Kapitel 6
„Bitte, Fedyor, leg beim General ein gutes Wort für mich ein."
Kirigan zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich an die Wand. Was heckte Katharina jetzt wieder aus? Seit ihrer Ankunft am Kleinen Palast hatte sie sich hauptsächlich um die Kinder gekümmert, die die Heilerin anbeteten. Probleme untereinander? Sie bot ihnen ein offenes Ohr und Rat. Unsicherheit wegen ihren Gaben? Die Frau redete ihnen gut zu. Von den erwachsenen Grisha hielt sie sich fern. Abgesehen von den beiden Entherzern, denn auch mit Ivan suchte sie gern das Gespräch. Dieser hatte nicht an ihr wahrgenommen, dass sie noch immer das Weite suchen wollte. Er stieß sich von der Wand ab und trat um die Hausecke. „Weshalb sollte Fedyor denn bei mir ein gutes Wort für dich einlegen, Katharina?" Er sprach in einem gedämpften, sanften Tonfall. Seitdem er ihr nach der Ankunft wehgetan hatte, mied sie ihn. Nicht, dass er auf ihre Gesellschaft Wert legte.
„Moi Soverenyi." Mühsam hielt sie seinem fragenden Blick stand. Unsicherheit aber auch ein wenig Argwohn schwangen darin mit. „Die Kinder haben von dem neuen Skiff gehört und wünschen sich, dass ich ihnen davon und von der Flur berichte. Nur hält meine Arbeit mich hier fest."
„Du möchtest also mit uns zur Schattenflur reisen." Er betrachtete sie einen Augenblick stumm. Ihr zaghaftes Nicken, es passte nicht zu der Frau, die zugesehen hatte, wie ein Drüskelle lebendig verbrannte. Er gab Fedyor mit einer Bewegung seines Kopfes zu verstehen, dass er sie allein lassen sollte. Der Entherzer nickte und lief zurück zum Kleinen Palast. Katharina warf ihm einen sehnsüchtigen Blick hinterher. Fand sie es so furchtbar, in seiner Gegenwart zu sein? Er konnte es sich nicht erlauben, dass eine seiner Grisha an ihm zweifelte. Er musste sie auf seine Seite ziehen. „Komm, lass uns ein Stück spazieren gehen." Er wies auf den Pfad, der zum See führte. Zögernd folgte sie ihm.
Schon von Weitem klang das Gelächter der Kinder zu ihnen. Ätheralki, die am Ufer trainierten. Dort, wo sie nicht etwas in Brand setzten oder etwas völlig durchweichten. Katharina straffte sich, sowie sie die Gruppe sah. „Jelena, Kolja, versucht mal, eure Kräfte zu bündeln, und lasst einen Funkenregen auf die Wasseroberfläche niedergehen." Die Stürmerin und der Inferni schauten erst einander unsicher an und suchten dann mit ihren Blicken bei Kirigan rat. Er schmunzelte und nickte ihnen zu. Die Heilerin hatte seine Neugierde geweckt. Was bezweckte sie mit dem Auftrag?
„Na kommt schon, ihr beiden", ermunterte sie das Mädchen und den Jungen. „Kolja, rufe deine Macht auf und fächere sie breit. Keine Feuerkugel wie sonst. Jelena, du fegst das Feuer mit deinen Winden über den See. Zusammen erreicht man mehr."
„Aber wir sollen das Gegenteil von dem tun, was uns sonst gezeigt wird", protestierte die junge Stürmerin.
„Manchmal ist es gut, neue Dinge auszuprobieren." Kirigan stellte sich neben die Heilerin. „Möchtet ihr nicht wissen, was Katharina euch damit zeigen möchte?" Zufrieden registrierte er, dass die zwei Kinder sich dem See zuwandten und die Arme hoben. Kolja rief Feuer auf und zog dann seine Hände immer weiter auseinander, bis eine Feuerwand, so dünn wie ein Briefumschlag, zwischen ihnen flackerte.
„Jetzt schleuderst du es von dir und Jelena verteilt es über die Wasseroberfläche", wies die Frau die beiden an. Die Kinder gehorchten. Ein Funkenregen ging in fast der gesamten Breite des Sees auf das Wasser nieder. Kirigan hob überrascht eine Braue. „Und so steckt man eine größere Fläche gleichzeitig in Brand. Die Feuerbälle sind eine mächtige konzentrierte Waffe, um zum Beispiel einen Gegner auszuschalten. Wollt ihr dagegen für mehr Verwirrung sorgen, ist ein Feuerregen praktischer. Ihr setzt damit von weitaus mehr Feinden die Kleidung in Brand oder zum Beispiel deren Zelte, wenn ihr ein Lager der Drüskelle angreift", fügte Katharina ihren Erklärungen hinzu.
„Kann man das auch mit Wasser und Wind machen?", fragte ein Fluter. Der Junge schien sich die daraus entstehenden Möglichkeiten bereits auszumalen.
„Wasser und Wind ergeben eine tödliche Kombination, wenn ein Fluter das Wasser zu Eis verwandelt. Winzig kleine Geschosse, die sich in den Körper des Feindes bohren."
„Und wie funktioniert das?" Die Kinder bestürmten die Heilerin. Kirigan schüttelte schmunzelnd den Kopf und hob zur Abwehr die Hände. „Dafür müssen die Fluter erst ihre Kräfte meistern. Also übt brav weiter." Er wandte sich seiner Begleitung zu. „Und wir sollten langsam zurückgehen."
„Darf Katharina mit zur Schattenflur?" Jelena hielt ihn mit ihrer Frage auf. Er hatte es durch die Demonstration völlig vergessen.
„Warum soll sie mitkommen? Möchtet ihr nicht, dass sie bei euch bleibt und sich um euch kümmert?" Vielleicht wussten die Kinder mehr und verrieten ihm die Wahrheit.
„Doch", rief Kolja. „Aber sie hat uns so spannend berichtet, wie sie Euch und die anderen kennengelernt hat, dass sie uns von der Flur erzählen soll."
„Hat sie das?" Er warf Katharina einen Blick zu. Wieder wich sie ihm aus, doch dieses Mal verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln und sie errötete leicht. „Nun, dann werde ich sie wohl mitnehmen müssen, damit sie euch berichten kann." Die Kinder jubelten lautstark. „Aber ich werde sie nicht auf das Skiff lassen. Die Volcra sind zu gefährlich und ihr wollt doch nicht eure Lieblingsheilerin verlieren."
„Dann müsst Ihr auf sie aufpassen." Jelena stemmte die Fäuste in die Seite.
„Der General hat Wichtigeres zu erledigen, Jela. Ich werde im Lager in Kribirsk bleiben und alles beobachten. Ihr wollt doch wissen, was unsere Durasten an den Skiffs verbessert haben. Aber übt jetzt weiter und vergesst nicht, dass wir zusammen stärker sind."
Die Kinder machten sich erneut eifrig an ihr Training. Kirigan bemerkte, wie sich ein anderes Pärchen bestehend aus Inferni und Stürmer fand, um einen Funkenregen zu erzeugen. Still folgte er der Heilerin zurück zum Kleinen Palast. Dort hielt er sie auf, als sie sich zurückziehen wollte. „Ich wusste nicht, dass du solch eine ausgezeichnete Lehrerin bist, Katharina."
„Ich möchte die Kinder bestmöglich vorbereiten. Wer weiß, wie lange Ravka mit den schwindenden Ressourcen die Kriege noch aufrecht erhalten kann." Sie seufzte. „Ich wünschte, sie müssten niemals kämpfen und dürften ohne diese ständige Angst vor Verfolgung aufwachsen."
„Deswegen habe ich den Kleinen Palast erbauen lassen." Er hielt einen Moment inne, doch Katharina hakte nicht nach. Der Palast bestand schon viel länger, als dass ein normaler Beschwörer ihn hätte errichten lassen können. Dennoch nahm die Heilerin seine Aussage ohne mit der Wimper zu zucken hin.
„Egal, was wir tun, es wird für Ravka und seine Bewohner nie genug sein. Im Krieg sind wir von Nutzen, auch wenn die modernen Waffen der Fjerdan auch unter unseren Leuten einen immer größeren Schaden anrichten." Sie seufzte verhalten. „Immerhin schützt uns die Flur vor einem größeren Angriff. Dem könnten wir nicht standhalten."
Kirigan betrachtete sie stumm. Für eine Heilerin verstand sie erstaunlich viel von Politik. Sie war klug und dennoch wollte sie diesen sicheren Ort entfliehen, den er für Grisha wie sie gebaut hatte. „Katharina, weshalb fühlst du dich im Kleinen Palast nicht wohl?"
„Die Mitglieder der unterschiedlichen Orden bleiben untereinander." Sie richtete den Blick in die Ferne. „Selbst innerhalb der Orden bleiben die Grisha gern untereinander. Durasten bei den Durasten. Alkemi bei den Alkemi. Entherzer bei den Entherzern ..."
„Und das gefällt dir nicht." Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Indem sie bei ihresgleichen sind, richten sie die Aufmerksamkeit auf die Gabe, die sie miteinander verbindet. Das stärkt sie."
„Möglich. Aber es schwächt das Ganze." Sie wandte sich ihm zu. In ihren moosgrünen Augen blitzte es auf. „Gemeinsam erreicht man mehr. Indem man sich vor anderen verschließt, bekommt man keine neuen Einblicke. Einsamkeit ist ein schlechter Ratgeber." Sie zuckte zurück, als ob sie sich verbrannt hatte. „Ich muss los. Die Kinder erwarten mich."
Blitzschnell packte er sie am Oberarm. „Katharina, du rennst nicht wieder weg. Du gehst erst, wenn unser Gespräch beendet ist." Ihre Worte über die Einsamkeit hatten ihn getroffen. Sie wirkte, als ob sie mehr über ihn und seine Vergangenheit wusste, dabei war das schier unmöglich. „Was schlägst du vor." Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht.
Sie biss sich auf die Unterlippe, schien sich zu sammeln. „Wenn du die Sonnenkriegerin findest, sorge dafür, dass sie sich hier wohlfühlt. Mit ihrer Gabe wird sie zu sehr hervorstechen und selbst als Hoffnung Ravkas misstrauisch beäugt werden. Einige werden sie für eine Scharlatanin halten, andere ihr zu viel auf einmal abverlangen. Sie wird Freunde und Verbündete benötigen und sich vor allem sicher fühlen. Sonst wirst du deine Ziele nie erreichen." Ihre Augen weiteten sich. Mit einem Ruck riss sie sich los und rannte zurück zur Schule. Der Saum ihrer roten Kefta flatterte hinter ihm im Wind.
Kirigan blieb für einen Moment sprachlos stehen. Nicht nur, dass sie sich doch ohne seine Erlaubnis entfernte, sie hatte ihn obendrein geduzt. Doch beides verblich angesichts der Worte, die sie geäußert hatte. Er drehte sich auf dem Absatz um und suchte Ivan. Er fand ihn mit Fedyor vor dem Eingang zum Kleinen Palast. „Ivan!"
„Ja, moi Soverenyi?" Der Entherzer nahm Haltung an, genau wie sein Gefährte.
„Katharina wird uns zur Flur begleiten. Ich erwarte, dass ihr auf sie aufpasst. Lasst vor allem keinen von den Otkazat'sya in ihre Nähe."
„Zu Befehl, General. Soll sie in einer der Kutschen mitfahren?"
„Am besten bei Zoya", feixte Fedyor. „Ina würde die Stürmerin schon ruhigstellen, wenn sie sich wieder für etwas Besseres hält."
Kirigan war bewusst, dass viele die Suli nicht mochten, weil sie sich viel auf ihre Gabe einbildete. Dabei war die Stürmerin ebenfalls ein Opfer des Lebens unter den gewöhnlichen Menschen, die ihren Wert nicht erkannt hatten. Ihr Ehrgeiz und ihr Können hatten sie im Ansehen aufsteigen lassen. Ein Grund, weshalb sie sich schon früh einen Kräftemehrer verdient hatte. Er überlegte kurz. Der Gedanke, die zwei Frauen über Tage auf kleinstem Raum zusammen einzupferchen, missfiel ihm. „Überlasst Katharina den Schimmel. Außer ihr schafft es doch keiner, mit dem störrischen Tier umzugehen."
„Sehr wohl, moi Soverenyi. Ich werde Ina nicht von der Seite weichen." Fedyor neigte respektvoll den Kopf. „Ich werde auch alles Notwendige für sie veranlassen, dann kann Ivan sich um wichtigere Angelegenheiten kümmern."
„Hervorragend." Kirigan wandte sich ab. Seine Befehle waren hier nicht erforderlich. Auf seine Männer war Verlass. Erleichtert setzte er seinen Weg fort. Er spürte förmlich die fragenden Blicke in seinem Rücken, als er im Gebäude verschwand. Er hatte niemandem Rechenschaft abzulegen, nicht einmal gegenüber dem Zaren.
*****
Ob das so eine gute Idee ist, Katharina mit zur Schattenflur zu nehmen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top