Feuersturm
Kira zitterte vor Angst am ganzen Körper. Aufgeregt blickte sie in den wabernden Himmel. Graue Wolken waren aufgezogen und hüllten alles in einen matten Schleier. Sie hockte sich tiefer in das halbhohe Schnittergras und suchte aufmerksam den nahen Waldrand ab. Aus den Augenwinkeln hatte sie eine flüchtige Bewegung wahrgenommen. Ob es ein Mensch war? Was sich dort versteckt hielt, war ziemlich gut darin, unentdeckt zu bleiben.
Vorsichtig robbte sie rückwärts und griff instinktiv nach allem, was irgendwie Halt versprach. So gut es ging mied sie die scharfen Halme und obwohl sie geschickt war und sich mit den Pflanzen der Gegend gut auskannte, schaffte sie es nicht, die alte Jägerhütte ohne Risse in den Handflächen zu erreichen.
Hastig rieb sie das noch warme Blut an ihrem Umhang ab und ignorierte den Schmerz so gut sie konnte. Als sie das Holzgebäude erreicht hatte, presste sie ihren Körper an eine der bemoosten, rauhen Wände. Ihr Atem stockte. Dort! Sie konnte ihn hinter den ersten Baumreihen erkennen, kaum hundert Schritt entfernt. Seine hagere, schmächtig wirkende Gestalt war ihr zugewandt.
In seiner rechten Hand hielt er einen dunklen, schlangenartigen Wanderstab, seine linke umklammerte etwas, das aussah wie ein schimmernder Stein. Er schien regungslos. Nur sein dunkles Haar das der Wind hin und her warf verriet, dass er überaus lebendig war.
"Ich wusste es!" Den ganzen Tag über hatte sie ein ungutes Gefühl gehabt. Ob die großen, deutlich sichtbaren Fußspuren nahe ihres Lagerfeuers von ihm stammten? Sie spürte seine bohrenden Blicke. Oh wie sie es hasste, sich wehrlos und angreifbar zu fühlen. Dabei begegneten sie einander nicht zum ersten Mal. Getan hatte er ihr nie etwas. Immerzu blieb er auf Abstand und unternahm auch keinen Versuch mit ihr zu sprechen. Meist stand oder lehnte er und sah ihr zu. Aber genau das beunruhigte sie.
Zwei Jahre ging das so. Alle paar Monate tauchte er auf, blieb eine Weile in ihrer Nähe und verschwand. Irgendwie hatte Kira sich an diesen Rhythmus gewöhnt. Aber heute war er ihr sehr nah. Näher als sonst. Viel zu nah.
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, überlegte sie sich einen Fluchtplan. Nach Hause zu laufen schien die beste Idee zu sein. Es war weit aber sie musste es versuchen. Fest umklammerte sie den kleinen Topf in ihrer Hand, den sie zuvor aus der Hütte geholt hatte um Beeren zu sammeln.
Ein lautes Knacken in unmittelbarer Nähe ließ sie zusammenfahren. Jetzt oder nie! Sie rannte los. Ein Glück, dass sie groß gewachsen war und jede Ecke dieses Landstriches kannte. Mit langen Schritten ließ sie die alte Hütte hinter sich, erreichte schnell das Ende der Grasfläche und sprintete tiefer in den Wald hinein.
Als sie erschöpft eine moosige Lichtung überquerte, sah sie hastig nach hinten. Ihr Herz blieb fast stehen: der Fremde war noch zwanzig Schritte von ihr entfernt. Kira biss die Zähne zusammen und dachte fieberhaft darüber nach, wie sie ihn abschütteln konnte. Dann kam ihr eine Idee. Weit war es zu ihrem Lagerfeuer nicht mehr. Das Gefühl ihr Verfolger könnte sie jede Sekunde einholen verlieh ihr enormen Willen. Zugleich merkte sie, wie sie langsamer und ihre Beine schwerer wurden. Noch trugen sie ihren leichten Körper sicher durch das Unterholz. Aber wie lange noch?
Das knacken unter ihren Füßen wurde lauter je schneller sie lief, aber sie achtete nicht darauf. Und auch nicht auf die mahnenden Worte ihrer Mutter, an die sie ständig denken musste. Endlich sah sie hinter engstehenden Baumreihen dünne Rauchschwaden aufsteigen, die vorwitzig zwischen den Stämmen hin und her tanzten.
"Bleib endlich stehen!"
Kira erschrak und Angst machte sich in ihr breit. Die dunkel dröhnende Stimme klang unheimlich. Er hatte noch nie mit ihr gesprochen!
Nur noch wenige Meter fehlten bis zu ihrer Rettung. Sie sah die Flammen im Wind lodern. Ein Gefühl von Sicherheit machte sich in ihr breit, als sie auf das Zentrum des hüfthohen Feuers zulief. Was hatte sie für eine Wahl? Den Atem ihres Verfolgers im Nacken spürend spannte sie jeden Muskel an und katapultierte sich mit aller Kraft in die Luft. Kira spürte die sengende Hitze, riss beide Arme nach unten und schloss die Augen. Wie aus dem Nichts spien ihre Fingerspitzen kleine Blitze in das Zentrum des Feuers und schlagartig dehnte sich die kleine Flamme in alle Richtungen aus.
In Sekundenbruchteilen schoss eine glühende Feuerwand in die Höhe. Sie tauchte die Umgebung in gleissendes Licht. Kira sah aus den Augenwinkeln, wie alles um die Feuerstelle herum in Flammen stand und erschrak als eine Druckwelle sie ruckartig ein Stück durch die Luft wirbelte.
Hinter ihr zerschnitt ein erstickter Schrei die Luft, der schnell verstummte. Sie landete weich und lief einen Bogen nach rechts in Richtung eines flachen Hügels. Zwei Minuten später versagten ihre Kräfte und sie lehnte sich erschöpft an den furchigen Stamm eines alten Faltenbaumes. Eine bleischwere Dunkelheit schob sich vor ihre Augen. Bebend vor Anspannung klammerte sie sich an einen der herabhängenden Äste und lauschte. Es war absolut still.
Minuten zogen ins Land, aber nichts geschah. Energisch strich Kira sich die klebrigen Haare aus dem Gesicht und sah sich um. Als sie das leise Rauschen des Schlangenflusses hörte machte sich Erleichterung in ihr breit. Bis nach Hause war es nicht mehr weit.
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