Prolog
Eisblaue Augen starrten mich an. Sie durchbohrten mich, so als wollten sie in meine Seele schauen, doch das konnten sie nicht. Klar und hell strahlten sie mich an, als würde in ihnen etwas Geheimnisvolles schlummern. Meine Wangen waren von einem zarten rosa angehaucht, so als wären sie vorkurzem in der Kälte gewesen. Meine blonden Haare fielen mir in leichten Wellen über meine Schultern und schimmerten, wenn das Sonnenlicht auf sie fiel.
Ich trat einen kleinen Schritt näher, an den Spiegel, heran. Das kühle Glas beschlug, als mein Atem dagegen prallte. Meine schmalen zarten Hände glitten über die faszinierende Scheibe und wischten den Dunst weg. Es war erstaunlich, wie etwas unsichtbares plötzlich zu etwas sichtbaren werden konnte und den Menschen in Ekstase versetzten konnte. Doch wir alle waren zu Blind, um die wahre Schönheit zu erkennen. Denn es war immer schon da gewesen, wir hatten es nur nie bemerkt.
Ich legte meinen Kopf schief und betrachtete mich weiter. Wann stand man einfach nur vor einem Spiegel und beobachtete sich selber? Ich meinte nicht, das oberflächliche, wenn man sich jeden Morgen fertig machte. Ich meinte, wenn man jeden Millimeter seines Körpers unter die Lupe nahm. Jeder Mensch mochte an sich etwas nicht, doch genau das zeichnete doch einen aus. Die Unterschiedlichkeit jeden einzelnen.
Meine Augen scannten meinen schlanken Körper im Spiegel ab. Mir war unklar, wie die Natur so etwas erschaffen konnte. Alles um mich herum, war ein Unikat. Es war egal, ob es von einer Maschine in Massenproduktion produziert worden war, denn jedes Stück, was die Fabrik verließ war immer noch einzigartig. Denn das Material, aus dem es erschaffen worden war, existierte nur einmal in dieser bestimmten Struktur.
Diese Gedanken die ich hegte, verstand ich selber nicht. Sie machten mir Angst, da ich wahrscheinlich die einzigste auf dieser Welt war, der so etwas im Kopf herum schwirrte. Manchmal fragte ich mich, ob mit mir etwas nicht stimmte. Ich konnte nicht beschreiben, woher dieses Gefühl kam. Es war einfach da.
Und etwas weiteres Beschäftigte mich. Dieses spezielle Gefühl war schon immer da gewesen. Seit ich denken konnte, verbarg ich etwas im Inneren, doch ich wusste nicht was es war. Ich konnte nichts mit diesem Gefühl anfangen. Das einzige was ich wusste, dass es schon immer da gewesen war. Es war das Gefühl, von etwas im Besitz zu sein und es dennoch nicht anwenden zu können.
Langsam schloss ich meine Augen und stand einfach nur da. Ich fing an nach meinem Herzschlag zu lauschen und merkte dabei etwas Weiteres. Auch dieses Gefühl in meinem Herzen, was ich nirgendswo einordnen konnte, war mir durchaus bekannt, doch kannte ich es nicht. Ich wusste nicht was es war, aber irgendwas fehlte und das merkte mein Herz – das Herz was für das Leben aller Organismen verantwortlich war.
Doch es fehlte mir nicht an Gesellschaft. Ich hatte eine herzliche und gesunde Familie. Meine kleine Schwester, die nur drei Jahre mit mir unterschied hatte, war zwar eine Person für sich, aber wenn es darauf ankam, hielten wir zusammen. Natürlich war nicht alles wie in einer Traumwelt, wo es Einhörner gab, doch das gehörte zum Leben dazu.
Ich trat wieder einen Schritt zurück, sodass ich mehr von dem eigentlichen Spiegel sehen konnte. Es waren Fotos am Rahmen festgesteckt. Sie klemmten zwischen der Scheibe und der Holzfassung.
Ich hatte keine Erinnerungen an mein kleineres Ich. Sie waren wie ausgelöscht. Nur durch Fotos, die ich einmal in einer alten Kiste gefunden hatte, kam mir das Gefühl der Bekanntheit hoch. Es war der Instinkt den ich hatte, den ich nicht beschreiben konnte.
Und um dieses Gefühl von Liebe, was eindeutig diese Fotos in mir auslösen, nicht zu verlieren, hatte ich sie später in diesen Rahmen gesteckt. Vielleicht würde ich mich irgendwann an diese verlorenen Erinnerungen erinnern. Diese Hoffnung steckte tief in meinem Inneren und wartete nur heraus zu kommen.
Die Bilder zeigten mich mit einem Jungen, der ungefähr in meinem Alter war. Wir spielten zusammen in einem Sandkasten. Wir saßen zusammen auf irgendeiner Schaukel, wo er mich auf den Schoß hatte. Seine schokoladen braunen Augen lugten über meine kleine zarte Schulter und strahlten in die Kamera. Meine blauen Augen taten das gleiche. Die langen blonden Haare wehten schon da im Wind. Wir wirkten glücklich und unbeschwert, doch heute, kannte ich diesen Jungen nicht mehr. Er war mit den Erinnerungen an diese Zeit verloren gegangen...
Wir waren vielleicht fünf Jahre alt, als dieses Foto geschossen worden war – jetzt elf Jahre später, fragte ich mich, wo diese Aufnahmen gemacht worden waren. Ich kannte diesen Ort nicht. Ich konnte mich auch nicht daran erinnern, je wieder dort gewesen zu sein.
Meine Mutter wollte ich aus irgendeinen Grund nicht fragen. Genauso wenig wie meinen Vater. Ich liebte sie und eigentlich erzählten wir uns alles, doch diese Angelegenheit, war schwieriger. Das Gefühl, das etwas Besonderes dahinter steckte, machte mir Angst auf die Antwort. Dazu schrie mein Bauchgefühl, wenn ich es wüsste, würde sich irgendetwas verändern und genau davor hatte ich Panik.
Das unbekannte machte einem Angst, aber manchmal war es das Beste, diesen gewagten Schritt zu gehen. Vielleicht öffnete es Türen, die man vorher nicht bedacht hatte und etwas Großartiges passierte.
Mein Blick schweifte über weitere Fotos, die alle eine ähnliche glückliche Situation zeigten. So sehr ich mich auch anstrengte, mich daran zu erinnern, ich schaffte es nicht. Als ich mir den Jungen mit den lockigen braunen Haare und den schokoladen braunen Augen so anschaute, fragte ich mich, wie er heute wohl aussehen würde. Würde ich ihn wieder erkennen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top