24| Erwachen - Pin Pin
Dieser sterile Geruch von Desinfektionsmittel macht mich krank und ich will für einen kurzen Augenblick einfach sterben. Allerdings liegt Øyriøn in diesem Bett vor mir und ich bin nur seinetwegen hergekommen. Charlie hat mich angerufen und mir erzählt, Øyriøn wäre die Treppe runter gesegelt. Dafür sieht er ganz schön gefickt aus. Er is recht blass im Gesicht und seine eigentlich nich vorhandenen Muskeln zittern.
Seine Mundwinkel zucken unkontrolliert und von Zeit zu Zeit gibt er unverständliche Laute von sich. Ich mein, irgendwie etwas wie »Fick das Dogma« rausgehört zu haben. Ich fühl mich nich mal schlecht, weil ich drüber lachen musste. Is mir doch scheißegal, dass die blonde Schwester es überhaupt nich lustig fand. Die weiß doch gar nich, wie Øyriøn und ich miteinander reden. Er und ich, wir sind halt Freunde.
Wir nehmen voreinander kein Blatt vor den Mund, das is glaub ich mal die höchste Stufe der Freundschaft, die man erreichen kann. Tonic würde ich niemals ins Gesicht sagen, dass ich ihn abstoßend find, weil er mich dann wahrscheinlich verdreschen würde, aber Øyriøn is für mich sehr viel mehr, als nur so 'n zufälliger Typ, mit dem ich mir 'n Schuss aufkochen und feiern gehen kann. Er hasst es, zu tanzen, ebenso wie ich.
Das is nur eine der vielen Gemeinsamkeiten, die wir zwei Arschlöcher haben. Er schlägt mit dem Bein und knurrt leise. Ich frag mich insgeheim, woran er denkt. Seine Wange wurde offenbar genäht, denn er Faden sticht noch aus dem entzündeten Fleisch hervor und erinnert mich schmerzhaft an Mike. Nein, ich darf mich jetzt nich mit ihm beschäftigen.
»Ich glaub, er wacht jetzt auf«
Bemerkt Charlie zu meiner Linken, er hält sich mit Kaffee wach und ich fühl mich neben ihm schon wieder so beschissen. Er hat 'ne schwere Operation hinter sich und drückt so aktiv wie, trotzdem sieht er besser aus, als ich. Normalerweise wäre ich jetzt neidisch, weil das einfach die Natur des Menschen ist. Man darf sich nich für andere freuen. Allerdings gönn ich's ihm und ich wünsch ihm auch nich, dass er eines Tages aufwacht und so 'n Verlierer is, wie ich einer bin.
»Shelby, komm zurück. Bleib hier, ich wollte dir etwas erzählen«
Murmelt Øyriøn mit einem Mal und ich würde zu gern wissen, wer diese Shelby is. Existiert sie wirklich, oder hat er sie sich bloß ausgedacht? Manchmal halluziniert er nämlich, das Heroin vernebelt seine Sinne und ich weiß nich so recht, wie sich Dope und Morphium vertragen. Einfach, weil ich's noch nie probiert hab. Sollt ich vielleicht mal, bevor ich wirklich aufhöre.
Irgendwie witzig, dass ich mir das auch nach Jahren noch einrede, obwohl ich doch verfickt nochmal weiß, dass ich dazu bestimmt bin, irgendwann an 'ner ordentlichen Überdosis zu verrecken. Einmal Drücker, immer Drücker. So, wie wir hier stehen, sind wir allesamt scheiß Abschaum und es is uns eigentlich gar nich gestattet, was anderes zu sein. Klingt hart, aber die Realität is auch keine Zuckerwatte.
Øyriøn öffnet die Augen und starrt mich direkt an. Ich weiß nicht wirklich, ob ich jetzt Angst haben soll, oder eher nich. Im Normalfall is er schließlich überhaupt nicht aggressiv, auf der anderen Seite is bei dem natürlich auch nichts mehr normal. Nein, er grinst schon wieder, ich muss mir keine Sorgen machen. Es sieht nur 'n bisschen komisch aus, wie der Faden in seiner Wunde sich dabei bewegt.
Ich hoffe bloß, dass sich das bald wieder legt, denn mit dem ekelhaften Scheißdreck da in der Fresse wäre er wahrscheinlich so gar nicht glücklich. Er betrachtet seinen rechen Arm, der an 'ne Infusion angehängt is und verzieht das Gesicht. Vielleicht, weil er bemerkt hat, dass er nicht mit Heroin, sondern mit Medikamenten zur Entgiftung versorgt wird. Ich will gerade noch was sagen, da reißt er sich die Nadel aus der vernarbten Armbeuge und steht auf.
Blut läuft über seinen Unterarm, während meines in mir gefriert. Natürlich kenne ich all diese Mythen, aber ich hab's noch nie jemanden tun sehen. Ein paar alte Einstiche sind wieder aufgerissen und haben auch angefangen, zu nässen, allerdings stört Øyriøn sich gar nich dran. Er kommt nur 'n Stück auf uns zu und fährt sich durch die Haare.
»Lass uns nach Hause gehen. Ich hasse das Krankenhaus und ich hab auch keine Lust, zu 'nem verfickten Entzug gezwungen zu werden«
Bestimmt er und legt mir eine Hand auf die Schulter, er trägt keinen weißen Kittel, sondern 'ne völlig normale Jeans und 'n kotzegetränkten, grauen Pullover, der echt ekelhaft säuerlich und fast schon verfault riecht. Eigentlich hab ich bereits damit gerechnet, dass Tonic sich 'n dummen Kommentar wieder nicht verkneifen kann, doch er nickt bloß und öffnet die Tür für Øyriøn.
Insgeheim weiß ich doch, dass wir alle nur zu beeindruckt sind, um überhaupt irgendetwas von uns zu geben. Und er weiß es auch. Ich kann mich noch dran erinnern, dass er mir schon in der Schule immer irgendwie geholfen hat. Wahrscheinlich mochte er mich damals nicht besonders, weil ich 'n furchtbarer Feigling war, als ich jetzt einer bin, aber meiner Angst wegen hat er mir geholfen.
Auf dem Flur begegnen uns 'n paar Ärzte, die Øyriøn nachrufen, 'n dreckiger Junkie zu sein. Als ob man damit noch irgendwen beleidigen könnte, das is mehr als lächerlich. Wir wissen, was wir sind und wir kennen unsere Todesursache persönlich, weil wir seit Jahren mit ihr verhandeln. Worum? Das können wir Drücker nicht beantworten, aber wir wüssten es selbst gern. Unser Ziel ändert sich bloß jedesmal, weil Heroin uns sprunghaft macht.
»Lieber bin ich 'n verfickter Junkie, als einer von euch. Ihr glaubt auch, dass wir drücken, weil wir Blöde sind«
Schreit Øyriøn den Arzt an und rotzt vor ihm auf den nun nicht mehr ganz so sterilen Boden. Ich mag's, wenn er das macht. Auch jetzt, wo das Blut sich mit seinem Speichel vermischt und fast 'ne kranke Art Bannkreis um uns zieht. Denn wir sind die Bösen und wir gehören ausgegrenzt. Scheiß mal auf die Politiker und deren Korruption, denen man noch fröhlich in den Arsch kriecht. Ich will auch kein Teil dieser Gesellschaft sein. Øyriøn hat schon Recht, wenn er solche Sätze sagt, denn das hat er mal genau so zu mir gemeint.
Charlie lacht und zündet sich noch im Foyer des Krankenhauses 'ne selbst gedrehte Fluppe an, die er die ganze Zeit hinter dem Ohr hatte. Eigentlich würde ich ihn jetzt zu gern fragen, ob er auch eine für mich übrig hat, aber ich bin 'n verfickter Schisser und deshalb lass ich's einfach sein. Hinter uns brüllen Schwestern und Patienten, doch wir verlassen den Ort, an dem aus erkälteten Menschen Mutanten gemacht werden.
Øyriøn stützt sich auf mich, aber das stört mich ehrlich gesagt nich. Er kann nicht wirklich laufen und humpelt auffällig, doch er lässt sich nichts anmerken. Das kann er gut. Seine Schmerzen vertuschen. Meist braucht er das Heroin nicht einmal dazu, denn er weiß, dass er seinen Pein nicht zeigen muss, um glaubwürdig zu sein. Allerdings bemerk ich, dass er leidet, denn ich erspäh's in seinen trüben, gelben Augen.
Die Lebensfreude is draus verschwunden und ich hab ihn schon ewig nicht mehr lächeln sehen. Das ist eine der Eigenschaften, die wir Junkies alle irgendwann verlieren, weil das Heroin uns zeigt, wie trostlos die Welt und wie sinnlos das Leben ist. Wir erkennen, dass Schönheit vergänglich ist und fangen deshalb überhaupt nicht erst an, schön zu sein. Die meisten würden das leugnen, Tonic zum Beispiel.
Er glaubt, dass er der Herr der Lage is und diese ganze Scheiße unter Kontrolle hat, doch die Wahrheit ist, dass er auch bloß in sich zerfällt und es eigentlich keinen Grund gibt, weshalb er sich besser fühlen dürfte. Niemand hat es je geschafft, nicht am Heroin zu verrecken und wir werden auch nicht die ersten sein. Es macht keinen Sinn, sich dagegen zu wehren, deshalb hab ich schon vor 'ner Ewigkeit damit aufgehört.
Jedenfalls ist es das, was ich immer erzähl, eigentlich zerbrech ich mir den hohlen Schädel darüber, wie ich den Fängen des Heroins entkommen könnte. Katharina hat mal zu mir gesagt, ich solle mir ein anderes Suchtmittel besorgen. Eines, das mich nicht umbringt. Allerdings hab ich es doch gar nicht verdient, den Krieg mit den Nadeln zu gewinnen.
Ich werf mein Leben weg und einem anderen wird es einfach genommen. Gäbe es 'nen Weg, Mike meine restliche Lebenszeit zu überschreiben, ich würd ihn verfickt nochmal nutzen. Ich bin mir selbst 'n fetten Scheißdreck wert. Denselben Stellenwert hab ich doch insgeheim auch für den Rest der Gesellschaft. Jennifer liebt mich, aber sie hat einen Verlierer geheiratet und ich hasse mich selbst, weil ich schwach bin. Wir alle tun das, aber ich gebe es zu.
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