Kapitel 7
„Du solltest nicht so viel Interesse an einem Otkazat'sya zeigen", brummte Ivan. „Der Fährtenleser ist dir nicht ebenbürtig."
„Du weißt, dass ich mir vor einer Überfahrt gern ein wenig Ablenkung gönne." Die Stürmerin verzog ihre ansehnlichen Lippen zu einem Schmollmund. „Du und Fedyor habt mit der Heilerin ein eigenes Spielzeug bekommen. Wie kommt es eigentlich, dass jemand, der so schwach und unnütz ist, mit uns reisen durfte? Sie hat in der Schattenflur nichts verloren. Sie würde dort sicher die Nerven verlieren." Sie warf ihre Haare kokett über die Schulter.
„Zum letzten Mal, sie ist nicht unser Spielzeug, wie du sie so respektlos betitelst. Sie ist eine aufgezeichnete Heilerin, die Fedyors Leben gerettet hat. Sie begleitet uns, damit sie den Schulkindern von der Flur berichten kann. Im Gegensatz zu dir lieben die Kinder sie."
Kirigan zog sich zurück zu seinem Zelt. Er hatte genug gehört. Zoya hatte Katharina zu ihrem neuesten Ziel für Spott und Hohn auserkoren. Nichts Ungewöhnliches für die talentierte Stürmerin, dennoch missfiel ihm ihr Ton. Doch solange sie keine Gefahr für die Heilerin war, würde er sich aus den Streitigkeiten heraushalten. Sollten die Frauen es untereinander regeln.
„Moi Soverenyi, die Liste mit den Armeeangehörigen, die für die Überfahrt vorgesehen sind." Fedyor hielt ihm das Papierstück entgegen. Er nahm die Liste und überflog sie. An einer Stelle blieb er kurz hängen. „Ein Fährtenleser? Wozu braucht die erste Armee in Novokribirsk einen Fährtenleser?"
„Vielleicht fürchten sie, in den Straßen einer ihnen unbekannten Stadt verlorenzugehen", scherzte der junge Entherzer mit der melodischen Stimme.
Eine gar nicht mal so abwegige Idee. Er reichte ihm das Papier zurück. „Wo steckt Katharina?" Da sie sich weder bei Ivan noch bei dessen Gefährten aufhielt, lag die Vermutung nahe, dass sie sich davonstehlen wollte.
„Sie ist der Meinung, dass die Otkazat'sya zulassen werden, dass sie sich um deren Verletzte kümmert. Ich habe ihr davon abgeraten, aber sie wollte davon nichts hören. Sie hat ein zu weiches Herz." Fedyor zuckte bedauernd mit den Achseln.
„Hol sie da weg und bringe sie zu mir. Sie scheint schon vergessen zu haben, was ihr ein Soldat antun wollte. Ich sollte ihr einschärfen, dass sie nur unter Grisha sicher ist." Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er in seinem Zelt und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Wieso kümmerte ihn die Heilerin so? Sie war für seine Pläne völlig unbedeutend und dennoch fühlte er den Drang, sie zu beschützen. Warum nur? Er legte die Stirn in Falten. War sie Luda zu ähnlich? Braune Haare, beides Heilerinnen. Doch wo Luda eine mächtige Grisha gewesen war, die selbst von einem Abstand und ohne ihn zu sehen, seine Wunden geheilt hatte, schien Katharina kaum mehr als über das Mittelmaß hinauszukommen. Wenn da nicht diese seltsame Anziehungskraft und ihr Verhalten wäre, das sie an manchen Tagen weitaus älter und weiser erschienen ließ, als es für eine Frau ihres Alters üblich war.
„Ina, es ist besser, wenn du dich von den Otkazat'sya fernhältst." Fedyor schob die mürrisch dreinblickende Grisha ins Zelt.
Kaum stand sie vor Kirigan, verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah ihn herausfordernd an. Wagte sie es, sich seinem ausdrücklichen Befehl zu widersetzen? Er gab dem Entherzer mit einer Kopfbewegung zu verstehen, sie beide allein zu lassen. Dabei hielt er den Blick auf die Heilerin gerichtet. Erst als Fedyor das Zelt verlassen hatte, richtete er das Wort an die junge Frau. „Ich kann mich erinnern, es dir untersagt zu haben, den Otkazat'sya zu helfen. Wieso hältst du dich nicht daran?"
„Indem wir uns von ihnen fernhalten, bauen wir ihre Vorurteile nicht ab."
„Und du glaubst, du könntest eine über Generationen aufgebaute Abneigung, diesen vererbten Hass auf jene, die anders sind als sie selbst, mit einigen geheilten Brüchen ändern?" Er würde in schallendes Gelächter angesichts dieser absurden Situation ausbrechen, wäre die Geschichte nicht so tragisch. Katharina war zu jung, um seinen Standpunkt zu verstehen. Sie hasste zwar die Drüskelle, doch sah sie nicht, wie sehr die Grisha auch in Ravka unterdrückt wurden. „Du kannst allein nichts erreichen. Hast du bereits vergessen, wie sich dir einer von ihnen aufgedrängt hat?" Wenn sie es selbst nicht einsah, musste er sie darauf hinweisen.
Sie schüttelte bedächtig den Kopf, ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Soll ich den gleichen Fehler begehen, den so viele Otkazat'sya machen? Eine ganze Bevölkerungsschicht aufgrund der Taten eines Mannes verurteilen?" Sie musterte ihn unverhohlen, fast schon lauernd. Als ob sie genau wusste, wer er in Wirklichkeit war. Hatte seine Mutter es ihr verraten? Völlig ausgeschlossen.
Er trat vor sie. „Du meinst, so wie sie uns für die Schattenflur verdammen? Sie haben uns schon lange vor dem Schwarzen Ketzer gehasst." Er packte die Heilerin an den Oberarmen, ohne allzu großen Druck auszuüben, eher behutsam, und senkte seine Stimme. „Ich will dich doch nur beschützen. Du weißt selbst, zu was Otkazat'sya in der Lage sind." Sanft rieb er über ihre Arme. Ihre Muskeln entspannten sich unter seinen Händen. Wie die anderen Grisha konnte sie sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen. Kirigan lächelte zufrieden. Es war besser für Katharina, wenn sie sich fügte.
„Ich weiß, dass Ihr alles für uns tut und dass die Schattenflur uns vor weitaus größeren Angriffen aus Shu-Han und Fjerda schützt", erwiderte sie mit ihrer melodischen Stimme, die seinen vorherigen Ärger über ihren Ungehorsam endgültig vertrieb.
Er verdrängte den Wunsch, die gutherzige junge Frau in die Arme zu schließen. Nie wieder würde er sich so verletzlich aufstellen wie damals bei Luda. Seine Mutter hatte recht. Es war töricht, sein Herz für jemanden zu öffnen, mit dem man nicht die Ewigkeit teilen konnte. Er sollte lieber all seine Energie darauf verwenden, die Sonnenkriegerin zu finden. „Dann wirst du dich somit zukünftig von den Otakazat'sya fernhalten?" Bevor sie antworten konnte, trat jemand ins Zelt.
„Moi Soverenyi?" Es war Ivan, der das Gespräch unerwartet unterbrach. Seine starre Miene bedeutete nichts Gutes. Kirigan wandte seine Aufmerksamkeit ihm zu und wappnete sich für schlechte Nachrichten. Katharina nutzte den Moment und huschte zum Ausgang, an dem Entherzer vorbei. Dieser drehte sich stirnrunzelnd zu ihr um. „Ina, wo willst du wieder hin?"
„Zurück zu den Verletzten. Wenn ich auch nur die Meinung eines Otkazat'syas ändern kann, hat sich meine Mühe gelohnt. Meine Mutter hat nie einen Hilfsbedürftigen im Stich gelassen, solange er nicht ihre Hilfe verweigert hat." Ohne auf eine Antwort zu warten, schlüpfte sie aus dem Zelt. Kirigan schloss kurz die Augen. Katharina erwies sich als widerspenstiger, als er erwartet hatte. Doch das hatte Zeit. „Ivan, du hast eine Nachricht für mich?"
Der Entherzer wandte sich ruckartig ihm zu. „Die Kartografen werden auf dem Skiff mitreisen. Wie es scheint, ist aus Unachtsamkeit die einzige Karte West-Ravkas verbrannt,"
Ein Zufall? Zu ungewöhnlich. Kirigan legte die Stirn in Falten. Versuchte die Sonnenkriegerin auf diese Weise, auf das Skiff zu gelangen, um Ravka, um ihm zu entfliehen? „Was wissen wir über die Kartografen?"
„Moi Soverenyi?" Ivan sah ihn verwirrt an.
„Was wissen wir über sie? Woher stammen sie? Wurden sie als Kinder getestet?"
Die Augen seines Vertrauten weiteten sich. „Ihr meint, Grisha verstecken sich unter ihnen und versuchen, in den Westen zu fliehen?"
„Das, oder jemand will sich unter sie mischen und auf das Skiff schleichen. Es ist der sicherste Weg, Ravka durch die Schattenflur zu verlassen."
Ivan nickte verstehend. „Ich werde sofort Informationen einholen und die Wachen beim Skiff zur vermehrten Aufmerksamkeit mahnen."
„Sag den Wachen nichts. Hole mir die Informationen über die Kartografen und beobachte zusammen mit Fedyor, ob nur die uns bekannten Personen das Skiff betreten."
„Sehr wohl, moi Soverenyi." Mit eiligen Schritten verließ der Entherzer das Zelt. Kirigan ließ sich auf seinen Stuhl sinken und strich sich über den Bart. Wenn ihn sein Gefühl nicht trügte, hatte bald die Warterei auf die Sonnenkriegerin ein Ende. Durfte er hoffen, dass er endlich mit ihrer Hilfe den Krieg beenden und das Leben aller Grisha in Ravka verbessern konnte? Oder hielt er nur weiterhin an der in den Augen seiner Mutter törichten Auffassung fest, dass er etwas an den Umständen ändern konnte? Er grübelte weiter, bis Ivan ihm eine Liste mit den Kartografen gab. Hastig überflog er sie. Keine der Personen schien sich bisher auf eine Art hervorgetan zu haben, die vermuten ließ, dass es sich um eine unentdeckte Grisha handelte. Enttäuscht ließ er das Papier sinken. Kam doch nur die andere Möglichkeit in Betracht.
„Fedyor beobachtet bereits unauffällig das Skiff. Es gefiel ihm zwar nicht, Ina aus den Augen zu lassen, dennoch hat er sich der neuen Aufgabe sofort gewidmet", berichtete Ivan nicht ohne Stolz. „Ihr müsst ihn entschuldigen, Ina ist wie eine kleine Schwester für ihn", fügte er mit einem leichten Unterton hinzu, der seine Unsicherheit verriet.
Kirigan unterdrückte ein Schmunzeln. Die drei Korporalki suchten einander kontinuierlich auf. Meist waren es die zwei Entherzer, die die Heilerin im Blick behielten. Um zu verhindern, dass sie hier im Lager in Schwierigkeiten geriet.
„Ausgezeichnet. Und was Fedyors Verhalten betrifft, er hat von mir den ausdrücklichen Auftrag erhalten, auf Katharina aufzupassen. Daher sehe ich es ihm nach, dass es ihm missfällt, solange er sich meinen Anweisungen beugt."
„Sehr wohl, moi Soverenyi. Ich würde jetzt gern zu ihm gehen, um ihn bei der Observation zu unterstützen. Vorausgesetzt, Ihr habt keine andere Aufgabe für mich."
„Geh zu ihm. Ich werde zur Abfahrt des Skiffs ebenfalls an den Pier kommen." Kirigan schaute Ivan nach, als dieser das Zelt verließ, und seufzte verhalten. Am liebsten würde er zum Skiff stürmen und es durchsuchen. Doch es würde nur noch mehr Argwohn bei den Soldaten der Ersten Armee wecken, wenn sich der Schwarze General persönlich in die Arbeit seiner Untergebenen einmischte.
Er setzte sich erneut und atmete tief durch. Täuschte er sich, würde er die Suche nach der Sonnenkriegerin fortsetzen. Doch fand er sie hier in Kribirsk, sollte er sich einen Plan zurechtlegen, wie er sie für seine Vision eines unbezwingbaren Ravkas gewinnen konnte. Ursprünglich war er davon ausgegangen, dass seine Grisha-Tester eines Tages ein Kind von ihren Reisen mitbringen würden, das die lang erhoffte Gabe besaß. Mit dem Vorfall im Wald an der Grenze zu Fjerda hatte sich eine andere Möglichkeit gezeigt. Eine erwachsene Frau seinen Wünschen entsprechend zu formen, konnte sich als schwierig erweisen. Er tippte sich ans Kinn. Wer seiner Untergebenen war für eine diesbezügliche Aufgabe ausgebildet?
Ivan und Fedyor benötigte er für andere Themen. Katharina schien zwar Personen, denen sie begegnete, mit Leichtigkeit zu beeinflussen, doch sie kannte er nicht lang genug, um sich auf sie zu verlassen. Genya, die Bildnerin, verstand sich darin, das Vertrauen von Menschen zu gewinnen. Obendrein war sie ihm treu ergeben. Sie würde seine Befehle nicht in Frage stellen. Er nickte zufrieden. Sie schien ihm am geeignetsten. Musste er nur noch die Sonnenkriegerin aufspüren.
Einige Zeit später lief er zum Dock. Die Mienen seiner zwei Entherzer verrieten ihm, dass sie nichts Auffälliges entdeckt hatten. Sollte es mit der verbrannten Karte doch nur ein reiner Zufall sein? Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Er ließ sich seine Enttäuschung nicht ansehen. Stoisch wie die Menschen es von ihm gewohnt waren, sah er zu, wie seine Stürmer das Skiff in die Schattenflur steuerten. Erst tauchte der Bug in die Dunkelheit ein, bis schließlich das gesamte Fahrzeug von ihr verschluckt wurde. Eine Weile blieb er dort am Pier stehen, starrte auf das Gebilde aus wabernden Schatten, das er vor so langer Zeit erschaffen hatte, bis ihn leise Schritte aus seinen Gedanken rissen.
„Solltest du dich nicht wieder etwas anderem widmen, bevor sich die Otkazat'sya noch mehr über dein Verhalten wundern?"
Er wandte sich Katharina zu. Die Dreistigkeit, mit der sie ihn grundsätzlich duzte, wenn sie allein waren, amüsierte ihn. Zwei Seelen schienen ihrer Brust innezuwohnen. Eine schüchterne, die sie allen Menschen zeigte, die ihr begegneten. Und etwas Kühneres, das in seltenen Augenblicken mit den beiden Entherzern oder mit ihm das Licht erblickte. Seine Mundwinkel zuckten leicht. „Das stimmt, wir sollten unser Gespräch von vorhin fortsetzen, dem du wie üblich entflohen bist, Katharina." Er wies mit ausgestrecktem Arm auf sein Zelt und schmunzelte, als sie entnervt aufstöhnte. Sie war wahrhaftig nicht wie die anderen Grisha. Wirklich bedauerlich, dass sie nicht über mehr Macht verfügte.
Zusammen verließen sie den Pier und überquerten den Platz zu dem schwarzen Zelt, das aus den üblichen Militärzelten herausstach, als ein Schrei sie herumfahren ließ. Menschen blieben stehen, ob Grisha oder Otkazat'sya, und starrten auf das Licht, das aus der Schattenflur in den Himmel schoss. Die Sonnenkriegerin!
Katharina nutzte erneut den Augenblick und huschte ins Lager der Ersten Armee, doch das interessierte ihn kaum noch. Er musste sich jetzt auf die Ankunft seiner Ebenbürtigen vorbereiten, da kümmerte ihn nicht das Verhalten einer Heilerin.
*****
Großartige Nachrichten für den Dunklen. Seine Sonnenkriegerin wurde gesichtet. Aber ob alles so hübsch verlaufen wird, wie er es plant?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top