Verbannung
Noctus und die anderen Jungwölfe, teilweise gerade einmal zwei Monate alte Junge, drängten sich dicht aneinander und verfolgten mit weit aufgerissenen Augen den Kampf. Enava und der riesenhafte Wolf kämpften beide auf derselben Ebene, keiner war dem anderen unterlegen. Bei dem Rest der Kämpfer sah es anders aus. Zwar waren die Grauwölfe größer und kräftiger als ihre Gegner, allerdings waren diese flink und geschickt und halfen sich gegenseitig. In gewisser Weise waren die Grauwölfe also größtenteils unterlegen. Doch der alles entscheidende Kampf spielte sich zwischen Enava und dem Riesen ab.
Der Riese hatte ihr schon einige Verletzungen zugefügt, doch Enava ließ sich nicht unterkriegen. Sie biss sich an dem Hals des Riesen fest, der vergeblich versuchte, sie abzuschütteln. Jedoch ohne Erfolg. Blut quoll schon aus der Wunde, die Enavas scharfe Zähne verursacht hatten. Der Riese wirbelte herum und die Rudelführerin knallte mit einem dumpfen Geräusch gegen einen Baum und winselte leise. So hatte Noctus seine Mutter noch nie erlebt. Er wollte zu ihr, wollte ihr helfen, doch er konnte sich nicht rühren. ‚Was wenn sie tot ist?', dachte er verzweifelt, doch immer noch rührte er sich nicht vom Fleck. Er konnte es einfach nicht.
Der Riese wandte sich schwer atmend ab und gab seinem Rudel das Zeichen zum Rückzug. Bevor er wieder im Wald verschwand sagte er mit einer rauen, kalten Stimme: „Wenn einer von euch, gleich ob erwachsen oder nicht, noch ein einziges mal unsere Grenze übertritt, ist er ein toter Wolf. Genau wie der Rest von euch." Mit diesen Worten wandte auch er sich ab und folgte seinem Rudel in den Schatten des Waldes.
Ächzend richtete Enava sich auf. Sie schüttelte sich, dann fiel ihr harter Blick auf Noctus. „Du", sagte sie mit einem gefährlichen Zittern in der Stimme. „Du hättest uns alle töten können!" Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und kam auf ihren Sohn zu. Dieser duckte sich auf den Boden, man sah die Angst in seinen Augen. „Du hast mutwillig eine andere Grenze übertreten. Du kennst unsere Regeln. Das ist das schwerste Verbrechen, das du begehen kannst. Du weißt, was für eine Strafe darauf steht. Du musst den Preis für dein schweres Vergehen bezahlen. Hiermit verbanne ich dich aus diesem Rudel! Du darfst nie wieder eine Pfote über unsere Grenze setzen, sonst wirst du dies mit der Todesstrafe büßen! Das gleiche Schicksal wird diejenigen ereilen, die dir helfen oder irgendwie mit dir in Kontakt treten. Geh nun! Ich verstoße dich! Du bist hier nicht länger Zuhause!"
Noctus konnte sich nicht rühren. Er starrte seine Mutter an, konnte nicht begreifen was hier geschah. „Geh!"
Im nächsten Moment spürte er einen stechenden Schmerz in seiner Hüfte. Enava hatte ihm einen starken Biss verpasst. Langsam wich er, immer noch auf den Boden geduckt, nach hinten zurück. Nun kamen auch die anderen Wölfe auf ihn zu und schnappten warnend mit ihren Mäulern. Noctus drehte sich um und rannte los. Als er über der Rudelgrenze war, hielt er inne. Er hörte ein wildes Heulen, dann entfernten sich seine Artgenossen.
Nun war er allein. Für immer.
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