Kapitel 12
Lärm. So wie ich den Vorbereitungsraum verlassen habe, schlägt er mir wie eine Flutwelle entgegen und sorgt dafür, dass ich so eben noch den Impuls unterdrücken kann, mir instinktiv die Ohren zuzuhalten. Stattdessen blinzle ich ein paar mal im hellen Scheinwerferlicht und lasse anschließend meinen Blick über die Menge fliegen, die bei meinem Anblick schier auszurasten scheint. Zumindest oberflächlich. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast meinen, dass sie es wegen mir tun, doch in meinem tiefsten inneren ist mir klar, dass es der Wunsch nach dem Verguss meines Blutes ist, der sie zum Lächeln antreibt. Am liebsten würde ich mich jetzt auf dem Absatz umdrehen, davonlaufen und mich weinend auf mein Bett schmeißen, doch aus irgendeinem Grund atme ich stattdessen noch einmal tief durch, wische mir meine schwitzenden Hände an meinem, zum Glück wasseraufnehmenden Kleid ab und setzte mein strahlendstes Lächeln auf, bevor ich mich winkend in Bewegung setze. Natürlich ist dieses Lächeln unpassend, doch letztenendes ist es nur so falsch, wie alles Andere hier; so falsch, wie die gute Laune der Kapitolsbewohner bei meinem Anblick, so falsch wie Caeser's violette Haare... "Hallo Sky", werde ich just in diesem Moment von diesem begrüßt. "Hallo Caeser", antworte ich ihm wenig kreativ, während ich mich auf dem Platz neben ihm niederlasse und möglichst elegant meine Beine übereinander schlage. Saphira wäre stolz auf mich. "Wie schön, dich heute bei mir zu haben", fährt er fort, obwohl er bei diesen Worten wesentlich mehr wirkt, als ob das Gegenteil der Fall wäre. Fast schon wäre mir ein "Die Freude ist ganz auf meiner Seite" herausgerutscht, doch auf einmal zögere ich. Kann ich diese falschen Worte wirklich so glaubhaft rüberbringen, dass das Kapitol auf mich hereinfällt? Alles nur eine Lüge, ein abgekartes Spiel, schießt es mich durch den Kopf und ich gebe mir einen Ruck und spreche die Worte aus, welche sich so falsch auf meiner Zunge angefühlt haben. "Nun Sky", Caesar mustert mich aufmerksam und verlagert sein Gewicht auf seinen Ellenbogen, "erzähl uns doch mal von der Ernte. Was ging in deinem Kopf vor, als deine Betreuerin deinen Namen vorgelesen hat?". Oh. Mit der ersten Frage hätte ich es tatsächlich wesentlich schlimmer treffen können. Von Caesar's Beispiel angespornt, gebe ich ebenfalls meine tadellose Haltung auf und lehne mich in den bequemen Stoff des Sessels, bevor ich erwiedere: "Nun ja, ich war ziemlich überrascht". "Überrascht?", hakt Caeser nach. Ich nicke bestätigend: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass von all diesen Kindern gerade ich auserwählt werde, in die Arena zu ziehen". Bei diesen Worten huschen meine Augen flüchtig über das lauschende Publikum und mir ist klar, wie verängstigt ich gerade auf sie wirken muss. Hale's Plan geht auf... und plötzlich fällt mir wie Schuppen von den Augen, dass all dies nicht zum Plan gehört, dass all dies nicht geschauspielert ist. Auch wenn ich mir noch so oft einrede, dass es nicht so ist: ich habe Angst davor, was sich in dieser Arena ereignen wird; habe Angst davor, dem Tod gegenüberstehen, ihm in die Augen zu blicken... Ja, ich bin ängstlich. Und ich lasse es zu. "Na, dafür hast du dich aber beim restlichen Teil der Ernte und bei der Eröffnungsfeier recht wacker gehalten", unterbricht Caeser meine Gedankengänge. Seine Worte entlocken mir ein kleines Lächeln, dass erste aufrichtige an diesem Abend. "Dies habe ich aber wohl vorallem meinem tollen Stylistin Mo zu verdanken, der diese tollen Outfits für mich geschneidert hat", erwidere ich und wende meinen Blick in Richtung der Empore, auf der unsere Stylisten das Interview mitverfolgen können. In diesem Moment spiegelt Mo's Blick all den Stolz und die Liebe wieder, die er in diese Wunderwerke gesteckt hat, doch bereits nach einigen Sekunden winkt er ablehnend ab und steuert den Fokus somit wieder auf uns zurück. Während mein Blick inzwischen von der Empore auf die ersten Sterne gewandert ist, die den dunklen Nachthimmel wie tausende Laternen erhellen, hat sich Caeser wieder mir zugewendet und führt das Geschspräch fort: "Nun, auch das atemberaubendste Outfit wird dir nicht viel weiterhelfen, wenn es morgen in die Arena geht. Was wird denn dort deine größte Waffe sein?" Erneut ringe ich mir ein Lächeln ab und schlage bewusst einen ironischen Ton ein, bevor ich ihm antworte: "Oh, da bin ich aber anderer Meinung Caeser. Ich denke, es ist wesentlich eleganter, in einer eng anliegenden Jagdjacke zu sterben, als in einem vier Nummern zu großen Trainingsanzug." Das Publikum kommentiert meinen Witz mit einem allgemeinen Lachen und Johlen, dass noch weiter anschwillt, als Caeser mir daraufhin zuzwinkert und mich fragt, ob ich dem Stylisten der diesjährigen Trainingsanzüge nicht irendetwas mitteilen möchte. "Vielleicht", erwidere ich während mein Blick wieder gen Himmel wandert, "Na ja, zu der Frage, was meine größte Waffe in der Arena sein wird...", ich überlege kurz und bevor ich es verhindern kann, sind drei entgültige, alles vernichtende Worte aus mir herausgerutscht: "Pfeil und Bogen".
Geschockt schlage ich mir die Hand vor den Mund, als mir klar wird, was ich da gerade angerichtet habe. Zerstört, ich habe es zerstört. Meine Rolle - kaputt. Meine heimlichen Übungsstunden - kaputt. Drei vermalledeite Worte, die all diese Mühen auf einen Schlag vernichtet haben. Das ängstliche, verschreckte Mädchen, dass mit Waffen umgehen kann... das wird mir keiner abnehmen. Kein einzelner. Jetzt bin ich entgültig verloren, verloren, verloren... wieder spüre ich das brennen der ach so verhassten Flüssigkeit in meinen Augen, als sich der Schleier meines Schockes lichtet und all die Ereignisse, die vergangenen so wie die noch kommenden über mir zusammen brechen. Tribut. Hungerspiele. Tod. Karrieros. Kapitol. Präsident. Familie. Blut... so viel Blut... Auf einmal durchzuckt ein schmerzhaft klarer Gedanke, den Wirbelsturm, der in meinem Kopf herrscht: Du stirbst, Sky. Bereits von der ersten Sekunde an war mir klar, dass ich in der Arena mein Leben lassen würde, doch dieser eine Satz, drei mickrige Worte, geben allem eine neue Bedeutung. Ich bin schon tot. In dem Moment, in dem die Friedenswächter uns die Nachricht vom Tod meines Vaters überbracht haben, bin ich gestorben. Und als Layla schließlich auch noch diese Welt verließ, nahm sie einen Teil von mir mit und hinterließ an der Stelle wo er fehlt, lediglich ein klaffendes Loch. Von diesem Tag an, bin ich tausend mal gestorben und ich tue es immer noch. Und an all dem ist das Kapitol schuld: sie haben mich gebrochen. Doch ich werde ihnen nicht die Genugtuung geben, ihnen den Beweis zum Gelingen ihrer Handlung zu zeigen, ich nicht. Und mit diesen Worten im Hinterkopf blinzle ich erneut die Tränen weg, als endlich der erlösende Gong ertönt, der das Ende meines Interviews preis gibt. Auf einmal spüre ich eine warme Hand in meiner, die sie anhebt und mich zwingt, meinen Blick dem Publikum zuzuwenden, dann eine Stimme die meinen Namen schreit. Tosender Applaus. Und dann ist es vorbei.
Wie durch einen Schleier nehme ich mein Team war, dass hinter der Tür bereits auf mich wartet. Ehe ich mich versehe, liege ich plötzlich in Saphira's Armen und weine mich, geschützt vor den Blicken des Kapitols, an ihrer Schulter aus. Ich weine um meine Familie. Ich weine um mich. Ich weine, weil ich weinen kann. "Das hast du sehr gut gemacht", meint sie und tätschelt mir unbeholfen den Kopf. Ich löse mich aus ihren Armen, beschämt für diesen kurzen Verlust meiner Selbstkontrolle, bevor ich langsam den Kopf schüttele und schniefe. Meine Stimme klingt jedoch überraschend fest und gefasst, als ich ihr schließlich antworte: "Ich habe alles zerstört". Hale hat bereits den Mund halb geöffnet um mir irgendetwas zu erwidern, doch genau in dieser Sekunde ertönt wieder wogender Lärm aus den Lautsprechern unseres Fernsehers, der uns signalisiert, dass Will die Bühne betreten hat. Froh über diesen kleinen Moment der Ablenkung, die er mir dadurch verschafft, kann ich mir nicht verkneifen ihn genau zu mustern. Er ist dürr, wie fast alle in unserem Distrikt, doch trotzdem steht er dort mit einer beruhigenden Selbstsicherheit, wie ein Fels in der Brandung eines Meeres aus Stimmen. Fast schon lässig läuft er nun zielstrebig auf Caeser zu und die Kameras zeigen seine dunkelbraunen Augen, in denen sich das Licht der Scheinwerfer spiegelt in Großaufnahme. Genau der richtige Typ für meine Schwester, schießt es mir in diesem Moment durch den Kopf, doch bereits zwei Sekunden danach hätte ich mich für diesen Satz am liebsten geknebelt, da bei dem Gedanken an meine Schwester, an all das, was in den letzten paar Minuten passiert ist, sofort wieder salziges Wasser meine Augen zu füllen beginnt. Still und leise rollt die erste Träne über meine Wange, während Will sich neben Caeser fallen lässt und sich -genau wie ich eben- bequem anlehnt und auf Caeser's erste Frage lauscht. Und noch während ich mir mit dem Handrücken über die Augen wische und überrascht zusehe, wie unbefangen der Junge, den halb Panem einst für stumm gehalten hatt, in der Öffentlichkeit sprechen kann, geht Caeser auch schon zum unangenehmen Teil des Interviews über: "Na, so ein toller Kerl wie du hat doch in seiner Heimat bestimmt eine nette Dame, für die es sich zu kämpfen lohnt". "Da ist schon dieses eine Mädchen, das für mich dieses besondere etwas ausstrahlt", beginnt er zögerlich, "Doch auch gewinnen hilft hier nicht, denn sie ist...", an dieser Stelle bricht seine Stimme genau so wie die meine vorhin und auf einmal wirkt der stille, starke Junge den ich kennengelernt habe in irgendeiner surrealen und abstrakten Art und Weise zerbrechlich auf mich. Und auf einmal ist mir auch klar wieso. "Tot", hauche ich genau in dem Moment, in dem er seinen Satz mit exakt dem selben Wort beendet wie ich. Und auf einmal fühle ich mich auf seltsame Weise verbunden mit diesem Jungen, der anscheinend genau wie ich bereits in jungen Jahren einen großen Verlust erleben musste. Einem plötzlichen Impuls folgend, lege ich für einen Wimpernschlag dieses geteilten Leides meine Hand auf den Fernsehr und beobachte die aufkommende Unruhe im Publikum, bevor ich mich auf dem Absatz umdrehe und verwirrt davonstürme.
Mit einem lauten Scheppern zerbricht das Glas in meinen Händen und verteilt sich in kleinen, im Mondlicht schimmernden Teilen über den Boden. Ich stoße einen kleinen Fluch aus, als mir klar wird, dass das bis eben noch darin enthaltene Wasser wohl bleibende Flecken auf dem teuer wirkenden Pakett hinterlassen wird, bevor ich leise seufze und meinen versteiften Körper dazu zwinge, meine zusammengeballten Fäuste zu öffnen. Ungläubig mustere ich die kleine Scherbe, die meine rechte Hand bis eben noch umschlossen hielt, als hinge mein Leben daran und beobachte emotionslos, wie sich kleine, rote Tröpfchen auf ihr zu bilden beginnen. Notdürftig wische ich sie an meinem Nachthemd ab, bevor ich vorsichtig meine nackten Füße in Bewegung setze, darauf bedacht, nicht in eine der vielen Scherben hineinzutreten. Auf einmal finde ich mich im Aufzug wieder und fast schon reflexartig betätige ich den Knopf der mich zum Dachgarten führt. Sofort spüre ich wie etwas der Spannung von mir abfällt, als die kühle Nachtluft mich zu umhüllen beginnt, doch plötzlich vernehme ich ein Geräusch, nicht mehr als ein leises Wispern, vom Winde verweht. Und schlagartig wird mir klar: ich bin nicht allein.
_______________________________________
Hallo ihr Lesesüchtigen!
Ihr wisst ja inzwischen schon, was diese drei Worte bedeuten: eine unnötige, lange Author's note meinerseits, die wahrscheinlich sowieso die hälfte überspringen wird. Ich fasse mich kurz: In jedem Fall bin ich euch unendlich dankbar für die 4,5 K reads, die dieses Buch inzwischen bereits hat und die beinahe 500 Votes! Wisst ihr eigentlich wie viel das ist? Ich kann es irgendwie selbst immer noch nicht glauben. Von daher: Danke, danke und nochmals danke! Ihr seid echt unglaublich. Nun ja,
LG
Euer Panemgirl_2003
Ps: Jetzt bin ich endlich davor gefeit von gewissen Personen umgebracht oder geholt zu werden, hehehe. Und ja thundernight77 und Rauchquarz, ihr sollt euch angesprochen fühlen😉❤
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top