I. Mit dem Sturm
Achtung! Ich schreibe die gleiche Story auch auf Englisch, die Updates können unregelmäßig sein.
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Mein liebster Ort war das Moor. Es war nicht weit von meinem Zuhause entfernt, direkt hinter dem Friedhof. Manchmal verschlang es Knochen oder Haustiere, sogar Kinder, wenn die unachtsamen Eltern es wagten sie lange genug aus den Augen zu lassen. Die Faszination riss mich ebenso tödlich in seine Tiefen, wie seine ahnungslosen Opfer.
Ich mochte das Moor. Es tat exakt das, was Leute verächtlich von mir erwarteten. Ich fand schon vor langer Zeit einen untypischen Freund in diesem Ort, der meiner Art so ähnlich erschien.
Was ich allerdings nicht mochte, war der Ozean. Auch er war nicht weit von meinem Zuhause, unmittelbar neben den dunklen Wäldern. Er aß ebenfalls manchmal Knochen oder Haustiere aber noch öfter Kinder. Er war mir nicht gänzlich fremd.
Ich mied den Ozean dennoch nach Kräften. Ich fürchtete weise die Gewässer und was sich in ihnen verbarg. Die Stadtbewohner wussten über meine Beziehung zur See bescheid und täten sie das nicht, müsste ich vermutlich nicht neben den Gräbern ihrer Leichen verrotten.
Ich lebte auf einer Insel und auch wenn es keinerlei Fluchtwege für mich gab, fürchte ich die kühlen Wellen und dunklen Blauschattierungen trotzdem.
Ich zog viel mehr das Moor und dessen Geschichten vor. Es erzählte mir von lange verlorenen Schätzen und mächtigen Rittern. Es stellte mir die Toten vor, deren Vorfahren und die Geheimnisse dieser.
Das Moor zog mich besser als jede Mutter auf, formte mich nach seinem Willen aber ungeachtet dessen nannten die Leute mich die 'Seehexe'.
Ich verabscheute sie.
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Wenn ich nicht gerade meine viele Zeit damit verbrachte aufmerksam dem gespenstischen Flüstern des Moores zu lauschen, wob ich Zauber. Durch mein hart erarbeitetes Talent die Stimme des Waldes zu hören, erstellte ich die besten Tränke und Glücksbringer, hatte nicht ein Mal deren Magie durcheinander gebracht.
Kinder waren fasziniert von mir. Erwachsene verängstigt.
Deswegen empfing ich auch nicht oft Besucher. Natürlich gab es da noch diese eine alte Dame, die mir seit meiner Ankunft im Dorf mysteriöserweise getraut hatte und mit ihr tauschte ich von Zeit zu Zeit meine Glücksbringer gegen ein Artefakt oder zwei.
Abgesehen von ihr lebte ich in absoluter Abgeschiedenheit. Die Leute misstrauten mir und ich misstraute ihnen, kein Problem.
Mein Leben bestand hauptsächlich darin Kräuter zu pflücken und Zutaten in seinen Kochkessel zu geben. Es war friedlich, leise.
Es gab nicht unvorhergesehes in meinem Leben.
Bis es etwas gab.
Es tauchte in der Form eines schönen und wilden Mannes auf, mit Haar so schwarz wie das Gefieder eines Raben und Augen, die dunkler waren als das Meer.
Er kam durch die Nacht und einen Sturm, der wütend das Dorf zerstörte, aber meine kleine Hütte zärtlich mit Liebe umschmiegte.
Ich war ehrlich überrascht, dass der Sturm den Mann weder tötete, noch verletzte. Die Winde schienen ihn bereits als Vertrauten zu kennen und es erregte natürlich sofort Neugier.
Jener schicksalshafte Abend war warm und heimelig, ich lauschte friedfertig meinen zahllosen Pflanzen, die still miteinander murmelten, während der Sturm draußen tötete, mein Haus wie immer achtsam verschonte.
Das knisternde Feuer ließ die Schatten einen freudigen Tanz über die hölzernen Wände und den Boden tanzen, illuminierte alles in einem hübschen Orangeton.
Ich fütterte es emsig mit dem Holz, das der Wald mir speziell für diesen Anlass gegeben hatte und gähnte lang, spürte die Müdigkeit und Zufriedenheit nach einem langen Arbeitstag in meine Knochen sickern und ich trat ruhig zum Kessel, um ihn vom Feuer zu nehmen und meine Aufgaben für den Tag abzuschließen.
Ich hatte neue Glücksbringer kreiert, Federn und Steine, Schuppen und Rinde gefüllt mit Magie, um vor dem Bösen zu bewahren, Glück oder Gesundheit zu bringen.
Ich hatte sie früher einmal den Kindern im Dorf geschenkt, aber wieder damit aufgehört, als die Leute begannen mich scharf dafür zu verfluchen und teilte sie lieber gleichmäßig im Wald aus, damit wenigstens die Tiere sie fanden.
Sie waren ohnehin netter als die Menschen.
Ich drehte mich gerade um, um mich mit meinem sehr gemütlichen Bett - gefüllt mit verhexten Federn - zu einen, als es klopfte.
Mitten im Sturm. Und ausgerechnet an meiner Tür.
Ich gefror überrascht in der Mitte seiner Bewegung und sah dann langsam zur Tür, unsicher, ob ich richtig gehört hatte.
Aber meine neu aufgeschreckten Pflanzen flüsterten bereits animiert, sorgten sich darum, was eine arme Seele dazu gebracht haben konnte das Moor und den Friedhof zu durchqueren, um mich aufzusuchen.
Aber ich wusste es bereits.
Mein Besucher kam nicht vom Moor.
Er kam von der See.
Und ich öffnete die Tür dennoch, wirbelte mir einen kalten Aufwind ins Gesicht, der zuneigungsvoll mein Gesicht streichelte, bevor er verstrich.
Der Mann vor mir war atemberaubend exotisch. Er war wild, sein unordentliches Haar zu lang für seine Augen und seine Haut von der groben Sonne verbrannt, aber seine Augen waren klar und zielgerichtet.
Davon abgesehen tropfte er Blut quer über meine Türschwelle.
"Wie kann ich Euch helfen, Sir?" Meine Stimme war leise im Sturm, aber sie war stark, der verletzte Fremde vernahm sie.
"Kann ich rein kommen? Ich werde verfolgt und könnte hier wirklich Hilfe gebrauchen." Der Mann sprach in einem ausländischen Akzent, einem Mix sogar, aus unterschiedlichsten Ländern und ich legte fragend den Kopf schief.
Er kam von weit her, ich fragte mich automatisch, was ihn zu mir getrieben hatte.
Wie um sein vorheriges Argument zu belegen ließ der breitschultrige Mann die blutige Hand, die seine Seite umklammert hatte, fallen, um einen fiesen Schnitt in seiner Hüfte zu entblößen, es war eine üble Wunde, die tief genug war, um zu töten, sollte er nicht bald behandelt werden.
In einiger Entfernung waren Stimmen zu hören und ich wartete mit gespitzten Ohren, bis der Wind sie zu mir getragen hatte.
Es waren die verhassten Dorfbewohner.
Ich musterte den Mann erneut, seine zusammengebissenen Zähne und das bleiche Antlitz.
Warum er wohll vor ihnen floh? War er als ihr Feind automatisch mein Freund?
Der Fremde warf einen besorgten Blick über seine Schulter, dann sah er wieder zu mir, mit der Verzweiflung in sein Gesicht geschrieben.
"Es wäre wirklich hilfreich. Ich werde dich nicht ausrauben. Ich brauche nur einen Ort zum Untertauchen!"
Die Pflanzen befanden den Fremdling als sehr attraktiv, aber gefährlich. Leute vom Ozean waren nie eine gute Nachricht.
Ich seufzte, ein melancholischer Laut in der Finsternis und trat dann näher, um vorsichtig die Fetzen durchnässten Stoff von der Wunde zu ziehen. Ich biss in Phantomschmerz auf meine Lippe, als ich den ganzen Schaden ins Visier nahm, fürchtete jedoch immernoch den Ozean und dessen Brut.
"Das ist ziemlich viel Blut."
"Könntest du bitte beiseite gehen, bevor ich dich töten muss?!"
Er klang nun geradezu verzweifelt und es war ausreichend für mich. Ich packte den Typen am Arm und stieß ihn hinter mich, direkt in meine warme und geschützte Hütte.
"Bitte kümmere dich um sie.", sagte ich ruhig zum Himmel hinauf und schloss dann die Tür, um mich neben den verwundeten Fremden am Boden zu knien. Der Mann beobachtete mich mit dunklen Augen, während der Donner über den Himmel rollte und der Regen eine besänftigende Melodie auf den Dach der kleinen Unterkunft trommelte.
"Bist du eine Hexe?", fragte der Mann etwas skeptisch und ich lachte etwas, während ich geschäftig meine Verbände schnappte.
"Du hast keinen Grund zu fragen. Ich könnte auch ein Menschenfresser sein."
Und der Fremdling lachte. Es war ein hübsches Lachen, sehr energiegeladen für seine derzeitige Lage und es zog sein ganzes Gesicht zusammen, ließ seine katzenhaften Augen verschwinden und ein großes, jungenhaftes Lächeln sein Gesicht einnehmen.
Er war wunderschön.
Ich war für einen Moment sprachlos, dann drückte ich abrupt die Verbände in die Arme des anderen Mannes, bevor ich einen schnellen Schritt zurück trat, sicheren Abstand zwischen uns schaffte.
"Entschuldige mich kurz."
Ich eilte erschüttert in mein Schlafzimmer und drückte sanft die Tür hinter mir zu - verschloss sie sogar - und atmete tief durch.
Erst dann hob ich den Saum meiner Tunika an und besah mir vorsichtig meinen Bauch.
Und dort, in einer dicken Linie über seiner Hüfte, blühten Blumen, sprossen farbenfroh aus seiner Haut hervor.
Ich holte gespannt Luft.
Ich wusste, was das bedeutete. Und ich mochte es nicht.
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