Kapitel 11


„Ihr erwartet wirklich, dass es einen Zwischenfall bei der Winterfête geben wird, General?" Genya sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Sie nahm ebenso wie Ivan und Fedyor an der Besprechung weil, wie man die Sicherheit auf dem größten Fest des Winters sicherstellen konnte.

„Es sind Adelige aus ganz Ravka und Abgesandte aus Novyi Zem und Kerch geladen. Die Zarin hat sich mal wieder selbst übertroffen", antwortete Kirigan trocken. Die Zarenfamilie war über die Grenzen des Landes hinaus für ihre pompösen Feiern und ihre Verschwendungssucht bekannt. Aber für ihre Truppen und für vernünftiges Material im Kampf gegen die Feinde hatten sie kein Geld übrig. Ohne seine Grisha hätten sie den Krieg längst verloren. „Trotz sorgfältiger Kontrolle könnte sich jemand einschleichen, um der Sonnenkriegerin zu schaden." Es drohten weitaus mehr Gefahren als Spione aus Fjerda oder Shu Han.

„Zlatan." Ivan spie den Namen des Mannes, dessen Einfluss sich in West-Ravka wie ein Flächenbrand ausbreitete, angeekelt aus. Ein General der Ersten Armee, der sich für die Abspaltung der zweiten Hälfte Ravkas einsetzte und damit die letzten verbliebenen Handelswege für den Osten zu zerstören drohte. Die Folge wären Hungersnöte, ein Bürgerkrieg und weitaus größeres Elend für die Grisha, die der Zar als Kanonenfutter einsetzen würde, bis keiner von ihnen mehr übrig blieb. Dennoch schwelte es nicht nur im Westen. Ein Teil der Otkazat'sya war die Zarenfamilie mit all ihren Sperenzchen leid. Man wünschte sich ein widerstandsfähiges Ravka, das in greifbarer Nähe lag, war das Zarenreich erst einmal vernichtet. Nicht wenige standen einem Umbruch positiv gegenüber, selbst wenn dieser von einem Mann auf der anderen Seite der Flur ausging. Mit anderen Worten: Zlatan war eine Bedrohung, die nur schwer einzuschätzen war. Wer unterstützte ihn? Gab es unter den adeligen Gästen einen Verräter? Dies alles galt es einzukalkulieren.

„Deswegen die zweite Kefta, die von den Fabrikatoren für die Sonnenkriegerin angefertigt werden sollte. Sie sind übrigens völlig identisch, moi Sovenrenyi. Davon konnte ich mich überzeugen. An der Kleidung wird nicht erkenntlich sein, dass es eine Doppelgängerin auf dem Fest geben wird." Fedyor nickte zuversichtlich, vom Erfolg ihres Plans überzeugt. „Ivan und ich werden darüber hinaus für Alinas Sicherheit bürgen." Etwas anderes hatte er auch nicht von seinem treuen Untergebenen erwartet. Bedauerlich, dass er Katharina nicht ebenfalls dafür einsetzen konnte. Doch je weniger die Heilerin wusste, desto besser.

„Instruiert weitere unserer besten Grisha, bevorzugt Entherzer und Inferni, die hinter unserer Sache stehen." Kirigan stützte sich am Tisch ab und ließ seinen Blick zu Genya schweifen. „Du erwähntest beim letzten Gespräch, dass du jemanden im Auge hast, der Alinas Double sein kann."

Die Bildnerin nickte. „Marie hat die gleiche Statur und würde alles tun, um Alina zu schützen. Sie ist gerne bereit, zwischendurch in ihre Rolle zu schlüpfen. Ich werde sie darin unterrichten, sich wie Alina zu verhalten, falls jemand sie unerwartet ansprechen sollte." Ausgezeichnet. Dann würde es nicht auffallen, wenn er die echte Sonnenkriegerin in seine Gemächer führte. Er würde sie weiterhin manipulieren, ihr Gefühle vorgaukeln, damit sie ihm verfiel und alles tat, was er von ihr erwartete. Liebe, eine Empfindung, der er vor langer Zeit abgeschworen hatte. Dennoch leugnete er nicht, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte. Seine Schatten reagierten auf ihr Licht. Gleiches suchte Gleiches. Der alte Spruch seiner Mutter erklärte die Anziehungskraft, die sie aufeinander ausübten. Doch etwas anderes blieb offen.

Seine Gedanken drohten erneut zu Katharina abzuwandern. Ihre Anziehung auf ihn blieb ihm ein Rätsel. Lag es an ihrer Gabe, Menschen beruhigen zu können? Unwahrscheinlich. Dann müsste er auf alle Korporalki auf die Weise reagieren. Doch das war nicht der Fall. Nur Alina und Katharina weckten Begehrlichkeiten in ihm, die lange Zeit geschlummert hatten.

„Moi Soverenyi?" Ivan riss ihn aus seinen Grübeleien. „Ich bin der Meinung, dass wir Ina ebenfalls einsetzen sollten. Sie hat ein sehr feines Gespür. Wenn jemand Böses im Schilde führt, wird sie es bemerken."

Kirian neigte fragend den Kopf. Ausgerechnet sein stoischer Entherzer, seine rechte Hand, kam mit diesem Vorschlag. Von dessen Gefährten hatte er es eher erwartet. Er bedeutete ihm, weiterzusprechen.

„Wir werden Katharina natürlich über die genauen Hintergründe im Dunkeln lassen", fügte der Mann schnell hinzu. „Es reicht, wenn wir ihr sagen, dass wir einen Anschlag befürchten und sie bitten, sich entgegen ihrer Ablehnung gegenüber Menschengruppen unter die Menge zu begeben. Wenn Ihr Euch mit der Sonnenkriegerin zurückzieht, werde ich Ina ein Zeichen geben, damit sie das Fest verlassen kann."

„Es wird ihr nicht gefallen", gab Genya zu bedenken. „Sie hält sich noch immer bevorzugt abseits und lässt gern die gemeinsamen Mahlzeiten im Kleinen Palast ausfallen, wenn ich richtig informiert bin." Sie hatte aufgrund ihrer Tätigkeiten bisher keinen direkten Kontakt zu der jungen Frau gehabt und formte sich dementsprechend ein Bild, das rein auf Erzählungen beruhte.

„Sie ist lieber bei den Kindern. Es wäre auch seltsam, wenn sie als Lehrerin ihre Schüler allein lassen würde." Fedyor zuckte mit den Achseln. „Wir sollten uns lieber weiter überlegen, wie wir Alina vor möglichen Attentätern schützen." Seine Worte führten die Anwesenden zurück auf das Wesentliche. Sämtliche Schwachstellen wurden analysiert. Nur die verlässlichsten Oprichniki würden Wache halten. Schausteller und Gäste, die für die Feier anreisten, würden genauestens beobachtet werden. Niemand ohne gültige Papiere, würde auf das Gelände gelassen werden, um die Sonnenkriegerin zu beschützen.

„Lasst sie vor allem nie aus den Augen", schärfte Kirigan ihnen nach einigen Beratschlagungen erneut ein. „Sie ist naiv und ahnt nicht einmal, in welcher Gefahr sie schwebt. Für sie ist alles noch aufregend und sie fühlt sich sicher, weil sie hier im Luxus weit weg von den Gräueln des Krieges weilt." Deswegen fiel es ihm auch so leicht, sie zu manipulieren. Jetzt, wo sich ihr Denken nicht mehr um diesen lächerlichen Otkazat'sya Fährtenleser drehte, der ihre Gabe nicht verstand. Dennoch war er für sie aufgebrochen, um Morozovas Hirsch zu suchen. Eine noble Tat, wenn man bedachte, wie gefährlich das Unterfangen im Grenzgebiet zu Fjerda war.

Doch er schweifte schon wieder ab. „Bleibt also immer an ihrer Seite, sowie sie ihr Gemach verlässt. Für unsere Pläne ist es unerlässlich, dass ihr nichts zustößt."

„Wir werden auf die Sonnenkriegerin Acht geben", versprachen sie. Ivans Miene wirkte bei den Worten wie versteinert. Ihm missfiel es, auf die junge Frau aufpassen zu müssen, weil sie selbst nicht in der Lage war, sich angemessen zu verteidigen.

Kirigan gab ihm einen Wink, zurückzubleiben, während die anderen zurück an ihre Arbeit gingen. „Was gibt es, Ivan? Du scheinst Zweifel an den Fähigkeiten unserer Sonnenkriegerin zu hegen." Er beobachtete, wie der Mann einen Wimpernschlag zögerte. Fürchtete er, offen zu sprechen? „Nun?"

„Eher an ihrer Loyalität, moi Soverenyi. Sie kann das Leid der Grisha noch nicht nachvollziehen und wird nicht hinter unserer Sache stehen." Der Entherzer nahm Haltung an und verschränkte die Hände hinterm Rücken. „Ich fürchte, man wird sie zur bedingungslosen Kooperation zwingen müssen."

Kirigan bewahrte eine neutrale Miene, ließ sich nicht anmerken, was er über den Vorschlag dachte. Sein getreuer Stellvertreter äußerte nur Bedenken, die er selbst hegte. Doch sah er im Gegensatz zu ihm einen Weg, die Frau so weit zu manipulieren, dass sie freudig seine Aufträge ausführte. „Das sollte sich am Abend der Winterfête erledigen. Ich werde mich mit ihr nach der Präsentation in meine Gemächer zurückziehen. Ein weiterer Grund, weshalb wir Marie zur Ablenkung benötigen."

In den Augen des Entherzers flackerte Verstehen auf. „Dann entschuldigt mich jetzt bitte." Er neigte respektvoll den Kopf. „Ich werde wie vorgeschlagen Ina über ihre Aufgabe während der Feier in Kenntnis setzen."

Kirigan sah ihm lange hinterher. Selbst als Ivan längst aus dem Raum verschwunden und seine Schritte verhallt waren, starrte er auf die geschlossene Tür. Wieso baute der Mann so auf die Kooperation der jungen Frau? Nutzte sie ihre Gabe oder hegte er selbst ihr gegenüber ein übertriebenes Misstrauen? Sie strahlte eine gewisse Vertrautheit aus. So als ob er sie seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten kannte. Doch das war völlig ausgeschlossen. Eine Entherzerin, die sich als Heilerin vor tat, lebte nicht so lange wie er. Nur eine gewöhnliche Grisha. Wenn da nur nicht diese unerklärliche Anziehungskraft wäre, die er spürte, wenn sie ihm nahe war.

Er wandte sich endlich ab, lief mit großen Schritten ins anliegende Bad. Er spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Stattdessen wuchs sein Entschluss, Katharina für sich zu gewinnen, nachdem er die Sonnenkriegerin zum absoluten Gehorsam manipuliert hatte.

*****

Na ob der nicht wieder seine Meinung ändert ...

Was haltet Ihr davon, dass er sich momentan eher für Katharina entscheidet?

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