Vom Zauberwald aus war es nicht weit zu Rosies Zuhause, Kasimir ließ den Ballon verschwinden, der Rettungstrupp einschließlich der Geretteten machten sich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Zum Glück hatte Rosie noch einen Geldschein in der Hülle ihres Handys gefunden, konnte damit die Fahrscheine bezahlen.
„Das soll aber jetzt nicht zur Gewohnheit werden, dass ich euch aushalte!", scherzte sie.
Marten machte eine Bewegung, berührte sie am Arm und kurz darauf klimperte es in der Jackentasche des Mädchens. Sie fasste hinein und fand zwei Goldstücke.
„Ganz sicher nicht", erklärte Marten schmunzelnd.
Rosie wurde etwas verlegen. „So war das nicht gemeint", murmelte sie.
Der Zauberer nahm sie vorsichtig in die Arme. „Das weiß ich doch, Mädchen", antwortete er mit belegter Stimme. Er würde immer in der Schuld der Sechzehnjährigen stehen, dessen war er sich bewusst. Aber ihm war auch klar, dass sie die Begleichung dieser Schuld nie einfordern würde - schon gar nicht mit Geld, Gold oder anderen materiellen Gütern. Dieses Kind auf der Schwelle zum menschlichen Erwachsenenalter war etwas ganz Besonderes.
Die anderen Fahrgäste beobachteten die Kleine, die wohl mit älteren Verwandten unterwegs war, gerührt. Die Zuneigung zwischen den Generationen war so sehr fühlbar. Dann startete der Bus zu der letzten Etappe ihrer Reise.
Arosa hatten sie in den Bus geschmuggelt, Xasabra flog ihm nach, war zwar langsamer, holte aber an den Haltestellen immer ganz gut auf.
Als sie ihn aus den Augen verlor, war das nicht schlimm.
Sie kannte ja den Weg nach Hause und genoss den Flug über die ihr vertraute Landschaft.
Der kleine Flusslauf, die Felsen, die an seinem Ufer aufstiegen und immer für eine so gute Thermik sorgten.
Hier hatte sie vor einiger Zeit auch den hübschen Krähenmann kennengelernt, der es wie sie genossen hatte, hoch in die Lüfte zu steigen und sich schwebend fortzubewegen.
Sie hatten sich eine tote Maus geteilt, waren ins Gespräch gekommen. Er war beeindruckt von ihrer Klugheit gewesen, etwa, das bei Krähenmännern auch nicht selbstverständlich war.
Da zählten sonst eher die Größe der Flügel, die Farbe der Augen, die Form des Schnabels. Ein wenig träumend bummelte sie etwas abgelenkt durch die Luft.
Dann rief sie sich zur Vernunft und legte einen Zahn zu.
Sie freute sich nach dem großen Abenteuer, bei dem sie eine so bedeutende Rolle gespielt hatte, darauf, heim zukommen.
Sie fand die Gruppe schließlich in Rosies Haus vor, also dem ihrer Eltern. Allerdings waren die nicht oft anwesend, so viel sie mitbekommen hatte.
Lautes, fröhliches Gelächter war zu hören, als sie in den Sinkflug glitt und elegant auf der Terrasse landete. „Hallo, Krähin!", begrüßte Arosa sie.
Sie konnte es nicht lassen, Xasabra noch ein wenig aufzuziehen. Doch die Krähe war heute ausgesprochen großzügig, ungewöhnlich großzügig.
Kalopeia war zurück, das war das Einzige, das zählte. Sie hüpfte auf den Schoß, von da auf die Schulter ihrer Hexe, knabberte leicht an ihrem Ohr.
Arosa bevorzugte heute einmal die Oberschenkel Martens, der bemerkenswert gut streicheln konnte.
Rosie war in der Küche dabei, Frühstück für die Truppe vorzubereiten, die drei Cousins halfen ihr mit kleinen Zaubertricks.
So lag im Nu nach ein paar Bewegungen von Melanders Zauberstab ein Berg himmlisch krosser Pfannkuchen auf einer Platte, eine Schüssel füllte sich durch Terzios Kunst mit perfekten Rühreiern. Während das Mädchen Kaffee und Tee kochte, sorgte Cajus für leckere Butterbrote, die er gekonnt auf einem Brett durch die Luft auf den Terrassentisch schweben ließ. Da wollten seine Cousins natürlich nicht nachstehen, in Windeseile war der Tisch gedeckt.
Praktisch, solche Zaubererfreunde! dachte Rosie lächelnd. Hoffentlich bekam keiner der Nachbarn etwas davon mit. Sie hatte sowieso oft das Gefühl, unter Beobachtung zu stehen, dass es den Erwachsenen um sie herum nicht so recht passte, dass ein Teenagermädchen mehr oder weniger alleine in dem großen Haus lebte.
Gerade so, als würden sie erwarten, dass täglich wilde Partys stiegen.
Dabei konnte sich niemand in der Siedlung eine ruhigere, vernünftigere Mitbewohnerin wünschen als sie.
Okay! Bis auf heute.
Leise und ruhig ging es an diesem besonderen Tag nicht zu.
So dauerte es auch nicht lange, bis Frau Rothmeier am Gartenzaun auftauchte.
„Was ist denn da heute los?", keifte sie in ihrer bekannt liebenswerten Art.
Ihr Mann kam angelaufen, wollte sie davon abhalten, Ärger zu machen. „Isolde! Lass doch das Mädchen in Ruhe! Wir feiern doch auch immer wieder mal!"
„Aber, wenn sie jetzt einmal anfängt, haben wir jeden Tag hier Terror!", schoss sie zurück.
Arosa machte einen Buckel, Xasabra plusterte sich ein wenig auf. Doch Rosie blieb cool, ging mit dem unschuldigsten Blick, den sie draufhatte, in Richtung Zaun.
Bescheiden neigte sie den Kopf ein wenig. „Entschuldigen Sie bitte, Frau Rothmeier. Aber die Frau, die gegenüber wohnt, hat heute Geburtstag. Ihre Verwandten und Freunde sind zu Besuch gekommen, und sie hat doch nicht viel Geld und auch nicht Platz für alle. Deshalb habe ich sie zu mir eingeladen. Weil mir meine Eltern beigebracht haben, dass man immer hilfsbereit sein muss und vor allem ältere Menschen unterstützen soll."
Damit hatte sie der Nachbarin vollkommen den Wind aus den Segeln genommen. Die wusste nicht, wohin sie schauen sollte, schämte sich in Grund und Boden, sah zum Glück nicht das Grinsen im Gesicht ihres Ehemannes.
„Ach ... ja ... herzlichen Glückwunsch!", stammelte sie in Richtung Kalopeias. „Soll ich einen Kuchen bringen? Ich habe gestern einen gebacken."
Rosie schüttelte den Kopf. „Nein danke! Wir wollen Ihnen keine Mühe machen", antwortete sie leise auf das Angebot. „Aber wir wären dankbar für ein wenig Verständnis. Ältere Menschen hören doch nicht mehr so gut und sprechen deshalb etwas lauter."
„Natürlich", übernahm Herr Rothmeier. „Das ist überhaupt kein Problem. Nicht wahr, Isolde?" Seinen Blick verstand sie. Sie nickte nur kurz und ging beschämt in ihr Haus zurück.
Xasabra sah Rosie grinsend an, schüttelte das Köpfchen. „Die kann vielleicht lügen, die Kleine!"
Arosa nickte zustimmend mit dem Köpfchen, überlegte, ob sie die Krähe verbessern sollte. Denn eigentlich hatte das Mädchen ja nur geschwindelt. Aber Xasabra war heute auch ein paar Mal recht großzügig gewesen, deshalb schluckte sie die Worte hinunter.
Nach dem Frühstück schlug die Müdigkeit bei allen mit Macht zu. Marten, Kalopeia und die Tiere verabschiedeten sich, die Zauberer machten sich auch auf den Weg in ihr jeweiliges Zuhause. Sie hatten weitere Wege auf sich genommen, um Kalopeia zu befreien. Deshalb war die Hexe ja anfangs so sicher gewesen, das Marten der Schuldige an ihrer Entführung war, weil die anderen zu weit entfernt wohnten, nur er die Heimatstadt nie verlassen hatte.
Eigentlich wäre die Geschichte von der Suche nach Kalopeia ja jetzt zu Ende.
Doch wir müssen ja noch erfahren, worum es sich bei der für die Hexe so wichtigen Entwicklung handelt.
Das lassen wir nun Kalopeia selbst erzählen, denn sie weiß darüber am besten Bescheid - von ihrer ganz persönlichen
Suche.
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