Erkundungen
"Seht euch das an!" Ingwer strich über die kalte Oberfläche des Tores. Der Geruch von Rost und Öl lag in der Luft. Sie deutete auf eine kleine ei-förmige Einbuchtung, die in den mittleren Beschlag eingearbeitet war.
"Wer sagt, dass ein Schlüssel auch wie einer aussehen muss?"
Trickser wirkte sehr nachdenklich: "Ich habe schon einige Schlösser gesehen und geknackt, aber so etwas ist mir noch nicht untergekommen." Er pulte und drückte in dem Loch herum. Nichts geschah.
Vier hatte bereits versucht, die gefesselten Wachen zum reden zu bringen, aber sie blieben stur, egal was er ihnen androhte. Eine geschlagene halbe Stunde hatte er es versucht und war sichtlich frustriert. Mit hochrotem Kopf packte er sich den kleineren von den beiden, der gegen die Kraft des Detektors wenig ausrichten konnte und halb in der Luft hing: "Jack, durchsuche seine Sachen. Viel hat er ja nicht dabei."
Der junge Sucher nickte und schaute ruhig in jede Tasche und jeden Winkel der Kleidung, konnte aber nichts finden. Auch bei der anderen Wache blieb die Suche ergebnislos.
Ingwer steckte ihren Dolch ein und lehnte sich Lippen kauend an die Wand.
"Denkst Du nach?", fragte Kira, die mit dem Gedanken spielte, dass Tor anzuzünden, sich aber dagegen entschied. Ihre Gefährtin bewegte den Kopf wie in Trance vor und zurück.
"Lass uns an Deinen Erleuchtungen teil haben, ja?", sagte Jack und schlug mit der Faust gegen das Tor. Obwohl es aus Holz war, fühlte es sich massiv an wie Gestein.
"Ich glaube, ich habe eine Lösung," flüsterte Ingwer, zückte den Dolch erneut und hastete auf die Wachen zu.
Alle erschraken. Am schnellsten reagierte Vier, der ihr Handgelenk umklammerte, als sie vorbei wollte.
"Nein! Ich will sie nicht abstechen." Sie sah ihren Mentor an, ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Schließlich ließ er sie los.
Sie nahm die Waffengurte, die die Wachen nicht mehr trugen, löste die Dolche geschickt aus der Halterung und drehte sich in alle Himmelsrichtungen.
"Der Griff von diesem hier ist ziemlich breit. Mal sehen."
Jeder Zentimeter wurde von ihr abgetastet. Als ihre Hoffnung bereits schwand, fand sie ein bewegliches Teil unterhalb des Leders, drückte darauf und ein Teil der Waffe klappte nach unten. Darin befand sich eine glatt polierte, dunkelrot glänzende Kugel.
Triumphierend hielt sie sie hoch: "Ich denke, das wird uns helfen."
Kiras Herz schlug schneller. "Du bist wirklich clever, Ingwer."
Die angesprochene lächelte, wurde aber sofort wieder ernst, während sie die Kugel in ihrer Hand wog: "Das ist ein Spürstein. Ich fühle es ganz deutlich. Was hat das zu bedeuten?"
"Egal was dahinter auf uns wartet. Man schützt nur dann etwas auf diese äußerst aufwendige Weise, wenn es nicht für jedermanns Augen bestimmt ist." Vier nahm Ingwer den Stein ab und deutete auf die Wachen: "Die beiden nehmen wir mit. Sie werden uns noch nützlich sein. Helft ihnen hoch."
Er drückte die Kugel vorsichtig in die Einbuchtung. Sie passte zu kaum einem Drittel hinein, blieb aber durch irgendeine Kraft an ihrer Position. Erst geschah nichts, dann vibrierte der Boden unter ihnen, alles zitterte, rumpelte, schüttelte die Sucher durch. Die Torflügel schwangen langsam nach innen und kamen kurz vor den Seitenwänden zum stehen. Dahinter führte eine steinerne Treppe nach oben, nicht steil, aber beständig ansteigend. Vereinzelt spendeten kleine Öllampen eine Armlänge weit Licht.
"Was da oben ist, werdet ihr uns nicht sagen, oder?" Vier wandte sich an den kleineren Wachmann.
"Du hast es erfasst, Meister." Er spuckte vor dem Detektor auf den Boden. "Verrecken werdet ihr. Elendig. Wie viele andere zuvor."
Kira musterte den Mann. Sie konnte nicht sagen, ob das nur Gerede war, um ihnen Angst zu machen. Er blinzelte häufig und blickte hektisch von einem zum anderen. Vielleicht hatte er selbst Angst vor irgendetwas?
"Los, kommt. Wir haben nichts zu befürchten" Viers Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Möge er recht behalten, dachte sie und sah in das Halbdunkel des Tunnels. Irgendetwas schimmerte am Ende, das aber noch weit entfernt war.
Mit den Wachen in der Mitte machten sie sich an den Aufstieg. Je höher sie kamen, desto deutlicher spürten sie einen kühlen Wind, der ihnen entgegenblies. Der helle Punkt wurde immer größer und schnell war klar, dass es der Himmel sein musste, der auf sie wartete.
Nach wenigen Minuten erreichten sie den Ausgang des Tunnels. Was sie dort sahen, verschlug ihnen die Sprache.
Sie standen zehn Meter oberhalb einer weiten flachen Steinebene, die offensichtlich von Menschenhand angelegt worden war. Kreisrund wie sie war, ragten um sie herum zackige Felsformationen in die Höhe. Nur an zwei gegenüberliegenden Stellen war diese Begrenzung nur zwanzig Schritt hoch, als ob eine gigantische Waffe eine Kerbe in das Massiv geschlagen und zugleich diesen abgeschiedenen Ort geschaffen hätte. Verstreut auf der Ebene lagen meterlange Steinbrocken, die irgendeine Naturgewalt dorthin geschleudert hatte.
Etwa in der Mitte befanden sich mehrere kleine Häuser, die einander sehr ähnelten. Alle besaßen ein flaches Dach, Türen und Fenster schien es nicht zu geben. Wo diese hätten Schutz bieten sollen, befanden sich runde Löcher in der Wand. Jeder der wollte, konnte hineingehen oder hineinsehen. Nicht alle Behausungen waren intakt. Einige bestanden nur noch aus Trümmern, teils waren von den einstigen Bauwerken nur noch Fundamente zu sehen.
Ungewöhnlich war, dass diese kargen Behausungen von zwei dicht hintereinanderliegenden, mehr als mannshohen Mauern umschlossen waren. Metallene Tore, die scheinbar alle offen standen, erlaubten in allen Himmelsrichtungen die Passage von Innen nach Außen. Am sonderbarsten war aber, dass der gesamte Bereich innerhalb des Mauerrings von einer milchig-wabernden Hülle eingeschlossen war. Alles darunter war nur leicht unscharf zu erkennen.
"Das gibts doch nicht," haspelte Jack und kniff die Augen zu, um besser sehen können.
"Unfassbar!", stimmte Ingwer ein. Kira sah, wie diese ihre Hände hektisch aneinander rieb.
Vier, der mit dem großen Gefangenen vorangegangen war, drehte sich um. Plötzlich wirkte er sehr angespannt: "Ist es das, was ich denke?"
"Es sieht zumindest genauso aus", bestätigte Kira. "Aber dieses hier ist so ... riesig. Wer macht so etwas? Und warum?"
"Damit was auch immer dort wohnt, auch dort bleibt." Jack ging los und zog den kleinen Wachmann ein Stück hinter sich her.
Trickser ging den leicht abschüssigen Hang vor ihnen rechts herunter, sah sich währenddessen um und deutete mit seinen dünnen Fingern auf eine weiter entfernte Felsformation: "Da stehen Gebäude außerhalb der Mauern, hinter den Felsen dort hinten. Ich kann aber nicht viel erkennen."
Vier sah in die gleiche Richtung und nickte: "Gut beobachtet, Trickser. Wir warten ab was passiert um herauszufinden, wer unser Gegner ist. Unangenehme Überraschungen mag ich nicht."
Jack bewachte zusammen mit Kira die Wachen ein Stück den Gang hinunter. Auf diese Weise konnten diese nicht mitbekommen, was sich auf der Ebene tat und hören würde sie auch niemand für den Fall dass sie vor hatten Alarm zu schlagen.
Die anderen postierten sich so, dass sie so gerade sehen konnten, was draußen geschah. Entdeckt würden sie auf diese Weise kaum. Dann warteten sie.
Abwechselnd achteten sie auf alles, was sich tat, aber auch nach etwa einer halben Stunde war kein Soldat zu sehen. Unter der Kuppel gab es Bewegungen, mal mehr, mal weniger. Als Kira an der Reihe war sprach sie aus, was die anderen schon vermutet hatten: "Ich glaube, dass unter dieser Glocke Kinder wohnen. Für Erwachsene sind sie einfach zu klein. Es mag ein Dutzend sein, vielleicht mehr. Aber sie bewegen sich und liegen nicht einfach nur da."
"Mir ist ja schon viel Mist passiert, aber so weggesperrt hat mich noch niemand. Was sollen Kinder denn schon anstellen?" Jack sah seine Gefährten an.
Trickser guckte verlegen zur Seite, als wäre er bei irgendetwas illegalem ertappt worden. Er nahm einen Stein und warf ihn in Richtung Kuppel. Ein ganzes Stück davor blieb er liegen und nichts geschah: "Irgendeinen Grund wird es geben. Warum fragen wir sie nicht einfach? Hier ist außer uns niemand. Wenn das Kinder sind, die uns gefährlich werden können ist das eben so. Raus kommen sie nicht."
"Mir ist das nicht geheuer," sagte Kira. "Hier ist es totenstill und nichts rührt sich. Sollten wir nicht Hilfe holen? Was ist, wenn doch irgendwo Wachen sind?" Sie deutete auf zahlreiche Vorsprünge in der Bergwand, hinter denen man sich durchaus gut verstecken konnte.
"Wenn sie von dort aus schießen und treffen wären sie wirklich gut. Das traue ich nicht einmal den Elitesoldaten des Fürsten zu." Vier dachte kurz nach und wandte sich den Gefangenen zu: "Ich wüsste zu gerne, wem ihr unterstellt seid. Die blauen Gardisten tragen blau und nicht irgendetwas. Entweder ihr arbeitet nicht im Dienste Khoors oder tut das und gebt euch nicht zu erkennen. Beides wäre sehr merkwürdig. Ich wüsste nicht, dass der Fürst heutzutage Söldner beschäftigt. Zur Zeit der Waldkriege mag das üblich gewesen sein, aber das ist lange her."
"Ihr seid ein schlauer Mann, aber wohl nicht klug genug", frotzelte der größere Wachmann. Carl war sein Name. "Selbst wenn wir dem Fürsten unterstehen und uns befohlen wurde, dies nicht zu verraten, werden wir gar nichts ausplaudern. Kapiert?"
Sie warteten eine Weile, um sicherzugehen, dass sie die Strecke zur Kuppel gefahrlos zurücklegen konnten. Dann gingen sie los. Aufmerksam beobachteten die Sucher die Umgebung, aber in der Luft, in den zerklüfteten Felswänden und auf dem Boden regte sich nichts.
Immer näher kam sie dem äußeren Mauerring. Die massiven Steinwälle ragten schräg nach innen. Auffälliger war aber das gleichmäßige pulsieren der Kuppelhülle. Wie der Brustkorb eines atmenden Lebewesens dehnte sie sich ein Stück aus, nur um sich kurz darauf wieder zusammenzuziehen.
Sie durchquerten den ersten Durchgang, dann den zweiten. Die Mauern die sie passierten überragten die Sucher um mindestens zwei Schritte. Die armdicken Aufhängungen, in denen die Torflügel einst ruhten ließen erahnen, dass niemand jemals diesem Ort entfliehen können sollte.
Bis zur Kuppel war es nun nicht mehr weit. Die Kinder schienen die Sucher bemerkt zu haben, den einige rannten auf die milchige Wand zu und blieben kurz davor stehen. Augenblicke später kamen die Sucher nur wenige Schritte von den Bewohnern zum stehen.
Kira spürte ein Kribbeln am ganzen Körper. Die Bewegung der Kuppelhülle ließ sie schwindelig werden. Sie sah nach links und rechts und merkte, dass auch die anderen durch die Kuppel beeinflusst wurden. Sie fühlte sich plötzlich sehr unwohl und trat instinktiv einen Schritt zurück.
"Du musst keine Angst haben." Kira erschrak, als sie die Stimme hörte. Sie klang sehr weich und irgendwie schwach. Ein Mädchen sah sie an, sie mochte vielleicht zehn Jahre alt sein. Ihre Gesichtszüge waren kaum zu erkennen, da sie etwas entfernt stand Kira ahnte aber, dass sie sehr ernst schaute. Sie war groß gewachsen trug für diese Jahreszeit viel zu dünne Kleidung, die aber gepflegt aussah. Ein langer Zopf lag über ihrer Schulter.
"Ich bin Raja. Wer bist Du?" Sie näherte sich langsam, stand dann stand jetzt ganz nahe und drückte ihre Hände vorsichtig auf die Kuppelwand. Am Ort der Berührung waberte die Substanz, aus der das Gefängnis bestand.
Die Sucherin wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Ihr war aber aufgefallen, dass Raja nicht aus dieser Gegend stammen konnte. Das 'r' klang aus ihrem Mund eher wie ein scharfes 'ch'.
"Ich heiße Kira. Schön Dich kennenzulernen."
Direkt hinter dem Mädchen tauchte ein bleicher Junge im gleichen Alter und mit gesenktem Kopf auf. Ständig kratzte er an seinen Armen.
"Das ist Yanu, ein guter Freund von mir. Wir stammen aus dem gleichen Dorf."
"Was ist mit ihm? Er sieht sehr krank aus."
Raja nickte knapp: "Das ist er. Irgendwie. Sie mischen uns etwas in das Essen, dass müde und schwach macht. Die meisten von uns sind wie Yanu. Aber was sollen wir machen? Wir müssen ja essen und selbst welches anbauen? Naja." Sie deutete auf den glatten Fels unter ihren Füßen.
Jacks Miene verfinsterte sich: "Warum bist Du nicht müde? Und wer sind diese anderen?"
"Ich weiß es nicht. Mir ging es von Anfang an gut. Deswegen haben sie vor mir am meisten Angst. Die anderen können sie gut kontrollieren. Mich nicht." Yanu legte ihr vorsichtig die Hand auf die Schulter. Sie lächelte, als sie die Finger spürte und strich ihm über die Wange.
"Wer sie sind weiß ich nicht genau. Ihr Anführer heißt Theron. Er ist ein schlechter Mensch, übervoll mit Hass."
Yanu hob zaghaft die Hände und tat, als ob er sich erwürgen würde. Jedes einzelne Wort kostete ihn viel Kraft: "Er ist... grausam. Ein Ungeheuer."
"Wo befindet sich dieser Theron jetzt?", fragte Vier. "Wieviele Männer hat er?"
"Sie leben in den Häusern hinter den Felsen. Wenn ich richtig gezählt habe, sind es zwanzig Wachen. Einige von ihnen passen in der Mine auf und wechseln sich mit anderen ab. Vor Stunden kamen sie hier vorbei. Bis auf diese beiden da."
Yanu zögerte kurz und tippte ihr mit einem Finger zaghaft auf die Schulter.
Raja fuhr zusammen, sah ihren Freund an und schüttelte vehement den Kopf.
"Was ist los? Habt ihr etwas zu verbergen?" Trickser machte Anstalten, durch die Kuppelwand hindurchzugehen. Nach einem halben Schritt hinein wurden seinen Bewegung immer langsamer. Mit hochrotem Kopf hielt er dagegen, konnte aber nach wenigen Augenblicken der Kraft des unwirklichen Hindernisses nichts entgegensetzen.
Raja verschränkte die Arme: "Zu verbergen haben wir nichts. Wir sind nur vorsichtig. Viele von uns sind eines Tages verschwunden und kehrten nicht zurück. Warum seid ihr eigentlich hier? Gäste kommen nie hierher."
"Wir sind keine Gäste," antwortete Ingwer. "Wir haben uns gewissermaßen selbst eingeladen um herauszufinden, was hier vor sich geht."
"Das ist gut. Vielleicht könnt ihr uns helfen hier heraus zu kommen. Nicht nur die Wachen leben hier, sondern auch die blaue Frau. Wir nennen sie so, denn wir wissen ihren Namen nicht."
Während sie sprachen bedeutete Vier Jack und Trickser mit den Gefangenen ein Stück zurück zu gehen, um nicht überrascht werden zu können. Sie postierten sich zu beiden Seiten außerhalb der Mauern.
"Warum blau," fragte Ingwer. "Ist ihre Kleidung gefärbt?"
"Sie ist tätowiert. Überall. Auch im Gesicht. Alle paar Wochen holt sie einen von uns und nimmt ihn mit. Stunden später kommen sie zurück und sind nicht mehr dieselben wie vorher."
"Dich haben sie noch nicht geholt? Du bist doch ganz normal, deshalb frage ich." Kira fiel auf, dass die anderen Kinder sich zögerlich näherten. Sie verhielten sich wirklich merkwürdig. Einige gingen langsam, andere bewegten sich ungelenk, mehrere trauten sich nicht, die Sucher auch nur anzusehen. Bei Raja war das anders. Sie wirkte stolz und stark, obwohl die Gefangenschaft auch ihr deutlich zugesetzt hatte.
"Nein, haben sie nicht. Irgendwie kann ich alles essen ohne so zu werden. Ich verstehe das auch nicht. Hunger haben wir trotzdem immer."
"Was macht sie mit euch?", wollte Vier wissen.
"Genug getratscht meine Gäste. Seid willkommen!"
Die Stimme donnerte unerwartet und mit dumpfer Wucht über die Sucher hinweg. Ruckartig drehten sie sich um. Kira stellten sich die Nackenhaare auf. Wären sie doch vorsichtiger gewesen! Ist jetzt alles zu spät?
"Kommt." Vier zog die Sucherinnen mit sich. Als sie das ummauerte Gebiet verlassen hatten und sich umsahen, erblickten sie Trickser und Jack, die, zum Glück unversehrt, immer noch ihre Gefangenen in Schach hielten. Als Trickser die drei kommen sah, zeigte er auf den Berghang links von ihnen: "Da oben!"
Kiras Hände zitterten, als sie begriff, dass sie in eine Falle geraten waren. Sie kniff die Augen zusammen. Nahe des Eingangs zur Mine tauchten hinter Steinvorsprüngen und kleinen Mulden im Gestein Gestalten auf. Erst eine, dann zwei. Es wurden immer mehr, bis endlich zehn mit Bögen bewaffnete Männer auf etwa gleicher Höhe in der Bergwand standen und warteten.
"Dumm gelaufen, was?", frotzelte der kleine Wachmann. "Das da hinten ist Theron und er ist sicher ziemlich mies gelaunt." Eine weitere Person stand weiter links. Kira hatte sie nicht bemerkt. Tiefblaue Kleidung, zumindest hielt sie diese Farbe für blau, ließ ihn wie einen Schatten erscheinen. Gegen den Fels war er nur schwer zu erkennen.
Gemächlich setzte er sich in Bewegung und verlor stetig an Höhe, als würde er im Schatten der Felswand herunterschweben. Die anderen Wachen taten es ihm gleich, ohne die Sucher aus den Augen zu lassen.
"Sie müssen eine Treppe in das Gestein gearbeitet haben", vermutete Vier der sich von Trickser die kleinere Geisel geschnappt hatte und mit einem Messer in schach hielt.
"Mist. Es sind viel zu viele! Was tun wir jetzt? Ich will noch nicht sterben." Jacks Arme sackten kraftlos nach unten, sein Rucksack rutschte langsam auf den Boden.
"Vielleicht können wir verhandeln. Ich hege die Hoffnung, dass wir für sie zu wertvoll sind und sie uns nicht einfach umbringen."
Der Detektor kniff die Augen zusammen. Der Anführer der Wachen hatte das Plateau erreicht und kam näher. Er war groß gewachsen und hielt ein langes, schmales Schwert lässig in seiner rechten Hand. Auf seiner linken Brust prangte das markante Wellensymbol Koohrs. Seine Männer bildeten einen Halbkreis und blieben in gebührendem Abstand stehen.
Kira sah, dass Trickser seine Finger lockerte und dabei beobachtete, wie sie eingekesselt wurden. Soviele Menschen in Nebel zu hüllen würde nicht funktionieren, zumindest nicht so schnell, dass sie noch eine Chance hätten, zu fliehen, ohne Pfeile im Rücken zu haben. Pflanzen gab es keine und auch ihre eigene Kraft würde die Wachen nicht erreichen. Sie zitterte und wünschte sich fort, weit fort.
"Da sind ja meine Gäste. Wir haben euch schon sehnsüchtig erwartet. Eigentlich seid ihr mir herzlich egal, aber meiner Befehlshaberin nicht. Seid willkommen." Er verbeugte sich leicht.
"Ihr seid Theron nehme ich an?" Vier zeigte auf die beiden Gefangenen. "Das sind eure Männer. Ihr erkennt sie sicher. Wir lassen sie laufen, wenn wir freies Geleit bekommen."
"Oh. Ein Angebot. Lasst mich nachdenken."
Er vollführte eine übertrieben theatralische Geste, sah hierhin und dorthin, als ob er tatsächlich um eine Antwort rang. Dann lachte er schallend: "Ihr könnt sie behalten, wenn ihr wollt."
Die Augenbrauen hochziehend sah er die beiden Wachleute an: "Tut mir leid Jungs, aber mein Auftrag ist da eindeutig. Ich soll diese Leute um jeden Preis fangen. Lebendig. Vor allem eine von euch. Wer ist Ingwer?"
Therons Blick wechselte zwischen den Sucherinnen hin und her. "Na. Wirds bald?"
Kira und Ingwer sahen sich an. Dann hob Ingwer zögerlich ihre Hand.
Theron musterte sie von oben bis unten. "Soso. Du bist das also. Musst ja was ganz Besonderes sein. Wenn ich mir Dich so anschaue, fällt mir aber rein gar nichts Besonderes auf. Aber Halt! Von diesen Dingen verstehe ich nicht viel."
Ingwer starrte ihn ungläubig an. Sie hatte die dunkle Ahnung, dass sie alle im Begriff waren, die Kontrolle über die Sitation zu verlieren. Zitternd fragte: "Woher wisst ihr meinen Namen?"
"Jemand der ihn kennt hat ihn mir verraten. Was dachtest Du? Dass ich die Götter besteche und sie aus dem Nähkästchen plaudern? Ich gebe zu, ich halte mich für gerissen, aber so etwas? Nein. Das tue ich nicht." Seine Männer im Hintergrund lachten herzlich.
"Was habt ihr jetzt vor, Theron? Große Reden schwingen könnt ihr, das habt ihr eindrucksvoll bewiesen. Aber deswegen sind wir wohl nicht hier." Vier nickte Trickser zu und ließ seinen Gefangenen los: "Ihr habt gewonnen."
"Das ist sehr vernünftig von euch." Als die beiden Freigelassenen an Theron vorbei gingen, klopfte er ihnen auf die Schulter: "Hasst mich jetzt nicht. Ich wusste, dass sie klein beigeben. Irgendwie hängt jeder an seinem Leben, nicht wahr?" Er nahm keine weitere Notiz von ihnen und wandte sich den Suchern zu: "Legt eure Sachen auf einen Haufen. Dort vorne. Falls einer auf dumme Gedanken kommt: unsere Pfeile sind schneller."
Widerwillig und den Blicken des hämisch grinsenden Anführers ausgesetzt entledigten sie sich ihrer Habseligkeiten.
Kira fühlte sich, als würde die Zeit stillstehen als sie Luna in ihrer Hand hielt und ein schwaches Glimmen wahrnahm. Wie es Marko und ihren Eltern wohl ging? Sie hatten keine Ahnung, wo sie gerade war und machten sich bestimmt Sorgen. Sie musste ihre Sachen wiederbekommen. Irgendwie. Mit gesenktem Kopf verstaute sie die kleine Holzfigur tief unten im Rucksack. Vielleicht beachteten sie sie gar nicht.
"Sehr gut. Jetzt mal alle schön stehen bleiben und still halten. Wir werden euch jetzt die Augen verbinden, fesseln und dann mitnehmen." Theron öffnete eine kleine Tasche und entnahm ihr einige zerfaserte Tücher, die er an seine Männer verteilte.
"Wohin bringt ihr uns?", fragte Jack während er der Wache, die sich ihm näherte, ein grobschlächtiger Riese mit zahlreichen Narben, misstrauische Blicke zuwarf.
Grob drehte dieser den Sucher um und verknotete das Tuch derart fest, dass es schmerzte.
Augenblicke später war alles schwarz. Jack spürte einen Stoß und stolperte fast. Dicke Finger bohrten sich in seinen Oberarm und rissen ihn einfach mit.
"Wir bringen euch an den sichersten Ort, den ihr euch vorstellen könnt, meine Lieben. Fast alle von euch. Mit Ingwer hat unsere Anführerin etwas Besonderes vor. Sie wird die Kleine zu sich nehmen. Ob sie da sicher ist? Wer weiß."
Schritte von mehreren Personen waren zu hören, dann Therons herrische Stimme: "Bringt sie zum dunklen Ort. Wie besprochen. Ich will, dass sie dort ankommt. Um jeden Preis. Verstanden?"
"Verlass Dich auf uns," antwortete jemand, der leicht lispelte.
"Nein. Nicht!"
Ingwers Aufschrei ging Kira durch Mark und Bein: "Wenn ihr was geschieht, dann...".
Sie spürte einen heftigen Schmerz auf ihrer Wade und biss die Zähne zusammen.
"Sei ruhig," sagte Trickser mit gepresster Stimme. "Das hilft uns jetzt nicht weiter."
Kira ballte die Fäuste und hätte ihrem Gefährten am liebsten einen Schlag verpasst, tat dies aber nicht. Niemand reagierte auf ihre Drohung, was sie noch etwas wütender machte. Schritte näherten sich von der Seite und ein harter Gegenstand wurde in ihre Rippen gedrückt. Widerwillig ging sie los.
So trennten sich die Wege der Sucher. Niemand von ihnen wusste, ob sie sich jemals wiedersehen würden.
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