𝔎apitel 8
𝔗ief war der Seufzer, der sich Castiels vollen Lippen entwand und er senkte den Blick. Aber was hatte er auch anderes zu hören erwartet? Natürlich hielt Ophelija ihm in diesem Augenblick das unwiderlegbare Argument seiner Natur wie einen Spiegel vor, dem er nicht entrinnen konnte. Es blieb nun einmal Fakt, dass er nicht aufhören würde - und könnte - Menschen zu verletzen oder letzten Endes zu töten.
Kurz darauf traf sein Blick jedoch wieder den Ihren und die Jägerin sah sich fast schon in der unendlichen Weite seiner blauen Iriden ertrinken. »Wie könnte ich Euch widersprechen, wo Ihr doch mit jedem Wort die Wahrheit sagt, auch wenn es eine harte und traurige ist. Ich kann Euch und auch niemand anderem versprechen mit dem aufzuhören, was nun einmal zu meiner verfluchten - verzeiht den Ausdruck, Lady Ducane - Natur gehört. Vorerst jedoch kann ich Euch versprechen, niemandem das Leben zu rauben. Euer Blut hat mir zwei Tage ohne Hunger geschenkt, welche ich nutzen werde, um an einer Lösung zu arbeiten, mit der hoffentlich beide Seiten, Ihr und meine Wenigkeit, leben können«, sagte Castiel ruhig, ließ sie dabei nicht aus den Augen. »Natürlich ist das nur ein geringer Trost. Ich erkenne das Misstrauen in Euren Augen, das ist mir keineswegs entgangen. Daher möchte ich Euch ein Angebot unterbreiten. Ich lade Euch erneut in mein bescheidenes Haus ein, in genau zwei Tagen. Dann werde ich eine Lösung gefunden haben, welche einen Kampf und meinen darauffolgenden Tod, welcher wohl gewiss ist, zu verhindern vermag.«
Welcher Vampir ist so diplomatisch?, schoss es Ophelija durch den Kopf, während sie noch versuchte, seinen Monolog zu verarbeiten. Und was für ein Nachtwesen empfindet Sympathie für seinen Erzfeind?
»Ich kann meine Natur nicht unterdrücken - keinesfalls!«, fuhr Castiel da schon fort, seine Tonlage etwas eindringlicher, fordernder. »Die Folgen wären entsetzlich. Nicht einmal ich möchte mir ausmalen, was geschieht, wenn ich meinem Drang, Nahrung zu mir zu nehmen, nicht nachgehe. Wie Ihr bereits sagtet, das Desaster des heutigen Abends hat es uns vor Augen geführt. Nichts läge mir ferner, als Euch zu einer Antwort zu drängen, aber mir bleibt in meiner Lage einfach keine andere Lösung, Lady Ophelija.«
Der Huntswoman kam ein leichtes Seufzen über die Lippen, als sie seinen Worten gelauscht hatten, die er so vorsichtig und ruhig wählte, wahrscheinlich weil er hoffte, dass er sie dadurch noch weiter beruhigen könnte. Damit die Situation sich zwischen den beiden nicht abermals anspannte. Sie hatte es wirklich nicht kommen sehen, dass alles in dieser Nacht so kompliziert werden würde, jedoch hatte sie schon beim Betreten von Sir Castiels Anwesen eine gewisse Vorahnung gehabt, dass etwas anders laufen würde als sonst - doch diese hatte sie bewusst bei Seite geschoben. Vielleicht hätte sie das nicht tun dürfen. Doch sich darüber den Kopf zu zerbrechen, würde im Augenblick auch zu keinem Ergebnis führen.
Castiel erwartete von ihr eine Antwort, auch wenn er ihr beteuerte, dass er sie zu keiner drängen würde. Da er aber genau wusste, dass sein Schicksal und der weitere Verlauf dieser Nacht einzig und allein an ihrer Entscheidung hingen, war auch Ophelija durchaus bewusst, dass sie diese am besten so schnell wie möglich treffen sollte. Doch nur wie? Eine Abmachung mit einem Vampir? Das erschien ihr so surreal, dass sie beinahe höchst undamenhaft gekichert hätte. Wer hätte ahnen können, dass dieser Tag so skurril enden würde?
Anhand seiner Formulierung schien sie jedoch langsam zu verstehen, warum sie das Gefühl hatte, dass Castiel anders als die Vampire war, mit denen sie es bisher zu tun hatte. Es schien so, als sei er nicht ganz zufrieden mit seiner Lage - sie persönlich wäre es nicht, wenn sie wüsste, dass ihre einzige Möglichkeit zu überleben darin bestand, andere Menschen zu verletzen und sogar in einem Anflug von Kontrollverlust - der jeden Vampir mal überkam, so sehr er sich auch dagegen sträubte - zu töten. Außerdem konnte sie sie sich vorstellen, dass die Einsamkeit ebenfalls nichts für Castiel war, auch, wenn er geradezu in ihr gefangen war, da sonst die Gefahr bestand, dass jemand sein wahres Wesen heraus fand.
Ophelija realisierte im Zuge dieses Gedankens, dass er mit ihr nun nicht mehr alleine war, denn sie wusste ganz genau, was er war und wie er am besten unter Kontrolle zu halten war. Doch sie schüttelte schnell diesen Kopf, fragte sich, woher dieser absurde Gedanke gekommen war. Es konnte doch keinesfalls sein, dass sie ebenfalls Sympathie für diesen Vampir empfand - oder etwa doch? Und Castiel hatte diese Worte vorhin ernst gemeint, oder nur gesagt, um sie zu beschwichtigen, ganz wie der Gentlemen, der er nun mal war?
Sie runzelte die Stirn, als sie nun darüber nachdachte, wie sie sein Angebot bewerten sollte. Es wäre riskant und zwar für beide von ihnen. Wenn einer von ihnen auch nur versuchen würde den jeweils anderen zu hintergehen, dann würde es zwangsläufig auf einen Kampf zwischen ihnen hinauslaufen - und den wollte Lady Ophelija irgendwie nicht wahr werden lassen. Doch sie wusste auch nicht, wie Castiel eine Lösung finden sollte, die sie zufriedenstellte.
Wer bin ich, dass ich von ihm erwarten kann seine Ernährungsgewohnheiten umzustellen?
Nein, da dachte sie falsch, denn sie war seine Erzfeindin und sie bedingten im Moment das Leben des jeweils anderen. Insofern konnte sie es schon erwarten. Sie wusste nur nicht, ob er im Gegenzug auch etwas von ihr verlangte. Wahrscheinlich, dass sie ihm versprach, nie wieder versuchen, ihn umzubringen, solange er sich an ihre Abmachung und seine Lösung, die er ihr präsentieren würde, hielt. Also blieb ihr wohl keine andere Wahl, als seinem Angebot zuzustimmen, wenn sie gleichzeitig verhindern wollte, dass ein Kampf zwischen den beiden ausbrach, von dem sie sich nicht sicher war, wer ihn gewinnen würde - auch, wenn sie an den Erfolg vor ein paar Monaten dachte.
»Sir Castiel, ich werde Eurem Angebot zustimmen und hoffe wirklich inständig für Euch, dass Ihr mir in zwei Tagen eine Lösung für unser Problem vorlegen könnt«, sagte sie leise und wunderte sich insgeheim darüber, dass ihre Stimme alles andere als stark klang, wie sie es eigentlich sollte. Der Abend hatte ihr ziemlich zugesetzt und lange würde sie ihre ruhige Fassade nicht mehr aufrecht halten können. Sie musste dringend auf ihr Anwesen zurück und brauchte Schlaf, um das Ganze zu verarbeiten. »Ich werde Euch im Gegenzug versprechen, dass ich Euch nie wieder behelligen werde, sollte mir Eure Lösung für ausreichend erscheinen.« Sie mochte es nicht, wie viel Skepsis noch immer in ihrer Stimme mitschwang, aber jahrelange Ausbildung würde sich wohl nicht so leicht verflüchtigen. »Ich für meinen Teil werde mir auch ein paar Gedanken darüber machen, wie sich die ganze Angelegenheit zwischen Euch und mir lösen lassen könnte - das verspreche ich Euch, Sir Worthington. Ich glaube, das ist in unserer beider Interesse.«
Die Erleichterung, welche sich bei ihrer Antwort auf seinem attraktiven Gesicht abzeichnete, war für Ophelija beinahe greifbar. Ein paar Sekunden später, hatte sich ein strahlendes Lächeln auf seinen weichen Lippen gebildet. Seine Zähne, die wahrscheinlich immer noch von ein paar Blutflecken betupft waren, zeigte der Lord allerdings nicht. Dennoch rief sich Lady Ducane diese Tatsache erneut ins Gedächtnis.
Auch in ihr machte sich eine gewisse Entlastung breit. Es mochte bei weitem kein ideales Übereinkommen sein, das sie beide getroffen hatten - und im Übrigen glaubte Ophelija auch nicht, dass es dieses überhaupt gab - und es würde nicht einfach werden, wirklich eine akzeptable Lösung zu finden, aber immerhin gab es ihnen beiden etwas Zeit. Selbst, wenn es nur eine Schonfrist war, bis sie sich erneut gegenüberstehen würden, war die Huntswoman bereit, diesen Versuch zu wagen. Es widersprach zwar all ihren Plänen und Prinzipien, jedoch hatte sie eindeutig die Menschlichkeit in Castiel gesehen und sie war gewillt herauszufinden, ob diese auch wirklich echt und kein Mittel für seine Zwecke war.
»Ich danke Euch vielmals. Ich werde Tag und Nacht nach einer Lösung suchen«, hob Castiel wieder an und neigte in feinster Manier den Kopf. »Diese Angelegenheit zu lösen liegt mit sehr am Herzen.« Lady Ducane wusste genau, dass sie sein Versprechen, er würde Tag und Nacht nach einer Lösung suchen wörtlich nehmen konnte, erforderte sein Lebenswandel doch keinerlei Schlaf, im Gegensatz zu dem Ihren. Sie wusste nur nicht, ob er wirklich fündig werden würde, sie hegte so einige Zweifel dagegen. Sie nahm sich vor, dass sie sich ebenfalls morgen auf die Suche begeben würde, sich durch alte Aufzeichnungen ihrer Ahnen forsten würde, um vielleicht einen Weg zu finden, diesen Kampf zwischen ihnen beiden zu vermeiden.
»Auch wenn ich es als äußerst schade empfinden würde, Euch niemals wieder zu Gesicht zu bekommen, Ophelija.« Erneut ließ der Braunhaarige ihren beinahe ungezwungen Titel weg, sprach sie nur beim Vornamen an. Sie konnte nicht recht einschätzen, ob er dies unbewusst oder bewusst getan hatte - gleichsam konnte sie nicht verstehen, warum ihr Herz bei der Art, wie ihm ihr Name über die Lippen glitt, einen Schlag lang aussetzte.
Lass dich bloß nicht von ihm einwickeln!, ermahnte sie ihre innere Stimme.
Beinahe, da es nun langsam wirklich um ihre Selbstbeherrschung geschehen war - der Abend, oder bessere gesagt die Nacht, hatten sehr an ihrer Konzentration und Energie gezehrt - hätte die junge Frau die Augen verdreht, wie es sich nun gar nicht für eine Lady ihres Standes schickte. Doch im geheimen tat Lady Ducane viele Dinge, die in den Augen ihrer Mitbürger wohl nicht als schicklich angesehen werden würden.
„Meine liebe Ophelija", hatte ihr Vater damals zu ihr gesagt, „du bist eine starke Frau. Und du bist visionär, modern. Lass dir das nicht nehmen." Wenn sie nun an die Worte ihres Vaters gedacht hatte, den sie ebenso sehr von Herzen geliebt hatte, wie er sie - auch wenn er an manchen Tagen ziemlich streng zu ihr gewesen war, wusste Ophelija doch nun, dass es nur zu ihrem Besten gewesen war - versank sie beinahe in einer Art melancholischen Nostalgie. Sie verstand selbst nicht, warum ihre Gedanken momentan so derartige Sprünge vollführten - sie konnte es sich nur so erklären, dass sie Erschöpfung sie nun unweigerlich überkam.
Daher lächelte sie nur schwach und sah Castiel weiterhin aufmerksam an, als er sich abermals bei ihr bedankte. Es war in der Tat so, dass er sein Leben vielleicht wirklich ihr zu verdanken hatte und den Entscheidungen, die sie heute bewusst und auch unbewusst getroffen hatte. Allerdings war es ihr dabei nicht nur um das Wohlergehen des Vampirs gegangen, sondern vor allem auch um ihres - so egoistisch das auch sein mochte, aber sie wollte als Letztes von ihm, Castiel, verletzt oder bezwungen werden. Sie versuchte im gleichen Moment einfach darüber hinwegzusehen, dass er ihren Titel ausgelassen hatte. Was brachte es jetzt noch, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum er dies tat, würden sich ihre Wege doch sowieso in wenigen Minuten für einige Tage trennen.
Sir Worthington richtete sich nun auf und warf einen Seitenblick auf die große Standuhr neben der Eingangstür des Salons. Als sie seinem Blick folgte, erkannte sie, dass der Abend schon längst vorbei und die halbe Nacht bereits verstrichen war. Manchmal erschien es ihr, als würde die Zeit während solcher Konfrontationen schneller durch das Stundenglas rieseln und ihr nicht nur Kraft, sondern auch kostbare Stunden rauben.
»Ich lasse Euch eine Kutsche rufen. Im Gegensatz zu mir, solltet Ihr vor Ende der Nacht noch etwas Ruhe finden«, riss Castiels warme, vollklingende Stimme sie wieder in die Gegenwart zurück und Ophelija nickte knapp. Sie war in ihn diesem Augenblick dankbar für seine Weitsichtigkeit. Es widersprach ihrem tiefsten Instinkt und doch befestigte sie den Pfahl wieder unter den zahlreichen Lagen ihres mitternachtsblauen Kleides. Während Castiel nun nach seinem Butler rief und ihn damit beauftragte, eine Kutsche zu organisieren, folgte die junge Frau ihm beinahe wie automatisch in den Flur und bis zur soliden Tür des Anwesens.
Überdeutlich vernahm sie das Pochen der Wunde in ihrer linken Handfläche. Eine Erinnerung daran, welchen Entschluss sie vor wenigen Minuten getroffen hatte. Ihr fröstelte, als Castiel das Portal öffnete und ein eisiger Windstoß ihre Rockschöße und die gelösten Locken ihrer Frisur erfasste und Ophelija wurde bewusst, dass sie dringend Schlaf benötigte.
Das Lächeln, mit welchem Castiel sie nun beachte war eher traurig denn charmant und bevor sie sich weiter darüber wundern konnte, sprach er den Grund dafür auch schon bei seiner Verabschiedung aus: »Trotz des tragischen Zwischenfalls muss ich doch sagen, dass mir der Abend sehr zugesagt hat, Lady Ophelija. Es war mit wahrlich eine Freude, Euch kennenzulernen und es betrübt mich, dass wir nun Abschied nehmen.«
Auch, denn die junge Frau es nicht so recht vor sich selbst zugeben wollte, da sie sich selbst gegenüber in eine ziemlich verzwickte Lage gebracht hätte, erging es ihr ziemlich ähnlich. Hätten sie sich unter anderen Umständen - nicht in der aufgebürdeten Todesfeindschaft; er kein Kind der Nacht, sie nicht seine Widersacherin - dann wäre sie sich sicher gewesen, dass sie sich eine Bekanntschaft, vielleicht sogar eine Freundschaft mi ihm hätte vorstellen können. Doch gefangen in ihrer vertrackten Situation blieb ihnen das wohl verwehrt. Eine Tatsache, sie sie gleichermaßen betrübt stimmte. Denn sie war sich sicher, dass sich ganz tief hinter der monströsen Natur, zu der Castiel verdammt war, ein wirklich guter und loyaler Mensch befand.
Sie verneigte sich ebenso wie er leicht vor ihm, machte einen Knicks, für den sie gerade noch genug Energie in ihren ermüdeten Gliedern aufbringen konnte und hoffte währenddessen inständig, dass er nicht weiter das Protokoll befolgen würde, welches einen Handkuss beinhaltete. Und glücklicherweise ließ er dies auch aus, weswegen sie ihm wirklich dankbar war. Sie wusste, dass die Versuchung bestimmt immer noch groß sein musste.
»Ich hoffe inständig, unser nächstes Treffen verläuft ohne solch schreckliche Ereignisse.« Die Stimme des Vampirs klang aufrichtig, sein Gesicht war ihr offen zugewandt.
Ihr müder, träger Kopf brachte auf seine Worte noch ein ehrlich gemeintes »Das hoffe ich ebenfalls, Sir Castiel« zu Stande. Nach einem weiteren Blick in seine unglaublich blauen Augen wandte sie sich von ihm ab und stieg vorsichtig die Treppen herab, darauf achtend, dass sie nicht versehentlich einen Schritt falsch setzte und stolpern würde. Selbst auf ein paar Meter Entfernung spürte Ophelija noch Castiels Blick auf sich, der eine kribbelnde Spur über ihren Rücken zog. Mittlerweile hatte schon wieder bereits die Dämmerung eingesetzt, die junge Dame fragte sich auf ihrem Weg zu der Kutsche, deren Tür ihr von dem Butler zuvorkommend offen gehalten und hinter ihr geschlossen wurde, wie die Zeit so schnell vergangen war. Die Stunden waren nur so dahin geflogen.
Erst, als die Kutsche sich in Bewegung setzte, bemerkte Ophelija, dass sie ihren hochwertigen Pelzmantel in der Garderobe von Sir Castiel vergessen hatte. Somit hatte sie nun wirklich einen Grund, hierher zurückkehren zu müssen. Aufgrund der Tatsache, dass es jetzt zwar nicht mehr schneite - was ohnehin keinen Unterschied gemacht hätte, da das Kutschendach sie vor dem Nass geschützt hätte - aber immer noch sehr kalt war, wie es nun mal im winterlichen London Tradition war, vermisste sie bereits nach wenigen Sekunden ihren warmen Mantel. Normalerweise hätte diese Frische ihrem ermüdeten Verstand wieder neue Kraft eingehaucht, doch nun schien es eher so, als würde er ihrem ermatteten Körper den letzten Funken Kraft rauben.
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