Kapitel 10

„Es war anstrengend", sagte Christopher zu Rebecca, als er nach Hause kam, „Ihr würdet euch leidenschaftlich hassen."

„Das ziehe ich nicht in Zweifel", erwiderte Rebecca kühl. Sie stand am Spülbecken und schrubbte eine Pfanne.

„Dabei seid ihr euch eigentlich recht ähnlich. Charakterlich, meine ich."

„Christopher, ich wäre dir dankbar, wenn du das lassen würdest. Ich kann diese kryptischen Anspielungen gerade nicht ertragen und dein Bruder interessiert mich im Augenblick nicht das geringste Bisschen."

„Er tut mir leid."

„Wieso?"

„Er hat niemanden."

Rebecca schnaubte: „Willst du damit sagen, ich könne mich glücklich schätzen, dass ich dich habe? Weil ich ihm ja charakterlich so ähnlich bin? Manchmal bist du wirklich selbstherrlich."

Christopher ließ sich auf einen Stuhl fallen und winkte ab: „Bitte nicht. Ich bin bereits erschöpft."

„Vielleicht interessiert es dich, dass vorhin ein Kerl namens Freddy hier war und erzählte, er kenne dich aus der Fabrik."

„Ja?"

„Er wollte bei mir Gift kaufen, damit seine Frau damit Brot backen könne. Christopher, wer weiß noch davon? Glaubst du es ist gut, wenn sich Gerüchte verbreiten, wenn du die Kontrolle verlierst? Ich will nicht, dass hier eines Tages die Polizei an die Tür klopft! Und sie werden an meine Tür klopfen, nicht an die von Brian oder David oder irgendeinem Freddy. Die sind fein raus."

„Was willst du, das ich tue?", fragte Christopher erschöpft.

„Du sollst dir vertrauenswürdigere Freunde suchen!"

„Ich glaube, dann kann ich auch gleich alleine streben."

Rebecca seufzte: „Es ist nur, dass aus Vertrauten schnell Verräter werden."

„Sagst du das, weil du selbst...", begann Christopher, aber er beendete den Satz mit: „Ach vergiss es. Das führt doch zu nichts."

„Ich benutze das Wort Verräter wertfrei, wenn du das meinst", erwiderte Rebecca nur knapp und räumte ihr gespültes Geschirr in die Schränke.

„Ich werde mit Freddy reden, wenn du willst", gab Christopher nach, „Was hast du ihm gesagt?"

„Dass er sich um Teufel scheren soll. Glaubst du, ich verkaufe irgendwelchen dahergelaufenen Kerlen Substanzen, mit denen er sich und seine ganze Familie umbringen kann, wenn er nicht aufpasst?"

„Es war vielleicht keine so gute Idee, überhaupt damit anzufangen. David hatte Recht, es bringt nichts, außer uns in Gefahr", sagte Christopher.

„Zwei tote Schwäne heute Morgen", hielt Rebecca dagegen.

„Ja, aber ist das nicht nur sinnloser Vandalismus? Geboren aus Frustration? So werden sie es doch deuten?"

„Wenn es soweit ist, ist es Zeit, dass ihr es erklärt", sagte Rebecca.

Christopher lachte müde: „Und dann stehen Brian, David und ich vor Gericht, verbeugen uns und erklären, dass alles nur eine Inszenierung war?"

„Hinterlasst doch ein Bekennerschreiben", schlug Rebecca vor.

„Wenn es überhaupt noch ein „Wir" gibt. Von Brian habe ich schon seit Tagen nichts mehr gehört."

Rebecca zuckte mit den Schultern und Christopher war enttäuscht aber nicht überrascht, dass sie nicht aussprach, was sie beide dachten. Um des lieben Friedens Willen schwieg nun auch er.

Am nächsten Morgen zog Christopher los, um sich mit Freddy zu unterhalten. Ein komischer Kauz, fiel ihm ein. Eine Art Hausmeister, von dem Christopher argwöhnte, dass er für jede Schraube, die er festzog eine anderer lockerte, damit ihm nie die Arbeit ausging. Er wartete die Maschinen in der Textilfabrik und blickte ein wenig auf die einfachen Weber herunter, hatte für die Vorarbeiter aber nichts als Verachtung übrig. Seiner Ansicht nach musste die Fabrik ohne ihn den Bach herunter gehen, denn niemand besaß seine Fähigkeiten – woraus auch immer diese bestanden...

Verheiratet war er mit einer Frau, die nach ihren Schwangerschaften einfach nicht wieder abnehmen wollte und nach vier Kindern so enorme Ausmaße angenommen hatte, dass sie in Hulme eine Attraktion für die Rotzlöffel der Nachbarschaft darstellten. Aber die war gutmütig und hatte immer Gebäck oder Kuchen im Haus.

Vier Töchter hatte das Ehepaar. Die älteste war schon verheiratet, die anderen drei im besten Backfischalter. Man sah sie hin und wieder auf der Straße, wenn sie mit irgendwelchen Jungen zu Tanzveranstaltungen gingen.

Freddy duldete es, denn auch er war gutherzig und ziemlich liberal. Man munkelte, er selbst hätte heimliche Beziehungen zu verschiedenen jungen Männern und er dementierte kein einziges dieser Gerüchte. Er war zu wichtig, um darauf eingehen zu müssen, um seine Haut zu retten, dachte er wohl. Und richtig: Die Leute kicherten zwar hinter vorgehaltener Hand, aber niemand stellte seine Position offen in Frage. Freddy war eben Freddy, ein bisschen geckenhaft, aber alles in allem korrekt.

Jeder hat seine Geheimnisse, dachte Christopher, Freddy ebenso wie Rebecca. Das einzige, was sie vor dem wütenden Mob schützt, ist, dass sie unentbehrlich sind. Freddys Trumpf war seine Hilfsbereitschaft, wenn es um Reparaturen rund ums Haus ging. So erkaufte er sich das Schweigen der Leute.

Was wohl seine Frau davon hält?, fragte sich Christopher. Untreue ertrugen Frauen schließlich nie leicht...

Weiter kam er nicht mehr mit seinen Gedanken, denn da sah Christopher etwas Seltsames vorgehen: Am Ufer des Kanals stand Cathy umringt von einer ganzen Schar Enten, die sie anquakten, während sie Brotbrocken ins feuchte Gras vor sich fallen ließ.

Sie wird doch nicht..., fragte sich Christopher entsetzt und er rang mit sich, ob er sie ansprechen sollte. Ja, er ekelte sich vor Cathy. Es war blanker, eiskalter Ekel. Es waren ihr Aussehen, ihr Geruch, ihre Kleidung, ihre Haltung, ihre Stimme, ihre müden, traurigen, jenseitigen Augen und die Vorstellung, die Christopher von ihr hatte. Sie war ein alptraumhaftes, unmenschliches, halbmenschliches Wesen, nicht ganz ungezähmt, aber auch nicht vertrauenswürdig, in jedem Fall unberechenbar. Sie konnte jeder Zeit zubeißen, wegrennen, einen Anfall bekommen, hysterisch werden, zu weinen anfangen... Aber wenn er jetzt ging und wenn sie dann das womöglich vergiftete Brot aß, war er vielleicht für ihren Tod verantwortlich.

Oder nicht? Schließlich wusste er nicht, ob das Brot, das sie da verfütterte, vergiftet war. Er wusste auch nicht, ob sie tatsächlich nicht wusste, was sie tat. Er wusste noch nicht einmal, ob sie ihn erkannte. Wer sollte ihn also beschuldigen? Wenn er einfach weiter ging, konnte er so tun, als hätte er sie nicht gesehen. Wenn er sie ansprach riskierte er, zum Mittelpunkt einer Szene zu werden.

Gab es einen Unterschied zwischen Schuld und Schuldbewusstsein? Was davon war leichter zu verdrängen und wie viel davon konnte die Angst und den Ekel überwiegen?

Nun, er genoss den Ruf, ein guter Kerl zu sein und gute Kerle litten immer unter enormen Schuldgefühlen. Also versuchte er es möglichst unverbindlich: „Guten Morgen, Cathy. Hast du so viel altes Brot übrig?"

Er wusste nicht wieso, aber er hielt es für angebracht, mit ihr wie mit einem kleinen Mädchen zu sprechen. Er fragte sich, ob sie das als demütigend oder rücksichtsvoll empfinden mochte. Frauen mit zweifelhaftem Ruf mochten es manchmal, wenn man ihnen eine gewisse Unschuld zusprach. Manchmal aber konnten selbst sie die Ironie, die darin lag, nicht aushalten.

„Im Winter muss man sie füttern", erwiderte Cathy, „Dieser Winter dauert schon sehr lange. Aber sie brauchen Kraft, um zu brüten."

„Hast du das Brot extra für die Enten gebacken?", fragte Christopher.

„Brian hat es mir mitgebracht", sagte Cathy, „aber es war zu viel. Es ist hart geworden und jetzt kann ich es nicht mehr selbst essen."

Christopher wusste nicht, ob er beruhigt oder alarmiert sein sollte, also fragte er weiter: „Brian hat es dir mitgebracht? Von wo? Weißt du, wo er das Brot her hat?"

„Na, von seiner Arbeit."

Beruhigung und Alarmierung lösten sich auf in Verwirrung und als Cathys Blick sich verdunkelte, weil sie sich womöglich erinnerte, wer er war, trat Christopher einen Schritt zurück.

„Das ist nett von ihm", sagte er ausflüchtend.

„Ja, aber es ist kein gutes Brot. Sie geben ihm nicht das Gute. Oder er gibt das Gute den Pferden. Mir bringt er nur Schlechtes."

„Ich bin sicher, er gibt sein Bestes", sagte Christopher immer noch unverbindlich.

„Lass mich in Ruhe, Christopher Jones!", rief Cathy plötzlich, „Was willst du von mir? Willst du mich aushorchen?"

„Nein, ich...", begann Christopher.

„Wieso willst du das alles wissen?"

„Ich wollte nur ein bisschen Smalltalk..."

„Hat Rebecca dich geschickt? Sie hat dich geschickt, um mich auszuspionieren, nicht wahr?"

„Nein, ich bin nur zufällig..."

„Sag ihr, sie soll mich in Ruhe lassen! Sag ihr, es geht sie gar nichts an, was ich tue! Sag ihr, sie hat kein Recht, mir zu sagen, was ich tun soll!"

„Aber das hat sie doch gar nicht", versuchte es Christopher. Eine solche Eskalation hatte er befürchtet und jetzt hasste er sich für seine Fürsorglichkeit und sein Pflichtbewusstsein.

„Natürlich behauptest du das! Du redest ihr doch nach dem Mund! Was bist du eigentlich? Ein Mann jedenfalls nicht!"

Sie hatte es so laut gesagt, dass Passanten sich umdrehten und verstört auf Christopher und Cathy starrten, nicht sicher, wie sie die Szene einordnen sollten. Cathy war ohne Zweifel bekannt genug, damit man nun von Christopher annahm, dass er versuchte, mit ihr ins Geschäft zu kommen. Konnte es noch demütigender werden?

„Wenn du möchtest, sage ich es Rebecca", versuchte Christopher Cathys aufbrausende Stimmung zu dämpfen und die unauffällig Gaffenden und Lauschenden zu überzeugen, dass dies ein rein freundschaftlicher Streit war.

Als Cathy jedoch weiter keifte und wirres Zeug zu kreischen begann, glaubte Christopher, dass es besser wäre, jetzt das Weite zu suchen. Er könnte die Situation nicht mehr retten, immerhin hatte seine Anwesenheit sie überhaupt erst verursacht.

Eine Frau eilte auf Cathy zu und legte ihr den Arm um Schultern. Cathy ließ es zu. Frauen erschienen ihr wohl weniger bedrohlich. Nach ein paar beruhigenden Worten und einem Blick dämonischer Bosheit in Richtung des forteilenden Christophers setzte Cathy ihre Tätigkeit – das Füttern der Enten – fort, als wäre nichts gewesen. Christopher fragte sich, ob sie sich am nächsten Tag überhaupt noch daran erinnern würde. Die Passanten jedenfalls würden sich erinnern und Christopher befürchtete nachhaltige Schäden an seinem Ruf. Er beschloss, Brian zu bitten, mit Cathy ein Wort zu reden.

Auch der Rest des Vormittags erwies sich als Schlag ins Wasser. Freddy war nicht zu Hause und Christopher traf nur auf seiner Frau, die von giftigem Brot, das sie backen sollte, zum ersten Mal hörte und mit hochrotem Kopf eine Reihe von moderaten Flüchen gegen ihren Mann abfeuerte. Wenn Christophers Begegnung mit Cathy nicht einen bitteren Beigeschmack hinterlassen hätte, hätte er darüber vielleicht geschmunzelt. So aber blieb er betrübt vor der Tasse Tee sitzen, die Freddys Frau ihm angeboten hatte. Er wünschte, er hätte sie abgelehnt, wenngleich der mitgereichte Keks ihn etwas entschädigte.

„Sie haben nichts zu befürchten", erklärte er, „Rebecca verkauft keine gefährliche Substanzen an Leute, die damit nicht umgehen können und ohne zu wissen, was sie damit vorhaben."

„Und woher bezieht sie ihre Substanzen?", fragte die Frau, die ihm nun gegenüber saß und deren Namen er nicht kannte. Nicht einmal ihren Nachnamen, fiel ihm ein... Freddy war immer einfach nur Freddy. Komisch, sich ihn als einen Mister Irgendwas vorzustellen. Aber er musste einen Nachnamen haben. Jeder hatte einen, sogar Rebecca.

„Äh...", sagte Christopher, um Zeit zu gewinnen, „Bei ihrem Beruf ist das was anderes."

„Einen Beruf nennt sie das also", schnappte die Frau, „Hören Sie, es tut mir unendlich leid, was mit Ihnen passiert ist und ich verurteile Sie nicht für die Sünden dieser Hexe, aber es ist mein gutes Recht, es abzulehnen, in irgendeiner Form in Verbindung mit ihr gebracht zu werden und sei es nur, dass Sie hier einfach überraschend auftauchen!"

„Entschuldigen Sie. Ich wollte diese Sache unter vier Augen mit Freddy klären. Sie hätten niemals dahinein gezogen werden sollen."

„Wohinein gezogen?"

„Es ist eine etwas unselige Geschichte", wand sich Christopher.

„Sehe ich aus, als könnten Geschichten mich erschüttern?", fragte die Frau herausfordernd, „Kerle wie Sie bilden sich etwas darauf ein, all das Schlechte in der Welt – das sie selbst übrigens zumeist verursachen – von uns Frauen fernzuhalten, in der Hoffnung, wir erführen dann nichts von der Existenz des Bösen. Ich verrate Ihnen eins: Das Böse ist in die Welt gekommen, als wir aus dem Paradies vertrieben wurden. Mit uns. Verstehen Sie? Wie können Sie annehmen, ich vertrüge die Wahrheit nicht? Wollen Sie ernsthaft einer Frau, die vier Kinder geboren hat, Unschuld und Naivität bewahren? Sie müssen sich von Ihren Idealen verabschieden. Dies ist das Land Nod und wir sind verdammt, ruhelos umherzuwandern, ohne je an ein Ziel zu gelangen."

„Aber zumindest können wir versuchen, dieses Land ein bisschen besser zu machen, für diejenigen, die heute hier leben und morgen hier leben werden, meinen Sie nicht?"

„Es ist zynisch, dass die dieses „bessere Leben" unter der Verwendung von Gift erreichen wollen, finden Sie nicht? Aber was kann man schon erwarten an diesem Ort? Das Morden hat nie aufgehört."

„Sehen Sie, deshalb, wollte ich Sie nicht damit belasten. Sie sollen keine Schuld tragen, wo keine Schuld ist. Frauen neigen dazu, sich Schuld einzubilden, wo es keine gibt. Sie sind – auch wenn sie es bestreiten – ganz und gar unschuldig und sollen es bleiben und auch Freddy wird es bleiben, denn was immer er glaubt, mit dem Gift erreichen zu können, ist eine Illusion, allerhöchstens eine Metapher. Er hat vielleicht ein Gerücht gehört und etwas missdeutet", Christopher wusste, dass er sich um Kopf und Kragen redete, aber diese Frau schüchterte ihn ein und ihre Vorwürfe oder ein betretenes Schweigen hätte er nicht ertragen. Also redete er weiter: „Trauen Sie Ihrem Mann denn einen Mord zu? Nein. Das Gift ist mehr ein Symbol, ein Zeichen dafür, wie diese Stadt und dieses Leben uns langsam die Energie aussaugt. Es ist eine Form von Protest, keine der Niedertracht. Ich bin sicher, Freddy kann Ihnen erklären, dass er nur die besten Motive hatte. Das soll nicht zu einem Streit führen, sondern eher zum Gegenteil: Solidarität. Er wird es Ihnen erklären. Er ist ein guter Mann."

„Ich weiß nicht, ob es Ihnen zusteht, das zu beurteilen", sagte die Frau kühl.

„Ich versuche nur, seinen Advokaten zu geben", verteidigte sich Christopher.

Aber seine Versuche konnten die resolute Frau nicht beschwichtigen und sie warf ihn schließlich mit mehr oder weniger harschen Worten hinaus.

In Freddys Haut möchte ich nicht stecken, wenn er heute Abend nach Hause kommt, dachte Christopher auf dem Rückweg in sein zu Hause. Schneeregen ließ die Straßen schlüpfrig werden und man musste vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen, um nicht auszurutschen. Dass er sich beim Gehen konzentrieren musste, lenkte Christopher davon ab, darüber nachzudenken, was für ein furchtbarer Tag hinter ihm lag und wie dieser furchtbare Tag sich perfekt einpasste in eine furchtbare Woche.

„Du machst dir wie immer zu viele Sorgen", konstatierte Brian, am Abend, als er sich wie selbstverständlich zu Rebecca und Christopher an den Abendbrottisch setzte. In seinen Augen war dies nun ein Hauptquartier und damit ein für Eingeweihte öffentlich zugänglicher Raum.

„Und das ist alles, was du dazu zu sagen hast?", fragte Christopher angesäuert.

„Gibt es denn sonst noch etwas zu sagen?"

Rebecca holte gerade Luft, um etwas zu erwidern, da schnitt Brian ihr auch schon das Wort ab: „Freddy ist in Ordnung."

„So?", stieß Rebecca hervor, „Und das hast du einfach entschieden..."

„Nur die Ruhe. Es ist nur Freddy. Ihr kennt ihn. Er ist genauso gegen die Bosse wie wir. Vielleicht sogar noch mehr. Ich habe mir gedacht, wenn unsere Gruppe zu einer ganzen Bewegung wird... Freddy hat Kontakte, wisst ihr. Er kommt in der Fabrik herum. Er kommt im Viertel herum. Wir müssen das Projekt auf eine höhere Ebene bringen. Wir hatten anfänglichen Erfolg, ja, aber der ist nichts wert, wenn es nicht weiter geht. Freddy könnte uns helfen."

„Und das konntest du nicht vorher mit uns absprechen?", zischte Rebecca.

„Es hat sich spontan ergeben. Die Gelegenheit war günstig und Freddy war sofort Feuer und Flamme. Ich habe mir nichts dabei gedacht und um ehrlich zu sein verstehe ich nicht, wieso du so gereizt reagierst."

„Ich will nicht, dass das Gerücht aufkommt, bei mir könne man Gift kaufen", erklärte Rebecca, „Geht das in deinen Schädel hinein? So lange alles, was hier drin passiert, hier drin bleibt, drücken die Bullen ein Auge zu, aber wenn sie mitbekommen, dass ich meine Aktivitäten nach draußen verlagere – in welcher Form auch immer – könnte ich in ernste Schwierigkeiten geraten."

„Aber ob du nun vergiftetes Brot backst oder Gift verkaufst, damit andere damit vergiftetes Brot backen können... Wo ist da der Unterschied?"

„Ich weiß, wie man mit dem Zeug umgeht, Brian. Du weißt es nicht. Freddy weiß es nicht und seine Frau weiß es am allerwenigsten!"

„Was ich mich schon lange frage, Rebecca", begann Brain mit leicht aggressivem Unterton, „Woher weißt du eigentlich immer alles besser?"

„Misstraust du mir?", schnappte sie zurück.

„Fragen bedeutet bei dir also gleich Misstrauen?"

„Und bei dir bedeuten Fragen wohl gleich Unterstellungen", stellte Rebecca fest.

„Du stellst keine Fragen ohne Hintergedanken. Die wenigsten Frauen tun das."

„Achso?"

„Es ist die einzige Art und Weise, wie sie Macht ausüben können: Über Manipulation."

„Wird das jetzt wieder einer deiner Vorträge?", fragte Christopher dazwischen.

„Wenn du mit Menschen reden willst, musst du Menschen verstehen", erklärte Brian, „Und Frauen verstehen sehr gut. Das Problem ist, dass ihnen niemand zuhört, wenn sie nicht über denjenigen sprechen, der ihnen zuhören soll, sondern beispielsweise ausnahmsweise über sich selbst. Wir Männer glauben nur allzu gerne, dass Frauen nur durch andere Leben: Durch uns oder ihre Kinder, durch ihre Familie und wenn sie keine Familie haben, nehmen wir sie als leer und unmenschlich wahr. Eine Frau, die für sich, aus sich und durch sich lebt, macht uns Angst, weil sie uns nicht braucht. Aber wir wollen gebraucht werden, denn wir... wir leben nur durch die Anerkennung und die Wertschätzung anderer. Wir glauben, nichts wert zu sein, wenn man uns nicht bewundert. Ist es nicht so? Und das wissen sie. Die Frauen. Wenn sie etwas wollen, so bringen sie uns dazu, eine Entscheidung zu treffen, die sie geplant haben. Wir würden nie widersprechen, oder? Wenn sie uns bittet, wenn sie uns um Rat fragt, wenn wir ihr helfen sollen. Das gibt uns das Gefühl, wichtig zu sein und gebraucht zu werden. Dabei interessiert sie unsere Meinung kein Bisschen. Sie spricht uns sogar ab, eine eigene Meinung zu haben. Dieses Verhalten ist den Frauen in Fleisch und Blut übergegangen und du, Rebecca, merkst es schon gar nicht mehr, wenn du es an den Tag legst. Misstraue ich dir? Ja, meine Güte! Ich misstraue dir im gleichen Maße, wie es gesund ist allen Menschen zu misstrauen! Das bist du nicht gewohnt, was?"

Rebecca lachte: „Ist das jetzt die Emanzipation des Mannes?"

„Wieso sollen nur die Frauen davon profitieren, wenn ein Bewusstsein für Gerechtigkeit langsam in den Zeitgeist Einzug hält?"

„Oh, Brian, du kannst es ruhig zugeben, dass Cathy Zweifel in dir gesät hat", sagte Rebecca.

„Du traust mir keine eigenen Zweifel zu. Da hast du es!"

„Ach, das führt doch zu nichts", meinte Christopher.

„Nein, das tut es nicht", sagte Rebecca, „Aber das hier ist mein Haus und ich entscheiden, wer hier ein- und ausgeht. David hat kürzlich erst zwei Typen angeschleppt, die wir notgedrungen aufnehmen mussten, weil sie bereits eingeweiht waren. Wenn ich meinen Kopf für diese Sache hinhalte, dann will ich auch in die Entscheidungen mit einbezogen werden, verstehst du?"

„Cathy findet übrigens, dass es unmoralisch ist, was wir tun", sagte Brian.

„Willst du aussteigen?", fragte Rebecca gereizt.

„Nein, ich will dich nur einbeziehen."

„Hast du Skrupel? Bist deshalb zum letzten Treffen nicht aufgetaucht?"

„Du wirst es nicht glauben, Becky, aber ich habe noch andere Verpflichtungen. Es ist etwas dazwischen gekommen, das ist alles."

„Ja, Freddy ist dir dazwischen gekommen, das wissen wir bereits."

„Dein Problem ist, dass du immer alles kontrollieren musst. Deshalb lebst du in Angst vor unerwarteten Entwicklungen. Das ist nicht ungewöhnlich, aber eben auch nicht förderlich bei einem Leben am Rande des Gesetzes."

„Willst du mir hier gerade meinen Lebensentwurf erklären?", fragte Rebecca empört, „Wofür hältst du dich eigentlich?"

„Nun beruhigt euch mal wieder!", rief Christopher, „Alle beide! Niemand von euch hat die Autorität eigenmächtige Entscheidungen für und im Namen der Gruppe zu treffen. Sind wir uns da einig?"

„Ja", sagte Rebecca sofort.

„Das ja, aber...", begann Brian.

„Shhh", machte Christopher, „Und niemand hier schiebt Ausreden vor! Wir sagen uns die Wahrheit! Sonst können wir die Sache vergessen. Wir müssen ehrlich sein und uns vertrauen! Dein Misstrauen, Brian, ist ebenso fehl am Platze wie deine Vorwürfe, Rebecca!"

„Du willst hier wirklich relativieren", stellte Rebecca fest.

„Wird er jetzt dein neuer Sündenbock?", fragte Brian süffisant.

„Sündenbock für was?"

„Du brauchst immer jemanden, auf dem du rumhacken kannst."

„Brauch ich das, ja? Du meinst es ist also klüger, immer klein bei zu geben, weil man sich so Unannehmlichkeiten erspart?"

„Ich sage nur, dass es dir auch mal gut anstehen würde, wenn du dich überzeugen lassen würdest. Du bist hier schließlich diejenige, die chronisch ihren Mitmenschen misstraut. Ich weiß, dass du dir angewöhnt hast, zu glauben, dass niemand dir so gut helfen kann, wie du dir selbst. Und vielleicht ist es richtig, dass Frauen sich eine harte Schale zulegen, wenn sie nicht ständig übervorteilt werden wollen, aber hin und wieder bedeutet Vertrauen eben auch Sicherheit", sagte Brian, „Niemand hier wird dich verraten, glaub mich. Wir sind keine Verräter. Wir sind Partner in Crime. Wir sind Freunde. Und Freunde sagen sich manchmal unbequeme Wahrheiten ins Gesicht. Daran erkennst du sie."

„Ich brauche keine Hilfe", sagte Rebecca, entspannte sich aber langsam wieder, „Ihr braucht Hilfe. Das ist das Problem. Ihr seid auf mich angewiesen. Wie fühlt sich das für einen Mann an?"

„Was willst du hören? Etwas, das deine Aggression rechtfertigt?", fragte Brian.

„Die Wahrheit. Ist es Demütigung oder Erleichterung darüber, Verantwortung abgeben zu können?"

„Also ich für meinen Teil", sagte Christopher, „vertraue dir und deshalb empfinde ich weder das eine noch das andere."

Brian sagte nichts.

„Ich glaube, es ist Angst", sagte Rebecca schließlich, „Männer haben immer Angst, deshalb legen sie Regeln fest, die dafür sorgen, dass Frauen für jede Errungenschaft etwas opfern müssen. Ihre Freiheit für ihre Sicherheit oder umgekehrt. Ihre Stimme gegen ihren Ruf. Ihre Anerkennung gegen ihre Selbstverwirklichung. Sobald eine Frau tut, was ihr gefällt, muss sie mit Ächtung rechnen. Man spricht ihr Verstand und Sittlichkeit ab, wenn sie ihre eigenen Interessen verfolgt. Alles, was sie tut, hat ihren Preis. Männer lassen sich dafür bezahlen, wenn man ihnen ihre Macht über die Deutungshoheit des Lebens der Frauen nimmt. Aber wo steht geschrieben, dass es das natürliche Recht eines Mannes ist, festzulegen, dass eine anständige Frau als Jungfrau in die Ehe gehen muss, während er von einem Freudenhaus ins nächste stolpert? Es ist Angst davor, Macht zu verlieren, die ihr nie hättet haben dürfen, die ihr euch angeeignet habt und ich glaube, ich wisst das. Entgegen der landläufigen Meinung halte ich Männer nämlich nicht für dumm und verabscheuungswürdig. Also nicht grundsätzlich. Aber gerade weil ihr das wisst, ist die Angst umso größer. Also fangt ihr an, Belohnungen zu verteilen für diejenigen Frauen, die sich euren Wunschvorstellungen gemäß verhalten. Wer sich freiwillig versklaven lässt, der wird nicht geschlagen und als Beispiel vorgeführt, dass all die anderen Sklaven selbst schuld an ihrem Elend sind. Wenn du vorhin schon darüber schwadroniert hast, wie Frauen einzelne Männer in konkreten Fällen manipulieren, hier hast du den umgekehrten Fall, der im großen Stil auf gesellschaftlicher Ebene etabliert ist. Zu sagen, dass deine Frau aber glücklich ist, impliziert, dass meine Anliegen und meine Unzufriedenheit übertrieben und wertlos sind. Ihr gebt Frauen immer dann Autorität wenn sie euch nach dem Munde reden und ihr macht sie da klein, wo sie euch widersprechen. Der Konservatismus ist tief verwurzelt in der Arbeiterschaft. Täusch dich nicht, Brian, deine revolutionäre Bewegung wird nicht überall auf Gegenliebe stoßen und alles, worum ich bitte, ist Vorsicht und vorherige Absprachen."

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