Der gezinkte Handel

Die Zentauren kehrten so schnell zurück, wie sie gekommen waren und hinterließen das Schiff ohne weitere Worte.
„Habt Dank!", rief Tristan ihnen hinterher.
„Willst du sie nicht lieber bitten, diesen Haufen Altholz wieder mitzunehmen?", stichelte Soren.
Tristan tätschelte den Rumpf des Schiffs und fuhr mit den Fingern daran entlang, bis er den Hebel für das Fallreep gefunden hatte. Knatternd schlitterte die hölzerne Treppe aus dem Schiffsbauch, bis sie mit einem Ächzen den Boden erreichte. „Das ist die Nebelkönigin", sagte Tristan euphorisch und setzte einen Schritt auf die Treppe, die sich unter seinem Gewicht überraschend stark durchbog. „Vielleicht sollten wir sie nacheinander betreten."
„Das ist die Mooskönigin! Wenn man den Waldboden abschabt, der sich auf den Bordwänden gebildet hat, findet man darunter wahrscheinlich nur noch fingernageldickes Holz vor."
„Du bist doch Schiffsmechaniker." Tristan erklomm eilig das Schiff und sprang an Bord, wo er einen Freudenschrei ausstieß und die Hände hochreckte.
Soren folgte ihm vorsichtig wie eine Maus, die eine käsegefüllte Falle inspizierte. „Du sagst es: Mechaniker, kein Federholzschreiner."
„Die Holzkonstruktion ist in Ordnung, die hält ein Leben lang." Tristan winkte ab und ging zum Heck des Schiffs. Unter seinen Schritten knarzte und ächzte das Schiff eine Melodie, die dessen langes Leiden fernab menschlicher Besiedlung, dem Unbill von Wind und Wetter ausgesetzt, beschrieben. Auf dem Achterdeck thronte das Ruder, ein edles Stück Holz, dessen filigran eingeritzte Muster der Zeit standgehalten hatten. Aus dem Inneren des darunter befindlichen Raums ragten Taue, die bis zu den Rahen des Masts reichten. Tristan öffnete die Tür, deren Griff in seiner Hand zurückblieb. Ein üppiger Modergeruch gemischt mit dem von ranzigem Öl drang aus dem Raum, in dem Taue an schweren Ketten befestigt über ein kompliziertes System von Winden liefen.
„Die Steuervorrichtung gehört frisch geschmiert", kommentierte Soren den Anblick mit zugehaltener Nase.
Über eine Leiter gelangten sie in eine überschaubare Kabine, die einmal herrschaftlich eingerichtet gewesen war. Doch alles an wertvollen Leuchtern, Gemälden und Zierrat war von den Wänden gerissen geworden und hatte dort nur Splitter und rostige Nägel hinterlassen. Das Bett, eines Königs würdig, versprach längst nicht mehr den herrschaftlichen Schlaf alter Zeiten, war nur noch ein Trümmerhaufen aus geborstenem Holz und durchweichter Laken. In der Ecke stand ein Sofa. Ein Fuß war eingebrochen und vom Boden aus hatte sich das Wasser seinen Weg in seine Polster gesucht, derweil ein schwarzer Teppich von Schimmel sich seinen Weg über den einst edlen Stoff gesucht hatte.
Jeder Schritt entlockte den feuchten Planken unter ihren Füßen traurige Seufzer. Tristan strich den Staub von einem prächtig gestalteten dunkelbraunen Schreibtisch mit geschwungen goldenen Beinen, dessen Laden brutal herausgerissen wurden. Die Platte war von Kratzern und Furchen einer eiligen Untersuchung übersät. Vergilbte Bücher kündeten von den Interessen des einstigen Besitzers. „Das hier wird unser Lagerraum."
„Das ist eine Kajüte. Wofür kaufst du einen Wolkenschnitter, der nicht einmal zum Lastentransport gedacht ist?"
„Weil ein Lastenkahn fünfmal so groß ist, eine Mannschaft benötigt und der hier nun mal zufällig in der Gegend herumlag."
„Würdest du mich aufklären, woher du dieses Wrack hast?"
„Die Nebelkönigin", betonte Tristan feierlich, „war ein kleines, aber feines Schiff eines wohlhabenden Kaufmanns. Sie ist vor vielen Zyklen im Sternsplitterhain abgestürzt. Leider hat der gute Mann den Absturz nicht überlebt. Seitdem wird darüber verhandelt, an wen sie fällt, nachdem es keinen Erben gibt."
„Und du warst mit ihm verwandt?"
Tristan öffnete eine Tür neben dem Schreibtisch, die ein kleines Badezimmer offenbarte. Eine Metallwanne nahm den größten Teil des Raums ein, darunter eine große Granitschale. Er warf die Tür wieder hinter sich zu. „Nicht doch. Irgendwann beschloss der Bürgermeister von Mantelfall, sie einfach zu verkaufen, nachdem niemand einen Besitzanspruch stellte und sie langsam aber sicher Teil der Landschaft wurde."
„Und du warst der Dummkopf, der etwas gekauft hat, was man besser an Ort und Stelle verbrannt hätte?"
Die nächste Tür war jene, nach der er gesucht hatte. Sie führte direkt in den Maschinenraum. Im Gegensatz zum Rest des Schiffs war sie in bestem Zustand und quietschte nicht einmal, als er sie öffnete.
Eine Woge aus Feuchtigkeit drang ihnen entgegen. Tristan tat den ersten Schritt die Treppe hinunter, worauf ein Brett brach und er den Rest des Weges hinunterpurzelte. „Ich war der findige Käufer, der den Wert dieses Schatzes erkannte", erwiderte er stöhnend und richtete sich schwerfällig auf.
Soren tippte an ein Stück Sonnenerz, das hinter einer geborstenen Glasfront an der Wand befestigt war. Schummriges Licht erfüllte den Raum und betonte die Umrisse unzähliger Zahnräder, Gewinde, Seilzüge, Werkzeugen und Kisten, von denen der Raum überquoll. Er stützte sich schwer auf das Geländer, tat jeden Schritt auf die morsche Treppe nur bedachtsam und erreichte heil den Boden, wo er Tristan die Hand reichte, um ihm aufzuhelfen. Prüfend fuhr er über den Sternenstaubwandler in der Mitte des Raums. Ein kunstvolles Konstrukt aus Metall, auf dem eine Glaskuppel thronte. Im ruhte eine sandige Masse, die an glitschigen Haferbrei erinnerte.
„Der Sternenstaub ist nass geworden. Die Apparatur muss undicht sein", stellte er fest.
„Kannst du es beheben?"
„Damit dieses modrige Stück vernageltes Holz über den Köpfen der Menschen zerbricht?"
Tristan legte ihm die Hand auf die Schulter und deutete mit der anderen voraus. In seine Augen trat ein Glanz, als sähe er in einen fernen, klaren Sternenhimmel. „Dieses Stück Hoffnung auf ein besseres Leben, mein Freund."
Soren griff sich auf die Nasenwurzel. „Jetzt habe ich schon drei Zyklen meines Lebens verschwendet, was macht ein weiterer Mondumlauf da schon aus?"
Tristan patschte ihm auf den Rücken. „Genau das wollte ich hören. Wäre schön, wenn du's in einer Woche hinbekommst. Immerhin stehen wir auf Mondsats Grund und Boden und ich fürchte, er wird uns irgendwann auf die Füße treten, wenn wir das Ding nicht von hier wegschaffen."
Soren rieb sich über die Augen. „Sag mir nur eins: Was für ein verworrener Plan steckt dahinter, unser gesamtes Angespartes hierfür zu investieren?"
„Das, mein Freund, erzähle ich dir bei einem guten Krug Met."
„Du willst mich wieder betrunken machen, damit ich dir zustimme."
„Nein, dieses Mal werden wir einen Kloppgnom so betrunken machen, dass er uns unsere Ware schmiedet."
Tristan eilte voller Enthusiasmus voraus. „Wie lange feilst du schon an diesem wahnsinnigen Plan?"
„Drei Zyklen, mein Bester!" Tristan hielt an der Reling inne und schaute sehnsüchtig Richtung Osten, wo sich der rauschende Klang der Wellen, die gegen die Klippen schlugen mit dem Gesang der Nixen vereinte.
„Warum hast du mich nicht eingeweiht?"
„Das hier wird unser größtes Abenteuer. Es wäre nur halb so spannend, wenn du bereits alle Eckpunkte können würdest." Er schwang sich über die Reling und landete halbwegs elegant auf dem zwei Klafter tiefer liegenden Boden.
„Ich befürchte eher, du hast das Ganze noch nicht fertig gedacht", rief Soren nach unten.
„Das mache ich auf dem Weg nach Schimmerwall", sagte Tristan glucksend und machte sich auf den Weg.
Soren folgte ihm missmutig. Er teilte die Vorfreude seines Kumpans keinesfalls, wenngleich der Anblick eines Wolkenschnitters eine Woge freudiger Nostalgie in ihm aufkommen ließ.
Tristan lief mit weitausholenden Schritten voraus, als könne er es gar nicht abwarten, die Stadt zu erreichen. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet und das für Dämmertal typisch orangerote Dämmerlicht ließ die herrschaftlichen Wälle glutrot erstrahlen.
Die Straße zum Torhaus war gefüllt mit Menschen. Holzfäller, die schwer beladene Karren hinter sich herzogen, Bauern, die säckeweise Getreide in die Stadt führten und Händler aus aller Herren Welt. Es schien, als würde sich eine unendlich lange Schlange in die Stadt hineinzwängen.
Tristan und Soren mischten sich unter die Menge und wurden flüchtig von den Wächtern inspiziert, ehe man sie hereinwinkte. Erschienen die Wege am gestrigen Tage noch eng, so war es jetzt, als passe nur ein Stück Papier durch sie hindurch. Die Strahlen der Sonne wurden reflektiert von edlem Geschmeide, schimmerndem Metall scharfer Klingen und Schilde und dem Funkeln unzählbarer Münzen, die hier ihren Besitzer wechselten. Die ganze Stadt versprühte eine hoffnungsvoller Aura unzählbarer Möglichkeiten, Reichtum anzuhäufen.
Das stete Klimpern von Geld weckte die Vorfreude in Tristan auf einen Beutel, der schwer vor Münzen wog.
„Erinnerst du dich noch daran, als wir das erste Mal hierherkamen, den vagen Traum davon, Handel zu treiben in unseren Herzen?"
„Ja, schon damals hat es mich genervt, ständig irgendjemandes Ellbogen im Gesicht zu haben", antwortete Soren und schob eine Frau zur Seite, die sich mit ausgefahrenen Ellbogen zu einem Stand vorkämpfte.
„Wir waren solche Narren. Ohne jegliches Startkapital." Tristan schüttelte schmunzelnd den Kopf.
„Fühlt sich so an wie jetzt. Unser Angespartes steckt in einem Fass ohne Boden."
Sie quetschten sich durch die Menge und waren dankbar, als sie in die Nebengasse einbogen, in der der Putzige Kobold lag. Hier ließ das Treiben merklich nach. Einzig ein paar ärmliche Stände waren hier von den Türen errichtet, deren Warenauslage eher an einen Flohmarkt erinnerte, denn an die handwerkliche Kunst, die auf den Hauptstraßen ausgestellt wurde.
Vor der Tür hielt Soren Tristan an der Schulter zurück. „Bevor wir da reinstürmen, was ist der Plan?"
„Wir treffen einen Kloppgnom namens Klang Schattenzang."
„Das löst zumindest das Platzproblem auf unserem Schiff. Denn wir können uns nicht einmal ein Artefakt von ihnen leisten."
„Weißt du, was ich in den letzten Zyklen gelernt habe?"
„Dass du niemals dein Geld mit einem anderen Kerl zusammenlegst, denn er könnte es verpulvern?"
Tristan grinste. „Investieren, mein Freund." Er machte einen Schwenk zur Tür und schob sie auf. „Nein, es braucht keine müde Kupfermark, um ein Geschäft aufzubauen. Einzig ein Pfand für einen Kredit."
„Du willst den Wolkenschnitter verpfänden? Der ist doch nichts wert."
„Das muss ja keiner wissen." Tristan trat mit freudiger Miene ein, hob dem Wirt zwei Finger entgegen, der ihnen den Met sogleich einschenkte.
„Und woher willst du wissen, dass dieser Schattenzang heute hier ist?"
„Er kommt jeden Dunkstag hierher, besäuft sich und diskutiert dann über die Zeche", erwiderte Tristan glucksend und deutete zu einem Tisch in der hintersten Ecke der Taverne.
Der Kloppgnom saß vor einem hölzernen Bierkrug, der fast ein Drittel seiner eigenen Körpergröße maß. Es war wohl nicht sein erstes Getränk diesen Abend, denn um seinen wallenden Bart, der über dem Tisch wie ein Läufer ausgebreitet lag, hatte sich eine gelbe, schaumige Lache gebildet, die sich mit der Patina aus altem Fett, Fleischresten und Speichel auf dem Tisch vereinigte.
Der Tisch stand leicht schief, als böge er sich vor Lachen an die Erinnerungen vergangener Trinkgesellschaften, denen er bereits beigewohnt hatte. Kerben und abstrakte Zeichnungen zeichneten eine Karte der Erinnerung auf seiner Platte. Eine rostige Laterne spendete gedämpften Lichtschein und verströmte eine schaurige Form der Gemütlichkeit.
„Klang, alter Freund!", begrüßte Tristan den Gnomen, der eine Weile brauchte, bis er sein Gegenüber erkannte.
„Bei den haarigen Beinen meiner Großmutter, dich hätte ich hier nicht erwartet", erwiderte der Angesprochene. Seine Stimme klang so rau, als entstamme sie zwei Felsen, die sich aneinander rieben.
„Ich sagte dir doch, ich interessiere mich für deine Ware." Tristan zog sich einen Stuhl heran, der einmal ein Sitzkissen besessen hatte und jetzt aus nicht viel mehr als einem Rahmen mit einem quadratischen Loch bestand. Soren nahm vorlieb mit einem kleinen Schemel und setzte sich eine Armlänge entfernt der Ausdünstungen des Gnomen. Ihr Gesprächspartner roch nämlich, als bestünde sein Tagwerk daraus, Schilde zu schmieden, die ihn vor Sauberkeit schützten.
„Das ist über einen Zyklus her!"
„Und besitzt du den Schattenschnitt noch?"
Der Gnom murmelte etwas in seinen Bart und trank so gierig von seinem Bierkrug, dass die Hälfte an den Rändern über sein Kinn lief.
„Ich habe dich nicht verstanden." Tristan legte eine Hand an sein Ohr, ein herausforderndes Grinsen auf den Lippen.
Klang schlug den Krug auf den Tisch wie einen Schmiedehammer auf den Amboss. „Ja, der ist noch zu haben."
Tristan schunkelte auf seinem Stuhl, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Wie ich es dir prophezeit habe."
„Würde mich jemand aufklären, worum es hier geht?"
„Mein guter Freund Klang hat eine ganz besondere Waffe gefertigt. Nur dummerweise schneidet sie nicht, jedenfalls kein Fleisch."
„Was dann? Gemüse?"
„Schatten", brummte der Gnom.
Soren sah zwischen den beiden ungläubig hin und her. „Schatten?"
„Schatten", bestätigte Tristan. „Du könntest damit deinen Schatten in kleine Häppchen schneiden, wenn du es wolltest."
„Warum sollte ich das tun wollen?"
„Das fragt sich wohl ein jeder, dem Klang dieses Artefakt andrehen will."
Soren lehnte sich zurück, sein Gesicht ein Ausdruck mühsamer Beherrschung. „Verstehe ich das richtig: Du kaufst erst einen Wolkenschnitter, der nicht fliegt, und jetzt willst du ein Schwert kaufen, das nicht schneidet? Ist das ein schlechter Scherz, Tristan? Dafür habe ich mich nicht die letzten drei Zyklen abgerackert!"
Tristan hob die Schultern. „Mein Geschäftspartner ist nicht von deiner Waffe angetan. Wir müssen noch einmal über den Preis reden, fürchte ich."
„Ich habe dir bereits gesagt, ich verkaufe kein magisches Artefakt unter fünf Sonngulden. Ich bin ein Kloppgnom, wir sind die begnadetsten Schmiede ganz Amirathyas und ich lasse mich nicht zum Narren machen!"
Tristan winkte dem Wirten. „Alarion, ich glaube, mein Freund hier braucht noch einen Bierkrug." Der Angesprochene brachte das Gewünschte eilends und nachdem Klang seinen letzten ausgetrunken hatte, räumte er ihn sogleich ab.
„Ich erinnere mich, dass du mir beim letzten Mal von Geldschwierigkeiten erzählt hast. Will ich wissen, wie viel du bei Alarion schon hast anschreiben lassen?"
Der Gnom grunzte unwillig.
„Ich verstehe natürlich, dass ihr Kloppgnome es nicht gewohnt seid, eure Waren so günstig abzugeben, aber sagt man nicht, besser die Kupfermark in der Hand als die Gulde auf dem Papier?"
Klang nahm einen tiefen Schluck und fuhr sich dann durch den versifften Bart. Ein unwilliger Seufzer entstieg seiner Kehle. „Mach mir ein Angebot."
„Fünfzehn Silberdämmrer."
Mit einem Mal fuhr die Faust des Gnomen wie ein Donnerschlag auf die Tischplatte. Tristan griff nach ihren Getränken, damit diese von der Erschütterung nicht umfielen. „Willst du mir den Bart stutzen? Damit habe ich nicht einmal das Material bezahlt." Er machte Anstalten, aufzustehen, doch Tristan schob ihm den Krug näher hin.
„Sachte, sachte, ich wollte nur sehen, wie betrunken du bereits bist."
Er musterte ihn mit finsterem Blick und gönnte sich noch einen Schluck. „Nicht so betrunken, um mir von dir das letzte Hemd nehmen zu lassen."
Tristan hob beschwichtigend die Hände. „In Ordnung. Ich möchte dir gerne entgegenkommen, aber mein Partner – du hast ja gesehen, er ist nicht gerade begeistert."
„Weil er ein Banause ist!"
„Was sagst du Soren? Wie viel ist uns diese Waffe wert?"
Soren blinzelte, als erwache er aus einem bösen Traum. „Bei der Weberin, keine Kupfermark würde ich dafür zahlen."
„Das reicht, ich gehe!" Klang trank den Krug mit einem einzigen gierigen Zug aus.
„Lass mich dich auf ein Bier einladen, guter Freund, das kühlt dein Gemüt", warf Tristan ein und hielt gleich zwei Finger in die Luft.
Alarion eilte kurz darauf mit zwei Krügen zu dem Tisch.
„Einer um dein Gemüt zu kühlen und der andere um deine Laune zu heben."
Der Gnom schien nicht recht überzeugt, war aber auch sichtlich nicht gewillt, sich das Freibier entgehen zu lassen.
„Also gut, ich biete dir zwei Sonnengulden", setzte Tristan ein, worauf Soren lauthals schnaubte. Er warf seinem Partner seinem Partner einen entschuldigenden Blick zu. „Unter der Voraussetzung, dass du mir zwanzig davon fertigst."
Soren sah so aus, als würde er gleich auf Tristan losgehen wollen. Dieser zwinkerte ihm unauffällig zu.
Der Gnom trank einen weiteren Schluck und brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. „Du prellst mich um einen angemessenen Preis und verlangst von mir, noch mehr von einem Artefakt herzustellen, dass du als wertlos erachtest? Ist dir nicht klar, dass jede einzelne Waffe, die unsere Schmieden verlässt, ein Einzelstück ist?"
Tristan räusperte sich. „Willst du damit sagen, du bist nicht in der Lage, dieselbe Waffe noch einmal zu schmieden?"
„Selbstverständlich bin ich dazu in der Lage!"
„Dann nimm vierzig Sonnengulden als Grund dafür. Damit hättest du ein ansehnliches Sümmchen, das dich aus deiner aktuellen Misere befreit."
Klang strich nachdenklich durch seinen Bart, derweil seine Hand, die den Bierkrug hielt, zitterte. Es war, als würden winzigkleine Zahnrädchen hinter seinen Augen ihre Arbeit aufnehmen, ihm Klarheit darüber verschaffen, welche Summe ihm in Aussicht stand. Ein anderer Kloppgnom hätte den beiden längst abgesagt und sie für diese Frechheit mit dem Hammer verdroschen, aber Klang war in Geldnöten. Er war längst kein Künstler mehr, dessen Werke ihm aus den Händen gerissen wurden. Viel eher ein verarmter Schluckspecht, der nicht wusste, wie lange die Seinen ihn noch unter sich akzeptieren würden, verschwendete er weiter ihr kostbares Material, ohne dafür je Gold in den Berg zu schaffen.
Er atmete kräftig ein und aus, es klang wie ein Stier, der Luft vor einem Angriff holte, dann packte er den Griff des Krugs fester und nahm einen langen Zug. Seine Stimme war erstaunlich fest dafür, dass sein ganzer Körper bereits unter dem Einfluss des Alkohols wankte: „Einverstanden."
Soren räusperte sich und bat Tristan, einen Moment zur Seite zu kommen. Außer Hörweite des Gnoms raunte er ihm ins Ohr: „Was treibst du da? Ich verstehe ja den Gedanken, dass du mit etwas Einzigartigem handeln möchtest. Ich denke, du wärst der erste Zwischenhändler für Kloppgnom-Artefakte, aber was hast du davon, wenn niemand diesen Schattenstich kaufen wird?"
Ein selbstgefälliges Grinsen huschte über Tristans Züge und er sah zur Decke. „Erinnerst du dich, welche Kundschaft ich mit dem Wolkenschnitter erreichen wollte?"
„Edelsteinschürfer in der Nachtmark."
Tristan tippte seine Fingerkuppen aufeinander. „Die täglich mit welcher Gefahr leben?"
Eine Woge der Erkenntnis überspülte Soren. „Sie werden von Schatten gejagt."
„Diese Waffe ist mehr wert als all ihre Schätze zusammen – nur nicht hier, wo dein Schatten nichts ist, als ein steter Begleiter im Sonnenschein."
„Und du luchst ihm dieses Artefakt für gerade einmal zwei Sonnengulden ab?"
Tristan legte den Kopf auf die Seite und seufzte verträumt. „Du hast Recht. Das ist viel zu viel." Er kehrte um und eilte zu Klang an den Tisch zurück.
„Warte, du wirst es ruinieren!", fauchte Soren, doch sein Freund war nicht aufzuhalten.
„Werter Freund", setzte Tristan mit seiner einnehmend freundlichen Stimme an, „mein Geschäftspartner ist leider mit dem Preis nicht ganz einverstanden. Er ist nach wie vor der Meinung, dass er weit über dem Wert deiner Ware ist."
Der Gnom ballte eine Hand zur Faust und beruhigte sich nur, als Tristan ihm den zweiten Bierkrug mit einem entschuldigenden Lächeln vor die Nase schob.
„Aus diesem Grund habe ich einen Vorschlag für dich, der zu deinem Vorteil gereichen mag, wenn das Schicksal dir hold ist."
„Sprich."
„Ich schlage einen Rätselbewerb vor, wie es in Dämmertal üblich ist. Gewinnst du, so will ich dir gleich drei Gulden pro Stück zahlen und übernehme die gesamte Zeche des heutigen und der letzten Tage."
Der Gnom und Soren rissen beide ungläubig die Augen auf.
„Gewinne ich, sollst du mir jedes Stück um eine Gulde geben und du kommst für unsere heutigen Getränke auf." Er machte einen Armschwenk in Richtung des Tresens, wo hinter Alarion auf vielerlei vergilbten Zettel die Getränke notiert waren, deren Zahlung durch einige Gäste noch offenstand. „Wie du siehst, hast du mehr zu gewinnen als ich."
Der Gnom lachte zufrieden und hielt ihm die Hand hin. „Abgemacht."
Tristan schlug ein.
„Törichter Narr. Weißt du nicht, dass es eine der Lieblingsbeschäftigungen der Kloppgnome ist, Rätsel zu lösen? Unsere Mütter geben uns ebensolche auf, kaum, dass wir das erste Wort über die Lippen bekommen."
Tristan winkte Alarion herbei. „Dann wird es dir ja leichtfallen, die simplen Aufgaben eines Schankwirts zu lösen. Alarion, würdest du den Richter für einen Rätselbewerb zwischen mir und Herrn Schattenzang stellen?"
Alarion wischte die Hände an seiner Schürze ab und faltete sie ineinander. „Selbstverständlich." Er wippte mit den Brauen Richtung Tristan, der diese Geste unsichtbar für den Gnomen mit einem Zucken der Oberlippe erwiderte.
„Drei Rätsel will ich euch stellen. Wer die meisten davon zu lösen weiß, soll den Bewerb für sich entscheiden. Seid ihr einverstanden?"
Die beiden Kontrahenten nickten entschlossen.
„In Dunkelheit entstanden, ins Licht geboren, mein Unheil brachte ich über dich, als du mein Liebstes auserkoren."
„Schatten!", antwortete der Gnom in Windeseile.
„Leider falsch." Alarion sah abwartend zu Tristan, der die Handflächen zur Decke drehte. „Deine Schwiegermutter natürlich."
„So ist es!"
Der Gnom schlug polternd auf den Tisch. „Was ist das für ein Rätsel, welches sich auf persönliche Dinge bezieht?"
Tristan griff nach seinem Krug und leerte ihn achselzuckend. „Wenn du dabei gewesen wärst, als sie einmal hier auftauchte und Alarion den Marsch blies, wüsstest du, dass das etwas äußerst Offenkundiges ist."
Klang machte eine unwirsche Handbewegung. „Das nächste!"
„Am Morgen begrüßt du mich, zum Schlafen verabschiedest du mich, leben könntest du nicht ohne mich. Und doch kannst du mich nicht halten, derweil ich dich berühre."
Tristan schürzte die Lippen. „Ein Traum?"
„Unter verheirateten Männern würde ich dir zustimmen, dass das Leben ohne zu träumen unmöglich ist, aber leider liegst du falsch."
„Der Atem!", schoss der Gnom voreilig heraus.
„Ein guter Vorschlag, aber leider nein. Außer ihr Kloppgnome hört nachts auf zu atmen."
„Dann wird es wohl die Zeit sein", schlug Tristan vor.
Alarion wiegte den Kopf hin und her. „Da die Zeit stetig läuft, werden wir wohl nie erfahren, ob wir ohne sie zu leben in der Lage sind."
„Licht!", schlug der Gnom vor.
„Das ist es! Ein Punkt für Herrn Schattenzang."
Tristan prostete ihm zu. „Gut gespielt."
Der Gnom griff nach seinem Krug und leerte ihn. Nach einem Rülpser, der seinen Dunst weithin über den Tisch hinaus trug, grinste er vor Übereifer. „Diesen Bewerb werde ich entscheiden."
Alarion sah über die Schulter zum Tresen, wo bereits der ein oder andere Gast unruhig nach einem Getränk verlangte. „Kommen wir zum letzten Rätsel: Abends öffne ich, nachts schließe ich, nehme dir Geld und Wohl, doch trotzdem kehrst du immer wieder zu mir zurück."
„Die liebe Arbeit hier in Dämmertal", meinte Tristan dazu. „Hier beginnt der Tag schon mit dem Abend."
„Leider falsch, mein Freund."
Tristan riss die Augen auf.
Soren hatte den Wettstreit die ganze Zeit über nachdenklich beobachtet. Doch jetzt, nachdem Tristan bei der entscheidenden Frage falschlag, wuchsen beträchtliche Sorgenfalten auf seiner Stirn heran.
Klang lachte selbstgefällig. „Es ist natürlich das Glücksspiel, das allabendlich in so mancher Spelunke einsetzt und auch mich schon viele Münzen kostete", sagte Klang.
„Auch das ist falsch", sagte Alarion und sah Tristan abwartend an.
Dieser patschte sich an die Schläfe, als bestrafe er sich selbst für eine Narretei. „Der Putzige Gnom natürlich. Du sprichst von deiner eigenen Taverne."
„So ist es!" Alarion klatschte müden Applaus. „Tristan gewinnt den Wettstreit und ich nutze die Gunst der Stunde und kümmere mich meine restlichen Gäste."
Das Gesicht des Gnoms erbleichte zunächst, ehe es ein zorniges Rot annahm, er aufstand und herumsprang, als hätte er einen Kobold im Nacken, den er abzuschütteln gedachte. Schließlich beruhigte er sich wieder, griff nach seinem Bier, bis ihm einfiel, dass er es bereits geleert hatte.
„Soll ich Euch ein weiteres bestellen?", fragte Tristan wohlwollend.
„Um meine offenen Rechnungen hier weiter ins Bodenlose zu treiben?", fragte Klang verächtlich. „Ich verzichte!"
„Wann können wir mit der Lieferung rechnen?"
„Für solch eine Menge benötige ich mindestens einen Mondumlauf."
Tristan richtete sich auf. „Ich gebe Euch eine Woche. Zeit ist Geld und wir haben nur begrenzt viel davon."
„Lutscht doch den eitrigen Zeh meines Vetters! Niemals schaffe ich das in einer Woche. Ich müsste Tag und Nacht durcharbeiten!"
„Die Kloppgnome sind doch für ihren Fleiß bekannt", flötete Tristan, ehe er mit Soren im Schlepptau nach draußen ging. Als sie den Tresen passierten, ließ Tristan zwei Silberdämmrer darauf fallen. „Erinnerst du Herrn Schattenzang beim Hinausgehen, dass seine Zeche in einer Woche fällig ist?"
Alarion strich das Geld mit einem freudigen Grinsen ein. „Mit dem größten Vergnügen."
Vor der Tür atmete Tristan gierig die vergleichsweise frische Luft ein, die nicht mehr länger vom Dunst des Alkohols und schwitziger Füße erfüllt war.
„Das war ein abgekartetes Spiel, nicht wahr?", fragte Soren.
„Oder ich war einfach nur besser im Rätselraten."
„Findest du es nicht falsch, jemanden um des eigenen Reichtums wegen zu betrügen?"
„Auch zwanzig Sonnengulden machen ihn zu einem reichen Mann. Ist es nicht die Aufgabe eines Händlers, um einen möglichst geringen Preis zu feilschen, sodass er maximalen Gewinn einfährt?"
„Nur, dass du dir nicht einmal die zwanzig Gulden leisten kannst. Das ist ein Vermögen."
Tristan legte Soren den Arm um die Schulter und führte ihn Richtung Tor. „Und genau deswegen sorgen wir jetzt dafür, dass unser Schnitter aussieht, als wäre er ein Pfand für ein Vermögen wert."
„Ich dachte, wir werden Kaufleute und keine Betrüger", wandte Soren ein.
„Wir werden jede Münze zurückzahlen, sei unbesorgt."
Soren aber sorgte sich sehr wohl. Tristan mochte einen verwegenen Plan haben, der ihnen womöglich schneller zu Reichtum verhalf, als er es je für möglich gehalten hätte. Aber nun lastete alle Verantwortung auf seinen Schultern. Er hatte die Schäden an der Nebelkönigin bisher nur oberflächlich betrachtet. Wer wusste, welch tiefgreifenden Defekte sich in deren Tiefen versteckten?


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