Kapitel 11


Etwa eine Stunde war die Rettungsmannschaft marschiert, als Kasimir, der vorneweg ging, gegen eine unsichtbare Wand stieß.
Da war klar, dass sie ihr Ziel erreicht hatten.
„Ein Bann!", flüsterte Marten. „Wie hoch der wohl sein wird?" Da die Sperre nicht zu sehen war, konnten sie auch die Höhe nicht erkennen.

„Wie gut, dass ihr einen Vogel dabei habt!" Xasabra plusterte sich nur ein wenig auf. Sie stieg in die Lüfte, versuchte immer wieder auf die andere Seite zu kommen. Schließlich hatte sie die Oberkante erreicht, flog eine Runde über das Anwesen.
Sie ließ ihre Augen schweifen, prägte sich jedes Detail genau ein.

Ein kleines Steinhaus stand in der Mitte eines zugewucherten, ungepflegten Gartens, daran angebaut ein windschiefer Holzschuppen. Ein klappriges Auto, das schon bessere Tage gesehen hatte, stand davor.

Daraus schloss Xasabra messerscharf, dass mindestens zwei Personen an der Entführung Kalopeias beteiligt waren: Elios, der die Windhose gezaubert hatte, in der er hatte mitreisen müssen, und noch jemand, der hier auf ihn und die Hexe gewartet und sie gleich eingesperrt hatte, bevor sie zu sich gekommen war.
Jemand, der mit dem Auto angereist war.

Xasabra flog von Fenster zu Fenster, ließ sich vorsichtig auf den Simsen davor nieder. Sie hoffte, dass sie auch für die magische Wesen, die sie hier vermutete, unsichtbar war.
Sicherheitshalber zog sie das Netz, das über sie gespannt war, von ihren Federn, hielt es mit dem Schnabel fest.

Hinter einer Glastüre, die vor Staub fast blind war, erkannte sie schemenhaft zwei Personen. Eine davon war wohl ein Mann, er hing irgendwie seltsam schlaff in einem Sessel. Eine Frau lief auf und ab, keifte auf ihn ein. Die Krähe konnte zwar nichts verstehen, erkannte aber am Klang der Stimme, dass es sicher keine freundlichen Worte waren.

Dann nahm sie sich die Kellerluken vor, auch sie waren ziemlich verschmutzt. Hinter der dritten Scheibe glaubte sie, eine Matratze wahrzunehmen, auf der jemand lag. Der Statur nach konnte das Kalopeia sein.

Vorsichtig klopfte sie mit dem Schnabel gegen die Scheibe, bedacht darauf, dabei das Netz nicht zu verlieren.

Die Person hob den Kopf, sah in Richtung Fenster.
Sie kann mich nicht sehen! Verdammt! dachte sie. Heute durfte sie Flüche denken.

Wieder klopfte sie, dieses Mal energischer. Kalopeia war schlau, sie würde verstehen, dass dieses Geräusch etwas bedeutete. Da sprang das Wesen von der Matratze hoch, kam zum Fenster gelaufen. „Xasabra! Bist du das?"

Die Krähe pickte noch stärker. Dann erinnerte sie sich, dass sie sich einmal aus Langeweile das Morsealphabet beigebracht hatte. Sie hatte in Kalopeias Bibliothek herumgestöbert, hatte ein Blatt mit so komischen Zeichen darauf gefunden, ihre Hexenfreundin hatte ihr erklärt, was es damit auf sich hatte.

Dann war sie in der Sonne gesessen, hatte die Wärme mit ihren schwarzen Federn aufgesogen und sich die Zeichen eingeprägt. Arosa hatte natürlich kein Interesse gezeigt, mit ihr zu üben, aber letztendlich war Xasabra ziemlich gut im Morsen gewesen. Das war zwar schon wieder eine Weile her, aber sie hatte ein gutes Gedächtnis.

Sie hoffte nur, dass das auch auf Kalopeia zutraf.

„Wir dich befreien", klopfte sie in Kurzform, um Zeit zu sparen - wenn auch die halben Sätze ihr Sprachgefühl quälten
„So froh!", kam als Antwort, als die Hexe mit der Wasserflasche an den Blecheimer schlug.

„Sieben Zauberer, Rosie, Tiere", morste die Krähe weiter. Unter normaleren Umständen hätte sie gesagt: „Meine Wenigkeit", aber sie sollte sich so kurz wie möglich halten. „Wer?"
Kalopeia würde schon verstehen.

„Deora! Und ein Zauberer", kam zurück.
Xasabra musste sich sehr konzentrieren, um alles richtig mitzubekommen.

Von der bösen Deora hatte Kalopeia ihnen schon erzählt.
„Elios. Bei Anrufung nicht da." Es schüttelte die Krähe ein wenig, Arosa würde sich über dieses Deutsch köstlich amüsieren.

Der gefangenen Hexe fiel endgültig ein Stein vom Herzen. Nun konnte sie also sicher sein, dass nicht ihr langjähriger Freund Marten hinter all dem steckte.

„Ich zurück. Wenn Plan, holen wir dich", versprach Xasabra morsend.

„Danke!" Kalopeia war sehr erleichtert. Durstig trank sie ein paar große Schlucke aus der Wasserflasche, zwang sich, so viele Kekse zu essen, wie sie hinunterbrachte. Sie musste bei Kräften bleiben.

*

Xasabra wurde schon sorgenvoll erwartet, sie war lange weggewesen. Ihr selber war das zwar gar nicht so vorgekommen, doch für Wartende dehnt sich die Zeit immer in einer anderen Dimension.
Nachdem sie etwas verschnauft und kräftig aus der Pfütze am Weg getrunken hatte, konnte sie berichten, was sie in Erfahrung gebracht hatte.

Dann musste ein guter Plan her. Sie zogen sich alle in das angrenzende Wäldchen zurück, die Sonne stand schon ziemlich hoch, so dass sie gerne den Schatten suchten. Außerdem waren sie zwar unsichtbar, aber nicht unhörbar. Wenn also jemand des Weges kommen würde, wäre er sicher etwas verwundert, aufgeregt diskutierende Stimmen zu vernehmen, aber niemanden zu sehen.

Arosa machte sich auf die Suche nach einer Maus, ihr Magen knurrte mittlerweile wie der aller anderen, Xasabra fand ein paar Nacktschnecken.

Rosie entdeckte eine Brombeerstaude, die über und über voll reifer, schwarzer Früchte war. Während die Zauberer die Möglichkeiten zur Befreiung Kalopeias besprachen, pflückte sie die leckeren Beeren, steckte sie gleich in den Mund. Nie hatte ihr etwas besser geschmeckt.

Sie kam sich immer noch vor wie in einem Abenteuer-Traum, der begonnen hatte, als sie ein Klopfen an ihrer Fensterscheibe gehört hatte.

Als sie einigermaßen satt war, dehnte sie ihr Shirt zu einer Art von Tüte vor ihrem Bauch und füllte weitere Beeren hinein. Ein paar Ladungen brachte sie zu den Zauberern, die dankbar zugriffen.

„Sie ist wirklich ein tolles Mädchen!", freute sich Kasimir. „Kalopeia hat gut gewählt!"

Der Plan hatte mittlerweile auch Formen angenommen, sie hatten die Zeit gut genutzt.

Beatus, ein sehr versierter Zauberer, der sich auch fleißig fortgebildet hatte, würde versuchen, den Bann für eine gewisse Zeitspanne zu öffnen. Er hoffte darauf, lange genug durchzuhalten, bis die anderen Kalopeia befreit hatten.

Xasabra würde als Kundschafterin fungieren, das Geschehen aus der Luft im Auge behalten. Arosa mit dem besten Geruchssinn sollte sich auf die Suche nach Kalopeias Amulett machen. Die Männer mussten für Verwirrung sorgen, damit Marten seine Hexe befreien konnte. Dieses Privileg hatte er sich ausbedungen, hatte noch nicht einmal mit einer Wimper gezuckt, als er die Worte „meine Hexe" ausgesprochen hatte.
Rosie konnte sich nicht an der Rettungsaktion beteiligen, sie blieb bei Beatus.

Natürlich war ihnen klar, dass sie in der Überzahl sein würden, aber sie wussten ja nicht, welche Fallen und Stolpersteine Deora und Elios zu hexen und zu zaubern in der Lage waren.
Andererseits hatten die Retter den Vorteil des Überraschungseffektes auf ihrer Seite.
Es würde schon schief gehen, mit einem vielfachen „Toi, Toi, Toi" machten sie sich gegenseitig Mut.

Dann konzentrierte sich Beatus auf seine Aufgabe, richtete Zauberstab und Hände gegen die unsichtbare Wand, murmelte ellenlange Zaubersprüche.
Man sah ihm die Anstrengung an, Schweiß lief über sein Gesicht, die Hände fingen an zu zittern.

Schließlich war ein seltsames Knacken zu hören, ganz leise, als ob eine Eisdecke auf einem Weiher einen Riss bekommt.

„Los jetzt!", kommandierte er heiser. „Je schneller ihr seid, desto sicherer kommt ihr wieder raus."

Rosie tat der alte Zauberer leid. Ihr logischer Verstand ließ sie aussprechen, was ihr durch den Kopf gegangen war. „Sie können doch abbrechen, bis sie alle wieder vor der Wand stehen", gab sie zu bedenken.

Beatus sah sie bewundernd an. Natürlich hatte die Kleine recht. Er musste die Öffnung ja nicht permanent halten.

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