Der Hund und der Barkeeper
Zögernd sehe ich um die nächste Ecke. Kann es sein, dass mich der Hausmeister gesehen hat? Bekomme ich gleich eine weitere Strafarbeit? Oder ist es einfach ein dummer Scherz eines Schülers, der mir einen Schrecken einjagen will? So schmerzhaft sich mein Magen bei diesem Gedanken auch zusammenzieht, bin ich trotzdem der Meinung, dass dies die harmloseste Begründung wäre.
Plötzlich bemerke ich einen Schatten am Ende des Korridors. Er ist groß und schlank und geht mit bedächtigem Schritt auf etwas zu, was nicht in meinem Sichtfeld liegt. Ich folge dem Schatten auf Zehenspitzen, weil mich die Neugier gepackt hat.
Ich laufe bis zum Ende des Korridors und schaue um die nächste Ecke. Nichts tut sich. Es ist alles still und Hogwarts liegt so leise und verlassen da, wie noch vor einer Minute. Ich schleiche um die Ecke und bleibe wieder stehen. Ganz in meiner Nähe habe ich eine Stimme vernommen, eine ganz leise. Es war fast ein Flüstern.
Ich halte mein Ohr an die nächste Tür. "Was ist los, Vater?", höre ich eine Stimme. Ich zucke vor Überraschung zusammen: Diese Stimme kommt mir bekannt vor! "Wir müssen reden.", sagt eine zweite Stimme. Sie ist viel tiefer als die erste. Ein Seufzen ertönt und ich springe erschrocken zurück. Die Stimme war so laut, dass ich dachte, der Besitzer würde direkt neben mir stehen.
"Was gibt es, Vater?", ertönt wieder die erste Stimme. Gespannt warte ich auf eine Antwort, aber die kommt nicht. Stattdessen höre ich laute Schritte, die näher auf die Tür zukommen. "Ich glaube, wir werden belauscht.", ist dann die zweite Stimme zu hören, die mir genauso bekannt ist, wie die erste.
Doch bevor ich darüber nachgrübeln kann, was diese zwei Personen hier zu suchen haben, wird mir die Bedeutung der zuletzt ausgesprochenen Worte bewusst. Entsetzt mache ich einen Schritt rückwärts und verziehe mich in eine Nische neben einem Fenster. Keine Sekunde später wird die Tür aufgerissen und ein hellblonder Haarschopf erscheint im Türrahmen. Scorpius sieht sich einige Augenblicke um und schließt dann die Tür wieder hinter sich.
"Da draußen ist nichts.", höre ich seine wunderbare Stimme und nach einigen Sekunden traue ich mich auch wieder, näher an die Tür heranzugehen, ohne sofort erwischt zu werden. Für einige Zeit herrscht Schweigen hinter der Tür, doch dann hört man wieder die zweite Stimme: "Du hast deine Aufgabe sehr schlecht gemacht, Scorpius.". Die Kühle, mit der sein Vater seinen Namen ausspricht, lässt mich erschaudern.
"Ich...ich weiß nicht, was du meinst.", stottert Scorpius hörbar verwirrt. "Deine kleine Freundin hat wohl etwas mitbekommen, findest du nicht?". Ich zucke erschrocken zusammen. Bin ich mit der kleinen Freundin genannt? Und wenn ja, was soll ich mitbekommen haben? "Aber...", setzt Scorpius an, doch er wird von seinem Vater unterbrochen. "Du hast deine Rolle sehr gut gespielt, das gebe ich zu. Aber indem du ihr im Verbotenen Wald das Leben gerettet hast, bist du zu weit gegangen. Zu deinem Glück war sie zu diesem Zeitpunkt schon ohnmächtig.".
Ich falle vor der Tür auf die Knie und verschwende keinen Gedanken daran, dass mich dieses Geräusch vielleicht verraten könnte. Scorpius hat mich vor den Dementoren gerettet? Aber wie ist er dahin gekommen, wie hat er überhaupt mitbekommen, dass ich zu diesem Zeitpunkt da war? Ist er mir nach unserer Begegnung beim Quidditchfeld gefolgt? Und von welcher Rolle spricht Draco Malfoy da die ganze Zeit?
Doch eine ganz eindeutige Bemerkung von Draco lässt mich aufhorchen: "Du hättest dich nicht mit dieser Potter anfreunden sollen, wie ein naiver, kleiner Schoßhund.". Leise Tränen fließen mir über das ganze Gesicht, während sich eine schreckliche Erkenntnis in mein Bewusstsein bohrt, wie ein Pfeil. Scorpius ist der Hund. Der kleine schwarze Hund mit dem weißen Fleck neben dem linken Auge, dem ich das erste Mal in den Sommerferien auf meinem Lieblingsplatz begegnet bin. Er muss ein Animagus sein. Er ist gar nicht mit mir befreundet gewesen, weil er mich mag oder ihm etwas an mir liegt. Es ist einfach nur ein Mittel gewesen, um näher an mich ranzukommen. Aber warum wollte er näher an mich rankommen?
"Ich hätte Blaise und Daphne ihre Idee sofort ausreden müssen, näher an die Potter-Familie ranzukommen. Auch die Aktion von Blaise ist nach hinten losgegangen. Hat er wirklich geglaubt, er könne Granger vergiften? Nun ja, Weasley war ihr sicher keine große Hilfe, aber eines muss man Granger lassen: Dumm ist sie nicht.". Nachdem ich diese Worte aus dem Mund von Scorpius' Dad gehört habe, wird mir einiges klar. Gleichzeitig wird mir übel.
Habe ich nicht noch vor einigen Tagen einen Artikel im Tagespropheten gelesen, in dem stand, dass Daphne Greengrass und Blaise Zabini aus Askaban ausgebrochen sind? Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass gerade die Familie von Scorpius mit den Beiden unter einer Decke stecken könnte. Wie konnte Scorp nur?
"Ich...ich wollte wirklich nicht...", setzt Scorpius abermals an, aber was sein Dad darauf antwortet höre ich schon nicht mehr. Ich habe genug gehört. Ich stürme die Korridore von Hogwarts entlang und spüre gar nicht, wie mir die Tränen das Gesicht vernebeln. Ich renne immer weiter und kann die Schönheit des Schlosses nicht mehr genießen. Vor einer halben Stunde hat der Mond noch hell auf die Schlossgründe geschienen, jetzt hat er sich hinter ein paar Wolken versteckt.
Zum zweiten Mal an diesem Tag bemerke ich einen Schatten am Ende des Korridors. Obwohl ich weiß, was beim letzten Mal passiert ist, folge ich dem Schatten, denn die Neugierde lässt jeden meiner Zweifel verblassen. "He, warte doch!", rufe ich, als ich erkenne, wer da vor mir wegläuft. Überrascht dreht sich Lucas zu mir um. Als er mich erkennt, wischt er sich verstohlen etwas aus dem Augenwinkel und sagt dann mit rauer Stimme: "Lily?".
Ich sehe ihn unverwandt an. "Was machst du hier?", schniefe ich, doch trotz auf meine Frage zu antworten, stellt Lucas eine Gegenfrage: "Ist alles in Ordnung?". Ich nicke nur und bin mir gleichzeitig darüber im Klaren, dass ich ihn in diesem Moment anlüge. Doch ich glaube, dass er das auch weiß, da er mich ungläubig anschaut.
"Ja, okay, mir geht es nicht gut.", gebe ich dann zu. Was bringt ihm dieses Wissen schon? "Ich will mich bei dir entschuldigen.", meint er dann plötzlich. Ich starre ihn mit offenem Mund an. Dass wir uns gestritten haben, habe ich in diesem Moment komplett verdrängt. "Mir tut es auch leid.", meine ich nur.
Wir stehen uns weiterhin gegenüber. Das war die wohl kürzeste Entschuldigung, die ich in meinem Leben zu hören bekommen habe. Aber dennoch bedeutet sie mir etwas, denn manchmal braucht es nicht viele Worte, um das richtige Gefühl zu übermitteln.
"Also dann...ähm...wollen wir vielleicht wieder zurück zum Gemeinschaftsraum? Mittlerweile wird es schon zwei Uhr in der Früh sein.". Ich stimme seinem Vorschlag zu. Langsam merke ich, wie die Müdigkeit mir die letzte Kraft raubt. Morgen wird mein erstes Schuljahr hier in Hogwarts zu Ende gehen. Ich sollte wohl damit beginnen, meinen Koffer zu packen.
Kurz vor dem Porträtloch bleibe ich stehen und sehe Lucas an: "Gute Nacht.", meine ich schlicht. Lucas nickt. Dann fängt er plötzlich an, breit zu grinsen: "Schöne Sommerferien. Wir sehen uns ja dann.". Ich lächele ihm auch zu und klettere dann durch das Porträtloch.
Kurze Zeit später im Schlafsaal klappe ich den Deckel meines Koffers zu. "Gute Nacht.", wünsche ich Evelyn, Abigail, Summer und Ruby, nachdem ich meinen Schlafanzug angezogen habe. Dann lege ich mich in mein Bett und ziehe die Vorhänge zu.
Mit offenen Augen denke ich nach. Es ist wirklich unfassbar, was Scorpius abgezogen hat. Ich habe ihm wirklich vertraut und was tut er? Es ausnutzen. Mich überfällt Trauer. Einerseits wegen des Verhaltens von Scorpius, andererseits, weil das hier meine vorletzte Nacht in diesem wundervollen Himmelbett ist. Trotzdem freue ich mich auf mein Zuhause, auf Mum und unsere komischen Nachbarn.
"Ach, kommt schon her.", hört man die leise Stimme von Evelyn. Sofort reiße ich meine Vorhänge zurück (,die durch die plötzliche Kraft abreißen und zu Boden fallen) und renne auf Evelyns Bett zu. Mit voller Wucht springe ich auf ihr Bett und kurze Zeit später merke ich, wie die anderen es mir gleich tun. "Hey!", hört man Evelyns dumpfe Stimme rufen. "So habe ich das aber nicht gemeint. Geht sofort von mir runter, ihr seid ja so schwer, wie ein Hippogreif und ein Zentaur zusammen!". Doch statt ihrer Aufforderung nachzukommen, lachen wir einfach.
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Hi,
zu allererst: ein riesiges Dankeschön für 1000 Reads 💞 Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass diese Geschichte so weit kommen würde ✨
Hier ist ein neues Kapitel. Es ist leider schon das vorletzte und es tut mir außerdem leid, dass ich in dieser Woche noch nicht geupdatet habe. Ich habe es mir für heute aufgespart 🙈
Ihr wisst ja, dass ich mich über Kommentare und Votes freue. Bis zum nächsten Kapitel 💎
Eure Vilureef
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