Pfund in meine elende Adernkotze, ob 'se auch so durchgedreht is wie ich's bin? Schön wär's, die meisten halten mich für'n Arsch und damit haben 'se nich mal unbedingt Unrecht. Ich bin 'n scheiß Abhängiger. 'N Nadelterrorist, der scheiß Neukölln in die Luft jagen will und sich doch bloß selbst zerstört, weil er's liebt, wenn etwas kaputt geht und er seine hässlichen Organe dabei schmatzend reißen hört.

Manchmal stell ich mir liebend gern vor, wie meine Lunge voll Blut läuft und ich langsam aber sicher gurgelnd erstick. Vielleicht könnt's ja irgendwer fotografieren und aufs Cover von irgendeiner Band klatschen. In dem Fall wär meine grässliche Leiche ja noch irgendwie zu gebrauchen. Shelby packt mich an den Schultern und setzt mich vorsichtig auf, ich glaub, dass ihre schmalen Finger sich durch meine porösen Knochen in mein Herz bohren und mich so von innen aushöhlen. Ich bin grad echt verfickt nochmal zu down und das macht mich einfach tödliche high.

»Ich bin 'n scheiß Serien- und Selbstmörder, das Opfer is aber immer dasselbe. Ich bring mich noch um und reiß dich mit, es tut mir so verdammt leid. Warum bist du nur zurückgekommen?«

Murmel ich leise vor mich hin und hör mich dabei wie der Verrückte an, der ich nun mal bin. Shelby stört sich allerdings nich im geringsten dran, denn sie schließt mich zitternd in die Arme und streicht mir über den Rücken. Ich schließ bloß die Augen und wünsch mir echt, wir müssten nich hier sitzen und schon gar nich jetzt, wo ich dermaßen drauf bin und dran sterben will. Oder auch nich, immerhin is Shelby doch hier und egal, was grad mit mir los is, wenn ich nur an 'se denk, gaukelt mir mein dummes Hirn vor, dass es doch 'n Grund gibt, sich keinen Todescocktail zu mixen und ich muss ihm immer zustimmen. Jedenfalls, wenn Shelby da is.

»Weil ich dir helfen will. Ich hab noch 'n paar Minuten, dann muss ich arbeiten gehen. Solange wollte ich dir was erzählen. Weißt du, irgendwie bist du die Junkie Version von Charles Manson und will nicht, dass du draufgehst, hörst du?«

Fragt 'se mich mit 'ner Träne im Augenwinkel und streicht mir die spröden, splissigen Haare aus'm Gesicht. Ich frag mich, ob ich 'se abschneiden sollt, wo 'se doch bloß noch auf meinem Schädel hängen und der Glanz aus ihnen verschwunden is. Allerdings würd ich dann fast so aussehen wie jeder andere und das wär mir verfickt nochmal zuwider. Da bin ich lieber verdreht, als einer von denen, die's sich zur Aufgabe gemacht haben, in 'ner Scheißgesellschaft bestehend aus Plastikmenschen und Möchte-Gern Terroristen unterzugehen. Ich bin keinen verdammten Deut besser als diese Arschlöcher, doch ich hasse mich nich für meinen fehlenden Mut, das is alles.

»Mein früherer bester Freund Barney war auch 'n Drücker. Immer, wenn ich ihn gesehen hab, war er drauf. Man konnte mit ihm nicht feiern gehen, denn er is meist recht aggressiv von dem Scheiß geworden. Ich weiß ja nich, wie's bei dir is, aber Barney war kein Guter. Er hat eigentlich die ganze Zeit geredet und wenn er mal die Fresse hielt, wusste man, dass etwas nicht stimmt«

Shelby lässt mich los und ich vermiss die Wärme, die 'se auf mich überträgt, noch im selben Moment. Ihre Augen fixieren mich und ich könnt mich bloß noch aufhängen, um ihr gerecht zu werden, denn tot bin ich mehr wert als lebendig. Aus meinem Maul kommt nur Scheiße und fundamentaler Hass, was Shelby von sich gibt, bringt mich zum Heulen, weil's mich dran erinnert, dass meine schwarze Poesie Mist is und ich 'n wertloses Stück Scheiße bin. Ich bin doch hier eigentlich der Arsch, der keine Ahnung vom Leben hat, wenn die Typen in der Plastikgesellschaft den Drogen nich verfallen sind. Reiß mich in Stücke und stopf mir Sprengstoff in die Brust.

»Eines Abends war ich bei ihm zu Hause, er war komplett zugeknallt, allerdings mit ungestrecktem Zeug und das hatte er noch nie. Du weißt sicher, worauf das hinausgelaufen is. Er hat sich an meine Schulter gelehnt und is im Schlaf gestorben. Das hat mich so verstört, dass ich etwas Abstand von New York, der Bronx und all diesen verfickten Drogen gebraucht hab. Ich dachte, in Berlin is es nicht so extrem, aber offensichtlich hab ich mich geirrt«

Verdamm mich doch und zerschieß mich verfickt nochmal in meine schwarzen Atome, was Shelby da erzählt, macht mich so traurig. Nich mal unbedingt, weil einer gestorben is oder weil ich insgeheim genau weiß, dass ich's ebenso hätt sein können, sondern wirklich eher, weil ich am Leben vorbei red, während Shelby bewusst erlebt. Sie hatte Freunde, die ihr etwas bedeuten, was ich nich zwingend behaupten kann. Klar, ich hab echt viel für Pin Pin oder Charlie übrig, doch das war's dann auch schon wieder. Tonic is 'n Wichser und Dimmu 'ne Verrückte, der größte Hurensohn von uns Junkies bin allerdings immer noch ich. Ich will Shelby trösten, bin ich doch voller Kotze und Blut, mit dem ich 'se nich beschmutzen möcht.

»Barney, musst du wissen, war mir wirklich wichtig. Ich kannte ihn schon seit meiner Kindheit und ihn sterben zu sehen ist etwas, das ich keinem wünsche. Du bedeutest mir auch viel und ich will dich nicht verlieren. Vielleicht, weil ich 'n Schuss hab und du 'ne Spiegelung meiner Psyche bist. Vielleicht, weil du dieser eine Kerl bist, den ich mir immer gewünscht hab, das weiß ich nicht so genau, aber ich möchte nicht, dass das Heroin dich runterzieht«

Es is doch schon seit Jahren dabei, mich an den Knöcheln in die Hölle zu zerren. Manchmal kann ich's spüren, aber ich kann's nich aufhalten, denn das Heroin is wie Hitler und ich bin 'n armer Wichser mit 'nem Judenstern auf der Brust, der zur falschen Zeit am falschen Ort is. Auf der anderen Seite weiß ich, wie's sich anfühlt, jemanden sterben zu sehen. Was es mit einem macht, deshalb will ich doch vergessen. An manchen Tagen wär ich gern dement, dann könnt ich die Nacht vergessen, in der meine Mutter starb. Ich hätt ihr das schönste Gedicht schreiben können und sie hätt das Gift trotzdem geschluckt. Mit jeder Faser meines schwarzen Herzens liebte ich Mutter und manchmal hat 'se mich auch geliebt.

Geprägt von Frustrationen und Fehlgeburten war ihr jähes Leben, die größte Fehlgeburt war ich. Obwohl ich lebe, hätt ich besser sterben und meinen Platz auf der Erde wem überlassen sollen, der mehr wie meine scheiß Geschwister sind. Leute, die nich nachdenken und einfach tun. 'Ne Träne rollt mir über die Wange und streift meine Oberlippe. Is mal 'ne Abwechslung im Gegensatz zur Kotze. Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, lehnt Shelby sich nach vorn und drückt ihre Lippen auf meine. Dann steht 'se auf und geht. Sie hat mich geküsst, obwohl mein Gesicht von Kotze verklebt is und Carnage hat 'se auch da gelassen. Stört mich aber nich, denn ich bin so verliebt wie süchtig.

Welchen Beruf könnt ihr euch eigentlich für Shelby vorstellen? In meinem Kopf arbeitet sie in einem Plattenladen, aber ich freue mich auch über eure Vorschläge.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top