Kapitel 14

Eigentlich hatte Aristides mit einem begeisterten Ja gerechnet, stattdessen sah ihn Markus wie einen dummen Jungen an. 

„Nein, natürlich nicht. Wir können keine Menschen berühren!" 

„Herr Keiner, Sie behaupten also, hier vor Ihnen steht ein Markus? Mit dem reden Sie?" 

„Ja genau." 

Markus sah verwundert auf den Menschen. „Redet der etwa mit dir? Bist du Herr Keiner?" 

Aristides nickte und seufzte. 

„Markus!" Winkend kam Bathilde herbeigeeilt. „Markus, wie schön, dich heil anzutreffen!" 

„Ach übrigens", sagte Aristides wie beiläufig, „Bathilde ist nicht resublimiert. Und der Geist neben ihr ist ein Freund von der Einwanderungsbehörde." 

„Einwanderungsbehörde?", fragten George Brown und Markus gleichzeitig. 

Aristides stöhnte. Denn während der Mensch einen vorsichtigen Schritt von ihm wegmachte, stellte sich Markus hinter ihn. 

„Wo ist er?", fragte Markus dicht an seinem Ohr. „Ist Bathilde deshalb so glücklich, mich zu sehen? Weil sie mich gesucht haben und nun in die Wüste abschieben?" 

„Sag bloß nichts von Wüste!", warnte Aristides leise. „Matthew scheint keinen Auftrag wegen uns zu haben. Nicht, dass er uns noch genauer unter die Lupe nimmt!" 

„Herr Keiner? Wie viele Geister sehen Sie denn?" Langsam schob der Mensch seine Hand zum Gürtel zu dem schwarzen Gerät. Ob ihm das wohl Kraft spendete? Fast wirkte es so. 

„Im Augenblick sehe ich drei Geister und einen Menschen", antwortete Aristides. 

„Ist das nicht anstrengend, wenn du mit ihm und uns redest und er uns gar nicht hört?", fragte Markus neugierig. „Vielleicht kann ich ihn ja doch anfassen. Er scheint eine besondere Spezies Mensch zu sein." 

Bathilde war nun nah herangekommen, hielt aber einen Sicherheitsabstand zu Markus. 

„Lieber Matthew, das ist der berüchtigte Markus, der ständig unter Strom steht." Sie kicherte bei den Worten, als habe sie einen besonders guten Witz gemacht. 

Aristides blickte die Büchereule besorgt an. Normalerweise kicherte sie nie so oft. Was hatten die bloß bei der Einwanderungsbehörde mit ihr gemacht? Konnte man einen Geist einer Gehirnwäsche unterziehen? 

„Hi", sagte Markus, beachtete Bathilde und Matthew aber nicht wirklich. Sein Augenmerk lag auf George Brown. 

Er holte tief Luft, was Aristides dazu veranlasste, wieder mit den Augen zu rollen. Na wenigstens sah das Luftholen nicht mehr so lächerlich aus wie unter der Erde. 

Dann streckte Markus den Arm aus und ... fuhr durch den Körper des Menschen hindurch. 

„Du musst dich besser konzentrieren!", schimpfte Aristides. „Na los, mach schneller. Sonst kommen die gleich und führen den einzigen Menschen, der mich sehen kann, in die Psychiatrie ab." 

„Sie sehen also Geister und Menschen?", hakte George Brown nach. Jetzt hatte er sein schwarzes Gerät vom Gürtel abgenommen. „Wo soll denn der Mensch stehen?" 

„Das bist du!" Aristides stöhnte. „Du bist der einzige Mensch, der hier herumsteht. Den anderen hast du ja eben vergrault." 

„Gut, also sehen Sie mich und drei Geister?" 

Aristides rollte genervt mit den Augen und Markus griff ein zweites Mal ergebnislos durch den Körper des Menschen. 

„Er ist vielleicht doch nicht so besonders, wie ich dachte. Vielleicht kannst nur du ihn anfassen." 

„Na toll, ich kann aber keine Stromstöße verabreichen, also hilft das nichts." 

Jetzt wich George Brown deutlich zurück. „Stromstöße? Haben Sie einen Elektroschocker dabei?" 

Er hob mit schreckgeweiteten Augen das Funkgerät an sein Gesicht und drückte auf einen Knopf. Gerade als er zu reden anfangen wollte, machte Matthew einen Satz nach vorn und packte an das schwarze Teil. Ein heftiges Knistern und Rauschen drang aus dem Lautsprecher und der Mensch ließ es mit einem Schrei fallen. Kleine Funken stieben hervor. 

„Puh, gerade noch geschafft", sagte Matthew und grinste zufrieden. „Das ist Teil der Sicherheitsausbildung, menschliche Geräte mit unserer sphärischen Energie zu sabotieren", erklärte er den anderen, die ihn mit großen Augen anstarrten. 

„Wow", entfuhr es Markus, „kannst du mir das beibringen? Ich kann nur Geistern sphärische Schocks verpassen." 

Aristides wurde hellhörig. Sphärischer Schock? Markus nutzte seine eigene Energie und leitete sie auf einen anderen Geist um? Und Matthew auf ein Gerät? Aber dann musste es doch auch auf einen Menschen übertragen werden können! 

Er konnte an den Gesichtern der beiden Geister vor sich ablesen, dass sie zur gleichen Zeit dieselbe Erkenntnis hatten. Mit einem überaus breiten und fiesen Grinsen streckten sie die Arme aus. Jeder packte an einen Arm von George Brown und der schrie schmerzerfüllt und erschrocken zugleich auf. 

„Aber, Matthew", mahnte Bathilde und trat neben den Officer, „das geht doch nicht. Wir Geister dürfen Menschen nicht beschädigen." 

„Wir beschädigen ihn nicht", erklärte dieser mit ernstem Tonfall. „Wir machen ihn aufmerksam. Immerhin müssen wir ihm irgendwie klarmachen, dass er von Geistern umgeben ist." 

Das war das Stichwort für Aristides. 

„George Brown, diese Schmerzen in deinen Armen kommen von den zwei Geistern, die dir jeder einen Stromstoß verpasst haben." 

„Natürlich", sagte der Mensch und klang noch immer nicht wirklich überzeugt, „so wie auch die Geister mein Funkgerät beschädigt haben." 

„Nur einer von beiden", bestätigte Aristides. Nun kam ihm die nächste Idee. „Glaubst du mir, wenn ich dir vor jedem Stromstoß genau sagen kann, wann er kommt und auf welcher Seite?" 

Bei diesem Vorschlag fing Markus an zu leuchten. Er bekam schon wieder diesen beneidenswerten Goldschimmer. Allerdings zeigte sich Matthew weniger begeistert. Und auch Bathilde schüttelte den Kopf. 

„Aristides, ich verbiete solch ein menschenschädigendes Verhalten!" 

„Na schön, ich bin dabei", erklärte der Mensch. „Das können Sie niemals, egal, ob Sie an Geister glauben oder nicht." Er grinste breit. Aber das sollte ihm schon bald vergehen. 

„Rechte Schulter." 

Markus langte mit diabolischem Lächeln zu und George Brown schrie schmerzerfüllt auf. 

„Linker Unterarm." 

Gerade wollte Matthew hinfassen, da kreischte Bathilde auf. 

„Officer Matthew, das ist eine Straftat, für die andere Geister in Haft müssen!" 

Matthew zuckte verlegen mit den Schultern und berührte den linken Unterarm, was natürlich den Schrei des Menschen nach sich zog. 

„Es tut mir leid, meine Liebe", entgegnete er, „aber erstens hat der Mensch eingewilligt, zweitens geht es um unsere Geisterehre, drittens handelt es sich um einen noch nie dagewesenen Fall." 

„Meine Liebe?", rief Aristides und starrte zwischen der Büchereule Bathilde und dem Officer Matthew hin und her. 

„Meine Liebe?", ächzte der Mensch und rieb sich abwechselnd über Schulter und Unterarm. „Den Körperteil kenne ich nicht. Ist das ein chorinianischer Begriff?" 

„Rechter Oberschenkel", sagte Aristides hastig. Für einen Moment hatte er sich von seiner Aufgabe ablenken lassen. Aber wer konnte denn ahnen, dass sich zwei Geister ... nun ... äh ... verlieben konnten? Er auf jeden Fall nicht. Schon gar nicht Bathilde. Sie war eine Büchereule, eine langweilige, staubtrockene Bibliothekarin! 

Markus war fast genauso geschockt. Auch er reagierte zeitverzögert, was das Experiment nun wirklich gefährdete. Wenn sie weiter so nachlässig waren, glaubte der Mensch Aristides nicht, sondern nahm an, dass es sich um sonderbare Zufälle handelte. 

„Geister", befahl Matthew mit lauter und nachdrücklicher Stimme, „Konzentration bitte! Nächstes Körperteil, Aristides. Und zwar schneller und nicht mit minutenlanger Pause." 

Überrascht sah der Geist auf den Officer. Der konnte genauso befehlerisch klingen wie Bathilde. Vielleicht passten sie doch ein klein wenig zusammen. 

„Rechte Hand." 

Diesmal griff Markus sofort zu. Als Aristides nun die linke Hand nannte, zog George Brown sie sofort an seine Brust und legte die rechte darüber. Aber da hatte er nicht die Rechnung mit Matthew gemacht. Der kümmerte sich nicht um so etwas. Er konzentrierte sich, fuhr durch die rechte Hand und sandte seine sphärische Energie nur in die linke. 

„Wow!" Markus schwebte ehrfürchtig näher. „Wie hast du das gemacht? Kannst du mir das auch beibringen?" 

„Aufhören", stammelte George Brown zur gleichen Zeit, „ich glaube Ihnen. Das können keine zufälligen atmosphärischen Störungen sein. Hier stimmt etwas ganz und gar nicht." 

„Sage ich doch", erwiderte Aristides zutiefst befriedigt. „Du darfst mich gar nicht sehen können. Schließlich kannst du meine Freunde auch nicht sehen." 

„Freunde?" Markus drehte sich um und starrte Aristides ungläubig an. „Freunde?" 

„Ja, natürlich", mischte sich Bathilde mit spitzem Tonfall ein. „Was glaubst du, warum Officer Matthew euch nicht festnimmt? Weil wir alle miteinander befreundet sind." 

„Wir auch?" Noch ungläubiger drehte er sich zu Bathilde. „Du bist meine Freundin?" 

„Ja, selbstverständlich." 

Der Farbwechsel, der jetzt bei Markus stattfand, hätte einer Discokugel alle Ehre gemacht. Er schillerte und funkelte in allen möglichen Farben, so aufgewühlt war er. Dann brachte er schließlich stockend hervor: „Ich ... ich hatte ... noch nie Freunde." 


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