𝔎apitel 10
𝔈rst nachdem Castiel ihr den Mantel höflich abgenommen und eigenhändig zu ihrem anderen, welchen sie letztes Mal dort gelassen hatte, hängte und sie in den feuerbeheizten Salon führte, bemerkte sie, dass sie ganz vergaß, etwas aus der Manteltasche zu nehmen, was sie Castiel noch überreichen wollte. Sie würde hoffentlich später noch dazu die Gelegenheit bekommen.
Ophelija war nicht wirklich überrascht, als sie den wunderbar hergerichteten Raum sah. Die ganzen Appetithäppchen, die der Butler des Vampires wahrscheinlich extra für sie auftischte, glänzten im gedämpften Schein des Kaminfeuers und beim näheren Herantreten vernahm sie den wunderbaren Duft. Natürlich, Castiel war in ihren Kreisen für seine überaus großzügige Gastfreundlichkeit bekannt und genau dadurch war er erst in das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gerückt. Es bewahrheitete sich im Nachhinein, dass Castiel sowohl ein Vampir war, trotz dessen aber auch ein sehr geselliger Zeitgenosse.
Über das sanfte Prasseln des Feuers hinweg erhob Castiel erneut die Stimme. »Ich hoffe, die Kleinigkeiten, die mein Butler Euch bereitet hat, sagen Euch zu. Ich kann es leider selbst nicht beurteilen, verzeiht ...« Ein unsicheres Lachen kam über seine Lippen. Machte ihm das Treffen denn so zu schaffen? Offenbar schon. Zu wichtig war das heute für sie beide und zu viel – unter anderem ihrer beider Leben – hing am seidenen Faden.
Doch Ophelija überging seine Anmerkung bezüglich des Essens gekonnt und so manierlich, wie es sich für eine Dame ihres Standen geziemte. Sie hatte den wehmütigen Blick erkannt, welchen er den Köstlichkeiten beim Betreten des Raumes zuwarf. Ob er sich noch daran erinnerte, wie die dort platzierten Dinge schmeckten? Dank ihrer Recherchen am gestrigen Abend hatte Lady Ducane in Erfahrung gebracht, wie es sich mit normalen Speisen bei Vampires verhielt: Jegliches sterbliches Essen, das ein Kind der Nacht zu sich nahm, schmeckte verfault, verdorben, gegoren, als würde es das Alter seines Körpers annehmen. Zweifelsohne würde ihm sofort übel werden, sollte er mit dem Gedanken spielen, die hier stehenden Speisen zu sich zu nehmen.
Nachdem sie sich auf einen galanten Wink hin den Sessel gesetzt hatte, den Castiel ihr anbot, war sie nicht im Stande, etwas von diesen köstlichen Essen anzurühren, geschweige denn zu essen – dazu war sie schlichtweg zu nervös und aufgeregt, wie der weitere Abend von nun an verlaufen würde. »Sir Castiel, ich möchte Eure Mühen keineswegs verschmähen, jedoch steht mir momentan nicht der Sinn dazu, etwas zu mir zu nehmen. Ich hoffe, Ihr seht es mir nach«, brachte sie ihm eine Entschuldigung entgegen, da sie keinesfalls unhöflich wirken wollte. Sie vernahm, dass Castiel seitdem er der jungen Frau die Tür geöffnet und sie empfangen hatte, ebenfalls immer unruhiger wurde – welch ein Unterschied zu seiner sonst so soliden Gelassenheit, die er bei ihrem ersten Aufeinandertreffen an den Tag legte. Zumindest bis ihn der Hunger nach Blut fast wahnsinnig gemacht und um den Verstand gebracht hatte.
Wieso habe ich in diesem Moment nicht einfach zugeschlagen? Den Pflock hatte ich doch bereits im Anschlag. Sie wusste sich nicht zu helfen, denn Lady Ducane konnte einfach keine Antwort auf diese Frage geben – keine, die mit Vernunft oder Logik hätte begründet werden können.
Doch das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Für sie stand fest, dass sie ihn nicht angreifen oder versuchen würde zu töten, wenn erwiesen werden könnte, dass es einen Ausweg dafür gab, dass nicht noch mehr unschuldige Menschen durch seine Hand sterben würden. Sie konnte nur hoffen, dass ihre vage Vermutung, die ihr in ihrem eigenen Heim mitten in der Nacht in den Kopf gekommen war, sich vielleicht durch ein Dokument, das sich in Castiels Besitz befand, bestätigen ließe.
Sie widmete Castiel nun ihre volle Aufmerksamkeit und verfolgte jedes seiner Wörter, die ihm nun über die Lippen kamen. »Ich habe sehr lange gebraucht. Beinahe die ganzen zwei Tage habe ich gesucht, um eine Lösung zu finden.« Während er sprach, griff er nach einer Schriftrolle, die neben dem Tablett auf der Tischplatte gelegen hatte. Langsam drehte er diese nun zwischen seinen Händen, zögernd. »Aber ich habe schlussendlich eine Lösung gefunden.« Abermals eine Pause. »Allerdings ist diese nicht besonders angenehm. Es ist ... schwierig. In einem alten Manuskript aus dem antiken Rom habe ich einen Text von einem meines Schlages gefunden. Er beschreibt einen Methode, wie ein Vampir an Blut kommen kann, ohne dabei jemanden beißen und damit schlimmstenfalls infizieren zu müssen. Für diese Methode benötigte er aber permanente Hilfe ... Ich denke, als eine Lady Eures Standes seid Ihr des Lateins mächtig, Ophelija. Ich vermute, es ist das Beste, wenn Ihr es selbst lest.«
Das, was Sir Worthington da aussagte, klang am Anfang etwas latent, doch vielleicht war das genau seine Absicht, da ihm die Lösung, die er angab gefunden zu haben, vielleicht nicht ganz behagte. Sie kam nicht darum herum, die Stirn leicht fragend zu runzeln, als er ihr die Schriftrolle nun überreichte und ihr erklärte, sie solle sich den Inhalt am besten selbst durchlesen. Ein bisschen neugierig war sie schon, nach dem, was er bis jetzt hatte verlauten lassen.
Da Ophelija aufgrund ihres Standes dazu verpflichtet war, sich in den alten Sprachen zu bilden und dies auch – bei Latein aber eher mit großen Widerwillen – getan hatte, nickte sie auf seine Worte hin nur stumm und entrollte mit größter Vorsicht das vergilbte, leicht bröcklige Pergament, das wohl die Teilstücke einer Memoire sein mussten. Es dauerte ein bisschen, bis sich die alte Sprache in ihrem Kopf zu englischen Wörtern formten, denn seit dem Tod ihres Vaters hatte sie diesen Bereich ihrer Ausbildung eher ziemlich schleifen lassen. Sie bemerkte am Rande, dass Sir Castiel nun seinen Platz im Sessel verließ und ungeduldig durch den Raum schritt. Das musste eine Angewohnheit von ihn sein, denn er tat dies ziemlich oft, wie Ophelija in diesem Moment bemerkte. Um ihn nicht länger warten zu lassen und seine Nervosität unnötig zu steigern, beeilte Ophelija sich mit den letzten Sätzen, bis sie den ersten Abschnitt vollständig ins Englische übersetzen konnte:
ℑ𝔠𝔥 𝔥𝔞𝔟𝔢 𝔤𝔢𝔩𝔢𝔯𝔫𝔱 𝔷𝔲 𝔩𝔢𝔟𝔢𝔫 𝔬𝔥𝔫𝔢 𝔧𝔢𝔪𝔞𝔫𝔡𝔢𝔫 𝔷𝔲 𝔱ö𝔱𝔢𝔫. 𝔖𝔬 𝔩𝔞𝔫𝔤𝔢 𝔥𝔞𝔟𝔢𝔫 𝔪𝔦𝔠𝔥 𝔲𝔫𝔢𝔫𝔡𝔩𝔦𝔠𝔥𝔢 𝔖𝔠𝔥𝔲𝔩𝔡𝔤𝔢𝔣ü𝔥𝔩𝔢 𝔤𝔢𝔭𝔩𝔞𝔤𝔱 𝔲𝔫𝔡 𝔤𝔢𝔮𝔲ä𝔩𝔱, 𝔪𝔦𝔠𝔥 𝔟𝔢𝔦𝔫𝔞𝔥𝔢 ü𝔟𝔢𝔯𝔴ä𝔩𝔱𝔦𝔤𝔱. 𝔇𝔬𝔠𝔥 𝔫𝔲𝔫, 𝔫𝔞𝔠𝔥 𝔞𝔩𝔩 𝔡𝔦𝔢𝔰𝔢𝔫 𝔍𝔞𝔥𝔯𝔢𝔫 𝔥𝔞𝔟𝔢 𝔦𝔠𝔥 𝔡𝔦𝔢 𝔏ö𝔰𝔲𝔫𝔤 𝔤𝔢𝔣𝔲𝔫𝔡𝔢𝔫. 𝔐𝔢𝔦𝔫𝔢 𝔤𝔢𝔩𝔦𝔢𝔟𝔱𝔢 𝔏𝔦𝔳𝔦𝔞 𝔥𝔞𝔱 𝔰𝔦𝔢 𝔪𝔦𝔯 𝔷𝔲 𝔉üß𝔢𝔫 𝔤𝔢𝔩𝔢𝔤𝔱: ℑ𝔥𝔯 𝔢𝔦𝔤𝔢𝔫𝔢𝔰 𝔅𝔩𝔲𝔱. 𝔅𝔢𝔦 𝔢𝔦𝔫𝔢𝔪 𝔄𝔯𝔷𝔱 𝔥𝔞𝔱 𝔰𝔦𝔢 𝔢𝔰 𝔞𝔟𝔫𝔢𝔥𝔪𝔢𝔫 𝔩𝔞𝔰𝔰𝔢𝔫 𝔲𝔫𝔡 𝔪𝔦𝔯 𝔦𝔫 𝔢𝔦𝔫𝔢𝔯 𝔖𝔠𝔥ü𝔰𝔰𝔢𝔩 𝔭𝔯ä𝔰𝔢𝔫𝔱𝔦𝔢𝔯𝔱. 𝔒𝔥𝔫𝔢 𝔡𝔞𝔰𝔰 𝔦𝔠𝔥 𝔰𝔦𝔢 𝔟𝔢𝔦ß𝔢𝔫 𝔲𝔫𝔡 𝔰𝔬𝔪𝔦𝔱 𝔦𝔫𝔣𝔦𝔷𝔦𝔢𝔯𝔢𝔫 𝔪𝔲𝔰𝔰, 𝔳𝔢𝔯𝔰𝔬𝔯𝔤𝔱 𝔰𝔦𝔢 𝔪𝔦𝔠𝔥 𝔧𝔢𝔱𝔷𝔱 𝔪𝔦𝔱 𝔑𝔞𝔥𝔯𝔲𝔫𝔤 𝔲𝔫𝔡 𝔰𝔬𝔴𝔬𝔥𝔩 𝔰𝔦𝔢, 𝔞𝔩𝔰 𝔞𝔲𝔠𝔥 𝔦𝔠𝔥 𝔰𝔦𝔫𝔡 𝔳𝔬𝔯 𝔪𝔢𝔦𝔫𝔢𝔪 𝔤𝔯𝔞𝔲𝔰𝔦𝔤𝔢𝔫 𝔑𝔞𝔱𝔲𝔯𝔢𝔩𝔩 𝔤𝔢𝔰𝔠𝔥ü𝔱𝔷𝔱 ...
Der Rest der Worte war nicht mehr zu entziffern. Lady Ducane meinte jedoch verstanden zu haben, dass diese Schrift unter Kaiser Augustus verfasst worden war, von einem seiner Senatoren. Dieser Mann hatte im Geheimen als Vampir gelebt, durch dieses gewichtete Geheimnis und seine gefährliche Natur von seiner Geliebten, Livia, getrennt, bis diese ihm schließlich die Lösung für seinen ewigen Blutdurst überbrachte.
Während Ophelija sich noch einmal das Gelesene durch den Kopf gehen ließ, hätte sie beinahe gelächelt, doch wurde dann wieder von den hastig ausgestoßenen Worten von Castiel abgelenkt. »Mir ist gewahr, dass dies nicht die beste Lösung darstellt, aber ich habe Stunde um Stunde gesucht, dabei keine Aufzeichnung ausgelassen. Das erste Mal seit meiner Verwandlung habe ich tatsächlich so etwas wie Müdigkeit verspürt. Glaubt mir, wenn ich Euch sage: Es gibt keine andere Lösung. Meine ganze Sammlung an Schriften habe ich durchforstet. Natürlich kann es sein, dass ich etwas übersehen habe, aber das wäre mehr als unwahrscheinlich. Die einzige Hoffnung für dieses Dilemma wäre, wenn Ihr auf etwas gestoßen wäret, Lady Ophelija.«
Sie bedauerte es fast, dass sie ihm leider keinen anderen Weg zeigen konnte, geschweige denn einen Beweis, dass diese Worte auf dieser Schriftrolle sich wirklich fundieren ließen, doch sie wusste auch, dass sie im Grunde keine andere Wahl hatten. Und sie war sich sicher, dass sie dieses Opfer bereit sein würde einzugehen, wenn es bedeutete, dass andere Menschen dadurch in Sicherheit gebracht werden konnten. Doch Castiel hingegen musste sich wohl auch der Tatsache bewusst sein, dass er sich mit dieser Möglichkeit beinahe ein eine Abhängigkeit zu ihr – oder besser gesagt ihrem Blut – begeben würde. Konnte sie das wirklich von ihm verlangen?
Die Jägerin schüttelte ganz leicht den Kopf, damit ihre Gedanken wieder etwas aufklärten, sich sortierten und um Castiel nun mit der ruhigen Stimme, die sie glücklicherweise im Stande war aufzubringen, mitteilen zu können, was sie dachte. »Sir Castiel, es betrübt mich durchaus, Euch gestehen zu müssen, dass ich in meinen Sammlungen und Familienschriften bedauerlicherweise nicht fündig geworden bin. Es gibt keinerlei Dokumente in meinem Besitz, die eine andere Lösung für diese Angelegenheit bereitstellen können ...« Sie machte eine kleine Pause und sah, wie der Hoffnungsschimmer, welcher in seinen Augen geglommen hatte, erlosch – und das hat ihr in der Seele weh. Auch sie hatte gehofft, dass es noch einen anderen Ausweg geben würde. »Jedoch meine ich schon mal etwas von so einem Fall, wie es in diesem Schriftstück beschrieben ist«, sie nickte zu dem Pergament, dass sie nun wieder zusammengerollt auf einen freien Platz auf dem Tisch gelegt hatte, »gehört zu haben.«
Und sie war sich nicht sicher, ob sowohl sie als auch Castiel wirklich bereit sein würden, eine derartige Abmachung zu schließen, da sie insbesondere Vertrauen verlangte. Sie beide lebten ein Leben, in dem es besser und sicherer für sie war, wenn sie grundsätzlich alle Dinge hinterfragten und misstrauisch betrachteten – schließlich wussten sie nie, wo die nächste Gefahr lauern konnte.
Voller Enttäuschung, die seine himmelblauen Augen umwölkte, fuhr der Lord sich durch das seidig braune Haar. »Das hatte ich befürchtet ...«, murmelte er so leise, dass Ophelija sich in dem dunkelroten Armsessel ein paar Zentimeter nach vorne lehnen musste, um ihn besser zu verstehen. Alleine, dass sie dies tat, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie dicht sie und vor allem ihr Hals ihm nun war und wie gefährlich das sein konnte, führte ihr vor Augen, dass sie dem charismatischen Vampir mehr vertraute, als sie gedacht hatte.
Castiels Blick senkte sich auf seine mittlerweile im Schoß verschränkte Hände. Die nächsten Worte kamen langsam, als wählte er sie mit äußerstem Bedacht. »Ich kann unmöglich von Euch verlangen, dass Ihr Euch so sehr an mich bindet und mir Euer Blut zur Verfügung stellt. Es würde Euch schwächen und sich Eurer Berufung entgegenstellen. Auch weiß ich nicht, ob ich Euch genügend Vertrauen entgegenbringe, um eine solche Verbindung einzugehen – verzeiht mir. Aber ich werde diese Nacht auf keinen Fall mit einem Kampf enden lassen, Lady Ophelija. So möchte ich dieses Treffen nicht abhalten und auch nicht so mit Euch auseinandergehen.« Er machte eine kurze Pause und in der bedeutungsvollen Stille wanderten seine Augen über ihr Gesicht. Ophelija zwang sich dazu, keine Regung erkennen zu lassen. »Ich denke, dass ich Euch vertrauen kann und deswegen denke ich ebenfalls, dass es einen Versuch wert ist. Wir könnten es probieren und sehen, ob es funktionieren kann«, schlug er dann vor. »Aber die Entscheidung obliegt ganz Euch«, fügte er nach wenigen Sekunden noch hinzu.
Lady Ducane war noch dabei, seine Worte zu verarbeiten, da hatte der Lord sich bereits wieder aus seinem Polstersitz erhoben und lief angespannt durch den Salon. Am Fenster, hinter dessen Butzenscheiben sich immer noch der Schnee tummelte, blieb er stehen und sah hinaus. Das Schweigen zwischen ihnen lud sich auf, war gleichsam spannungsgeladen und doch ... recht angenehm.
Schließlich drehte der Vampir wieder seinen Kopf zu der Jägerin herum. »Es gibt da noch etwas ... Dieses Pergament hat mich auf eine Idee gebracht. Ich bin nicht der einzige Vampir, der mit sich zu kämpfen hat. Es gibt noch andere wie mich, andere die nicht wissen, dass sie wohlmöglich nicht verloren sind. Sollte der beschriebene Weg funktionieren, würde ich ihnen gerne helfen. Ihr seid aber Diejenige, die sich mit der Jagd und dem Aufspüren von Wesen wie mir auskennt. Wenn Ihr mir helft, andere wie mich zu finden und ihnen zu helfen oder zumindest einen Lösungsweg aufzuzeigen, würde ich Euch für die Jagd nach Uneinsichtigen meine Sammlung und mein Wissen zur Verfügung stellen.«
Nachdem diese Offenbarung nur so aus ihm hervorgesprudelt kam, verfiel Castiel in erneutes Schweigen und ließ Ophelija somit genug Zeit, seinen Plan zu überdenken – auf ihn einzugehen oder ihn zu verwerfen.
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