Kapitel 4


Erneut ritten sie die nördlichen Ausläufer des Petrazoj ab, suchten nach Spuren, die die flüchtende Sonnenkriegerin hinterlassen haben könnte. Doch weder weitere Drüskelle noch die Frau selbst liefen ihnen über den Weg. Kirigans Laune sank zusehends, auch wenn er sich nichts anmerken ließ. Seine Grisha kannten ihn wortkarg und die neue Heilerin war meist in Gespräche mit Fedyor vertieft und achtete wenig auf ihre Umgebung. Im Gegensatz zu ihm und seinen Getreuen schien es sie nicht zu interessieren, nach wem sie auf der Suche waren. Damit verstärkte sie sein Misstrauen, das er ihr gegenüber hegte. Zwischendurch ertappte er sich bei dem Gedanken, dass Katharina den Test des Kindes manipuliert hatte und die Kleine seine langersehnte Ebenbürtige war. Meist verwarf er die Idee gleich wieder, denn das Mädchen hatte auf ihn nicht den Eindruck erweckt, etwas Besonderes zu sein. Die Kleine war keine Grisha, davon war er felsenfest überzeugt. In anderen Augenblicken ging er in Gedanken alles haargenau durch. Das Licht, das sich einen Weg durch den Wald gebahnt hatte und vermutlich bis nach Fjerda zu sehen gewesen war. Wenn die selbsternannten Hexenjäger sie zuerst fanden, würden sie die Frau zum Eistribunal verschleppen, sie verurteilen und lebendig verbrennen. Er ballte die Fäuste und spürte, wie seine Kiefermuskeln sich verspannten.

„Moi Soverenyi?" Ivan warf ihm einen besorgten Blick zu. Kirigan bemerkte die Schatten, die ungeduldig durch die Luft peitschten und nur darauf zu warten schienen, sich auf jemanden zu stürzen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Heilerin ihr Pferd neben ihn lenkte. Völlig unerwartet berührte sie ihn am Oberarm. Einige seiner Grisha atmeten scharf ein. Niemand sonst wagte es, sich ihm gegenüber so zu verhalten.

„Moi Soverenyi? Wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt, die Sonnenkriegerin wird längst weiter in den Süden gereist sein. Sie wird sich nicht zu lange in einem Gebiet aufhalten, wo die Drüskelle sie aufspüren können." Ihre melodiöse Stimme beruhigte sein aufgewühltes Inneres und er dachte über ihre Worte nach. Es klang logisch, was sie sagte. Seine Sonnenkriegerin würde sich nie absichtlich einem Risiko aussetzen, sondern nach der Demonstration ihrer Gabe sich schnellstmöglich zurückziehen, um einer Entdeckung zu entgehen. So wie sie es vermutlich seit einer langen Zeit tat. Er dagegen brachte seine Grisha in Gefahr, je länger er mit ihnen in diesem Gebiet verweilte.

Er streckte den Rücken durch. „Wir kehren zum Kleinen Palast um." Obwohl er kein Entherzer war, entging ihm nicht die Erleichterung seiner Untergebenen, die sich nach der Reise auf ihr Bett und ihre Freunde freuten. Katharina neigte nur sanft lächelnd das Haupt und trieb ihr Pferd zurück an Fedyors Seite. Nachdenklich sah Kirigan ihr nach und bemerkte dann, dass seine Schatten verschwunden waren. Kaum merklich mit dem Kopf schüttelnd ritt er weiter, sich dessen bewusst, dass Ivan ihn beobachtete.

Die darauffolgenden Tage vergingen träge. Der Weg durch das Gebirge war durch den einsetzenden Regen beschwerlich. Immer wieder mussten sie aus dem Sattel gleiten und neben ihren Tieren hergehen, weil der Boden bei den Steigungen zu rutschig war und die Pferde den Halt unter den Hufen verloren, wenn jemand auf ihren Rücken saß. Beim letzten Anstieg führte er die Gruppe an, um oben auf alle zu warten. Die Erschöpfung stand einigen ins Gesicht geschrieben. Heiler und Entherzer hatten im Gegensatz zu den anderen Grisha ihre Fähigkeiten seit einer Woche nicht benötigt. Vor allem Katharina, die als vorletzte auf dem höchsten Punkt ankam, hatte dunkle Ringe unter den Augen. Ivan bildete den Abschluss.

Sein Vertrauter wartete bei ihm, als die Gruppe sich bereits an den Abstieg machte. „Sie isst zu wenig und scheint schlecht zu schlafen."

Kirigan nickte. Auch ohne den Namen wusste er, wer gemeint war. „Bei den Kindern wird sie oft genug die Möglichkeit bekommen, ihre Gabe einzusetzen. Dann wird sie einen gesunden Appetit entwickeln und besser in den Schlaf finden." Wenn sie sich nicht vorher davonmachte. Viel zu oft hatte sie sich für seinen Geschmack umgesehen, auf einen Moment der Unachtsamkeit gehofft. Sie fühlte sich unwohl in der Gesellschaft der anderen Grisha. Nur Fedyors Nähe schien sie zu mögen. Sehr zum Missfallen von Ivan, der sie dann nur ungern aus den Augen ließ. „Ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, sie ziehen zu lassen", fügte der Entherzer noch mit einem Blick auf ihre hängenden Schultern hinzu.

Ein Gedanke, mit dem Kirigan auch schon gespielt hatte. Die Heilerin war schwach, wies Anzeichen für ein Dahinsiechen auf. Lag es daran, dass sie zu selten ihre Gabe nutzte oder war sie insgesamt ein Schwächling? Für die Armee war sie nutzlos und doch weigerte er sich, sie aufzugeben. Woran lag es? An der Art, wie sie mit dem Kind umgegangen war? Oder weil er statt seiner Sonnenkriegerin nur ihrer hatte habhaft werden können und jetzt die Hoffnung hegte, seine Ebenbürtige noch zu finden? Was kümmerte es ihn überhaupt? Er unterdrückte ein Knurren. Der Vorfall im Wald hatte seine unerschütterliche Ruhe durcheinandergebracht. Seine Mutter hatte ihn gelehrt, geduldig abzuwarten. Darauf, dass die Verfolgung der Grisha endete. Dass die Otkazat'sya lernten, sie nicht zu fürchten. Doch geändert hatte sich kaum etwas. Es lag an ihm, die Welt für seine Gefolgsleute zu verbessern.

So lange hatte er schon gewartet, seine Pläne in die Tat umzusetzen, da fielen ein paar weitere Jahre nicht ins Gewicht. Seine Sonnenkriegerin würde eines Tages zu ihm kommen, wenn sie endlich erkannte, dass nur er die Antwort auf all den Hass besaß. Gemächlich schloss er zur Gruppe auf, die sich nach einem Rastplatz für die Nacht umsahen.

„Wir sollten noch ein Stück weiterreiten. Der Boden ist hier von den Regenfällen aufgeweicht." Einer der Stürmer wies auf die Grashalme, zwischen denen das Wasser stand. „Wir könnten zwar versuchen, den Erdboden mit Wind und Wärme zu trocknen, aber ..."

„Wir reiten weiter", winkte Kirigan ab. „Dort hinten unter dem Bäumen wird es trockener sein." Der nahe Wald mit seinem dichten Blätterdach versprach einen geeigneteren Unterschlupf. Doch je näher sie ihm kamen, desto unruhiger wurde er. Ivan schien sein Unbehagen zu teilen. Auch Fedyor straffte sich.

„Drüskelle!" Der Schrei gellte über das Tal hinweg, brachte Bewegung in die Gruppe.

Kirigan sah noch, wie die Heilerin vom Pferderücken glitt und in Deckung ging, als eine Gruppe bärtiger Männer aus dem Unterholz hervorbrach. Äxte schwingend und Verwünschungen auf Fjerdan ausstoßend, stürzten sie sich auf die Grisha.

Ein Pfeil schoss haarscharf an Kirigan vorbei. Er sprang aus dem Sattel und hob die Hände. Schatten zuckten um seine schlanken Finger, formten sich zu der Waffe, die nur wenige beherrschten. In einer fließenden Bewegung, die ihm vor Ewigkeiten in Fleisch und Blut übergegangen war, schickte er den Schnitt auf seine Feinde los. Die Schattenklinge durchtrennte sauber ihre Körper. Weitere Angreifer wurden von seinen Ätheralki in Schach gehalten. Andere durch die Entherzer gestoppt, die ihre Herzen zerquetschten. Der Geruch von Blut breitete sich aus, legte sich über alles.

Ein Schrei lenkte Kirigans Aufmerksamkeit zu seiner Rechten. Fedyor sackte, eine Hand an seinen Hals gepresst, auf die Knie, ein Drüskelle vor ihm stehend. Ivan warf sich mit einem Brüllen auf den Feind, traktierte dessen Oberkörper und entblößte Kehle mit gezielten Schlägen. Um ein Zeichen zu setzen, denn mit seiner Gabe hätte er den Mann ohne Probleme im Handumdrehen getötet. Doch er wollte ihm vor dem Tod zeigen, wozu Grisha noch imstande waren. Dass sie ihm und seinen Gefährten in jeder Weise überlegen waren.

Kirigans Blick wanderte zu Fedyor. Er erwartete, dass sein Heiler sich um den Verletzten kümmerte. Überrascht hob er eine Augenbraue, als er Katharina neben ihm knien sah. Sie tat etwas, wodurch der Entherzer in sich zusammensackte, stoppte dann mit einigen schnellen Handbewegungen die Blutung an seinem Hals. Kirigan ging näher heran, beobachtete, wie die Frau die letzten Spuren der Verletzung beseitigte. „Er wird Ruhe benötigen", sprach sie, ohne sich nach ihm umzudrehen. Dann richtete sie sich auf.

Ivan, der den Drüskelle bewusstlos geschlagen hatte, stürzte an die Seite seines Gefährten. „Wird er überleben?", fragte der sonst stoische Entherzer die Heilerin mit brechender Stimme und Tränen in den Augen.

„Ich habe sein Herz verlangsamt, um die Blutung zu stoppen. Er hat viel Blut verloren, aber ich glaube, dass er es mit deiner Hilfe schaffen wird. Er braucht dich jetzt, Ivan." Katharina ließ ihren Blick zu dem Drüskelle wandern, der von zwei Grisha gefesselt wurde. Dann zu dessen gefallenen Freunden. „Ich denke, es ist gerechtfertigt, wenn wir die Leichen verbrennen, damit sie nicht den Wald verschmutzen, moi Soverenyi." Ihre Miene schien zu Stahl erstarrt. Alle Sanftheit war aus ihrem Gesicht verschwunden. Nur Härte war zurückgeblieben.

„Werft sie zusammen auf einen Haufen", rief er seinen wartenden Untergebenen zu. Eilig machten sie sich daran, seinem Auftrag Folge zu leisten. Schon bald lagen die Toten beieinander, trockene Äste und Zweige neben und zwischen ihnen. Zwei Inferni entzündeten das Feuer, das die Stürmer weiter anschürten. Regungslos sah Kirigan zu, wie die Flammen am Stapel empor züngelten, sich gierig durch das Holz fraßen und die Kleidung der Drüskelle in Brand setzten. Der Geruch von verbranntem Fleisch drang ihm in die Nase, doch er verzog keine Miene. Aus dem Augenwinkel beobachtete er Katharina, die emotionslos neben ihm stand, und fragte sich, ob er sie unterschätzt hatte. Sie wirkte nicht mehr wie eine junge Frau, deren Bestimmung es war, jegliches Leben zu retten, sondern schien ihm auf einmal viel älter.

„Dunkler." Der Gefangene erwachte aus seiner Bewusstlosigkeit, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Brandstapel. „Nein, das ist falsch!", brüllte er auf Fjerdan. „So werden sie nie zu Djel gelangen. Das ist nicht der Weg."

Katharina löste sich von ihrem Platz, lief zum Feuer und zog einen an einer Seite brennenden dünnen Ast heraus. Damit trat sie zu dem Drüskelle, hielt die glühende Spitze gefährlich nahe an dessen Bart. „Sind noch mehr von euch in Ravka unterwegs?", fragte sie in seiner Sprache.

„Halt den Mund, Drüsje." Er schrie entsetzt auf, als sie daraufhin seine Barthaare in Brand setzte. „Du Hure wirst nichts von mir erfahren", spie er ihr dennoch entgegen.

„Sicher?" Ein teuflisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hielt den Ast tiefer, gegen seinen Unterleib. Der Drüskelle fing an, sich zu winden, um der brennenden Spitze zu entgehen, doch die Heilerin lachte nur böse. „Ihr seid doch sonst so versessen auf Feuer. Oder zählt es nur, wenn ihr Grisha damit quält? Raus mit der Sprache. Sind noch mehr von euch in der Nähe? Ich habe keine Probleme damit, dich bei lebendigem Leibe zu verbrennen", fügte sie mit einem dunklen Unterton hinzu. Es war ihr Ernst, das hörte Kirigan aus jedem ihrer Worte heraus.

Der Drüskelle verstand ebenfalls, dass die Frau vor nichts zurückschreckte und sie das Monster war, für das er sie schon zuvor hielt. Eilig berichtete er von dem Versuch, die Ursache für die seltsame Lichterscheinung zu finden. Doch bis auf diese Gruppe Grisha hatten sie nichts entdeckt. Man hatte geglaubt, dass der Dunkle die prophezeite Sonnenkriegerin gefunden hatte. Weitere Gruppierung wären nicht in dem Gebirge unterwegs, beschränkten sich nur auf das direkte Grenzgebiet zu Ravka. Kirigan warf einen Blick auf Ivan, der ihm zunickte. Der Mann sagte die Wahrheit. Er hob die Hände, um den Schnitt auszuführen, doch Katharina stellte sich zwischen ihn und dem Gefangenen.

„Erlaubt mir, dass ich seinem Leben ein Ende setze."

Er zog eine Augenbraue hoch, wies dann auf den am Boden liegenden Fjerdan. Fasziniert beobachtete er, wie die Heilerin die Gesten genauestens ausführte, die ein Herz zum Stoppen brachten. Der Drüskelle sackte in sich zusammen. Zwei Grisha packten ihn und warfen den Mann zu seinen Kameraden auf den Brandstapel. Katharina hockte sich erneut neben Fedyor, schien seinem Herzschlag zu lauschen. Ivan trat neben Kirigan, betrachtete, wie die Flammen an dem bisher unversehrten Körper entlang züngelten und sich gierig durch seine Kleidung fraßen.

Kirigan drehte sich zu dem Entherzer. „Er ist nur bewusstlos, nicht wahr?"

Ivans Mundwinkel zuckten nach oben. „Ja, mein General." Dann wandte er sich ab, um ebenfalls nach seinem Gefährten zu sehen. Der Heilerin klopfte er sanft auf die Schulter. Die Blicke der zwei Korporalki trafen sich. Gegenseitiges Verständnis spiegelte sich in den Gesichtern beider. Der Mann würde die Frau nicht mehr als Bedrohung für seine Beziehung sehen, sondern sie als Teil der Gruppe akzeptieren.

Kirigan sprach der Heilerin stumm seinen Respekt aus. Ihr erbarmungsloses Verhalten hatte ihn überrascht und ihm gleichzeitig gezeigt, dass sie bereit dazu war, alles zu tun, um die zu schützen, die ihr am Herzen lagen. Selbst wenn es bedeutete, jemanden bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Vielleicht würde sie sich doch als hilfreicher entpuppen, als es zuerst den Anschein hatte.

*****

Ups, die Heilerin ist wohl doch nicht so brav, wie Kirigan gedacht hatte. 

Habt Ihr solch ein Verhalten von Katharina erwartet?

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