Kapitel 14


Arken Visser, auch bekannt als der Dirigent, saß leicht lädiert auf einem Stuhl in den Katakomben. Kirigan musterte ihn abschätzig. Ivan stand versetzt hinter dem Mann, der Grisha aus Ravka geschmuggelt hatte. Für viel Geld in eine vermeintlich sichere Welt. Doch die existierte nicht außerhalb der Mauern des Kleinen Palastes. Fjerdan, Sklavenhändler und andere Kreaturen, die nur darauf warteten, Grisha in ihre Hände zu bekommen und sie entweder zu töten oder von ihnen zu profitieren, lauerten überall. Nur er verfügte über die Macht, seine Grisha zu beschützen. Wenn er die Lantsovs gestürzt und die Kriege mit Fjerda und Shu-Han beendet hatte. Ausgerechnet in diesem Moment war die Sonnenkriegerin verschwunden. Jetzt, wo er so kurz vor dem Erfolg stand.

Er betrachtete den in sich zusammengesunken Mann, der seine Ankunft bemerkte und den Kopf hob. „Ich wurde angeschwindelt", stotterte der Dirigent sofort. „Und betrogen."

Kirigan erwiderte gelassen, dass die Wachen den Mann vom Ort des Verbrechens hatten fliehen sehen.

Der Dirigent gab es zu und schob es darauf, dass er jemandem gefolgt war. Er log, ohne rot zu werden, doch sein Herz würde ihn verraten. Ivan stand andächtig neben ihm und lauschte mehr als seinen Worten. „Diesen Leuten von der anderen Seite der Flur." Er faselte noch etwas davon, dass sie ihm von Anfang an suspekt gewesen waren.

Kirigan verzog keine Miene, obwohl er das Lügengeflecht durchschaute. Dieser einfältige Otkazat'sya bildete sich ein, mächtige Grisha hinters Licht führen zu können? Die Dunkelheit würde ihn eines Besseren belehren. Schon bald. „Wie viel davon ist wahr?" Ivan bestätigte ihm, was er längst wusste. Der Entherzer belächelte den kläglichen Versuch des Dirigenten, seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Der Hohn troff aus seiner Stimme, als er darauf hinwies, dass einzig der Fakt stimmte, dass der Mann zusammen mit drei Leuten aus Kerch durch die Flur gekommen war.

Unter normalen Umständen hätte Kirigan dessen Spott geteilt, doch jetzt ging es um das Leben der Sonnenkriegerin. Er hörte sich den verzweifelten Vorschlag Vissers an, der anbot, für ihn General Zlatan zu töten, nachdem er ihm offenbart hatte, dass er seine wahre Identität kannte. Lächerlich. Das würde er persönlich übernehmen. Das Blut kochte in seinen Adern, dennoch hob er nicht seine Stimme im Gespräch mit diesem Dreckskerl, der Grisha aus Ravka schmuggelte, um sie in die Sklaverei zu verkaufen.

Er ließ sich die Informationen noch einmal durch den Kopf gehen. Eine Million als Belohnung, um Alina nach Ketterdam zu bringen, die der Dirigent mit den drei Halunken aus Kerch hätte teilen müssen, gegen die gesamte Summe für ihn allein, wenn er sie stattdessen tötete. Kirigan gab Zoya und Ivan mit einer Kopfbewegung zu verstehen, ihn mit Visser allein zu lassen. Endlich gab er dem nervösen Mann eine Antwort auf dessen Angebot. „Nein, ich denke, das werde ich selbst erledigen." Er wandte sich ab, folgte seinen Untergebenen. Seinen Entschluss hatte er längst gefasst. Nie wieder würde der Dirigent Menschenhandel betreiben.

„Aber ich kann helfen. Sagen Sie mir, was ich tun kann. Ich ..."

Kirigan hob die rechte Hand. „Das habt Ihr schon." Er rief seine Schatten, genoss beim Weglaufen die erstickten Laute, als die Dunkelheit den Mann überwältigte und ihm den Atem nahm. Ein Problem weniger, um das er sich zu kümmern hatte. Jetzt konnte er die Jagd auf die anderen Halsabschneider eröffnen. Er würde sie in der Nähe der Flur antreffen. Nicht zu weit entfernt, vermutete er. Seine Getreuen würden sie schon aufspüren. Noch war nichts verloren.

Einige Zeit später grübelte er darüber nach, wo sich seine Sonnenkriegerin aufhalten könnte. Bald würden die Gäste abreisen und verpasste er einen geeigneten Augenblick für die Demonstration seiner Macht. Schritte näherten sich dem offenstehenden Raum, vor dem seine Oprichniki Wache hielten.

„General, ich habe eine Spur." Fedyor eilte herbei und nahm seine Mütze ab. Er wirkte erleichtert.

Endlich! Kirigan lief ihm mit weiträumigen Schritten entgegen. „Wo hast du Alina gefunden?" Jetzt brauchte er seine Pläne nicht zu verwerfen.

„Oh, äh. Nein." Entsetzen breitete sich auf dem Gesicht des Entherzers aus. Selbst bevor er weitersprach, ahnte Kirigan, dass er keine gute Nachricht für ihn hatte. „Nina Zenik. Ihr hattet darum gebeten sie suchen zu lassen."

Nina. Seine Spionin, die ihm Informationen über den Dirigenten beschafft hatte, bevor sie spurlos verschwand. „Oh ja." Er sammelte sich kurz. Sie war bei Weitem nicht so wichtig wie die Sonnenkriegerin. Dennoch war sie eine Grisha, die er nicht verlieren wollte. „Sprich."

Fedyor berichtete, dass Drüskelle sie gefangen genommen und auf ein Schiff verschleppt hatten, das zum Eistribunal unterwegs war. Zu diesem vermaledeiten Ort in Fjerda, wo man Grisha für ihre Gaben den Prozess machte und sie zum Tode verurteilte. Wenn er mit Zlatan fertig war, würde er sich um diese abergläubischen Otkazat'sya kümmern. Sie erzitterten vor ihm und seinesgleichen? Dann würde er ihnen einen wahren Grund für ihre Furcht liefern. Mit Alina an seiner Seite würde es schon bald niemand mehr wagen, Grisha anzugreifen. Aber jemand musste Nina verraten haben. Dafür kam nur einer in Frage. „Zlatan."

„Nun, auf dem Schiff gibt es einen Hexenjäger. Matthias Helvar." Aus Fedyors Worten war sein Hass deutlich herauszuhören. Der sanftmütige Mann, der einst ein Heiler werden wollte und nur wegen der kontinuierlichen Bedrohung seiner Leute ein Entherzer geworden war, machte keinen Hehl daraus, wie sehr er den Fjerdan verachtete. „Er ist ein sehr erfolgreicher Grisha-Jäger. Ich will ihn tot sehen und sie lebendig zurückhaben."

Kirigan wies ihn darauf hin, dass nicht zählte, was er wollte und fragte ihn danach, wo sie sich jetzt aufhielten. Ein Sturm hatte das Schiff als Spielball auf den Wellen benutzt. Danach verlor sich Ninas Spur. „Begib dich an die westliche Küste. Soweit nördlich wie es geht." Er gab ihm die Anweisung, alle Grisha mitzubringen, die er finden konnte. Gelang dies nicht, sollte er einen Fjerdan mitbringen. In Fedyors Augen blitzte Kampfeslust auf. Die Versicherung für Kirigan, dass der Entherzer nicht eher ruhen würde, bevor er den Auftrag nicht ausgeführt hatte.

„Ja, General." Er wollte seinen Gefährten von der Sachlage in Kenntnis setzen, damit dieser ihn bei der Suche unterstützte. Doch Ivan wurde anderweitig benötigt. Bei einer Jagd auf drei Galgenvögel aus Kerch, denen er die Federn einzeln ausrupfen würde. Wenn sie Alina auch nur ein Haar gekrümmt hatten, würde er sie den Volcra zum Fraß vorwerfen. Ihnen erst jeden Finger einzeln abhacken und an diese widerlichen Kreaturen verfüttern, die ihm die Nutzung der Flur unmöglich machten. Mit einem Schutzschild der Sonnenkriegerin sah es anders aus.

Er versuchte eine Weile, seine Gedanken auf seine Arbeit zu konzentrieren, doch das misslang. Von einer inneren Unruhe getrieben verließ er seine Gemächer und wanderte durch den Kleinen Palast. In der Eingangshalle traf er auf Fedyor und Katharina, die eindringlich auf diesen einredete.

„Nein, Ina. Du wirst mich nicht begleiten. Du bleibst hier im Palast bei deinen Schülern. Hier bist du in Sicherheit", wehrte er ab.

„Aber du brauchst so weit nördlich eine Heilerin. Was, wenn ihr auf Drüskelle trefft?" Die Sorge um die körperliche Unversehrtheit des Entherzers war ihr deutlich anzuhören.

Es wärmte Kirigans Herz, dass die junge Frau sich Gedanken um ihren Freund machte. Dennoch war ihr Platz hinter den sicheren Mauern. „Du hast Fedyor gehört, Katharina. Du wirst hier gebraucht." Er schaute ihr tief in die Augen. „Ich brauche dich hier." Damit erstickte er jeglichen Widerstand im Keim. Sie schloss den Mund, den sie zum Protest bereits geöffnet hatte, und nickte ergeben.

„Natürlich, moi Soverenyi", entgegnete sie nach einer kurzen Pause. „Ich sollte mich besser wieder an die Arbeit begeben." Sie drehte sich zu dem Entherzer. „Ich wünsche dir eine erfolgreiche Reise. Sei bitte vorsichtig und bringe Nina wohlbehalten mit zurück." Sie umarmte ihn zum Abschied, dann wandte sie sich zum Gehen.

„Katharina, schicke doch bitte Zoya zu meinen Gemächern." Bildete er es sich ein oder zuckte die junge Frau bei der Bitte zusammen? Er schaute ihr stirnrunzelnd hinterher, wie sie das Gebäude verließ, um zurück zur Schule zu kehren. Ein Teil von ihm drängte ihn, ihr hinterherzugehen. Ein anderer sorgte sich um die Sonnenkriegerin. Dann war das noch das Problem, das seine Mutter kreiert hatte. Er unterdrückte ein Seufzen. Einige unwichtige Verzögerungen, die er schon bald beseitigt haben würde. Er verabschiedete sich von Fedyor und kehrte in seine Gemächer zurück, um dort auf die temperamentvolle Stürmerin zu warten.

Das Klacken von Absätzen kündigte ihre Ankunft an. Energisch, voller Kraft. Dazu im Gegensatz ihre Stimme, mit dem sie ihm ihre Unterwürfigkeit signalisierte. „Ihr wolltet mich sprechen?"

Er teilte ihr mit, dass er noch am Abend aufbrechen wollte, um die Verfolgung der Entführer aufzunehmen und erwähnte, dass er sie und einige andere getreue Grisha dafür mitzunehmen gedachte. Sie wunderte sich, dass er auch den Durasten David nannte, doch er erachtete es als überflüssig, sie in seine Pläne einzuweihen. Für das große Ganze maß er ihr zu wenig Bedeutung zu. Einzig, dass er ihn für den nächsten Schritt benötigte, ließ er verlauten.

Zoya folgte ihm in sein Schlafgemach. Dokumente und Briefe stapelten sich auf seinem Bett. Lagen kreuzquer übereinander, sodass kaum etwas von dem dunklen Stoff zu sehen war. Er durchforstete das Papier nach Hinweisen. Hatte er nicht irgendwo etwas gesehen, das ihm vielversprechend vorkam?

Zoya störte seine Suche. Sie merkte an, dass Alina möglicherweise nicht entführt wurde, sondern geflohen war. Weil sie den Kleinen Palast nicht als ihr Zuhause anerkannte, ihr das Leben hier zu fremd war.

In Kirigans Ohren rauschte es. Zu genau erinnerte er sich daran, wie man sich als Außenseiter fühlte, wie ihm Otkazat'sya und Grisha gleichermaßen über die Jahrhunderte gezeigt hatten, dass er nicht zu ihnen gehörte. Dieses Gefühl, das die Sonnenkriegerin schon allein durch ihre Herkunft kannte, hatte seine Mutter geschickt für ihre eigenen finsteren Pläne genutzt. Alina hatte zwar freiwillig seine Gemächer verlassen, aber dadurch war sie ihren Entführern in die Arme gelaufen. Sonst wäre sie längst zu ihm zurückgekehrt. Trotz der Blendung durch Baghras verlogene Worte. Eine andere Erklärung gab es nicht. „Ich weiß ganz genau, was sie fühlte. Die Soldaten des Königs haben mich genauso behandelt. Weil sie es wussten." Er betrachtete die Frau vor ihm akribisch. Sie hatte Alina in einem Anflug von gekränktem Stolz verletzt. Vielleicht auch aus Eifersucht. Dabei war die Sonnenkriegerin ihr weit überlegen. „Sie wussten, dass ich wichtiger bin, als jeder einzelne von ihnen." Ein versteckter Hinweis, dass die Stürmerin mühelos zu ersetzen war. Im Gegensatz zu seiner Ebenbürtigen. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass er Emotionen gezeigt hatte. Er setzte sich auf den Rand des Bettes.

Zoya trat vor ihn, den Blick über sein Antlitz schweifen lassend. Sie bot sich ihm an, um ihm auf andere Gedanken zu bringen und berührte sanft seine Wange, streichelte seinen Nacken.

Er packte ihre Hand. „Ich werde Ruhe finden." Er suchte Blickkontakt. „Wenn ich Alina finde." Die Stürmerin verdiente keinen Platz in seinem Leben. Er stand auf und ließ sie stehen. Es gab vor dem Aufbruch noch viel zu erledigen. Und falls er zuvor Entspannung suchen sollte, würde er Katharina bitten, ihre Gabe zu benutzen. Eine andere Ablenkung konnte er nicht gebrauchen. Ganz sicher nicht von einer eifersüchtigen Frau, die mitverantwortlich dafür war, dass er überhaupt die Sonnenkriegerin wieder einfangen und seinen Befehlen unterwerfen musste. Sie konnte von Glück sprechen, dass er sie noch benötigte. Er stürmte aus dem Kleinen Palast. Auf der Suche nach Ivan, um mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen.

*****

Läuft wohl alles nicht so, wie der Dunkle es gern hätte. Nur Probleme mit den Frauen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top