5.

Mir stockte der Atem als Richard mit langen Schritten immer näher kam. Er packte meine Schulter und zog mich auf meine Beine.

"Das wird bis auf weiteres  dein Quartier sein", klärte er mich auf.

Etwas eindringlicher fügte er hinzu: "Du wirst dich nur hier aufhalten, verstanden? Du wirst nicht rausgehen ohne meine Erlaubnis, du wirst-"

Ein Klopfen an der Holztür unterbrach seinen Vortrag. Der junge Mann mit den blonden Locken stand vor der Tür.

"Der Captain verlangt nach dir", meinte der Mann.

Richard nickte und folgte dem jungen Mann. Ich wollte ihm hinterher, doch durch seinen bösen Blick verstand ich, dass ich lieber hier bleiben sollte. Richard schloss natürlich auch gleich die Tür ab. Eins musste ich ihm lassen, er dachte nach. Ich schaute mich in der Kabine um. Sie war mit dem gleichen dunklen Holz getäfelt wie auch das Schiff gebaut war. An dem einzigen Fenster stand ein Schreibtisch auf dem mehrere Landkarten und kleine Geräte lagen.

Ich hatte keine Ahnung was das alles war, aber ich schloß daraus, dass Richard wohl gebildet sein musste. Interessiert schaute ich mir die Landkarten an. Ich war eine der einzigen aus unserem Dorf, die lesen gelernt hatte. Nur Schreiben konnte ich nicht so gut. Das alles verdankte ich Jean. Er war ein Gelehrter, der hin und wieder Maman und Papa besucht hatte. Papa hatte wohl an seiner Seite gekämpft. Ich kniff die Augen zusammen und strich über den komisch gezeichneten Fleck, der Frankreich darstellen sollte.

Leider konnte ich mir das nur sehr schwer vorstellen, denn es war so klein. Ich strich weiter über eine große blaue Ansammlung. Das war also das Meer und hier oben England und Schottland... Ich wusste nicht viel über diese Länder. Von Jean wusste ich, dass dort nur Protestanten lebten und diese waren Ketzer, die den Teufel anbeteten. Jean war schon überall gewesen. Als ich kleiner war und besonders nach Mutters Tod hatte er mir Geschichten erzählt.

Über seine Reisen zu den Highlands, wie er den Tower von London gesehen hatte. Jetzt weiß ich nicht ob ich ihm wirklich alles glauben sollte. Seit einigen Jahren besuchte er uns nicht mehr. Ich hatte auch keinen Brief oder dergleichen erhalten. Ich schaute mit glasigen Augen zu Boden und entdeckte einen Zettel, der wohl runtergefallen sein musste.

Ich hob ihn auf und im gleichen Moment hörte ich wie das Schloss wieder geöffnet wurde. Schnell steckte ich den Zettel in mein Mieder und sprang von dem Stuhl auf, auf welchem ich noch bis eben gesessen hatte.

"Was tust du da?", ertönte Richards aufgebrachte Stimme.

"Ich habe mir nur die Karten angesehen", erklärte ich ruhig.

"Du kannst doch gar nicht lesen!", erwiderte er ungläubig.

Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und ging ein paar Schritte nach vorne.

"Doch kann ich! Auch dumme Bauerntöchter können lesen!",rief ich aufgebracht.

Richard schnaubte verächtlich.

"Die meisten Karten sind auf englisch geschrieben du Dummerchen. Außerdem...wer hat dir in diesem Dorf Lesen beigebracht?", fragte er interessiert.

Ich stoppte kurz und ließ meine Fäuste wieder sinken.

"Jean", meinte ich schlicht.

Richards Augen flackerten kurz auf. Kannte er etwa Jean? Nein, das war unmöglich, aber wieso waren die Karten auf englisch?

"Und wer ist dieser Jean?", fragte Richard weiter.

"Ein Gelehrter"

"Wie kommt ein Mädchen wie du", er kam wieder auf mich zu, "dazu einen Gelehrten kennenzulernen und lesen zu lernen?"

Ich schaute ihn lange an und wägte meine Optionen ab.

Wenn ich etwas habe, dass er wissen will, dann kann er auch seine eigenen Informationen dafür eintauschen.

"Ich erzähle euch von Jean, wenn ihr mir endlich erzählst was das alles hier auf sich hat" ,bemerkte ich schulterzuckend.

"Gut", nickte Richard und setzte sich auf  den braunen Diwan der in der Mitte stand.

Er klopfte auf den Platz neben sich. Unsicher setzte ich mich mit genügend Abstand vor ihn. Er bemerkte es und rückte die letzten Zentimeter zu mir auf, sodass sich unsere Kniee berührten.

"Ich glaube so kann man sich besser unterhalten", erklärte er grinsend, "Also dann fang mal an"

"Jean wurde während des Krieges schwer verletzt. Meine Mutter fand ihn und sie und mein Vater pflegten Jean wieder gesund. Er fühlte sich deswegen immer schuldig und besuchte die beiden...und naja dabei erzählte er mir von seinen Reisen und brachte mir nebenbei das Lesen bei"

"Deine Eltern haben ihn gesund gepflegt?", vergewisserte er sich.

"Ja", ich dachte kurz nach, "er ist sogar mein Pate, aber in den letzten Jahren kam er nicht mehr so oft"

Richard gab nachdenkende Laute von sich während er nachdenklichit seinen Fingern seine Unterlippe knetete.

"So und jetzt, da ich ja meinen Teil der Vereinbarung erfüllt habe", ich setzte mir ein gespieltes Lächeln auf und stützte mein Kinn auf meiner Faust ab, "Seid ihr dran"

"Ich bin...", er stockte kurz, "Ich bin ein Kaufmann"

"Ein Kaufmann mit Soldaten im Schlepptau?", fragte ich ungläubig.

"Soldaten?"

"Naja, ich denke nicht, dass normale Kaufmänner mit Schwertern auf Pferden reiten. Außerdem" , ich sah ihn eindringlich an, "Wo sind denn eure Waren?"

Naja, normale Kaufmänner seid ihr vier ja sowieso nicht.

"Waren?", fragte Richard unsicher.

"Ja, Waren. Das verkaufen Kaufmänner"

Er schien lange zu überlegen. Besser gesagt schien er sich lange eine gute Geschichte auszudenken.

"Ich reise gerne mit Soldaten", erklärte er plötzlich, "Das ist sicherer. Und ich verkaufe keine Waren, weil ich Geschäfte damit mache hier in Frankreich Waren zu kaufen und sie dann in England zu verkaufen"

"England?"

"Ja"

"Das heißt wir sind jetzt auch auf dem Weg nach England?"

"Ja", antwortete er nachdenklich.

"Und welche Rolle spiele ich jetzt bei eurer Reise?", fragte ich nun.

"Euer Vater hat mit uns gespielt"

"Wie immer", seufzte ich mit einem Augenrollen.

"Er hat öfter gespielt?"

"Seit meine Mutter gestorben ist", erklärte ich, "Erinnere ich mich an keinen Tag, an dem er nicht gespielt hat. Damals war es nur etwas harmloser. Mit der Zeit steigerte sich das ganze so weit, dass wir das Vieh verkaufen mussten"

"Eure Mutter ist tot?", fragte Richard betroffen.

"Ja", gab ich nickend zu.

"Ich denke", er griff traurig lächelnd nach meiner Hand, "Da haben wir was gemeinsam"


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