Kapitel 12
Kalopeia war es unmöglich, zur Ruhe zu kommen. Zum einen war sie furchtbar aufgeregt, ob ihre Retter erfolgreich sein würden, zum zweiten drang das Geschrei von Deora bis nach unten.
Sie schien nicht zufrieden mit ihrem Helfer zu sein, der wohl Elios war.
Kalopeia wunderte sich darüber, dass der Zauberer, der eigentlich zu ihrem weiteren Freundeskreis gehört hatte, sich auf Deoras Seite geschlagen hatte. Wahrscheinlich hatte die böse Hexe ihm irgendetwas gegeben, um ihn ihr gefügig zu machen.
Der blonde, lange Lulatsch war früher ein netter Kerl gewesen - zwar faul, ähnlich wie Marten - aber gutmütig.
Einmal hatte er sie sogar zu einem Einsatz im Jugoslawienkrieg begleitet. Es hatte zwar eine Menge an Argumenten gebraucht, aber letztendlich hatte er sich dazu bereit erklärt.
Wahrscheinlich war ihm klar, dass sie nie nachgeben würde.
Er war ihr dann sogar eine große Hilfe gewesen.
Voll Bitterkeit erinnerte sich Kalopeia. Kriegsschauplätze waren immer das Schlimmste gewesen. Sie hatten gehext und gezaubert, bis sie die Erschöpfung übermannt hatte.
Elios war sehr begabt darin gewesen, Kugeln umzuleiten. Ein Blitz aus seinen Fingern auf eine Waffe - und die Munition war gen Himmel gestiegen. Mit der Zeit hatte er sogar Gefallen daran gefunden, Menschenleben auf diese Art zu retten.
Er war sogar zurückgereist in die Heimat, hatte seine älteren Brüder überredet, mit ihm zu kommen. Da waren sie natürlich um einiges effizienter. Kalopeia hatte auch gespürt, dass es den Jungs Spaß gemacht hatte.
Na ja, Spaß war vielleicht nicht das richtige Wort für eine Art von Kampfeinsatz, aber es hatte ihnen Befriedigung verschafft, da war sie ziemlich sicher gewesen.
Sie glaubte sich sogar zu erinnern, dass Elios eine Gruppe von Zauberern um sich geschart hatte, die er in seine spezielle Kunst eingeweiht hatte, eine Art von Zauberer-Legion gegründet hatte.
Und heute sollte er zu ihrem Feind geworden sein?
„Jetzt bring mal deine alten Knochen auf Trab!", schrie Deora. „Zaubere was zum Essen, ich habe Kohldampf!" Kalopeia musste grinsen. Xasabra würde um Beherrschung ringen, wenn ihr diese Gossensprache zu Ohren käme. Sie musste lächeln bei der Erinnerung an das kluge Tierchen, das sie einst im Wald gefunden hatte, aus dem Nest gefallen, klein und hilflos.
Ein unwilliges Brummen war das Einzige, das Kalopeia, deren Ohr mittlerweile an der Kellertür klebte, vernahm.
„Wie? Du kannst nichts zaubern? Was bist du? Eine Memme?", ging das Geschrei weiter.
Wieder verstand Kalopeia seine Antwort nicht.
„Ich soll was hexen? Wer bin ich? Deine Magd?" Deoras Stimme war noch schriller geworden, überschlug sich beinahe. „Bist du zu gar nichts zu gebrauchen? Und jetzt soll ich mich anstrengen, weil du zu faul bist?
Kalopeia grinste vor sich hin. Die Logik Deoras war zum Haare raufen. Die wahre Liebe schien das zwischen den beiden auch nicht zu sein.
*
Die Truppe von Zauberern und Katze zwängte sich durch den Spalt, den Kasimir geschaffen hatte.
Arosa schlich auf ihren Samtpfötchen in Richtung Eingang, Xasabra hatte ihr den Weg genau beschrieben. Doch natürlich war die Tür verschlossen.
Salotin mit der auffallend leuchtend roten Mähne verstand sich allerdings hervorragend darauf, alle Schlösser zu öffnen - eine Kunst, die ihn vor Jahren aus Jux und Tollerei darauf gebracht hatte, einen Schlüsseldienst zu gründen.
Seine Kunden waren immer sehr erstaunt, mit welcher Geschwindigkeit er ihnen aus der Bredouille hatte helfen können, wobei sie aber immer durch irgendetwas so abgelenkt gewesen waren, dass sie gar nicht mitbekommen hatten, wie der ältere Herr das zuwege gebracht hatte - und wie kulant seine Rechnungen gewesen waren.
Jetzt stand Salotin vor der windschiefen Holztür, streckte seinen rechten Zeigefinger aus, murmelte ein paar Worte. Ein kleiner blauer Blitz wurde sichtbar, der die Form eines Schlüssels annahm, der sich mühelos im Schloss drehen ließ.
Leise knarrte es in den Angeln, alle hielten den Atem an. Doch irgendjemand zerdepperte gerade Geschirr, ein Lärm, der ihnen sehr gelegen kam.
Arosa wischte hinein, hob schnuppernd ihr Näschen. Sie musste das Amulett Kalopeias finden.
Der Gang war dunkel und so staubig, dass sie gegen einen Niesreiz ankämpfen musste.
Sie schloss die Augen, atmete ein paar Mal tief durch. Xasabra wäre ordentlich sauer auf sie, wenn sie die Befreiung ihrer Hexe in den Sand setzen würde.
Schließlich hatte sie sich an die Staubwolken gewöhnt, konnte weiter suchen. Bald schon witterte sie eine Spur. Das war eindeutig Kalopeias Duft.
Er führte sie zu einer wackligen Kommode. Da, in der obersten Schublade, musste das Amulett versteckt sein. Cajus bemerkte als erster, dass sie wohl fündig geworden war, schlich durch den Flur auf die Katze zu, zog langsam und vorsichtig an der schweren Lade.
Tatsächlich! Da lag Kalopeias Amulett, sandte schwache rote Strahlen aus - ein Zeichen, dass eine Verbindung zu einem Zauberer-Armband noch möglich war.
Xasabra saß wieder vor dem Kellerfenster, dieses Mal hatte sie ihr Netz, das sie für magische Wesen sichtbar machte, aufbehalten.
Ihre Freunde hatten sicher die Entführer in Griff, von ihnen drohte wohl im Augenblick keine Gefahr. Aber Kalopeia sollte sicher sein, dass ihre Krähe bei ihr war - wenn auch durch eine Glasscheibe getrennt.
Ein leises Klopfen zog die Aufmerksamkeit der Hexe auf den Vogel, ein glückliches Lächeln überzog ihr Gesicht.
„Holen dich!", morste ihre Krähe. „Bereit!" Dann flog sie wieder hoch, um ihren Job als Kundschafterin zu tun.
Das war eine sehr wichtige Aufgabe, sicher würde der hübsche Krähenmann sehr beeindruckt sein, wenn sie ihm davon erzählte.
Auf einem Baum ließ sie sich nieder, behielt die Haustür im Auge, ihre Blicke schweiften aber auch immer über das gesamte Anwesen.
Arosa hatte ihre Aufgabe bravourös erledigt, tapste mit stolzgeschwellter Brust nach draußen. Sie sah Xasabra auf dem Baum, kletterte schnell zu ihr hoch.
„Ich habe das Amulett gefunden!", verkündete sie der Freundin.
Die Krähe kraulte sie mit ihrem Schnabel vorsichtig hinter den Ohren, sie wusste, dass Arosa das sehr mochte. „Das hast du ganz toll gemacht!", lobte sie dann.
Im Inneren des Hauses lief alles ziemlich unspektakulär ab. Deora machte so viel Krach, dass sie nicht einmal sehr vorsichtig und leise sein mussten.
Die drei Cousins blieben im Parterre, um alles abzusichern, die anderen drei Zauberer suchten und fanden den Kellerabgang. Unten gab es drei Türen, aber nur eine war verschlossen.
Sarotin öffnete wieder gekonnt das Schloss, Marten drückte den Griff nach unten und nahm Kalopeia, die ihm entgegen gelaufen war, Sekunden später in die Arme.
Er drückte sie an sich, sie wehrte sich nicht - und nach Jahrzehnten, in denen er sich das ausgemalt hatte, ohne es je zu wagen, küsste er sie.
Er sah nicht die 183 Jahre, die sie auf dem Buckel hatte, er sah die wunderschöne Junghexe, die ihm eine so gute Freundin gewesen war, die intelligenten Augen, die strahlten wie damals.
Kalopeia dachte nur: „Endlich!"
Kasimir räusperte sich grinsend. „Wir sollten langsam los!"
Marten und Kalopeia kamen schlagartig zu sich.
„Hast du mich jetzt nicht mit einem deiner Püppchen verwechselt?", fragte sie, schüttelte leicht den Kopf, um die seltsamen Gedanken zu vertreiben, die darin aufgetaucht waren. Der Kuss hatte sich gut angefühlt.
„Du bist unverwechselbar!", antwortete er und wusste, dass ein ziemlich dümmliches Grinsen in seinem Gesicht stand. Aber es war ihm egal, und außerdem konnte er eh nichts dagegen tun. Er holte das wertvolle Amulett aus seiner Jackentasche, hängte es Kalopeia liebevoll um den Hals.
Leise schlichen alle wieder nach oben, hörten, dass Deora noch immer Elios beschimpfte.
Die Zauberer und die Hexe sahen sich an, hatten alle denselben Gedanken: Mitleid.
Oder doch nicht?
Doch! Schon!
Er war immer einer von ihnen gewesen, Deora musste ihm auch übel mitgespielt haben, um ihn auf ihre Seite zu ziehen.
Sie waren in der Überzahl, sie konnten Elios sicher leicht aus den Fängen der bösen Hexe befreien.
Durch ihre Netze waren sie alle sichtbar für die beiden Entführer. So stapften sie laut in das Zimmer, in dem sie Elios vermuteten.
Deora vergaß vor Schreck sogar ihre Wut-Tiraden, Marten zeigte mit dem Zauberstab auf sie und aus ihrem Mund kamen nur noch unverständliche Töne. Es war zwar den magischen Wesen streng verboten, anderen aus ihren Zünften Schaden zuzufügen, aber Deora zählten sie nicht mehr dazu. Sicherheitshalber sperrte Kasimir sie noch in einen leichten Bann, der etwas eine Stunde wirken würde.
Sie ließen die dümmlich vor sich Hinbrabbelnde stehen, Cajus und Terzio fassten Elios unter den Armen, halfen ihm, aus Deoras unglückseliger Nähe zu kommen. Kaum hatte er den Kreis ihrer Macht verlassen, kehrten sein Kräfte zurück.
Er fiel Kalopeia um den Hals, drückte sie für Martens Geschmack etwas zu lange an sich.
Sein ziemlich unwilliges Räuspern konnte Elios nicht überhören, grinsend gab er Kalopeia frei.
„Immer noch eifersüchtig, alter Kumpel?", fragte Elios und schlug Marten auf die Schulter.
„Eifersüchtig? Ich? Auf dich?", wehrte der Freund aus alten Zeiten ab, griff nach Kalopeias Hand. „Nicht die Bohne! Aber wir sollten die Hübsche jetzt wirklich langsam nach Hause bringen!"
Kalopeias Augen wurden feucht. Erinnerungen an längst vergangene Zeiten tauchten in ihrem Kopf auf. So schöne Worte hatte sie schon lange nicht mehr gehört.
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14.600 Wörter bis hier
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