35| Reue - Dimmu
So gern würde ich jetzt behaupten, dass ich mich schäme. Dass ich die Strafe verdiene und bis ans Ende meines Lebens in einer dreckigen Zelle vergammeln sollte, doch das sind nich meine Gedanken. Was ist schon Reue in einer Welt, in der Menschen sich das ganze Jahr über die schlimmsten Dinge antun, ohne sich dafür zu entschuldigen? Da ist Andreas' Tod jetzt auch nichts, um das man an der Stelle ein großes Aufsehen erregen müsste. Er war keiner dieser Menschen, die man ungern verletzt.
Jedenfalls ging es mir so, vielleicht ändert man seine Meinung gegenüber einer Person, wenn diese sich nicht den ganzen Tag überlegt, wie sie einem am besten schaden könnte. Daraus bestand diese verdammte Ehe doch im Grunde genommen. Pein, Hass und jede Menge Stress. Um den Abbau hat man sich nich gekümmert, ihn nur immer wieder aufgebauscht und ihn zu neuen Ufern aufbrechen lassen, um dem anderen zu zeigen, wie sehr man ihn verachtet. Das war keine Liebe, sondern bloß ein scheiß Schwanzvergleich über den Hass.
Nicht einmal mehr Hassliebe hätte man das nennen können, es war einfach bloß blanke Verachtung und ich in meinem Schädel gefangen. Andreas kann das jetzt nicht mehr unbedingt von sich behaupten, der junge Bulle hat laut den anderen Beamten noch 'n paarmal gekotzt und musste nach Hause geschickt werden. Ich hätte ja auch gleich vorhersagen können, dass es keine wirklich gute Idee is, den verdammten Praktikanten Leichenteile aus einer Gefrierschrank ziehen zu lassen. Ich weiß, was sie übrigen beiden von mir halten, denn sie geben sich absolut keine Mühe, es irgendwie zu verschleiern.
Freunde und Helfer, aber natürlich nur für die guten Bürger. Was machen die Arschgesichter dann überhaupt hier in scheiß Neukölln? Ich hab in dieser verdammten Stadt noch keine gute Seele getroffen. Gibt's Seelen denn eigentlich oder is das auch bloß so 'ne Erzählung, die dazu dient, Kindern Angst zu machen? Is mir eigentlich auch schon wieder egal, mein Kopf dröhnt. Mein Hirn schlägt gegen den Frontallappen und diese zwei scheiß Bullen wollen einfach nicht die Fresse halten.
Warum denn nich, wenn ich fragen darf? Ob ich nach Aspirin fragen sollte? Würd ich doch ohnehin nicht bekommen, selbst, wenn die Wichser eine hätten. Sie wurden sie wahrscheinlich lieber die Toilette runter spülen, als sie an 'ne Abhängige wie mich zu verschwenden. Für einen verdammten Junkie macht man keinen Finger mehr krumm. Natürlich is das hier keine Zwei Klassen Gesellschaft, wer nicht mit dem System zieht, wird bloß zertreten wie ein wertloser Käfer und muss später als Klopapier herhalten.
Dieser Drecksack fährt doch echt wie ein Schimpanse, was stimmt denn nicht mit dem? Hasst er mich so sehr, dass er mich gleich töten will, bevor ich mich überhaupt vor dem Gericht erklären kann, auch wenn das höchstwahrscheinlich ohnehin sinnlos is, weil die hohen Tiere schon diesen verfickten Eindruck von mir haben, den man nich wieder gutmachen kann? Hätte ein Kerl seine Frau erschlagen, hätte er von diesem konservativen Arsch garantiert noch 'n Handschlag und Glückwünsche bekommen, jedenfalls wirkt der Typ auf mich so.
Ich weiß, man soll nich nach scheiß Äußerlichkeiten gehen, das lernt man schon als Kind, doch die Bullen tun's ja schließlich auch. Eigentlich schon immer. Sie fühlen sich gern so viel besser, weil sie in ihrer längst verstrichenen Jugend den Joint stets ablehnten und jetzt das Gesetz hüten dürfen. Völlig überbezahlt, der Beruf, das könnte fast jeder, der nicht vollkommen unzurechnungsfähig ist und der Arsch am Steuer biegt so scharf rechts ab, dass mir die Kotze hochkommt. Ich würge nur einmal und speih dem Bullen zu meiner Linken in den Schoß. Er schreit angeekelt auf und ich muss lachen, obwohl mein Erbrochenes erbärmlich stinkt.
»Tut mir leid, ich hätte mir ja den Mund zugehalten, doch mir sind die Hände gebunden und ihr Kollege fährt wie Irrer«
Meine ich schadenfroh und spucke die Reste meiner Magensäure auf die Sitzpolster. Der Bulle hat keine Taschentücher und dreht langsam aber sicher durch, was für ein Schlappschwanz. Wäre Tonic jetzt hier, würde ich seinen Schädel in die Kotze tunken und ihm ins Ohr schreien, dass Männer eben doch nicht das stärkere Geschlecht sind. Jedenfalls, wenn es um die Belastung geht. Vor meinem inneren Auge seh ich Tonic besoffen im Straßengraben liegen und muss nur noch lauter lachen.
Er drückt nich nur, er trinkt auch noch recht viel, was ein echtes Problem aus ihm macht. Ich will nicht sagen, dass er Probleme hat, er is einfach eins. Seine Mutter hat den Termin zum Abtreiben echt verpasst. Verdammter Bastard, mit Andreas hätte er sich bestimmt gut verstanden. Die Handschellen beißen in mein Fleisch und ich hab das Gefühl, dass mich einer häuten will. Das wär doch auch irgendwie 'ne gute Todesart für Andreas gewesen. Dafür hätte ich allerdings so viel Kraft gebraucht.
Kraft, die ich nich hab, weil ich auch gar nich weiß, woher ich die nehmen sollte. Wer hat heute noch Kraft, wenn diese Welt einem immer wieder alles nimmt? Was hab ich denn in der Schule nicht aufgepasst, würde ich mich fragen, wär es überhaupt von Wichtigkeit, was mal aus mir geworden wär. Doch ich will's nich wissen, wahrscheinlich war mir bloß alles andere wichtiger und ich würde es auch bei 'nem zweiten Versuch ganz bestimmt nicht anders machen, würd ich je einen bekommen.
Es ging mir doch insgeheim nie darum, 'nen Abschluss zu haben, wusste ja sowieso nicht, was ich mal werden möchte, abgesehen von glücklich. Ich wollte echt nicht viel, hab auch nicht das meiste vom Leben erwartet, weil's mir nie geholfen hat und bekommen hab ich Andreas. Ein größeres Fick dich hätte mir das Universum eigentlich gar nicht in die Fresse hauen können. Selbst is die Frau, würde meine Mutter behaupten und ich hätte bloß den Kopf geschüttelt, denn ich fand, dass sie schon immer irgendwie bloß wirres Zeug von sich gegeben hat.
»Wissen Sie eigentlich, was Menschen dazu bewegt, zu morden? Ich weiß es nämlich nicht, ich hatte einfach nur Lust darauf, ihn sterben zu sehen«
Rede ich vor mich hin und werd meiner Mutter dabei immer ähnlicher. Der Beamte neben mir wischt sich grad mit verzogenem Gesicht die Kotze oberflächlich von seiner schicken Uniform, denn die Exekutive darf nicht von einem Junkie beschmutzt werden. Deshalb hat sich der Andere wahrscheinlich auch kurz die Hände desinfiziert, bevor er ins Auto stieg, um mir fast 'n Trauma zu verpassen. 'N noch größeres als das, das ich davon bekommen hab, anderen beim Drücken und dran sterben zuzusehen.
»Sie sind wahnsinnig, deshalb haben Sie diesen Mord begangen«
Erwidert der Angereiherte, der dafür allerdings eher ziemlich angepisst zu sein scheint. Er sieht mich an, als wolle er damit meinen sofortigen Tod herbeiführen. Narr, als ob man Organe mit den Augen kontrollieren könnte, aber eine ziemlich krasse Superkraft wär es auf der anderen Seite doch auch. Irgendwie. Vielleicht. Nur schade, dass es keine Magie gibt. Jedenfalls nich für die, die sich ganz stolz auf die Fahne schreiben, vollkommen clean zu sein. Es geht mir am Arsch vorbei, wenn diese Menschen aus Plastik keine Ahnung von Drogen haben, solange sie nicht so tun, als wüssten sie auch nur die kleinste Kleinigkeit.
»Und wie würden Sie sich wehren, wenn Sie über Jahre hinweg erniedrigt und gedemütigt werden? Wenn Ihnen niemand glaubt, weil Sie in der Gesellschaft nicht sehr hoch angesehen sind? Und Sie es nicht anders aushalten?«
Meine Stimme bricht und ich muss mich immer wieder räuspern. Was ich eigentlich damit sagen möchte, versteht man allerdings trotzdem. Jedenfalls, wenn ich so sehe, wie das Bullenschwein die Lippen hochzieht wie manch anderer den Rotz bei einer Erkältung. Er hasst die Tatsache, dass ich weiß, wovon ich rede und nicht einfach nur irgendetwas von mir gebe, das man vielleicht für dumm oder schlau halten könnte. Je nachdem, von welcher Seite man es betrachtet. Ich beschließe außerdem, jetzt nich für Fresse zu halten, denn der Bulle is grad so schön verstört von meiner Ehrlichkeit.
»Sie würden es mir gleich tun und das wissen Sie genau. Sie wollen es nur nicht zugeben, denn in dem Fall wären Sie nicht mehr besser als ich und könnten sich keinen mehr auf Ihre Stellung in der Gesellschaft keulen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich noch im Schlaf an mich erinnern und darüber nachdenken, was die Junkies wirklich von Ihnen unterscheidet«
Mit diesen Worten lehne ich meinen schmerzenden Schädel an die Fensterscheibe und lass die abartig hässliche Stadt draußen an mir vorbeiziehen. Alles wird sein Ende finden. Sowohl in scheiß Neukölln, als auch an anderen Orten auf diesem Planeten, da bin ich mir eigentlich fast sicher.
Gibt es eigentlich einen Aspekt an Dimmu, der euch besonders gefällt? Ich zum Beispiel schätze ihren Mut sehr.
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