Die Höhle im Moor
Dick eingepackt machten die Sucher sich auf den Weg. Sie brachen gegen Mittag auf in der Hoffnung, Gor zuhause anzutreffen. Ohne seine Kenntnisse der Gegend wäre alles zum scheitern verurteilt.
Sie hatten Glück und kamen in der kleinen Torfstechersiedlung an, während sich Gor daran machte, zur zweiten Schicht aufzubrechen. Als er die drei erkannte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
"Das ist mal ne Überraschung. Hattet ihr nicht genug von der Erde hier?" Er reichte allen die Hand und klopfte Jack freundschaftlich auf die Schulter. Seine schwieligen Finger hinterließen eine Lehmspur. "Was treibt euch her? Euer Freund wollte mir nichts veraten."
"Wir suchen jemanden, der uns bei der Erkundung des Blutmoores hilft." Kira stemmte selbstbewusst die Hände in die Hüfte. Ingwer und Jack nickten bestätigend.
Gor zog die Augenbrauen hoch: "Was um alles in der Welt wollt ihr da?"
Jack holte die bemooste Beere hervor: "Wir haben das gefunden und denken, dass die Fürstin dorthin verschleppt worden sein könnte."
Gor verzog das Gesicht. "Wer ist so irre und versteckt jemanden in dieser grünen Hölle? Nur ein Verrückter wenn ihr mich fragt."
"Oder jemand, der sich gut auskennt," ergänzte Kira. "Kannst Du uns helfen? Ohne Dich sind wir aufgeschmissen und wir wussten nicht, wen wir sonst hätten fragen können."
Der Torfstecher schien zu überlegen und sah die drei der Reihe nach an. Er strich sich eine fettige Strähne aus dem Gesicht, bevor er in der Hütte verschwand. Mit einer riesigen Schaufel kam er wieder.
"Gut. Ich helf euch. Weiter als zur nördlichen Grenze des Niedermoores bringe ich euch nicht. Ich häng an meinem Leben wisst ihr?"
"Das ist fantastisch. Danke!" Ingwer machte einen Freudensprung und klatschte in die Hände, was ihr Sekunden später sichtlich peinlich war.
"Schon gut, schon gut. Denke, ihr wollt sofort los, was?" Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort:
"Muss nur jemanden finden, der meine Schicht übernimmt. Kann etwas dauern. Wartet hier."
Er nahm die Schaufel und blieb lange fort. Als er zurückkehrte fiel Kira auf, dass seine Hände leicht zitterten. Sein Blick war irgendwie unruhig.
"Kommt. Es ist ein unbequemer Weg." Aus der Hütte holte er mehrere lange dünne und stabile Holzpfähle. "Hier. Damit könnt ihr testen, wie fest der Boden ist. Benutzt sie! Zeige euch gleich, wie das geht. Ist ganz leicht, ihr werdet sehen."
Das Niedermoor befand sich nördlich der gut zugänglichen Abbaugebiete. Je näher sie kamen, desto fremder fühlte sich Kira, obwohl sie die Gegend bis zu einer halben Tagesreise von ihrem Geburtshaus entfernt gut kannte.
Alles war unheimlich ruhig.
Merkwürdig geformte Bäume ragten aus dem feuchten Boden, überall lag totes Holz, Tiere waren kaum zu hören. Nur ein rascheln ab und an verriet, dass sie neugierige Begleiter hatten, die schnell wieder das Weite suchten. Ein erdig-herber Duft hatte sich hier breit gemacht und regierte diese Welt aus kleinen Tümpeln und riesigen Baumstümpfen.
Gor führte sie einen gut sichtbaren Weg entlang, der in großen Abständen mit kniehohen Steinpfählen markiert war. Der Boden war weich, machte aber keine Anstalten zu sehr nachzugeben. Das aber änderte sich bald. Je länger sie unterwegs waren, desto häufiger fanden sie das Erdreich mit einer dünnen Wasserschicht bedeckt. Ihre festen Stiefel versackten darin und es kostete stets mehr Kraft, sie wieder aus den Klauen des Morasts zu befreien.
"Wann sind wir da Gor? Es kann nicht mehr weit sein." Kira stützte sich auf ihren Holzstab, rückte den Rücksack zurecht und schaute nach oben. Es hatte zu nieseln begonnen.
"Bis zur Grenze ists nicht mehr weit. Geduld."
Sie liefen zwanzig weitere Minuten, bis Gor auf eine Gruppe von Sträuchern deutete.
"Hier ist es. Da vorne wachsen Blutbeeren, dunkle Exemplare. Von hier an seid ihr auf euch allein gestellt."
"Wie lange brauchen wir um das ganze Gebiet abzusuchen?" Ingwer schien entschlossen, jeden Stein umzudrehen um ihre Tante zu finden.
"Keine Ahnung. Einen halben Tag oder so. Ihr solltet froh sein, hier wieder lebend raus zu kommen. Also die Sorge hätte ich."
Er zog aus seiner Hosentasche einen Zettel auf den er mit einem Kohlestift zeichnete. "Hier seid ihr. Das ist das Blutmoor und so liegen die Grenzen. Zum Norden hin wird das Gelände hügeliger, sucht am besten dort nach der Fürstin. In irgendwelchen Pfützen wird sie nicht stecken."
Er ergänzte noch Wegzeichen, damit sie abschätzen konnten, ob sie noch im Moor waren und gab Jack die Karte. Gor fasste zum Gruß an die Krampe seines Hutes und machte sich kopfschüttelnd auf den Rückweg.
Kira presste ihren Stab zur Probe in den Boden. Sie spürte kaum Widerstand, bis ein Drittel in der feuchten Erde verschwunden war.
"Ich schlage vor wir gehen mit ein paar Metern Abstand voneinander. Falls jemand einsinkt, können die anderen helfen"
"Gute Idee." Ingwer ging vor und erreichte die Blutbeerensträucher als erste. Dabei tastete sie vorsichtig den Weg vor ihr ab. "Kommt. Wir sollten es bis zur Dämmerung schaffen."
Die Sucher machten sich auf den Weg. Sie kamen nur langsam voran, aber das war ihnen recht solange nichts passierte. Ingwer hatte die Vorhut übernommen und führte ihre Gefährten sicher durch das Moor. Vorsichtig tastete sie sich durch Schlamm und Gehölz, so dass sie gut voran kamen. Nach einer Weile klebte ein dicke und schwere Lehmschicht an ihren Beinen, die sie immer stärker nach unten zog.
Während einer Pause machte sich Ingwer daran, eine Wasserstelle zu suchen, um den Dreck abzuwaschen. Sie wurde etwas entfernt von ihrem Rastplatz nahe einer ausladenden Weide fündig, bückte sich und verlagerte ihr Gewicht, um nicht wegzurutschen.
Unerwartet sackte ihr rechtes Bein sofort ein. Ohne festen Halt kippte sie weg und landete in einem mit einem grünbraunen Brei gefüllten Loch, dass sie sofort gefangen nahm wie ein unheiliger Schlund. "Helft mir! Ich stecke fest," schrie sie.
Alles ging rasend schnell. Kira hatte Ingwer aus den Augenwinken beobachtet. Bevor sie reagieren konnte, steckte Ingwer bis zur Hüfte fest und schien sich selbst nicht befreien zu können. Sie griff verzweifelt nach den dünnen Ästen der Weide. Eine Armlänge fehlte zu ihrer Rettung Langsam schwanden ihre Kräfte, ihre Bewegungen gerieten immer fahriger.
Jack sprang auf, schnappte sich den Stab und rannte los. "Halt Dich fest!," schrie er und musste aufpassen, nicht das gleiche Schicksal zu erleiden.
Er hielt Ingwer den Stab hin, die diesen hastig zu fassen versuchte. Mehrmals rutschte sie ab, ihre Arme waren nahezu komplett von Schlamm umgeben. Endlich klappte es und Jack zog nach Leibeskräften. Der weiche Boden gab kaum Halt und es dauerte unendliche Sekunden, bis die junge Sucherin entkräftet und nach Luft schnappend am Stamm der Weide lehnte.
Kira hatte Mühe ihre Hand ruhig zu halten. Panik ließ sie zittern wie Espenlaub. Sie gab Ingwer den Rest warmen Tee und wickelte sie in eine der Decken, die sie mitgenommen hatte: "Das war knapp. Jetzt verstehe ich auch, wie dieser Ort zu seinem Namen kam."
"Ob hier viele gestorben sind?" Jack schwitzte stark und lehnte keuchend am Stamm des Baumes. "Vergesst es. Hauptsache uns gehts gut. Ich hasse diesen Tümpel jetzt schon. Hoffentlich finden wir mal was, damit wir verschwinden können."
Ingwer atmete tief durch und stand langsam auf. "Gebt mir ein paar Minuten, dann können wir weiter. Ein gutes Stück haben wir ja schon geschafft. Wenn es nach der Karte geht, müsste es bald hügeliger werden."
Kira nickt und hoffte, sie möge recht behalten. Eine Nacht in dieser unberechenbaren Gegend wollte sie um keinen Preis verbringen. Wehmütig dachte sie an ihr warmes Bett auf dem elterlichen Hof. Irgendwie war da alles einfacher gewesen und längst nicht so gefährlich, was ihre Eltern aber nicht so sehen würden.
Quinia fehlte ihr auch. Zwar war sie nicht wie Ingwer mit ihr verwandt, irgendetwas aber ließ Kira sicherer werden, sobald sie in der Nähe war. Ihre Austrahlung war faszinierend und auf natürlich Art Respekt einflössend. Vielleicht rührt ihre Stärke daher, dass sie als Sucherin alle Hindernisse, egal wie schwer, hatte überwinden können.
Ob ich eines Tages ebenso stark bin? Kira wusste es nicht, beschloss aber, alles dafür zu tun.
Nach einer kleinen Stärkung gingen sie weiter. Die Dämmerung würde bald einsetzen und da der Boden etwas fester wurde, beeilten sie sich. Tatsächlich existierten hier am Nordrand des Moores kleine Höhlen, aber sie waren entweder winzig oder außer Tierüberbleibseln, Steinen und Pflanzen leer.
Als die Dunkelheit sich diesen Teils des Moores bemächtigte, machte Jack eine Entdeckung, während sie enttäuscht und genervt die Suche nach einem Schlafplatz aufgeben wollten: "Hey. Seht euch das an!"
Er beleuchtete mit einer der Öllampen ein tiefschwarzes Loch, das sich hinter einem massiven Gitter in eine steile Anhöhe hineinbohrte.
"Ein Fuchsbau ist das nicht."
Kira und Ingwer, die dicht hinter ihm gegangen waren, befühlten das rostige Stahl der provisorischen Tür. Diese wurde von Seilen, die an Bäumen und Sträuchern festgebunden waren, gehalten. Das Ganze sah sehr imstabil aus.
Ingwer flüsterte, was angesichts des aufkommenden Windes nur schwer zu verstehen war: "Die Knoten könnte ja ein Blinder öffnen. Los, beeilen wir uns."
Die Seile waren schnell entfernt, das Gitter hastig beiseite gestellt. Ingwer wollte vorauseilen, da hielt Kira sie fest.
"Nicht. Wir gehen zusammen. Wer weiß was wir finden. Jack, hast Du deine Wurfgeschosse einsatzbereit?"
"Klaro. Kann losgehen."
Kira umklammerte mit klopfendem Herzen Johans Geschenk und fühlte sich sofort sicherer. Sie nickte Ingwer zu, die sich mit kopfhoch erhobener Lampe in die Höhle vorwagte.
Deutlich waren im lehmigen Boden Fußspuren auszumachen. Der Geruch nach abgestandenem Wasser und fauligen Blättern war penetrant. Überall gluckerte es, Wurzeln ragten ihnen ins Gesicht. Nach fünfzehn Metern hörten sie ein leises Summen, als ob sich dutzende Wespen um eine winzige Menge Blut bekriegten. Je weiter sie gingen, desto lauter wurde es.
Dann erreichten sie eine kleine Höhle, die von winzigen aber hellen Steinen in gedämpftes Licht getaucht wurde. Der Boden war spärlich mit Holzplatten ausgelegt, die Reste eines kleinen Feuers lagen ebenso wie hölzernes Geschirr verstreut umher.
Kira verschlug es den Atem, als sie sah, dass am Ende der Höhle ein Mensch auf dem Boden lag. Genaueres konnte sie noch nicht erkennen, da die Person mit Abstand von einem halben Meter von einer milchigen, wabernden Hülle umgeben war, die ihre Form im Lichtschein beständig änderte.
Sie trug grüne Kleidung und lag mit angewinkelten Beinen, Kopf auf einem Unterarm reglos da.
"Was ist mit ihr geschehen?" Ingwer presste ihre Hände vor den Mund, als verhinderte so das Entsetzen, dass sie spürte, nicht hinauszuschreien.
Ohne auf irgendetwas zu achten, sprintete sie die wenigen Meter und blieb vor der geheimnisvollen Hülle stehen.
Kira hastete zu ihr: "Warte auf uns. Bist Du sicher, dass sie es ist?"
"Bin ich. Das ist ihr Lieblingskleid. Ich würde es unter tausenden wiedererkennen."
"Seht. Sie ist gefesselt."
Ein Seil war um ihre Hände gewickelt und von dort mit einem Metallring, der aus einem großen dunklen Stein ragte verbunden. Jack stellte seine Laterne auf den Boden neben Quinia und ließ seinen Blick über die Oberfläche der Halbkugel wandern. Langsam schob er seine rechte Hand immer näher an das summende Flimmern heran.
"Sei vorsichtig. Wir wissen nicht, was das ist und wozu es dient."
"Keine Sorge. Wenns weh tut, merke ich es."
Als Jacks Fingerkuppe widerstandslos in das Innere der Kugel gelangte, lächelte er. "Nix passiert."
Ingwer tat es ihm gleich. Ihre Hände kamen dem unruhigen Flimmern näher und näher, dessen Helligkeit wurde immer intensiver. Als es sie fast blendete, nahm sie allen Mut zusammen und legte ihre Handfläche auf. Sofort stoben kleine Blitze um ihre Finger und ein schriller Ton fuhr den Suchern durch Mark und Bein. Ingwer schrie vor Schreck und fiel nach hinten. Die Kugel verblasste eine Sekunde fast ins Nichts bevor sie wieder ihre milchige Farbe annahm.
"Das ist nicht lustig! Wolltest Du mich etwa auf den Arm nehmen, Jack?"
Den Angesprochene starrte fassungslos auf seine Hände, die nun halb in der Kugel steckten und schüttelte den Kopf: "Bei den Göttern, ich spüre gar nichts. Ehrlich. Mal sehen, ob ich sie berühren kann."
Nachdem sein halber Arm sich im Innern befand, schien es nicht weiter zu gehen. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Widerstand, hatte aber keine Chance.
"Da ist nichts zu machen. Irgendetwas hält mich auf."
Ingwer rieb sich ihre schmerzenden Hände und trat vor Wut gegen die lehmige Wand: "Das kann nicht sein. Wir haben sie gefunden und können nichts für sie tun. Ich würde sie gerne anfassen."
Kira reichte ihr eine Flasche mit Minztee, die Ingwer dankend annahm.
Kira sah sich alle Ecken der Höhle an in der Hoffnung, irgendetwas nützliches zu finden. Vergebens: "Ich denke wir brauchen Hilfe. Irgendwer hält sie gefangen und wir wissen nicht, wie wir sie befreien können. Verletzt ist sie zum Glück nicht, zumindest sehe ich keine Wunden."
"Lasst uns Johan Bescheid geben." Ingwer schnappte sich ihr Buch und hielt es in die Nähe einer der leuchtenden Steine. Langsam aber geduldig begann sie, Worte aufzuschreiben." Kaum hatte sie begonnen, ertönte aus den Schatten des Tunnels eine vertraute Stimme.
"Das wirst Du schön bleiben lassen, Sucherin!"
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