15| Berauschtes Glück - Pin Pin
Der Kaffee is viel zu stark. Ich glaub, ich bekomm bald den Flattermann davon, aber Jennifer hat ihn für mich gekocht und deshalb trink ich ihn auch. Beziehungsweise würge ich ihn mir die gereizte Kehle hinunter, wobei ich nicht weiß, ob er mir gleich wieder rückwärts hochkommt. Irgendwie muss ich in letzter Zeit ziemlich oft kotzen, das fällt mir gerade so ein und ich muss den Kopf schütteln.
Die vergilbte Tasse wiegt schwer in meinen zitternden Händen, mir ist allgemein kalt, wahrscheinlich, weil ich schon wieder viel zu lang in der echten Welt gefangen bin, ohne mir einen verschissenen Ausweg zu ermöglichen. Hau ich mir zu viel rein, fang ich mit dem Halluzinieren an, lass ich es ganz sein, is es fast noch schlimmer, is doch irgendwo alles scheiße.
Der Balkon is grad irgendwie in eine seltsame Wolke gehüllt und mein Nachbar raucht schon wieder Gras, ich riech es ganz genau. Ich hasse diesen Kerl, er is erst fünfzehn, aber er hat diesen allwissenden Blick. Als ob dieser überhebliche Arsch auch nur die unwichtigste Kleinigkeit über die Drogensucht wissen würde. Völliger Blödsinn, einen Scheißdreck weiß er.
Wäre ich andererseits ein bisschen schlauer, hätte ich es überhaupt nich nötig, meine Frau so verfickt oft anzulügen. Sie sitzt neben mir, hat den Kopf auf meine Schulter gelegt und greift nach meiner Hand. Wenn sie das tut, wird mir immer so warm ums Junkieherz und ich muss vor lauter Liebe fast speihen. Vergib mir, Katharina.
»Das geht so nicht weiter, du brauchst Hilfe, sonst wirst du gewaltig abstürzen«
Säuselt Jennifer und spielt mit meinen Haaren, die ich gern wieder wachsen lassen würde. Zu schade, dass mein Chef das überhaupt nich leiden kann, wie er wohl reagieren würde, wenn ich ihm sage, dass ich ab und zu mal drücke, weil's mich glücklich macht und ich's anders nich aushalte? Wahrscheinlich würde er mich feuern und ich ihm verdammt nochmal zustimmen.
»Ich weiß, aber ich bin ein Idiot und ich werde draufgehen, bevor ich mich überhaupt einliefern lassen kann«
So ehrlich war ich schon lange nich mehr und es macht mich betroffen. Auch Jennifer hebt die asynchronen Augenbrauen, in letzter Zeit sieht sie immer so gestresst aus, auf ihrer Stirn haben sich kleine Falten gebildet, die nur mir auffallen und es ist ganz sicher meine Schuld, denn ich bin der Tumor, der ihr Sorgen bereitet. Die Ziste, die nach Jahren zu streuen beginnt. Der Haufen Hundescheiße am Wegrand, den man erst bemerkt, wenn man ihn bereits an der Schuhsohle kleben hat.
»Sag das nicht, wir kriegen das schon hin, aber du musst damit aufhören, denn Natalie braucht ihren Vater«
Jennifer mag es nich, wenn ich mich selbst hasse und zugleich will sie Ehrlichkeit von mir, das is ein Paradoxon wie's im Buche steht. Ich weiß, dass sie Recht hat, aber könnte ich's einfach sein lassen, wäre es ja zu verfickt einfach. Is es allerdings leider nich und so find ich mich mehrmals täglich in 'ner verkackten Spirale der Sucht, die mich in 'ne schwarze Ohnmacht zieht. Vom Aufhören kann ich zerstochenes Arschloch inzwischen bloß noch träumen.
»Ich hab nur meinen Teil zu ihrer Zeugung beigetragen, das macht mich noch lange nicht zu ihrem Vater. Sie sollte mich vergessen, damit sie nicht nach mir fragt, wenn du mich irgendwann mit 'ner Überdosis findest«
Zur Antwort ohrfeigt mich Jennifer und ich schließe einfach die Augen. Die untergehende Sonne brennt mir sowieso grad die Netzhäute weg und ich mag es irgendwie, wenn sie mich schlägt, dann spüre ich wenigstens, dass ich einmal wirklich ehrlich war. Von mir aus darf sie mir auch den verfickten Kiefer brechen, Zahnschmerzen hab ich ohnehin schon. Vielleicht fällt mir bald wieder 'n Zahn aus wie letzte Woche.
Ich weiß auch nich genau, wie das passieren konnte. Eigentlich stand ich bloß im Bad und wollte mir die Zähne putzen, damit mein Atem nich mehr so sehr nach Kotze stinkt, da kullerte mir 'n verfickt nochmal kariöser Backenzahn aus der Fresse und ich war zu perplex zum Schreien. Viel Süßes hab ich nie gegessen, aber ich denke, das is wieder nur so 'ne Nebenwirkung vom Heroin. Jennifer weiß nichts davon und ich hab auch nich vor, es ihr zu beichten, damit sie keinen Elefanten aus 'ner Mücke machen muss.
»Hör auf, ich will nicht daran denken, was passiert, wenn du stirbst«
In meiner Hand brennt 'ne Zigarette runter, an der ich kein einziges Mal gezogen hab. Sie zieht kleine Schwaden in die rötliche, knisternde Luft und umspielt die Nase des toten Mädchens, das auf dem Geländer sitzt, in den Blumenkästen gräbt und mich anstarrt. Ich weiß, dass sie nich real is, aber weiß sie das auch? Jennifer sieht sie nich, daran erkenn ich, dass das Kind gar nich wirklich existiert.
»Was soll da schon groß passieren? Ich bin dann tot und du kannst frei von Sorgen sein«
Geb ich missmutig von mir, atme tief durch und trink 'nen Schluck von diesem scheiß Kaffee, der mich die ganze verdammte Nacht wachhalten wird. So gern würd ich heulen, denn mir geht's schon wieder mies und die Halluzinationen setzen ein, weil ich zu lange clean bin, aber meine verkackten Augen machen einfach nich mit. Jennifer küsst mich auf die Wange und mir fährt's eiskalt den Rücken runter. Es fühlt sich immer noch falsch an, dabei is Katharina doch schon seit Jahren tot.
»Aber ich liebe dich und ich will dich nicht verlieren. Wenn du's schon nicht für dich selbst tust, dann tu es für mich und für Natalie«
Flüstert Jennifer mir ins Ohr und mich schüttelt's irgendwie zu sehr, um ihr zu antworten. Ihre Stimme is so verdammt schön und sie klingt fast wie Katharina. Als ich kurz den Kopf heb, seh ich, dass das tote Mädchen ihr Gesicht angenommen hat und ich muss schwer schlucken. Sie sieht nich mehr aus wie früher, als sie noch lebte und trotzdem erkenn ich sie viel zu gut, um sie einfach für wen anders zu halten.
Ihr ganzes Gedicht is irgendwie verschoben, an manchen Stellen is die Haut auch einfach von den Knochen geplatzt. Wie ein Fahrradhelm, den man mit dem Auto überfährt. Aus ihrer leeren Augenhöhle rinnt Blut, zähflüssiges, verfickt nochmal rotes Blut und gelbliche, flüssige Hirnmasse. Der Rotz läuft ihr aus der mehrmals gebrochenen und kaum noch vorhandenen Nase, während ihr Unterkiefer nich mehr zu ihrem Körper gehören möchte. Er ragt einfach aus dem Fleisch und hängt trotzdem noch mit ihr zusammen.
Das is sie. Meine geliebte Katharina, die mich offenbar nich genug geliebt hat, um nich zu springen. Sie hat mich angesehen, geflüstert, es würde ihr leid tun, dann is sie gesprungen. Als wäre es das Normalste der Welt und zudem ihr täglicher Zeitvertreib. Auch jetzt sieht sie mich wieder an und ich glaub fast, ich kann die Liebe in ihrer Mimik befürchten.
Wie ein Buch würde ich sie lesen, hat sie immer behauptet, wenn wir zusammen auf der Dachterrasse lagen, auf der ihr Bruder Gras anbaute. Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich aber wahrscheinlich doch eher Analphabet, wenn ich nich erkennen konnte, dass es ihr so verdammt beschissen geht. Ich hätte ihr helfen können und alles wäre in Ordnung gewesen. Jedenfalls oberflächlich.
Vielleicht hätten wir beide irgendwann so 'n verqueres Leben mit Schrebergarten und abbezahltem Wohnhaus in 'nem besseren Viertel von Berlin geführt. Unter Umständen wären wir mit unseren perfekten, freundlichen und vor allem hübschen Kindern in ein kleines Dorf gezogen. Wir hätten ab und zu kleine Grillparty in unserem schicken Garten gefeiert und all unsere hilfsbereiten, netten Nachbarn eingeladen. Wären sie dann alle wieder gegangen, hätten wir die Kinder ins Bett geschickt und es wie die Tiere im Wohnzimmer getrieben.
Wahrscheinlich war ich schon immer irgendwie ein verfickter, trauriger und vor allem ungeliebter Romantiker, der von der Liebe mittlerweile selbst genug hat. Man hat mich nur immer zu sehr voll Hass gepumpt, deshalb konnte ich meine echte Natur nich ausleben. Diese Halluzinationen wirken sich langsam auch auf die Scheiße aus, die mein Hirn so von sich gibt.
Jennifer legt mir 'ne Hand auf den Oberschenkel und meint traurig, ich hätte abgenommen. Das Heroin gibt und es nimmt. In meinem Fall nimmt es gerade nur, vielleicht wird es irgendwann ja wieder besser, ich könnte es nur begrüßen. Inzwischen hab ich wenigstens geduscht und stink nich mehr so sehr nach Selbsthass, wobei der auf ewig an mir haftet.
Mir is trotzdem noch zum Heulen zu Mute, aber es funktioniert einfach nich so, wie ich's haben will. Jedenfalls nich gleich, denn ich drück mit einem Mal die Zigarette auf meiner Handinnenfläche aus und kann endlich wieder weinen, es is so verfickt befreiend.
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