Kapitel 21


„Katharina!"

Die junge Heilerin drehte sich zu ihm um, ein Lächeln auf den Lippen. Sie blieb stehen und neigte respektvoll den Kopf, als er zu ihr trat.

Zufrieden ließ er den Blick über sie gleiten. Schon bald würde sie ihren festen Platz an seiner Seite einnehmen. Nach der Demonstration seiner Macht. „Hat Ivan mit dir gesprochen?"

Sie nickte. „Das hat er. Ich soll hier auf Eure Rückkehr warten." Höflich und ehrerbietig, als ob sie von Kindesbeinen an im Kleinen Palast lebte.

Kirigan hätte sich fast damit zufriedengegeben, wenn in ihren Augen nicht etwas aufgeblitzt hätte. „Katharina, du wirst dich weder auf das Skiff schleichen noch das Lager aus anderen Gründen verlassen."

„Wie Ihr befehlt, moi Soverenyi." Sie grüßte noch einmal, dann lief sie zum Zelt der Heiler.

Er sah ihr stirnrunzelnd hinterher. Die förmliche Anrede hinterließ einen faden Nachgeschmack. Viel lieber hätte er seinen Namen aus ihrem Mund gehört, seinen wahren Vornamen. Bald, versprach er sich. Jetzt warteten wichtigere Angelegenheiten auf ihn. Das Wohl aller Grisha hing von ihm ab, da mussten seine Bedürfnisse warten.

„General Kirigan."

Ah, deswegen hatte Katharina sich so höflich verhalten. Er wandte sich dem Offizier der Ersten Armee zu und hob fragend eine Augenbraue. Nicht mehr lange und diese lächerlichen Otkazat'sya würden zitternd vor ihm im Staub liegen. Ein verführerischer Gedanke, der ihn fast dazu verleitete, seine Macht schon jetzt zu demonstrieren. Die Schatten sammelten sich unter seiner Haut, dazu bereit, sofort loszuschlagen. Noch nicht. „Was gibt es?"

„Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen. Die Passagiere werden jetzt an Bord gebracht."

„Ausgezeichnet." Kirigan wandte sich ab. Es wurde Zeit, die Sonnenkriegerin zu holen. Ihre Gabe würde sie sicher durch die Flur bringen und schaffte ihm erst die Gelegenheit, den anwesenden Gesandten eine Kostprobe von seiner Macht zu geben. Damit sie in ihre Länder heimkehrten und berichteten, dass die Kriege mit Ravka der Vergangenheit angehörten. Weder Fjerda noch Shu-Han würden es mehr wagen, ihre Truppen gegen die Erste und Zweite Armee zu führen. Und General Zlatan mit seinen Aufständischen durfte gleich ein paar hungrige Volcra begrüßen. An die separatistischen Bemühungen kam mit dem heutigen Tag ein Ende. Jetzt brauchte nur noch die Sonnenkriegerin zu kooperieren.

Kirigan betrat das Zelt, näherte sich Alina gemächlich. Ihr hasserfüllter Blick ruhte auf ihm. Noch immer verstand sie nicht, was für eine wichtige Rolle ihr zukam. Sie wollte vor der Verantwortung fliehen, ihr Volk im Stich lassen, um mit dem Fährtenleser zusammen zu leben. Das Band, das durch den Kräftemehrer zwischen ihnen entstanden war, lockte ihn. Spürte sie es ebenfalls? Dieses Ziehen, das Flüstern, das sie zueinander gehörten? Gab es doch eine Möglichkeit, das Herz seiner Ebenbürtigen zu gewinnen? „Du bist etwas Besonderes. Das weißt du doch." Er beobachtete sie. Das Misstrauen, das sie ihm gegenüber hegte, war deutlich zu fühlen. „Das wirst du jetzt vor der ganzen Welt beweisen. Sie wird Zeuge dessen sein, was bei dieser Überquerung geschieht."

„Wenn Ihr wollt, dass ich bei Eurer Vorführung mitspiele, dann lasst Ihr Mal frei", forderte sie. Ihre Stimme triefte vor Abscheu. Forderungen zu stellen, das war alles, was die Sonnenkriegerin konnte. Für einen lächerlichen Otkazat'sya. Aber sich für Ihresgleichen einzusetzen? Das kam ihr nicht in den Sinn.

„Bitte." Er gab sich keine Mühe, sein Missfallen zu verbergen, besann sich gleich darauf eines Besseren. Womöglich war es doch noch nicht zu spät, sie umzustimmen. Etwas mehr Manipulation und Alina verfiel ihm wieder. Sie war im Vergleich zu ihm ein naives Kind. Völlig unfähig, sich seinem Charme zu widersetzen. Das sollte er ausnutzen. „Ich will nur mit dir reden", fügte er sanfter hinzu.

„Ich habe genug von Euren Lügen."

„Und welche Lügen sind das?" Er nahm auf einem Stuhl Platz, ließ die junge Frau nicht aus den Augen. Die Geweihspitzen des Kräftemehrers ragten aus ihrer Haut hervor. Eine sichtbare Erinnerung an den Weg, den er gewählt hatte.

Alinas Blick war voller Hass auf ihn gerichtet. „Über den Schwarzen Ketzer. Dieses Gerede über Eure Schuld und die Sünden Eurer Vorväter. Die gab es gar nicht. Ihr habt die Flur erschaffen. Ihr habt meine Freunde getötet." Ihre Stimme fing an zu zittern. „Und meine Eltern."

Er senkte den Blick. Dieses naive, junge Ding warf ihm den Tod derer vor, die sich in die Schattenflur gewagt hatten. Wie töricht. Und sie konnte die Wahrheit nur von einer Person erfahren haben. „Baghra." Er fragte Alina, wie sie nur den hässlichen Worten einer verbitterten, alten Frau Glauben schenken konnte. Ausgerechnet seine Mutter hatte ihm weitere Steine in den Weg gelegt. Welch Überraschung! Damit stellte sie sich gegen ihren eigenen Sohn und alle Grisha.

„Ihr habt mich vom ersten Tag an belogen", warf die Sonnenkriegerin ihm vor.

„Das waren keine Lügen." Er stritt es ab, gab der Sache eine andere Richtung. „Nur die halbe Wahrheit."

„Und was bedeutet es dann, sich mit dem Asketen gegen den König zu verschwören und ihn zu vergiften?"

Sie sorgte sich um den Mann, der ihre beste Freundin zwang, sich ihm hinzugeben? Wie tief konnte man nur sinken! „Sollte ich einem solchen Herrscher noch länger dienen, würde ich zu einem Verräter an meinem Land. Und an meinem Gewissen."

„Also seid Ihr ein Märtyrer." Spott klang bei ihren Worten mit.

„Ich hatte gedacht, gerade du würdest verstehen, wie das ist. Sich verstecken zu müssen, aus Angst, ermordet zu werden, weil man der ist, der man ist. Deswegen habe ich den Kleinen Palast erbaut. Alles, was ich jemals getan habe," er sprang auf, lief einige Schritte auf Alina zu, „alles, was ich getan habe, habe ich getan, um Ravka sicherer zu machen. Um die Grisha zu beschützen." Wie konnte dieses dumme Mädchen es nur wagen, sich ihm zu widersetzen? Sich weigern, den Grisha zu helfen?

Sie wischte seine Bemerkung mit spitzen Kommentaren weg, gab ihm die Schuld daran, was der König Genya antat und warf ihm vor, seiner Mutter Schaden zufügen zu wollen.

„Ich hätte für die Sicherheit der Grisha sorgen können, aber Ihr habt mir keine Chance gegeben."

Was hatte sie erwartet? Das Gefühl, das sie diejenige war, die bestimmte? Zu jung und zu naiv, um wichtige Entscheidungen zu treffen. „Das mag wohl sein. Aber du hast mir eine Chance gegeben. Die Chance, alles wieder gutzumachen. Die Chance, endlich zu gewinnen. Der Fehler der Schattenflur war ..."

„Die Flur war aber kein Fehler", unterbrach sie ihn, den Blick anklagend auf ihn gerichtet.

„Ich hatte nie die Absicht, dass sie zu dem Unheil wird, das sie ist." Wenn er jetzt ein klein wenig für den Schein nachgab, konnte er sich ihre Hilfe sichern. Sie brauchte nur anzunehmen, dass er die Flur zerstören wollte. Dabei war die Dunkelheit seine wirksamste Waffe im Kampf gegen die Otkazat'sya.

Er schmierte der Sonnenkönigin weiter Honig um den Mund, dass er auf sie angewiesen war und sie nur zusammen etwas erreichten.

Sie gab ihm recht, bedauerte aber gleich darauf, dass er sie nicht zu seiner Ebenbürtigen gemacht, sondern ihr den Reif hatte umlegen lassen. Sie wich vor ihm zurück, Wut und Enttäuschung in ihrem Blick.

Die Hände am Schlüsselbein machte sie ihm weitere Vorwürfe. „Es ist Euch egal, wer unter Euch leidet." Ihre Stimme wurde zu einem Flüstern. „Solange Ihr gewinnt."

Kannte sie ihn so schlecht? Er versuchte seit Jahrhunderten, das Leiden seiner Leute zu stoppen. Selbst als Anführer der Zweiten Armee unterlag er den Befehlen des Königs. Den Wünschen eines übergeschnappten, fetten Kindes, das hinter dicken Mauern auf seinem Thron saß und sich vollfraß wie ein Schwein.

Kirigan senkte den Blick. Als er ihn wieder hob, sah er Alina entschlossen an. Sie hatte es sich so ausgesucht. Ab jetzt würde er sie behandeln wie die Märtyrerin, die sie zu sein glaubte. „Na gut, mach mich zum Feind." Er wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten das Zelt.

„General!" Ivan eilte zu ihm. „Der Fährtensucher ist geflohen."

„Was?" Musste er alles selbst machen?

„Irgendwann letzte Nacht. Ich lasse ihn bereits suchen", beteuerte sein Vertrauter.

„Wenn er verschwindet, gut. Wenn ihr ihn auch nur in der Nähe von Alina findet, bringt ihn um." Ein einfacher Befehl, den Ivan mit einem Nicken anerkannte.

Kirigan lief weiter. Dieses Mal zum Zelt der Heiler. Er brauchte jetzt die beruhigende Nähe von Katharina.

Die Frau kümmerte sich gerade um einen Verletzten, als er am Eingang stehenblieb. Obwohl sie mit dem Rücken zu ihm stand, änderte sich augenblicklich ihre Haltung. Als ob sie seine Anwesenheit körperlich spürte. Sie entschuldigte sich bei ihrem Patienten, wandte sich dann um. Ihr forscher Blick las Kirigan die Anspannung am Gesicht ab. Mit wenigen Schritten stand sie vor ihm. „General?" Ihre Stimme so sanft wie ein lauer Frühlingswind, der die Wärme nach der eisigen Herrschaft des Winters zurückbrachte.

Kirigan atmete in ihrer Anwesenheit tief durch, ließ es zu, dass die Heilerin seinen Herzschlag auf einen angenehmen Takt reduzierte. „Ich danke dir, Ina." Er schenkte ihr ein Lächeln, bevor er sie zurückließ. Nur diese Reise noch, dann würde er sie zu seiner Frau machen und mit ihr an seiner Seite über Ravka regieren.

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