Das Todesomen
Also renne ich los, mit dem Brief in meiner Hand. Ich kann es immer noch kaum glauben. Tante Hermine wurde vergiftet. Sie hätte sterben können! Und wir wissen nicht mal, wer ihr das angetan haben könnte. Und wieso. Warum sollte jemand ihren Tod wollen? Sie hat keine Feinde. Oder etwa doch?
Jetzt fällt mir auch auf, dass ich gar nicht weiß, wohin ich überhaupt muss. Ich habe keine Ahnung, wo Rose im Moment Unterricht hat. Keinen blassen Schimmer. Aber anscheinend meint das Schicksal es heute gut mit mir, denn plötzlich steht mein Dad vor mir. Bestimmt kann er mir sagen, wo Rose gerade Unterricht hat.
"Dad?", frage ich. Er sieht hoch und kommt dann lächelnd auf mich zu. "Lily!", strahlt er. Und dann sieht er den Brief in meiner Hand. "Wer hat dir denn geschrieben?". Plötzlich fällt mir wieder ein, dass Onkel Ron in dem Brief geschrieben hat, Dad wüsste Bescheid. Also kann ich ihm auch die Wahrheit erzählen: "Den Brief habe ich gefunden. Er ist von Onkel Ron für Rose.".
Dad nickt: "Wieso ist er bei dir?". Ich zucke mit den Schultern. "Keine Ahnung. Rudy ist mir in die Arme geflogen.", erkläre ich. "Es ist schrecklich, was mit Tante Hermine passiert ist. Stell dir vor, wir würden jetzt eine Beerdigung planen, anstatt eines Besuches.". Nur mit Mühe kann ich die Tränen zurückhalten. Dad nimmt mich in den Arm. "Es ist ja alles gut gegangen.", beruhigt er mich und streicht mir über den Kopf.
Dann sehe ich ihn wieder an: "Weißt du, wo Rose gerade Unterricht hat? Ich würde ihr den Brief gerne bringen.". Er nickt. "Wenn ich mich nicht irre, hat sie im Moment Wahrsagen. Der Unterrichtsraum befindet sich im Nordturm. Eine Wendeltreppe im siebten Stock müsste dich auf eine Plattform bringen, in deren Decke sich eine Falltür befindet. Du musst dann einer Leiter folgen, die dich in den Raum bringt.", erklärt Dad mir.
Ich nicke dankend und mache mich dann auf den Weg zu der beschriebenen Wendeltreppe im siebten Stock. Ich frage mich, wie Dad sich eigentlich merken kann, wann welche Klasse wo Unterricht hat. Aber darüber möchte ich mir nicht weiter Gedanken machen. Jetzt gibt es erst mal wichtigeres, was erledigt werden muss!
Jetzt nur noch um diese Ecke hier und dann - ich knalle mit etwas zusammen. Oder jemandem. Ich stöhne genervt auf. Na super! Jetzt habe ich mal eine kleine Pause gehabt und nun geht es weiter mit den Zusammenstößen? Nicht mit mir! "Kannst du nicht aufpassen?", fauche ich mein Gegenüber wütend an. "Oh, Lily, du bist es!".
Scorpius? Oh, das ist jetzt peinlich. Ich wollte ihn wirklich nicht anschreien. Vielleicht hätte ich lieber erstmal nachsehen sollen, mit wem ich zusammengestoßen bin, anstatt gleich einen Ton von mir zu geben. "Na, das ist uns ja auch schon lange nicht mehr passiert. Zu lange, anscheinend.", sage ich und Scorpius grinst.
"Was machst du eigentlich hier?", fragt er mich. "Ich...äh...ich suche Rose, meine Cousine. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihr, sie hat im Moment Wahrsagen.", erkläre ich. Scorpius schaut mich fragend an: "Warum willst du zu ihr?". Und dann breche ich plötzlich in Tränen aus. Das zweite Mal an diesem Tag. Das zweite Mal bricht alles plötzlich über mir zusammen. "Tante Hermine wurde vergiftet.", schluchze ich. "Ich wollte ihr Bescheid sagen.".
Scorpius kommt auf mich zu und umarmt mich. "Schsch. Alles gut.", sagt er und es beruhigt mich. Irgendwann habe ich mich wieder unter Kontrolle. "Sieht man, dass ich geweint habe?", frage ich ihn leise und ziehe die Nase hoch. Er hebt seine Hand und streicht mir damit über die Wange. Von der Stelle aus breitet sich ein wunderbar warmes Gefühl aus, dass sich in meinem ganzen Körper breit macht, bis in die Fingerspitzen. Ich kann dieses Gefühl erst nicht einordnen, doch dann schiebe ich es auf meine Aufregung.
"Jetzt nicht mehr.", flüstert Scorpius und lächelt. Keiner sagt etwas. Aber es ist keine unangenehme Stille. Trotzdem breche ich sie. "Was machst du eigentlich hier?". Ich räuspere mich. Scorpius grinst: "Ich musste aufs Klo.". Mit diesem einen Satz bringt er mich zum Lächeln. Und das finde ich deshalb so besonders, weil ich es nicht mal von ihm verlangt habe. "Oh, wie charmant.". Und so finde ich es. Finde ich ihn.
Jetzt stehen wir hier und lachen gemeinsam. Ich weiß, wir haben uns erst in den Ferien gesehen. Aber für mich fühlt es sich schon so unendlich lange her an. Ich werde wieder traurig. "Warum hast du mir eigentlich erzählt, du würdest üben, ein Streichholz in eine Nadel zu verwandeln, wenn du doch mit deinen Freunden beim Quidditch zugeschaut hast?", frage ich ihn vorwurfsvoll. "Ich habe geübt. Und danach hat mich Jack gefragt, ob ich mit ihm und seinen Freunden zum Feld gehen will.", antwortet er mit solch einer Ruhe in der Stimme, dass es mich völlig aus der Fassung bringt.
"Bist du mir böse?", fragt er. Seinem Dackelblick kann ich echt nichts entgegensetzen. Ich schüttele mit dem Kopf, weil sich schon wieder ein Kloß in meinem Hals gebildet hat. Wie kann er nur in einem Moment der Zuhörer und der Beschützer sein und im nächsten der humorvolle Charmeur? "Wir sehen uns!", sage ich zum Abschied, bevor ich mich zur Wendeltreppe aufmache.
Als ich den Kopf durch die Falltür stecke, werde ich fast von der schlechten Luft die Leiter wieder runter geschoben. Es ist stickig und warm, obwohl es draußen eisig kalt ist. Schließlich haben wir Winter. Das Feuer knistert im Kamin und überall im Raum sind Kerzen aufgestellt. Es ist dunkel, weil die Lampen mit Tüchern verdeckt worden sind. Die Fenster sind geschlossen.
"Ah, sind Sie Miss Potter?", ertönt eine schrille Stimme hinter mir. Ich fahre erschrocken herum. "Woher...?", setze ich an, doch die Frau, die jetzt vor mir steht unterbricht mich: "Ich besitze die Kunst des Sehens, meine Liebe.". Die Lehrerin ist rundlich. Nicht dünn, nicht dick, aber eine Tendenz dazu. Sie trägt viel Schmuck und Tücher, die gleichen, die an den Lampen hängen. Und sie trägt eine Brille.
"Ich bin hier, um Rose Weasley abzuholen!", meine ich entschlossen. Wenn ich schon mal die Gelegenheit dazu habe, kann ich Rose doch auch gleich von hier befreien, oder? Bestimmt ist sie mir dankbar. Ich selbst würde es hier jedenfalls keine Minute länger aushalten. Doch dann frage ich mich, ob die Lehrerin vielleicht Gedanken lesen kann. Möglich wäre es. Eine grüne Wiese mit Blumen, eine grüne Wiese mit Blumen, denke ich jetzt also. Kein verräterischer Gedanke.
"Warum soll Miss Weasley denn von meinem Unterricht befreit werden?", fragt die Lehrerin. Ha, also doch keine Gedankenleserin. Doch sogleich sieht sie mich mit einem wütenden Blick an. "Es geht um familiäre Dinge.", erkläre ich nüchtern. Ich suche den Blick von Rose und sehe, wie sie kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzt. Ich an ihrer Stelle würde mir jetzt auch die schlimmsten Dinge ausmalen.
"Na schön. Miss Weasley? Packen Sie Ihre Sachen zusammen und gehen Sie mit, wohin auch immer.", erlaubt die Lehrerin. Rose nickt und sammelt ihre Schulsachen zusammen. Dann geht sie nach vorne und bleibt neben mir stehen. "Also dann", sage ich. "Auf Wiedersehen!". Was soll ich auch sonst zu der Lehrerin sagen? Ein schönes Leben, wünsche ich Ihnen, der Möchtegern-Wahrsagerin? Ganz bestimmt nicht.
"Warte!", ruft die Lehrerin plötzlich. Ich drehe mich um. "Ja?", frage ich, doch sie übergeht meine Frage. "Ich sehe einen Schatten über Ihnen. Einen dunklen. Ihnen steht schlimmes bevor! Ich sehe den Grimm. Den großen, schwarzen Grimm!", flüstert sie und ich habe Mühe, sie zu verstehen. "Passen Sie auf sich auf!". Ein Raunen geht durch die Klasse, aber ich verstehe nur King's Cross.
"Entschuldigen Sie, aber was ist ein Grimm?", frage ich. Die Lehrerin schüttelt nur ihren Kopf und in der Klasse sehe ich in besorgte Gesichter, die mich alle mitleidig anschauen.
Draußen im Korridor halte ich es nicht mehr länger aus. "Was, bei Merlins Zauberhut, ist ein Grimm?", frage ich Rose. Sie atmet tief durch. "Ein Grimm, sagt man, ist ein großer, schwarzer, zotteliger Hund mit leuchtenden Augen. Er gilt als Todesomen. Es heißt, man stirbt, sobald man diese Gestalt erblickt hat. Ich glaube, man stirbt nicht unmittelbar danach, sondern es kann auch mal etwas länger dauern. Mein Großonkel Bilius zum Beispiel starb 24 Stunden, nachdem er einen gesehen hat.", erklärt sie. Na toll, wo bin ich da nur wieder reingeraten?
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Hallo,
ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht mal eine Lesenacht mache. Mir ist zwar klar, dass ich noch nicht so viele Leser habe, die da mit dabei sein werden, aber ich würde es auch nur aus Spaß an der Freude machen.
Ich wollte soetwas schon immer mal machen, seit ich das das erste Mal auf Wattpad gelesen habe. Und mich würde es freuen, zu hören, wie ihr die Idee findet, und ob ihr euch eine Lesenacht wünscht.
Eure Vilureef
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