Die Verwelkung

DIE VERWELKUNG

"Für sie strahlte die Sonne heute nicht"

*****

Langsam schritt ich voran, ich ließ mir Zeit, die brauchte ich auch, denn ich musste mich wie jedes Jahr, mental auf die nächsten Stunden vorbereiten.

Weiter setzte ich einen kleinen und langsamen Fuß nach dem anderen bis ich auf ein Steg stieß. Mein Blick hob sich und meine Umgebung schien sich wieder einmal zu ändern....

Der Bauch tat mir schon den ganzen Tag weh, und zwar vor Aufregung, heute war ein spezieller Tag. Heute war unser Tag und ich wollte, dass alles perfekt wurde.

Ich hatte es schon vor Monaten geplant, der richtige Zeitpunkt war aber nie da gewesen. Immer hatte ich es vor mich hergeschoben, heute... heute jedoch nicht!

Letzte Woche hatte ich nämlich eine Vision, eine Vision von unserm Tag, welchen ich auch verwirklichen wollte.

Also hatte ich sie kurzer Hand gefragt, ob sie wohl am Samstag Zeit hätte mit mir zu unserm See zu fahren und in der Waldhütte zu übernachten. Ich wusste, sie konnte nicht 'Nein' sagen, denn sie liebte den See dort und unser kleines gemeinsamenes Versteck.

Wie erwartet, hatte sie zugesagt.

Abgelenkt von meinen Gedanken merkte ich nicht, dass die Ampel schon grün geworden war und schreckte darum von der lauten Hupe des Autos hinter mir auf.

Ich fuhr los und bog dann in ihre
Straße ein und konnte schon von weitem ihr Haus sehen... Ich lenkte in die Einfahrt ein und liess sie wissen, dass ich da war.

Die Tür öffnete sich und sie kam heraus.

Ihr Anblick faszinierte mich immer wieder aufs Neue. Ihre gewellten braunen Haare fielen ihr sanft über die Schultern. Das Lächeln, das sie mir zuwarf, war bezaubernd, man könnte glatt meinen sie wäre ein Model für eine Zahnpasta Werbung, so hell strahlten ihre Zähne.

Was aber mehr strahlten, waren ihre Augen, als ich anfing zu lächeln. Ich liebte ihre blauen Augen, sie waren schöner als jeder Ozean auf dieser Welt.

Wir waren jetzt schon seit fünf Jahren zusammen und ich empfand für sie immer noch das gleiche, wie am Tag als ich sie zum ersten Mal sah. Sie empfand nichts anders als das gleiche auch für mich, das wusste ich, denn dies sah ich und dies zeigte sie mir auch.

Sie stieg ins Auto ein und lächelte mich an. Automatisch begann mein Herz schneller zu schlagen.

«Hey», begrüßte ich sie von außen ganz ruhig, jedoch herrschte in mir drin ein komplettes Chaos.

Sie erwiderte meine Umarmung, die ich ihr gab und flüsterte in mein Ohr auch ein 'Hey'. Dann fuhr ich auch schon wieder los.

Ich konnte an ihrer Haltung ablesen, dass sie sich freute, ob sie was ahnte? Unwahrscheinlich, ich hatte alles haargenau, bis aufs kleinste Detail geplant.

Sie konnte nicht von ihrem Glück ahnen.

Wir waren im Wald angekommen und ich merkte schon, wie meine Nervosität sich einen Weg an die Oberfläche anbahnte. Ich schaute wieder zu ihr, sie hatte ein wunderschönes Gesicht, leichte Sommersprossen auf der Nase und ein Muttermal unter dem linken Auge, welches ich mir Stunden lang anschauen konnte... Dieses schöne Szenario wurde aber von einem Schrei zerbrochen, ihrem Schrei.

Wieso schrie sie?

Mein Blick wollte sich ihrem bezauberndem Gesicht nicht entfliehen, jedoch musste ich auf die Straße schauen, den ihre Augen fixierten genau dort etwas, dass ihr Angst machte.

Als meine Sicht sich der Strasse wandte, bemerkte ich ein Reh, der wenige Meter vor meinem Auto uns angsterfüllt durch grosse braune Augen anstarrte.

Panik stieg in mir auf und nun schoss auch Adrenalin durch meine Adern. Ich hörte, wie Blut durch meinen Körper gepumpt wurde, wie mein Herzschlag raste und wie meine Räder im Kopf anfingen zu rattern. Würde ich es schaffen auszuweichen?

Eine andere Möglichkeit blieb mir nicht übrig, also lenkte ich meinen Wagen schnell nach links.

Mitten in der Bewegung musste ich jedoch feststellen, dass ich die Kontrolle verlor.

Mein Puls war schon seit geraumer Zeit angestiegen, nun merkte ich jedoch, dass meine Adern, die angespannt waren, durch den druck explodieren würden.

Meine Gefühle waren ein reines Chaos, die ich nicht wirklich in irgendeiner Richtung einordnen konnte, klar war aber für mich, dass ich Angst hatte. Angst, nicht um mein Leben, sondern um ihres.

Mehrmals versuchte ich anzuhalten, doch es war schon zu spät. Ein letztes Mal schaute ich an diesem Tag zu Luna, ihre Augen schauten auch in meine und ich konnte in ihnen Erkenntnis sehen, dieses verwandelte sich schnell aber in Liebe und Wärme um, dann schaute ich zum Himmel, es war ein sonniger Tag, ein heller, jedoch nicht für Luna... für sie strahlte die Sonne heute nicht und würde dies auch nie wieder tun. Bemerken tat ich dies aber zu spät... viel zu spät.

Das Letzte, an das ich mich erinnern konnte, war ein Schrei von ihr und der Aufprall mit einem Baum, dann wurde alles schwarz.

Es lief mir kalt den Rücken runter, doch ich lief weiter.

Die Erkenntnis in ihren Augen, war der Moment gewesen in dem sie realisierte, dass sie keine Blüten mehr übrig hatte, dass sie Wasser brauchte um zu leben, dieses Wasser ihr jedoch niemand geben konnte... in diesem Moment des Schreckens hatte sie erkannt, dass sie gehen würde, ...dennoch hatte sie sich dazu aufgezwungen mir ein liebevolles Gesicht zu schenken... bevor sie ging, für immer.

Ich spürte etwas Nasses an meiner Wange und als ich meine Finger danach ausstreckte, war ich zuerst überrascht.
Sie war wegen meinen Tränen, die seit Jahren nicht versiegen wollten, nass.

...Aber zurecht, ich verdiente es zu leiden, denn ich hatte sie damals in den Tod geschickt, ich war Schuld daran das sie gestorben war, es war alles nur meine Schuld.

Was ich getan hatte war unverzeihlich, ich hoffte nur das sie mit mir Nachsichtig umgegangen war. Und als sie damals, in ihrem letzten Moment, mich so liebevoll wie möglich angeschaut hatte... da dachte ich sie hätte es getan, doch woher wollte ich das wissen?

Sie war nicht hier und würde für eine weitere, längere und noch qualvollere Zeit nicht wieder kommen, und nur ich alleine trug die Verantwortung, nur ich alleine war Schuld für diesen einen Tag.

Ich war es, der sie gefragt hatte mit mir zum See zu fahren. Ich war es, der gefahren war. Ich war es, der sie umgebracht hatte.

Mir war es egal was die Ärzte gesagt hatten, dass sie noch gerettet werden konnte, sie jedoch selber weiter kämpfen musste und dies nicht getan hatte, da sie anscheinend Schwach war und darum ihr Herz versagt hatte.

Es war mir egal, weil ich genau wusste, dass sie nicht schwach gewesen war... Luna war stark. Stärker als je einer sein konnte. Dieses dummr Geschwätz von Schwäche war lediglich eine Lüge, der Ärzte um mich nicht schlecht fühlen zulassen.

Manchmal, bei meinen Nervenzusammenbrüchen da schenkte ich für wenige Sekunden glauben den Worten der Ärzte und warf ihr vor ihr Leben weggeworfen zu haben.

Dabei war ich es gewesen der wie Gott, mit leben und tot gespielt hatte und auch wenn ich damals gedachte hatte, dass ich Gott sei und ihr Leben verschonen könnte so wurde ich nur noch härter von dem Allmächtigen bestraft, mit einer Strafe... mit der ich bis zum Ende meines Lebens leben muss...

Als ich an der Spitze unseres Steges angekommen war, setzte ich mich auf dem Platz, auf dem ich mich vor Jahren, mit einer zweiten Person, hätte setzten sollen.

Wieso tat ich mir das auch jedes Jahr immer wieder aufs Neue an?, fragte ich mich im Kopf. «Wieso kann ich die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen?», sprach ich dann leise aus.

Ich musste nicht an unseren Ort gehen, wo ich sie fragen wollte. Ich musste nicht jedes Jahr den gleichen Weg gehen.
Ich musste nicht jedes Jahr zum Unfall.

Ich musste es nicht tun, aber aus irgendeinem Grund wollte ich, ich hatte einen Drang dazu.

Vielleicht, weil ich sie nicht vergessen konnte oder vielleicht auch, weil ich sie immernoch liebte, auch nach 50 Jahren...

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