30| Falscher Mensch - Pin Pin

Was ist nur mit mir und warum sitzt Jennifer noch hier? Ich schrei mir seit 'n paar Minuten die Seele aus'm Leib und sie versucht immer noch, mich irgendwie zu beruhigen. Nur in diesem Moment halt ich einfach keine unqualifizierte Fresse und starr das Ding an, das durch die Wand kriechen will. Ich weiß doch genau, dass es mich töten will und aus den verkrusteten Einstiche an meinen Armbeugen schießt Gift.

Verdammt, ich bin schon so lange clean, dass die reale Welt meinen Schädel fickt. Ich hab das Verlangen, mich mit 'nem Hit außer Gefecht zu setzen, doch mein Nachtkästchen is leer. Eigentlich ist das besser für mich, ich will's bloß nicht akzeptieren. Jennifer hält meinen Arm fest und ich hab das Gefühl, dass er gleich abbricht. Er biegt sich schon in ihrem Griff, als wäre der Knochen aus Gummi.

Wahrscheinlich ist es nur eine räudige Halluzination, aber es sieht so verdammt echt aus. Ich kann nichts mehr unterscheiden, ich hab die Grenze zwischen Realität und Fixerhimmel aus den Augen verloren. Sie is einfach mit dem Rest der Farben verschwommen und hat mich mit sich gerissen. Ein bisschen wie Katharina und ich glaub, ich hab sie vorhin im Nebel gesehen. Jennifer will nicht über sie reden und das kann ich verstehen, will ich ja auch nich.

Schlicht, weil's mich verdammt nochmal deprimiert, um es mal milde auszudrücken. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt sterbe, denn das Stadium hatte ich schon recht oft. Aber mir ist bewusst, dass die Wände grad bröckeln und ich sie nicht mehr mit meinen niederträchtigen Lügen halten kann. Katharina, halt durch, dein einziger Freund kommt nach Hause. Warte auf mich und empfang mich mit offenen Armen, damit wir über schwarze Wolken gehen können.

Ein Lachen dringt aus der Wand und ich versuch es mit einem Schrei zu übertönen. Jennifer zuckt zusammen und ich würd mich so gern bei ihr entschuldigen, doch ich kann nich. Denn ich bring nicht einen verfickten Ton raus. Meine Lippen fühlen sich an, als hätt man sie mit spitzem Faden vernäht, aber das kann gar nicht sein. Schreien geht nämlich noch verschissen gut. Oder ist das wieder bloß so 'ne scheiß Illusion? Gott, ich weiß es nicht.

Der Boden unter mir bricht auf und ich kann hören, wie Katharina mich aus dem unteren Stockwerk zu sich ruft. Ich will doch aufstehen und das Loch zuschütten, damit ich das Bitten niemals wieder hören muss, aber meine Gliedmaßen sind gelähmt. Sie könnten auch abgetrennt sein, ich spür sie überhaupt nicht mehr. Nur meine Armbeugen brennen noch wie Feuer und Jennifer streicht mir über die Wange.

»Soll ich einen Arzt rufen?«

Fragt sie, aber ich kann mir ihre Wortlaute nur zusammenreimen, denn langsam aber sicher hör ich so ziemlich gar nichts mehr. Alles um mich herum klingt nach einem einzigen großen Brüllen und der Raum dreht sich. Kann den mal jemand anhalten? Ich will jetzt sofort aussteigen und mich irgendwo verkriechen. Am Besten dort, wo ich gleich sterbe. Wer würde mich auch sehen wollen? So gern würd ich den Kopf schütteln.

Ich will nich, dass Jennifer den Arzt ruft, der kann mir nicht helfen. Niemand kann mir helfen und ich selbst am wenigsten. Wie gern wär ich unter der Erde, wie gern hätt ich das Heroin nie angefasst. Kann ich nur leider nicht sagen, weil ich ein verfickter Narr bin. Und 'n schwacher Feigling. Ich sollte am Heroinmangel verrecken, damit Natalie nicht sieht, was ich falsch gemacht hab. Der Putzt bröckelt von der Wand und trifft mich am Schädel, dass mir die Atemwege gefrieren.

Ich hätte 'n guter Vater sein und Jennifer die Familie bieten können, die sie sich immer gewünscht hat, stattdessen hab ich mich bewusst für 'n Leben entschieden, dass es gar nicht wert ist, gelebt zu werden und ich hasse mich selbst dafür. Allerdings hätte ich mir auch 'n Haus mit meiner schönen Katharina bauen können. Sie wollte immer aufs Land ziehen, weil die Großstadt sie schon die ihre ganze nicht verstrichene Jugend angewidert hat.

Verstanden hab ich das natürlich nicht, aber ich bin auch allgemein schwer von Begriff. Meine Decke scheint sich auf gefühlte tausend Grad erhitzt zu haben und brennt mir das Fleisch von den markierten Knochen. Nur die nässenden Einstiche bleiben an mir kleben und mein Magen verdreht sich zischend, sodass mir die Kotze in den Rachen schießt. Ich hab keine Zeit, mich aufzurichten und kann mich ja sowieso nicht richtig bewegen.

»Bleib hier, bitte«

Als ich das sage, erbrech ich mich und kleine Brocken fliegen auf meinen Pullover. Ich fühl mich einfach widerwärtig und will vor Ekel am Liebsten sterben. Der Ekel gilt nur mir selbst und meine Beine werden langsam wieder taub. Ich spür rein gar nichts, aber das ist wahrscheinlich besser für mich, denk ich jedenfalls. Mein Kopf dröhnt wie die verfickte Hölle und mein Hirn klatscht auch gleich auf die Wände.

Øyriøn hätt jetzt garantiert gelacht, weil er unsere Tapete schon immer sehr hässlich fand. Seine sieht aber auch nicht besser aus, da hängt die ganze Zeit irgendeine ekelhafte Flüssigkeit drauf und ich bin mir ehrlich gesagt gar nicht wirklich sicher, ob er das auch weiß. Allerdings stört's mich ja nicht, aber es müffelt halt so 'n bisschen. Wenn wir beide vollkommen drauf sind, merken wir's aber beide nicht mehr und somit is es eigentlich egal.

Wie's wohl wird, wenn ich bald mal irgendwann vielleicht clean bin und er immer noch drückt? Ich kenn mich doch, wahrscheinlich halt ich's gar nicht aus, ihn so zu sehen und hau mir dann wieder 'n neuen Schuss in die Adern. Mein kaputter Körper benimmt sich inzwischen wie eine scheiß verdammte gesprungene Schallplatte und es ödet mich an. Ja, ich weiß, es hört sich beschissen an, aber ich wünsch mir nur, ich wär normal.

Wäre Katharina noch am Leben, hätte das vielleicht funktioniert. Dann gäbe es in meinem Dunstkreis kein verficktes Heroin. Auf der anderen Seite hätte ich in dem Fall garantiert den Kontakt zu Øyriøn verloren, was mich ganz ehrlich minimal bedrückt hätte, denn ich mag ihn. Ungelogen, er ist mein bester Freund und ich könnte mir keinen besseren vorstellen. Auch, wenn er mich irgendwie zerstört.

Ich glaub, ich hab mal vor 'ner Ewigkeit zu ihm gesagt, ich würde ihn heiraten, wenn's mit Jennifer nicht mehr funktioniert. Leider wäre das nicht erlaubt, weil scheiß Neukölln und Deutschland allgemein echt intolerant ist, allerdings hat Øyriøn ziemlich lange Haare und sieht im Grunde genommen schon 'n bisschen weiblich aus, vielleicht würden die armen Ärsche in der Kirche das nicht einmal bemerken.

Schon komisch, dass ich über so etwas nachdenk, während sich mein Hirn langsam aber sicher wie von selbst zerätzt und ich gleich wieder kotzen muss. Das sollte nicht sein, das hier allgemein nicht. Jennifer legt mir eine Hand auf die Stirn und zum Glück singt sie nicht. Das kann sie nämlich überhaupt nicht und mein Schädel pocht auch so schon genug, dass ich jetzt mittlerweile glaube, dass mir gleich das Hirn zu kochen beginnt. Der silberne Ring an meiner rechten Hand scheint mir gleich den Finger zu brechen.

»Ich bin doch hier, beruhig dich einfach, Schatz. Alles wird wieder gut, du musst das hier nur überstehen und das kannst du, ich glaub ganz fest an dich«

Sie küsst mich auf die Wange und ich hab das Gefühl, dass mir gleich die Haut von den Knochen schmilzt. Ich weiß, dass sie's bloß gut meint, aber sie hat nicht die leiseste Ahnung, wie's ist, 'n kalten Entzug durchzumachen. Ist das eigentlich tödlich? Im Fall von Trinkern schon, davon hab ich mal gehört, aber bei Heroin? Kurt Cobain hat sich doch auch vor Ewigkeiten 'nem verdammt kalten Entzug unterzogen und ihn hat's nicht umgebracht. Das war dann die Kugel und man weiß immer noch nicht, von wem sie stammt.

Das bringt mich noch um. Nicht die Sache mit dem Selbstmord oder doch nur durch seine Hure von Frau organisierten Mord von Kurt Cobain, sondern diese verfickten Schmerzen, die mich jetzt schon um meinen kaum noch vorhandenen Verstand krampfen. Jennifer verformt sich vor meinen Augen zu einem Monster und ihr Unterkiefer bricht ihr knackend aus dem Gesicht, während ihre Augen aufplatzen und ich deshalb fast zu heulen anfange.

Ich will das nicht sehen, warum muss ich mir das antun? Warum erinnert mich Jennifer grad so sehr an meine schöne Katharina? Sie lebt doch gar nicht mehr und ich hasse mich selbst dafür, dass ich sie nicht aufgehalten hab. Dann wär ich normal, aber vielleicht hab ich's ja auch verdient, zu leiden.


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