Tödliche Pläne
Einige Tage später...
Immer noch lag der Duft von Kerzen schwer in der Luft. Der streng gekleidete Mann sah aus dem halb offenen Fenster hinaus auf den kleinen Platz vor dem Anwesen. Kein Zweifel, der Herbst kündigte sich an. Bäume wurden lichter und knorriger. Das saftige Grün, Zeichen des Lebens und des Sommers verabschiedete sich und machte Platz für die Farben des kommenden Herbstes. Kalte Luft, die aus den nördlichen Eisfeldern über das flache Land zog, verirrte sich immer öfter in den Gassen und Straßen Arwans.
Vorsichtig schloss er die Läden und warf einen letzten Blick über die Dächer der Stadt.
Den nahenden Winter fürchteten viele, weil Arwan den Elementen ausgeliefert war, mehr als die meisten größeren Orte, von Khoor mal abgesehen. Die waldigen Abschnitte im Norden waren im Vergleich zur Fläche des Feuerwaldes nahezu kümmerlich und vermochten es kaum, dem Griff des Winters Einhalt zu gebieten. Die Einwohner, junge wie alte, spürten den Wechsel der Jahreszeit und trugen wie auch die Wachen unten vor dem Tor wärmere Kleidung.
Das alles wäre nicht weiter bedeutsam, würde es nicht dazu führen, dass immer weniger Durchreisende hier Halt machten. Die Zahl der Marktstände ging ebensosehr zurück wie die Köpfe der Händler, die von weither kommend ihre Waren anboten und der Stadtkasse gutes Geld brachten. Er würde für seine Pläne viel davon benötigen. Sehr, sehr viel.
Angor Thyme strich unwillkürlich seine graue Uniform glatt, verschränkte die Arme und drehte sich zu der anderen anwesenden Person um, die es sich in der kleinen Sesselgruppe gemütlich gemacht hatte. Jene Farbe, die die ehemalige Fürstin für die bequemen Sitzmöbel ausgewählt hatte empfand er als Beleidigung für das Auge und ließ die Lederbezüge kurz nach seiner Ankunft dunkelblau einfärben. Mit einer Rückkehr der Fürstin war zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht zu rechnen.
Überrascht hatte ihn, dass sich diese Angelegenheit schnell von selbst erledigte. Er musste nicht einmal Zeit investieren oder Risiken eingehen. Ein paar unerfahrene Sucher hatten völlig ausgereicht, um ihn in ein ziemlich gutes Licht zu stellen, denn er konnte den ratlosen, verunsicherten und dummen Bürgern altbekannte Schuldige präsentieren. Skrupel hatte er selten, aber in diesem Falle musste er gegen sich selbst ankämpfen, weil seine Position in Khoor das Gegenteil bewirken sollte, nämlich junge Menschen zu fördern. Alles hat seinen Preis.
"Was werden sie Deiner Meinung nach tun, meine Liebe?", fragte der oberste Detektor mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Seine Stimme war über die Jahre rau und kratzig geworden, weshalb er leise sprach, um sie zu schonen. Er tat dies auch, wenn er stimmlich einen guten Tag hatte, denn seine Gesprächspartner waren so genötigt, aufmerksam zuzuhören.
"Sich verstecken, was sonst!" Elis nippte an ihrem Glas vorzüglichen Weißweines und prostete Angor zu. "Setz Dich und nimm auch einen Schluck. Du machst Dich ja völlig verrückt."
Erst heute morgen war sie in Arwan angekommen und ihr erstes Ziel war das fürstliche Anwesen gewesen. Sie war noch nie dort und das erste was sie tat, nachdem sie ihren alten Weggefährten begrüßt hatte war, eine heißes Bad zu nehmen. Ihr durch die Flucht stark in Mitleidenschaft gezogenes blaues Kleid hatte sie gegen ein schlichtes, hellbraunes aus der Kollektion der Fürstin getauscht und sich auch ihrer Schminkutensilien bedient. Ihre Tätowierungen waren aufgrund der kurzen Ärmel gut zu sehen.
"Danke. Mir ist nicht nach trinken und Deine gute Laune ist völlig unangemessen." Er ließ sich in einen der Sessel fallen und sah nachdenklich auf die Unterlagen, die er zur Vorbereitung auf die nächste Ratssitzung durchgehen sollte.
Sichtlich genervt beugte er sich plötzlich vor, nahm seinem verdutzten Gast das Glas aus der Hand und stellte es auf einen Schemel neben sich.
"Was bei den Göttern soll das?", fauchte Elis. Seine Launen waren manchmal kaum zu ertragen. Nahezu ungenießbar war er immer dann, wenn ein Plan fehlschlug. So wie dieser hier ziemlich danebenging, dachte sie.
"Das darf einfach nicht wahr sein! Der Auftrag war einfach und eindeutig. Du hattest genügend Männer, hervorragend ausgebildet und teuer obendrein. Wie konnte das passieren? Sind sie schlagartig blind geworden?"
"Nicht direkt." Elis spürte, wie ihr Blut in den Kopf stieg. "Sie...".
"Nicht direkt? Was soll das bedeuten?" Er lehnte sich ein Stück nach vorne. "Falls man mich beschissen hat und es keine erfahrenen Leute waren, weiß ich, wessen Kopf rollen wird."
"Sie waren betrunken," sagte Elis kleinlaut und so ruhig wie möglich, wobei sie innerlich absolut nicht entspannt war.
Angor schnappte wie ein erstickender Fisch nach Luft als er das hörte, griff nach dem Glas Wein und leerte es in einem Zug. Sekunden lang starrte er sie an und bohrte seine ringgeschmückten Finger vor Wut in die Polsterung.
"Reg Dich ab, es gibt eine Erklärung dafür."
"Tatsächlich? Ich bin gespannt."
"Sie konnten wegen der nächtlichen Blitzeinschläge nicht schlafen und dachten, es wäre mit Alkohol leichter, Ruhe zu finden. Sich etwas in die Ohren zu stopfen hat nicht geholfen. Ich wußte davon nichts und hätte es niemals erlaubt. Betrunkene sind im Kampf nicht mehr als Kanonenfutter."
Angor musterte sie, wohl wissend, dass sie die Wahrheit sagte. Sie war einer der wenigen Menschen, denen er vertraute und es gab keinen Grund, gerade jetzt an ihrer Loyalität zu zweifeln. Die Mine hat er bereits selbst besucht und hatte das Gebiet fluchtartig verlassen, weil ihn der nächtliche Lärm fast wahnsinnig gemacht hatte.
Er nickte knapp und seine Gesichtszüge entspannten sich ein wenig: "Ich glaube Dir. Du musstest fliehen, keine Frage. Dein Tod wäre fatal gewesen und vielleicht spielt es auch keine Rolle, wo sie gerade sind und was sie tun. Aber Ingwer hättest Du töten sollen. Sie ist die einzige, die mir vielleicht einen Strich durch die Rechnung machen könnte."
Elis wußte, dass er Recht hatte. Ingwer war sehr willensstark und lernte schnell. Mit einem guten Ausbilder könnte sie eine Bedrohung sein, eine noch größere, als es die momentan sehr geschwächten Wandler jemals sein könnten.
"Sie war kooperativ und hat eingewilligt, nach Khoor zu reisen um ihre Freunde zu schützen. Wir haben uns gut verstanden, aber es war auch leicht, sie für mich zu gewinnen. Ihr fehlt die Mutter mehr als ihr selbst bewusst ist."
Elis lächelte überlegen und lehnte sich zurück. Angor kannte diese Geste sehr gut. Vor vielen Jahren hielt er sich geschäftlich in einer düsteren Absteige in Khoors Hafenviertel auf. Elis bot sich dort als Freudenmädchen an und fiel ihm nicht nur wegen ihres Hautschmucks auf, sondern durch eine Reaktion seines Spürsteines, der zu pulsieren begann wie er es nur selten tat.
Er bat um ein Gespräch und erntete dafür verwunderte Blicke von allen Seiten, denn ihre Unterhaltung fand in einem heruntergekommenen Wirtshaus statt, das neben einem vorzüglichen Weinausschank auch mehrere halbrunde und verhangene Nischen besaß, in denen Frauen auf Freier warteten. Nachdem er ihr sein für sie völlig überraschendes Angebot unterbreitet hatte, lehnte sie sich langsam zurück, hob den Kopf leicht an und lächelte den anderen Mädchen triumphierend zu. Sie hatte gesiegt.
"Du wickelst alles und jeden um den Finger, das ist bekannt. Aber sie ist nunmal nicht in Khoor."
"Sicher, Angor. Wir werden eine Lösung finden, wenn die Zeit es erfordert."
"Das werden wir und Du wirst mir dabei helfen. Hier." Er warf ihr ein kleines, rotes Ledersäckchen zu, dass mit einem klimpern in Elis' linker Hand landete. Offensichtlich befanden sich Münzen darin. Ziemlich viele.
"Nimm Dir ein Zimmer im Händlerhof. Das Haus gehört Stanos, er ist ein alter Bekannter und zudem ein gerissener Fuchs. Er wird Dich erwarten."
"Was soll ich dort tun? Mir den Bauch vollschlagen sicherlich nicht."
"Das wäre bei all den Göttlichkeiten die er gegen gutes Geld auftischt verständlich, aber nein, deswegen bist Du nicht dort. Jeden ersten Tag eines Monats taucht pünktlich mit dem Untergang der Sonne ein rundliches Männchen auf, kaum größer als ein Kind und mit einem widerlichen Schnauzbart. Er wird sich an das zweite Fenster links des Treppenaufgangs setzen, zuerst ein Bier, dann einen Braten und zum Schluß einen Schnaps bestellen."
Elis zuckte mit den Schultern. Falls er auf die absurde Idee gekommen war, sie einem Zuhälter zuzuschustern, hatte er sich geschnitten. Ganz gewaltig sogar.
"Soll ich ihm etwa 'Gesellschaft' leisten?", fragte sie misstrauisch.
Angor schmunzelte leicht: "Keine Sorge. Nichts dergleichen. Habe ich so etwas je von Dir verlangt?"
"Nein. Hast Du nicht. Ist auch egal. Was ist mit dem Kerl? Wie heißt er eigentlich?"
"Soweit ich weiß, kennt niemand seinen wahren Namen. Wer mit ihm zu tun hat, nennt ihn 'Stich'. Mit gutem Grund."
"Ziemlich viel Geheimnisse um einen kleinen dicken, nicht allzu schönen Mann. Ich setze mich also zu ihm und dann?"
Angor griff in ein kleines Täschchen, das in der Innenseite seines Anzugs angebracht war, förderte eine faustgroße, bauchige Flasche zutage und schüttete den Inhalt auf den kleinen Tisch vor ihm. Es war ein tiefroter, fingernagelgroßer Edelstein.
"Du wirst Dich zu ihm setzen, geduldig warten bis er gegessen hat und während er das tut, kein Wort sagen. Danach wird er Dir einen Wein anbieten."
"Dem ich natürlich kaum widerstehen kann." Elis rollte mit den Augen. "Komm zum Punkt, bevor ich anfange mich vor ihm zu ekeln."
"Er liebt Rituale und würde durchdrehen, wenn es nicht genauso abläuft, wie ich gesagt habe."
"Ist er ein Schwachkopf?"
Angor grinste süffisant: "Nein. Ganz im Gegenteil. Er gilt als einer der verschlagensten und cleversten Kerle in diesem Teil des Landes. Darüber hinaus ist er der diskreteste und zuverlässigste Meuchelmörder, den man für Gold bekommen kann."
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