Kapitel 3

Mein Blick wanderte noch einmal auf den Stammbaum. Dort stand der fett gedruckte Name meines Vaters, Robert Evans. Und ich war sein Fleisch und Blut. Ich war, Luna. 

Grandma flüsterte: „Kinder, es wird Zeit." Das war unser Signal. Wir kramten unsere Briefe aus den Hosentaschen hervor. Meine und Lukes Finger berührten sich als wir die schwarzen Umschläge in die Schale legten, welche Großmutter in ihrer grauen Handtasche transportiert hatte. 

Ich zog ein Feuerzeug aus der Tasche meiner Jacke. Daraufhin entfachte es ein Feuer in der Schüssel und ließ die Briefe zu Asche werden. Das war unser Ritual. Die Asche verstreuten wir nach diesem Vorgang über Vaters Grab, sie sollte mit seinen Gebeinen auf der Erde bleiben, während der Rauch wie seine Seele in den Himmel steigen sollte. 

Das hatte uns jedenfalls die Psychologin erklärt die mir kurz nach Vaters Tod aufgebrummt wurde. Ich konnte es nicht erklären, doch das Verbrennen der Schriftstücke half mir meinen Schmerz, zumindest für eine Weile, etwas zu mindern. 

An seinem Todestag war dies besonders wichtig, da sich unsere Trauer an diesem Tag ins Unermessliche zu steigern schien. Die Flamme erinnerte mich an meinen Dad. Sie war ein Zeichen der Hoffnung und Wärme im tristen Grau unserer Umgebung. Die Flamme der ewigen Hoffnung brannte das ganze Jahr hindurch in meinem Inneren, wenn sie einmal drohte auszugehen kam ich hierher zu meinem Vater um mich daran zu erinnern, was ich ihm einst als Kind versprochen hatte.


Ich war gerade neun Jahre alt geworden und mein Bruder vier, denn wir hatten, man mag es kaum glauben, am selben Tag Geburtstag. Wir hatten mit unseren Verwandten im Garten gefeiert und gegrillt. Es war eine typische Familienfeier Umarmung hier, Küsschen da und Gespräche, die eigentlich keine der beiden Seiten wirklich führen wollte. 

Alle vermieden es über Mutter zu sprechen, doch ich hörte meine Tante über sie tuscheln und musste meine gesamte Selbstbeherrschung aufwenden um nicht in Tränen auszubrechen. Welche Mum tut ihren Kindern so etwas an? Lässt sie mit ihrem Vater allein, der zwei Jobs hat um die Familie ernähren zu können, welcher wieder bei seiner Mutter einziehen musste, da die Miete unleistbar wurde und der trotzdem versuchte alles mit einem Lächeln zu überspielen...... Sie verließ uns kurz nach Lukes Geburt. Bis auf ein paar verschwommene Bilder hatte ich keinerlei Erinnerungen an sie. Kontakt mit Dads oder ihrer Familie lehnte sie, laut Erzählungen meiner Verwandten strikt ab. Und so kam es, dass ich Großmutter erst im Alter von 5 Jahren kennenlernte. 

Mein Vater bemerkte meine schlechte Laune und kam auf mich zu. Schnell versuchte ich ein Lächeln aufzusetzen, meinen Atem zu verlangsamen und mein Herz davon abzuhalten in meiner Brust zu zerspringen. 

Dad ging vor mir in die Hocke und nahm dabei meine kleinen Hände in seine. Unsere Augen trafen sich als er zu flüstern begann. „Ich sehe schon an deinem Blick, dass es wegen ihr ist. Keine Sorge, die anderen werden bald gehen, dann können wir in Ruhe reden", meinte er mit beruhigender Stimme. 

 In der folgenden halben Stunde verschwand meine Verwandtschaft und Dad brachte Luke ins Bett, der mit dem Kopf auf dem Esstisch eingenickt war. Die Unordnung war schnell beseitigt, doch als ich mit Vater sprechen wollte fing es an zu regnen. Ich sah ihn an um ihm zu verstehen zu geben, dass ich unsere Konversation gerne ins Trockene verlegen würde. Doch als ich mich gerade umdrehte fasste Dad mich an der Schulter um mich am Weitergehen zu hindern. „Du kannst nicht immer weglaufen Luna. Es gibt Dinge, die einen verfolgen aber ihnen den Rücken zuzukehren ist keine Lösung.", sprach er mit fester Stimme. Vater machte eine Pause und seufzte.

Die Regentropfen fielen auf uns hinab und kühlten den von der Sonne erwärmten Boden. Die Tische und Stühle waren wieder verstaut und so standen wir inmitten einer großen Freifläche. Rechts von uns erstreckte sich ein Gartenteich mit einigen Fischen, daneben eine Trauerweide. Ein Obst- und ein Gemüsegarten fanden hier ebenso ihren Platz wie einige Birken, Ahornbäume und natürlich Großmutters Blumenbeet. Eine weiße hölzerne Zweimannschaukel hing zwischen zwei großen Ahornbäumen. Mein Blick wanderte im Garten umher und zum ersten Mal sah ich darin etwas wie meine persönliche Oase. Der Schleier aus leichtem Regen verlieh der Umgebung etwas Magisches. Meine nackten Füße genossen das Gefühl des feuchten Grases. Die Luft war während der Feier schwer gewesen doch dieser Sommerregen war eine Wohltat für meine Lunge, weshalb ich den mir zur Verfügung stehenden Sauerstoff förmlich inhalierte.

Plötzlich spürte ich wie Dad mich leicht in die Schulter kniff, ich musste wohl kurz weggetreten sein. „Luna....", sagte er leise. Ich drehte mich nun wieder vollständig zu ihm um und sah ihm in seine Augen, welche die Farbe von Smaragden hatten. Seine kurzen braunen Haare mit diesem besonderen Rotstich klebten ihm mittlerweile an der Stirn und den Schläfen. Seine Arme öffneten sich um mich willkommen zu heißen. Ich nahm die Einladung an und legte meinen Kopf auf seine Schulter, da er sich in eine hockende Position begeben hatte um mir die Möglichkeit zu geben ihm ins Gesicht zu sehen, ohne am nächsten Morgen mit Nackenschmerzen vom ständigen zu ihm aufschauen aufzuwachen . Seine Arme schlossen sich um mich und Vater begann mir Worte ins Ohr zu flüstern, die ich meinen Lebtag wohl nicht vergessen werde. 

Mit einer Stimme die keinen Zweifel an seiner Aussage zuließ sprach er: „Ich sehe, was es dir antut. Aber dass uns deine Mutter verlassen hat, hat nichts mit dir zu tun. Ich weiß nicht warum sie gegangen ist.....vielleicht weiß sie es selbst ja nicht einmal......Aber es gibt eine Tatsache, die niemand jemals ändern kann und zwar die Tatsache, dass du das Herz eines Löwen hast und nichts kann einem Löwen etwas anhaben! Komm schon Luna, brüll wie ein Löwe! Rawrr!!" Er brüllte vor sich hin und nachdem ich meine anfängliche Scheu überwunden hatte, brüllte auch ich. „Rawrr!", kam es aus meinem Mund. 

Wir lächelten uns an und meine Sorgen waren wie weggeblasen. „Prinzessin?", fragte Dad. Meine Aufmerksamkeit lag nun wieder ganz bei ihm. „Versprich mir bitte, dass du egal was auch passiert nie vergisst was ich dir heute gesagt habe.", bat er mich mit einer Stimme in der nichts als Liebe lag. „Ja, ist ganz fest versprochen. Indianerehrenwort!", sprach ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir blickten in den Himmel und sahen einen wunderschönen Regenbogen. Es schien fast so als wollte selbst der Himmel sagen, dass Vaters Worte der Wahrheit entsprachen.

Dies war die Erinnerung, die mir bei jedem Regenguss in den Sinn kam.

„Rawrr!", kam es mir leise über die Lippen. Mein Bruder und Grandma schauten mich an und fragten wie aus einem Munde: „Hast du etwas gesagt?" Ich schüttelte nur den Kopf. 

Großmutter sah auf ihre Armbanduhr und meinte: „ So Kinder, wir sollten zurück ansonsten erkältet ihr euch noch." Sie und Luke blickten nochmals zum Grab, machten sich dann aber auf den Weg zurück zum Auto. Ich entfernte mich, doch drehte mich nochmals um, da ich meinem Vater noch etwas sagen wollte. 

„Ich habe es nicht vergessen, Daddy. Ich werde es nie vergessen.......niemals", flüsterte ich während mir eine einzelne Träne über die Wange rann. „Luna!", rief Luke und riss mich damit aus meiner Trance. Ich wandte mich zu ihm um. Er fragte: „ Kommst du?" Während ich leicht nickte begann ich einen Fuß vor den anderen zu setzen und den beiden zu folgen. Mein kleiner Bruder hielt mir das Tor auf und so verließen wir den Friedhof.

Dieser Besuch hatte mir wieder Kraft gegeben nun spürte ich die Verbindung zwischen Dad und mir wieder deutlicher. Zuvor war sie wie ein dünnes fast dursichtiges Band, doch nun fühlte es sich wie ein stabiles Seil an, welches nie zerreißen würde. 

Und mit diesem Gefühl in meinem Herzen kam mir der Tag etwas erträglicher vor. Dads dritter Todestag.

Hey Leute!

Wenn euch das Kapitel gefallen hat würde ich mich sehr über einen Vote und/oder einen Kommentar freuen :) 

LG und danke fürs Lesen ;D


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