Der Tagesprophet
"Lily!", ruft jemand erfreut und schon bevor ich mich umdrehe, weiß ich, wem die Stimme gehört. Warum bin ich zum Nachdenken auch ausgerechnet auf den Astronomieturm gegangen? "Jack.". Ich versuche, ein halbwegs echtes Lächeln zustande zu bringen, aber es gelingt mir nicht wirklich. "Was machst du denn hier?".
Er lächelt mich an. Ich glaube schon, dass er erfreut darüber ist, mich hier anzutreffen. Ich kann diese Freude leider nicht mit ihm teilen. "Oh, das hier ist mein Lieblingsort. Ich bin öfter hier, um mir einfach nur die Ländereien von Hogwarts anzusehen.". Ich nicke. Seine Antwort ist sehr ehrlich.
"Ähm, Lily? Hast du dir schon Gedanken darüber gemacht?", fragt er mich nun wieder ernst. Ich weiß schon, wovon er redet, ohne, dass er es direkt ansprechen muss. Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe. Was soll ich ihm jetzt antworten? Ich weiß doch selbst nicht, ob ich mit ihm befreundet sein will. Ich kenne ihn nicht mal richtig. Und was soll ich da schon sagen?
"Ich...ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll.", gestehe ich und hätte mir im nächsten Moment am liebsten eine Ohrfeige verpasst. Die Antwort ist zwar ehrlich, aber nicht sehr aufschlussreich. Jack sieht mich enttäuscht an: "Oh, okay.".
Er will sich schon zum Gehen wenden, als ich ihn doch noch aufhalte: "Warte, Jack!". Er dreht sich um und schaut mich gespannt und hoffnungsvoll zugleich an. Dann zieht er fragend eine Augenbraue nach oben. "Vielleicht sollten wir uns öfter treffen. Dann können wir uns besser kennenlernen und mal schauen, ob wir uns wirklich so gut verstehen wie früher.", sage ich schnell, bevor ich es mir anders überlegen kann.
Jack lächelt mich erfreut an und umarmt mich dann stürmisch. Ich bin so überrumpelt, dass ich nur erstarrt stehen bleibe und warte, bis er mich wieder loslässt. "Und das mit Scorpius tut mir leid.", höre ich ihn flüstern. Verwirrt starre ich ihn an. "Was ist mit ihm?".
Jack schaut mich erschrocken an: "Oh, ähm...nichts, nichts.". Doch ich habe ein ganz schlechtes Gefühl im Bauch und glaube, dass viel mehr im Busch steckt, als nur ein "Nichts". "Was ist mit ihm?", wiederhole ich meine Frage, als Jack noch immer nichts darauf geantwortet hat. Ich ziehe an seinem Ärmel und wirbele ihn herum, damit er mir ins Gesicht blickt.
"Ich...ich...du weißt es noch nicht?", bringt er schließlich heraus. Langsam geht mir seine Heimlichtuerei auf die Nerven. "Bei Merlins Barte, was weiß ich noch nicht?", platzt es aus mir heraus und ich bin lauter, als ich beabsichtigt habe. "Nun sag mir doch einfach, was Sache ist.", füge ich etwas leiser hinzu.
"Ich habe Scorpius gestern zur Lichtung gelockt.", gesteht Jack und mir verschlägt es glatt die Sprache. "Ich habe eigentlich gedacht, dass er einen Verdacht hatte und er ihn dir gesagt hat. Ich habe gedacht, dass er mich an meiner Handschrift erkennen würde.". Ich sehe ihn aus zusammengekniffenen Augen an. "Ich habe ihm gestern Abend Gesellschaft geleistet. Du hast uns in Lebensgefahr gebracht, falls du es nicht mitbekommen haben solltest!", zische ich.
Die Tatsache, dass Scorpius und ich gestern von einem Werwolf verfolgt wurden (wir haben meinem Dad nur von einem und nicht von gleich zwei Werwölfen erzählt), hat sich in der letzten Nacht wie ein Lauffeuer in Hogwarts verbreitet. Es ist eigentlich unmöglich, dass Jack nichts von alldem erfahren hat.
"Es tut mir so unendlich leid.", meint Jack. "Oh, ja. Das sollte es auch, Jack. Aber meinst du, es ist eine Entschuldigung dafür? Wieso hast du das überhaupt getan?", schreie ich ihn an. Wir sind auf dem Astronomieturm, hier wird mich sowieso niemand hören. "Nein, natürlich weiß ich, dass das keine Entschuldigung ist. Es...es war doch nur ein Scherz.", stottert Jack.
"Nur ein Scherz, also?", lache ich gekünstelt. Mir ist eigentlich gar nicht nach Lachen zumute. "Du solltest Komiker werden und in London auftreten, Jack, so gut sind deine Witze.". Ich hätte ihm nie im Leben zugetraut, dass er seinen Freund so reinlegen würde. Was wird Scorpius nur dazu sagen, wenn ich ihm erzähle, was Jack alles getan hat?
"Ich gehe!", teile ich Jack mit, bevor ich mich umdrehe und gehe. Doch schon nach drei Schritten drehe ich mich nochmal um und laufe auf Jack zu. Als ich kurz vor im stehe, tippe ich mit meinem Zeigefinger gegen seine Brust und flüstere: "Wir können nur von Glück reden, dass du dich verplappert hast. Immerhin weiß ich jetzt, was für ein guter Freund du doch bist. Natürlich will ich dich jetzt nicht mehr öfter treffen!". Und dann drehe ich mich um und gehe endgültig.
Zehn Minuten später lasse ich mich erschöpft auf einen der Sessel vor dem Kamin fallen. Im Gemeinschaftsraum ist es sehr laut und alle Schüler scheinen hier ihre Hausaufgaben zu erledigen. Das Knistern des Feuers ist kaum zu hören und auch sonst habe ich nicht viel Ruhe. Der anstrengende Tag macht sich mit Kopfschmerzen bemerkbar.
"Na, Schwesterherz.". Ich zucke zusammen. Warum werde ich eigentlich immer so erschreckt? Können sich all die Leute nicht jemand anderen zum Erschrecken suchen? "Was machst du hier so ganz allein am Kamin?". Ich merke, wie sich mein Bruder James auf den Sessel neben mir fallen lässt. "Hast du keine Hausaufgaben auf?", fragt eine andere Stimme und kurz darauf sehe ich, wie sich auch Albus auf einem Sessel niederlässt.
Ich sehe beide abwechselnd an, bevor ich auf ihre Fragen antworte: "Ich bin hier, um ein bisschen nachzudenken und meine Hausaufgaben mache ich morgen früh.". Gleichzeitig reden meine beiden Brüder drauflos. "Über was denkst du denn nach?", fragt James und Albus sagt: "Du weißt doch, dass man Pflichten nicht auf die letzte Sekunde verschieben sollte.".
"Jungs, ich verstehe euch nicht, wenn ihr durcheinander redet.", erkläre ich und frage mich gleichzeitig, ob sie nichts Anderes zu tun haben, als sich um mich zu sorgen. Aber wahrscheinlich ist das normal, schließlich sind sie meine Brüder.
Wir unterhalten uns noch eine Weile und im Gemeinschaftsraum wird es zusehends leerer. Ich bin froh, mal wieder mit meinen Brüdern zu reden, denn in der ganzen Zeit, die ich jetzt hier in Hogwarts verbracht habe, habe ich sie ein bisschen vernachlässigt. Früher bin ich immer traurig gewesen, wenn sie in Hogwarts gewesen sind und ich sie nicht sehen konnte. Und jetzt bin ich auch hier und verbringe trotzdem so wenig Zeit mit ihnen, wie früher.
"Ich werde jetzt auch langsam ins Bett gehen.", verabschiede ich mich irgendwann, weil ich merke, wie ich langsam müde werde. Albus und James nicken und ich gebe beiden einen Kuss auf die Wange. Danach drehe ich mich um und will gerade die Treppen zu meinem Schlafsaal hochgehen, als mir etwas ins Auge sticht.
Ich schaue mir den Tagespropheten genauer an, der auf einem kleinen Tisch liegt. Jemand muss ihn hier vergessen haben. Auf der Titelseite prangt ein Bild von zwei erwachsenen Zauberern, die mich grimmig anstarren. Es handelt sich um einen Mann und eine Frau. Die Haare der Frau stehen verfilzt von ihrem Kopf ab und sie trägt tiefe Schatten unter den Augen. Der Mann hat abstehende Haare und hervorquellende, dunkle Augen. Beide sehen sehr ungepflegt aus.
Der Titel zu diesem Bild lautet:
Zwei geflüchtete Gefangene wieder hinter den sicheren Gittern Askabans
Darunter steht ein kleiner Text:
In der letzten Nacht wurden die Gefangenen Daphne Greengrass und Blaise Zabini unweit von Hogsmeade gesichtet und gestellt. Das Ehepaar, welches in der großen Schlacht von Hogwarts auf der dunklen Seite kämpfte und nach dem Fall des Dunklen Lords alles abzustreiten versuchte, wurde heute Morgen einer Gerichtsverhandlung im Zaubereiministerium unterzogen und zurück nach Askaban gebracht. Zu den Aussagen der Täter wollte sich der Zaubereiminister bisher nicht äußern und wie die Gefangenen aus Askaban fliehen konnten, ist noch unklar.
Dementoren bewachen derzeit die Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei, um für mehr Sicherheit bei einem möglicherweise weiteren Ausbruch zu sorgen.
Für weitere Informationen lesen Sie auf den Seiten 28-30.
Hat Scorpius mir nicht erzählt, dass das Ministerium einen Brief an meinen Dad geschrieben hat? In diesem Brief haben sie doch um die Erlaubnis gebeten, Dementoren auf das Gelände von Hogwarts zu lassen. Ich bin froh, dass die Beiden nun geschnappt wurden, aber ich halte es für keine gute Idee, die Dementoren weiterhin auf dem Schlossgelände zu lassen. Es ist schon ein Wunder, dass sie Scorpius und mich in der letzten Nacht nicht angegriffen haben!
"Ist alles in Ordnung, Lily?", fragt Albus. "Wolltest du nicht ins Bett gehen?". Ich habe gar nicht gemerkt, wie Albus und James zu mir rübergekommen sind. Den Tagespropheten lege ich schnell zurück auf den Tisch und sage an meine Brüder gewandt: "Stimmt, das wollte ich. Gute Nacht, ihr Beiden!". Dann gehe ich hoch in den Schlafsaal.
Später in meinem Bett kann ich lange kein Auge zumachen. Morgen ist wieder Schule und ich werde früh aufstehen müssen, weshalb ich schnell einschlafen sollte. Aber meine Gedanken machen mir einen Strich durch die Rechnung. Niemals hätte ich gedacht, dass mein erstes Jahr in Hogwarts so aufregend werden würde. Ich habe hier bisher so viele wundervolle Menschen kennengelernt und so viel erlebt, dass die Zeit im Fluge vergangen ist. Und noch ist kein ganzes Jahr um...
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Hey,
ich melde mich auch mal wieder 🙈
Danke für die 750 Reads. Es ist wirklich schön, dass ihr mein Buch lest und es gibt mir immer wieder ein tolles Gefühl, wenn ich eure Kommentare lese 💞
Über noch mehr Kommentare und Votes würde ich mich sehr freuen ✨
Ein schönes Wochenende euch allen 💎
Eure Vilureef
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