𝔎apitel 3
𝔅enebelt durch den süßlichen Duft ihres Blutes wirkte Castiels sorgloses Lächeln bereits nach einigen Sekunden immer gequälter, bis er es schließlich aufzugeben schien. Doch als er Ophelijas Blick erneut auf sich lasten zu spüren schien, bildete sich trotzdem wieder ein kleines Schmunzeln um seine Mundwinkel herum – als hätte er sich diese Manier über die endlosen Jahre seines Daseins angewöhnt und könnte sie nun nicht mehr so leicht ablegen. Im Prinzip die beste Tarnung, hätte Lady Ducane nicht genau gewusst, auf welche verräterischen Anzeichen sie noch zu achten hatte.
»Aber, aber ... Was würden wohl die anderen Ladies sagen, wenn sie Euch so sprechen hörten? Welch ein Skandal wäre das!«, flüsterte ihr Castiel zu und schickte seinen amüsierten Worten ein charmantes Lächeln und neckische Zwinkern hinterer. »Aber meine Lippen sind versiegelt, Lady ...?« Er sah Ophelija leicht fragend an und sie musste zugeben, dass er es geschickt in ihre Unterredung hatte einfließen lassen, um sie nicht direkt nach ihrem Namen zu fragen.
Ein ehrliches Lächeln unterdrückend, von dem Ophelija nicht einmal wusste, wieso es auf einmal in ihr aufstieg, blickte sie ihm nun wieder in die strahlend blauen Augen und erwiderte: »Oh, verzeiht mir, dass ich es versäumt habe, mich Euch vorzustellen. Was für eine Fahrlässigkeit, da Ihr doch mein Gastgeber seid!« Ganz in ihrer manierlichen Rolle als Edeldame der Londoner Gesellschaft, neigte sie leicht den Kopf, während sie sich Castiel gegenüber mit ihrem wahren Namen vorstellte. Eigentlich hatte sie gehofft, einen ihrer Decknamen benutzen zu können, doch dazu ergab sich nun nicht mehr die Chance; hatten die anderen Gäste Castiel gegenüber schon zu viel über sie ausgeplaudert.
Als sie ihren Kopf wieder hob, da erkannte Ophelija in Castiels Augen etwas, das sie beinahe zurückschrecken ließ. Stattdessen nippte sie noch einmal an ihrem Weinglas, darauf bedacht, immer nur kleine Schlückchen zu sich zu nehmen. Aber der Schimmer in den Augen des Vampires war mit einem Mal so weich und hell geworden, dass sie sich regelrecht dazu zwingen musste, sich selbst ins Gedächtnis zu rufen, was sie in diesem Moment mit so warmen Blick ansah.
Gut möglich, dass es Sir Castiel war, der Mutter ...– Nein, daran durfte sie im Moment nicht denken. Wenn Worthington auch nur den leisesten Hauch ihres Zornes spürte, dann konnte sie auch gleich ihre ganze Tarnung fallen lassen. Dennoch war es im Moment unerlässlich, dass Ophelija sich nicht von der menschlichen Fassade dieser Kreatur täuschen ließ. Wer wusste schon, wie viele Jahre oder Jahrhunderte Castiel es perfektioniert hatte, sich hinter dieser Maske an Charme und Harmlosigkeit zu verbergen – und wie viele unwissende Menschen dies das Leben gekostet hatte.
»Nun, Lady Ophelija«, sprach Castiel in diesem Augenblick weiter und seine Stimme klang dabei genauso warm, wie das Blau seiner Iriden funkelte, »Ich fühle mich keineswegs beleidigt, wie könnte ich auch bei solch reizender Gesellschaft.«
Lady Ducane vermochte es nicht einzuschätzen, ob es das war, was er sagte, oder ob es vielmehr daran lag, wie er es sagte, aber ihr schoss ein kaum vernehmbares Kribbeln durch den Körper und setzte sich in ihrem Nacken fest. Wie eine unsichtbare, aber stehts präsente Warnung davor, wer ihr Gesprächspartner wirklich war und was er im Stande sein konnte zu tun. Trotzdem musste sie es ihm lassen, dass er seine Komplimente vereinzelt und wohldosiert setzte, als wäre er immer darauf bedacht, keinen falschen Eindruck zu erwecken. In gewisser Weise waren sie sich vielleicht ähnlicher, als Ophelija sich je bereit war einzugestehen.
»Wenn ich so frei reden darf, fühle ich Euch ehrlich gesagt sogar nach«, ließ sich Sir Worthington weiter vernehmen, als sie lediglich weiterhin an dem fein gearbeiteten Kristallglas genippt hatte. Castiels Geschmack war wirklich sehr erlesen – auch wenn es mit größter Wahrscheinlichkeit sein Butler war, der die Spirituosen aussuchte. »Heute scheint kein guter Tag für mich zu sein. Ich fühle mich nicht sonderlich wohl und würde nur zu gerne Eurem Wunsch entsprechen, dieses Spektakel um uns herum zu beenden. Aber wir sind wohl zu gefangen in den gesellschaftlichen Konventionen ...«
Das Seufzen, welches der Lord seiner Aussage folgen ließ, kam ganz tief aus seinem Inneren und sein Unwohlsein war für Ophelija in diesem Augenblick beinahe greifbar. Es überraschte sie, dass das Kind der Nacht so ehrlich zu ihr war – andererseits würde er wohl nie von einer Lady wie ihr erwarten, dass sie sehr wohl zwischen den Zeilen seiner Worte lesen konnte. Noch mehr allerdings warf es sie aus der Bahn, dass sein Lächeln nun rundum offen war.
Doch im Grunde konnte Lady Ophelija nur froh darüber sein, dass Castiel bisher keinerlei Anzeichen dafür zeigte, dass er in irgendeiner Art und Weise einen Verdacht gegen sie hegte oder ihr misstraute. Wieso sollte er das auch? Als Huntswoman wusste sie immerhin ganz genau, wie sie sich zu verhalten hatte. Sie wurde von ihrer Geburt an dazu erzogen, sich genau wie alle anderen Damen ihres Standes zu betragen – wie eine wahre Lady. Und sie hatte Sir Worthington gegenüber auch nicht die Unwahrheit gesprochen, denn sie konnte solcherlei Veranstaltungen wirklich nicht besonders leiden.
Aber es gehörte sich nun mal, sich ab und an auf einer blicken zu lassen. Welch sein Glück, dass sich das so gut mit Ophelijas Berufung verbinden ließ. Nicht selten traf man die übelsten und skrupellosesten Blutsauger in der gehobenen Gesellschaft an. Das war nicht weiter verwunderlich, immerhin hatten sie die Mittel, sich möglichst unauffällig zu ernähren und sich gegebenenfalls einfach das Schweigen zu erkaufen, sollten sie erwischt werden.
Allerdings bemerkte die junge Frau sehr wohl, wie stark ihre Anwesenheit ihn gleichermaßen irritierte und es ihm wohl nicht so einfach machte, sich zu konzentrieren und beherrschen. Daran war zweifelsohne ihr reines Blut Schuld, dessen Geruch ihn zu ihr zog wie die Motten zum Schein einer Lampe. Unvermittelt trat Castiel Worthington einen Schritt vor ihr zurück, wich jedoch nicht von seinem charmanten Lächeln ab. Nur wenn Ophelija ihn ganz aufmerksam betrachtete, konnte sie die feine Falte direkt zwischen seinen Augenbrauen erkennen.
»Darf ich Euch noch etwas anbieten? Mein Butler hat ein Händchen für die süßesten Köstlichkeiten«, fragte er sie mit seiner beinahe betörend schönen Stimme, wahrscheinlich in der Hoffnung, ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken zu wollen. In ebenjenem Moment trat der besagte Butler durch die schwere Salontür, in jeder behandschuhten Hand ein Tablett voller Canapés tragend.
Doch das winkte Ophelija sogleich mit einem höflichen Lächeln ab. Alles Süße, was sie zu sich nehmen würde, würde ihr Blut für Castiel nur noch unwiderstehlicher machen und sie konnte es nicht riskieren, dass er bereits jetzt die Kontrolle verlor. Sein ganzes Auftreten war nach außen hin zwar immer noch genauso souverän wie anfangs, doch die Huntswoman bemerkte – wohl anders als alle anderen Anwesenden in diesem Raum –, dass er seine Aufmerksamkeit immer mehr darauf verwenden musste, seinem inneren Verlangen nicht nachzugeben. Seine Nasenflügel bebten fast unmerklich, als Ophelija ihren Kopf leicht zu ihm wandte und einmal kurz ihren Blick über sein Gesicht wandern ließ. Dann lächelte sie ihn offenherzig an, als würde sie nichts von seinem Dilemma ahnen.
»Gehört es nicht gewissermaßen auch zu den Konventionen, in denen wir – wie Ihr bereits anmerktet – gefangen sind, dass der Gastgeber nicht nur mit seinen Gästen Konversation betreibt, sondern sie ebenfalls zu dem ein oder anderen Tanz auffordert? Es wäre mir persönlich jedenfalls ein lieber Zeitvertreib.« Diese Worte verließen regelrecht spontan und ungeplant die Lippen der jungen Frau. Dennoch waren sie nicht gänzlich gedankenlos gewesen. Indes sie Castiel bei sich in der Nähe behielt, konnte sie weiterhin sein Verhalten beobachten. Zusätzlich konnte sie so sicherstellen, dass er sich keiner anderen Dame näherte, die sich nicht so gut zur Wehr setzen konnte.
Während sie auf Castiels Antwort wartete, beobachtete Ophelija, wie die Stimmung der Gesellschaft immer gelöster und zügelloser wurde. Daran war der Alkohol, der immer vermehrter ausgeschenkt wurde, wohl nicht ganz unschuldig. Sie selbst sollte sich deswegen nur an dieses eine Glas süßen Weines halten, um ihre Reflexe weiterhin gut im Griff zu haben.
Nicht ohne Grund hatte sie ihren Blick auf etwas anderes gerichtet, als sie bemerkte, dass Castiel ihre Seitenblicke nun eindeutig mitbekommen hatte, mit denen sie ihn taxiert hatte. Es war für sie an der Zeit, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Sie war schon zu dicht an ihrem Ziel, um sich noch einen Fehltritt zu erlauben.
Nun verneigte sich Sir Castiel vor ihr und ließ wieder sein leises, melodisches Lachen ertönen. Jenes hätte ihr beinahe das Herz erwärmt, hätte Ophelija sich nicht in Erinnerung gerufen, dass Castiel ein Vampir war. »Du liebe Güte, wie konnte ich nur meine guten Manieren vergessen!«, rief der Braunhaarige aus und hielt ihr die offene Hand hin. Wenn sie nicht irrte, sah seine Hand blasser aus als noch vor ein paar Minuten. »Darf ich Euch um diesen Tanz bitten, Lady Ophelija?«
Die Tatsache ignorierend, welch ein zwiespältiges Gefühl es in ihr auslöste, ihren Namen aus seinem Mund zu hören, legte sie ihre Hand in einer anmutigen Geste in seine. Seine Haut fühlte sich beinahe beruhigend kühl auf der Ihren an, wenn es dadurch bedingt wäre, dass kein Tropfen seines eigenen Blutes durch seinen Körper floss.
»Es wäre mir ein außerordentliches Vergnügen, Castiel.« Das nun schon fast ausgetrunkene Weinglas auf einem der kleinen Stehtischchen abstellend, ließ sich Ophelija widerstandslos von ihrem Gastgeber auf die freie Fläche inmitten des Saals führen. Wenn es eine Sache gab, die die junge Frau an solchen Abenden genoss, dann war es das Tanzen.
Während sie mit Sir Castiel über die Tanzfläche schwebte, bemerkte Lady Ducane, dass der Vampir immer blasser wurde und auch seine Hände im Laufe der Zeit immer weiter verkrampften, als er sie in rhythmischen Kreisen durch den Saal führte. Wahrscheinlich war sein Verlangen, sich zu nähren, bereits ins Unermessliche gestiegen. Soweit es der Huntswoman bekannt war, hatte sich Castiel das letzte Mal vor über fünfunddreißig Stunden das letzte Mal genährt – und das war eine lange Zeit, selbst für einen Vampir, der Erfahrungen damit hatte, seinen Hunger eine Zeit lang zu unterdrücken.
Vampire konnten bis zu einem Jahr ohne Blutzufuhr überleben, doch erst ab einem bestimmten Alter. Er war noch viel zu jung. Hundert Jahre waren nichts im Leben einer Nachtkreatur. Zählte man seine Zeit auf Erden in Vampirjahren galt er noch als Kind. Er brauchte viel Nahrung und vor allem brauchte er sie oft. Hinzu kam wahrscheinlich auch noch der besondere Geruch ihres Blutes. Castiel und auch sie selbst sollten dankbar sein, dass sie die Süßspeisen abgelehnt hatte, sonst würde er wohl die Beherrschung verlieren.
Ophelija glitt in den Händen des Vampirs noch ein paar weitere Minuten über die Tanzfläche und versuchte sich alle Besonderheiten ihrer Umgebung einzuprägen. Die Stimmung war mittlerweile auf dem Höhepunkt und sowohl ihr als auch Castiel war wohl bewusst, dass es bald nicht mehr im Gedränge auffallen würde, wenn Castiel sich des Blutes einer hier anwesenden Dame bereichern würde.
Aber die junge Frau dachte nicht, dass Sir Castiel dieses Risiko eingehen würde, dass doch jemand realisierte, was er dort machte. Also würde er mit der höchsten Wahrscheinlichkeit fast all seine Gäste nach Hause schicken, auf seine üblich galante Art, ohne dass es ihm einer übel nehmen würde. Und dann ... Nun dann müssten wohl die noch übrig gebliebenen Damen als sein Dinner herhalten.
Was Lady Ophelija wohl oder übel versuchen würde zu verhindern.
Sie bemerkte, wie ihr von der Tanzerei und dem Glas Wein, dass sie zuvor getrunken hatte, ein bisschen schwindelig wurde und beschloss, sobald der Tanz beendet war, einen kurzen Moment an die frische Luft zu gehen. Sie hoffte nur, dass in dieser kurzen Zeit ihrer Abwesenheit nichts passieren wurde – sonst wäre ihre ganze Arbeit umsonst und diese Nachlässigkeit würde sie sich nicht verzeihen. Immerhin stand dadurch das Leben von einigen Menschen auf dem Spiel.
Mit leisem Schrecken spürte Ophelija, wie der Holzpfahl, den sie unter den unzähligen Stofflagen ihres dunkelblau funkelnden Kleides trug, langsam ein bisschen zu verrutschen begann. Sie bemühte sich trotzdem, sich so elegant und beschwingt wie möglich zusammen mit Castiel über die Tanzfläche zu bewegen, damit er keinen Verdacht in jeglicher Hinsicht schöpfte.
Dabei bemerkte sie ebenfalls, wie Castiel, während er die Tanzschritte trotzdem genauso beibehielt, wie davor, seine Aufmerksamkeit wieder auf Lady Miranda richtete, die seinen Blick wohl zu bemerken schien und daraufhin errötete. Ja, es war nicht leicht Castiels Charme zu entkommen, das merkte Ophelija ebenfalls, obwohl sie von Haus aus gegen solche Maschen gefeit war. Genau dieser Charme und diese Höflichkeit, die die meisten Vampire nahezu perfekt beherrschten, machten sie so gefährlich.
Es war einfacher ein Monster zu töten, als einen raffinierten Blutsauger. Vor allem, wenn er Jahrzehnte Zeit gehabt hatte, seine Fähigkeiten und Techniken zu perfektionieren.
Plötzlich lösten sich die Hände des Vampires von den Ihren und sie sah ihn etwas überrascht an, obwohl sie es eigentlich nicht war. Bestimmt musste es mittlerweile eine Qual sein, sich zurückzuhalten, um nicht über jemanden herzufallen. »Ihr seid wirklich eine wunderbare Tänzerin, Ophelija. Es würde mich sehr erfreuen, dies einmal zu wiederholen.«
Ophelija lächelte nur verzückt, als er sie mit diesem Kompliment beehrte, doch verdrehte im Geiste einmal kurz ihre jadegrünen Augen. Es war wirklich nicht leicht, nicht dahin zu schmelzen, wenn man Castiel so lächeln sah, wie er es im Augenblick tat. Doch die Tatsache, dass sich hinter den vollen Lippen scharfe Reißzähne befanden, riefen sie wieder zur Vernunft.
»Sir Castiel, es wäre mit eine Ehre, wenn sich dies wiederholen ließe«, erwiderte sie und neigte ebenfalls den Kopf, um sich für den Tanz zu bedanken, während sie noch leicht knickste, wie es sich nun mal gehörte. Leider verrutschte dabei der Holzpflock erneut um ein paar quälende Millimeter. »Mylord, ich möchte Euch nicht länger aufhalten, immerhin habt Ihr auch noch andere Gäste hier«, sprach sie nichtsdestotrotz unbeirrt weiter, »aber könnt Ihr mir bitte sagen, ob Ihr über eine Terrasse verfügt? Ich befürchte, ich könnte etwas frische Luft vertragen.«
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