In der Eulerei
Ich bin sofort, nachdem die Stunde zu Ende war, vom Besen gesprungen und ins Schloss gerannt. Der Unterricht ist für heute vorbei. Wir haben keine Hausaufgaben aufbekommen, aber es ist höchste Zeit, einen Brief an meine Mum zu schreiben. Dafür brauche ich Raven, und die ist normalerweise bei Albus, weil er unsere Eltern immer auf dem Laufenden hält.
Ich renne hier also durchs Schloss, auf der Suche nach Albus. Wo könnte er denn sein? Vielleicht im Gemeinschaftsraum? Bestimmt, schließlich isst er immer erst sehr spät sein Abendessen, weil er vorher ja noch die Hausaufgaben machen muss und das geht natürlich vor. Er muss schließlich an seine Zukunft denken. Aber was nützen gute Zensuren für Hausaufgaben, wenn man vor Hunger stirbt, bevor man überhaupt erwachsen wird? Naja, sein Leben...
Ich knalle gegen etwas Hartes und werde unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Im Ernst? Das ist schon das zweite Mal in einer Woche! Schönen Dank auch, Schicksal. Aber zumindest kann ich ausschließen, dass ich wieder mit diesem komischen Typen aus Slytherin zusammengeknallt bin. Denn der Körper, der nun vor mir steht, ist viel größer und fülliger. Langsam blicke ich hoch - in das Gesicht meines Lehrers. Ich werde augenblicklich rot.
"Lily. Was machst du denn hier?", fragt mich Professor Hensley. Seit wann duzt mich mein Zaubertränkelehrer? "Äh...", stottere ich. Das hört sich ja fast wie James an, wenn er etwas Verbotenes getan hat und dabei erwischt wurde. Aber ich habe nichts zu verbergen! Also kann ich doch auch einfach die Wahrheit sagen: "Ich suche meinen Bruder. Er ist sicher im Gemeinschaftsraum der Gryffindors und deshalb bin ich gerade auf dem Weg dahin.".
Sein Gesichtsausdruck verändert sich. Er wirkt jetzt fast erleichtert. Aber wieso? Bevor ich es verhindern kann, sage ich: "Und was machen Sie hier?". Komischerweise scheint er sich gar nicht über meine Frage zu wundern. Es scheint, als hätte er sie fast erwartet. "Ich habe eben einen Trank gebraut und bin nun auf dem Weg zum Schulleiter, deinem Vater, wenn ich mich nicht irre.". Ich nicke. Zu mehr kann ich mich nicht durchringen. Diese ganze Situation ist einfach nur surreal.
Dann fällt mir auf, dass ich immer noch auf dem Boden sitze. Das passiert, wenn man hinfällt. Schnell rappele ich mich auf und sage: "Ähm.. Ich muss jetzt auch los.". Hoffentlich klingt das nicht eingebildet. Trotz allem will ich noch einen guten Eindruck bei meinem Lehrer hinterlassen. Nun lächelt Professor Hensley. "Ja, ich muss jetzt auch los. Bis Montag!". Und damit verschwindet er hinter der nächsten Ecke.
Verwirrt schaue ich ihm noch lange hinterher. Okay, ein komischeres Gespräch hätte ich jetzt gar nicht haben können. Bis mir einfällt, was ich denn eigentlich ursprünglich vorhatte, vergeht auch einige Zeit. Doch dann renne ich umso schneller zum Gryffindorgemeinschaftsraum, bei dem ich zum Glück auch ankomme.
Albus entdecke ich - wie erwartet - auf einem Sessel, der an einem kleinen Tisch steht. Er sitzt auch nicht weit vom Kamin entfernt und macht seine Hausaufgaben. Es sind welche in Alte Runen, was ich den Schriftzeichen entnehmen kann, dessen Bedeutung ich nicht kenne. "Hey, kleines Brüderchen", sage ich fröhlich. Albus schaut auf und grummelt irgendetwas, was sich verdächtig nach "Wer ist von uns die Kleine?" anhört. Oh stimmt, das habe ich vergessen: Albus und James sind ja sauer auf mich.
Wenn ich eins hasse, dann sind es beleidigte Brüder. Die sind echt anstrengend! Und ich spreche aus 11-jähriger Erfahrung! "Was willst du?", fragt mein Bruder, ebenso freundlich wie beim ersten Mal. "Ich wollte eigentlich nur fragen, ob du weißt, wo Raven gerade ist.". Albus antwortet: "Natürlich weiß ich, wo sie ist. Was wäre ich sonst für ein Tierhalter?". Ich seufze genervt: "Könntest du mir dann vielleicht auch verraten, wo sie ist? Ich würde gern einen Brief an Mum schreiben.". "Wieso hast du das denn nicht gleich gesagt? Du hast Glück, Raven ist heute wiedergekommen, sie ist in der Eulerei.". "Danke.", meine ich bloß und mache mich sofort auf den Weg.
Ich renne wieder durch das halbe Schloss - genau wie vor fünf Minuten. Wenn ich so weitermache, habe ich nach zwei Wochen einen Marathon zusammen. Und nein, ich übertreibe nicht. Denn, egal aus welcher Sicht man es nimmt, das Schloss ist einfach riesig! Nach weiteren zehn Minuten komme ich, schwer atmend, in der Eulerei an. Hier war ich zwar noch nie, aber mithilfe der Angaben einiger Schüler, die ich gefragt habe, habe ich eigentlich sehr gut hierhergefunden.
Hunderte von Augenpaaren starren mich von den Wänden her an. Als ich genauer hinsehe, kann ich erkennen, dass alle Eulen auf Stangen, die an den Wänden entlang gereiht sind, hocken. Es wird schwer, Raven unter den ganzen anderen Eulen ausfindig zu machen.
Letztendlich habe ich sie gegen meiner Erwartungen doch relativ schnell gefunden. "Hey, Raven", flüstere ich ihr zu. Ja, vielleicht ist es verrückt mit Tieren zu reden, aber wenn Raven mich mit ihren großen, aufmerksamen Augen ansieht, habe ich doch manchmal das Gefühl, sie würde alles verstehen, was ich sage. "Ich habe einen Auftrag für dich.". Sie sieht mich mit ihren dunklen Augen an und ich meine, etwas wie Vorfreude darin erkennen zu können. "Bring bitte diesen Brief zu Mum.". Ich greife in die Tasche meiner Jeans, die ich unter dem Umhang trage. Doch dann fällt mir ein, dass ich gar keinen Brief geschrieben habe.
Wie durch Zufall höre ich, wie jemand die Treppen zur Eulerei hochkommt. Vielleicht hat derjenige ja einen Stift und ein Blatt Papier dabei? Doch zu meinem Pech kommt der "Stock" in diesem Moment um die Ecke. "Hi, ich hätte niemanden um diese Zeit hier oben erwartet.", sagt er. "Oh, tja, ich bin trotzdem hier.", antworte ich. Keine Ahnung, wieso ich plötzlich so selbstbewusst bin, aber irgendwie möchte ich ihm klar machen, dass sich nicht die ganze Welt nur um ihn dreht.
Jack hebt eine Augenbraue. Wahrscheinlich kommt es nur selten vor, dass in seiner Gegenwart mal kein Mädchen in Ohnmacht fällt. Ich wünsche mir für Ruby, dass sie sich nicht von so einem Menschen austricksen lässt. "Hast du zufällig ein Blatt Papier dabei?", frage ich. Er nickt. "Ja, brauchst du eins?". Er reicht mir ein Blatt. Oho, woher der plötzliche Sinneswandel? "Danke", sage ich nickend. Dann werde ich rot. "Ähm... Hast du vielleicht auch einen Stift?". "Na klar.", meint er und gibt mir einen.
Ich nehme ihn dankbar an und setze mich dann auf den Boden, ohne darauf zu achten, dass nicht nur Stroh, sondern auch Eulenkot hier liegt. Ich überlege kurz, was ich Ginny schreiben könnte, bin aber zehn Minuten später mit meinem Ergebnis zufrieden:
Hallo Mum,
die erste Woche neigt sich schon dem Ende zu, aber für mich fühlt es sich so an, als wäre ich schon mindestens ein Jahr auf Hogwarts. Mit Hagrid habe ich noch nicht gesprochen. Ich hab mir aber vorgenommen, es nächste Woche Montag nach Zaubertränke bei ihm zu versuchen. Apropos: Der Zaubertrankunterricht ist jetzt mein Lieblingsfach und unser Lehrer (Professor Hensley) lobt mich über alle Maßen.
Stell dir vor: Am Montag bin ich sogar schon in Ohnmacht gefallen. Aber das hat Dad dir vielleicht schon gesagt. Es ist einfach der Wahnsinn, dass schon etwas passiert ist, obwohl ich noch nicht einmal ein Tag auf dieser Schule war!
Dad, Albus und James geht es gut. Raven auch. Ich freu mich schon auf die nächsten Ferien, wenn ich wieder nach Hause komme.
Deine Lily
Ich schaue von dem beschriebenen Papier auf. Jack steht immer noch an der selben Stelle, wie vorhin und hat meinen Blick offenbar bemerkt.
Er fängt an zu grinsen: "Also, wenn du jetzt noch eine Eule brauchst, kann ich dir wirklich nicht helfen.". Er macht eine ausladende Bewegung mit seiner Hand, die wohl die gesamte Eulerei einfassen soll. Also, so dumm, dass ich nicht mal hier eine Eule finden würde, bin ich ja nun wirklich nicht!
Ich gehe zu Raven rüber, die noch immer auf dem Fensterbrett sitzt. Ich binde ihr den Brief ums Bein und flüstere: "Bringe diesen Brief zu Mum. Und warte so lange, bis sie zurückschreibt. Vorher kommst du nicht zurück, verstanden?". Raven sieht mich wieder mit ihren Augen an. Ich sehe, dass sie verstanden hat. "Bis bald!", sage ich noch, bevor sie ihre schwarzen Flügel ausbreitet und in den mittlerweile dunklen Nachthimmel fliegt.
Dann drehe ich mich um und gehe an Jack vorbei. "Gute Nacht", murmele ich. "Pass auf, dass dich nicht der Hausmeister erwischt. Es ist schon Sperrstunde!", ruft er mir noch hinterher. Ich werde zwar nicht erwischt, habe aber dennoch ein mulmiges Bauchgefühl. Habe ich mich doch getäuscht und Jack ist in Wirklichkeit gar nicht so schlimm?
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Hallo,
hier ist mal wieder ein neues Kapitel. Ich bin aber echt nicht zufrieden damit. Ich habe zwar versucht, trotz Schreibblockade zu schreiben, aber irgendwie ist es mir nicht sonderlich gelungen. Aber was soll's - ich hoffe, ihr hattet trotzdem Spaß beim Lesen.
Bis bald!
Eure Vilureef
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