Z W E I
Der Morgengrauen brachte nur eine flüchtige Stille. Das Schloss von Ilathien erwachte langsam aus dem eisigen Griff der Nacht, doch die Ruhe war trügerisch. Die Nachricht vom Anschlag auf den Kronprinz hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, und die gesamte Burg war von einer bedrückenden Anspannung durchzogen.
Prinzessin Elara schlich sich durch die kühlen Korridore des Schlosses, umgeben von der geheimnisvollen Dunkelheit, die noch vor der Morgensonne die Mauern durchdrang. Ihr Herz schlug schnell, ihre Gedanken waren ein Wirbelsturm aus Sorge und Entschlossenheit. Die Szenen der letzten Nacht waren sich in ihren Gedanken eingebrannt. Sie hatte alles gesehen – die verzweifelte Königinmutter, den verletzten Prinzen, und den entschlossenen Gawain. Und in all dem Chaos war eine einzige Frage in ihrem Geist wieder und wieder aufgeblitzt: Wer konnte es gewagt haben, einen solchen Anschlag zu planen?
Elara wandte sich dem alten Bibliotheksflügel des Schlosses zu, einem Ort, den sie oft aufgesucht hatte, um Ruhe und Einsicht zu finden. Der Raum war riesig und von hohen Regalen gesäumt, die mit antiken Büchern und Manuskripten gefüllt waren. Die Stille hier war fast greifbar. Elara lief zwischen den Regalen umher, ihre Finger streiften über die alten Lederrücken der Bücher, während sie nach einem speziellen Band suchte.
Die Bibliothek war ein Ort der Geschichte, und Elara wusste, dass dort Antworten verborgen sein könnten – Antworten über vergangene Verschwörungen, dunkle Geheimnisse und die wahren Verhältnisse innerhalb des Königshauses. Ihre Familie hatte viele Feinde, und selbst im Inneren des Schlosses konnte man sich nicht sicher wissen.
Als sie schließlich den gesuchten Band fand – ein altes, staubiges Buch mit dem Titel „Die Schatten" – ließ sie sich auf einen nahegelegenen Tisch sinken. Mit zitternden Händen öffnete sie das Buch und begann, die vergilbten Seiten durchzublättern. Die Worte waren schwer zu entziffern, doch Elara war entschlossen, den Text zu entschlüsseln. Ihre Augen brannten von Müdigkeit, aber sie konnte sich nicht erlauben, nachzulassen.
„Verschwörungen und Anschläge", murmelte sie, „sie sind seit Jahrhunderten Teil dieses Hauses."
Die Stunden vergingen, und der Raum war nur vom fahlen Licht der heraufdämmernden Sonne durchzogen. Als Elara die düstere Geschichte einer vergangenen Rebellion las, in der die Königsfamilie vor Jahrzehnten verraten worden war, erkannte sie einige Parallelen zu dem Ereigniss der letzten Nacht.
Plötzlich wurde die Stille durch das Geräusch hastiger Schritte unterbrochen. Elara schloss das Buch schnell und versteckte es in einem Geheimfach unter dem Tisch, als die Tür zur Bibliothek aufgerissen wurde. Es war Gawain, seine Rüstung glänzte im Morgengrauen, und seine Augen zeigten einen untypischen Ausdruck der Besorgnis.
„Prinzessin Elara", sagte er, seine Stimme ernst und angespannt. „Wir müssen sprechen. Es gibt dringende Neuigkeiten."
Elara erhob sich und sah ihn mit entschlossener Miene an. „Was ist los, Ser Gawain?"
„Die Lage ist ernster als wir dachten", begann Gawain. „Es gibt Hinweise darauf, dass der Anschlag nicht nur ein isolierter Vorfall war. Wir haben Berichte über verdächtige Aktivitäten im gesamten Königreich erhalten. Einige unserer Spione berichten von unerklärlichen Bewegungen in den Grenzregionen, und es scheint, als ob jemand versucht, die Situation zu ihrem Vorteil auszunutzen."
Elara runzelte die Stirn. „Das deutet darauf hin, dass die Verschwörung möglicherweise weitreichender ist, als wir zunächst angenommen haben."
„Genau", bestätigte Gawain. „Und ich fürchte, wir können niemandem im Schloss trauen, bis wir herausgefunden haben, wer hinter allem steckt. Deine Mutter und der Prinz sind in großer Gefahr, und wir müssen herausfinden, wer die Drahtzieher sind, bevor es zu spät ist."
Elara nickte. „Ich werde nicht untätig bleiben. Ich werde alles tun, um herauszufinden, wer uns verraten hat. Aber ich brauche deine Hilfe, Gawain. Und ich brauche alle Informationen, die du sammeln kannst."
Gawain nickte zustimmend. „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun. Es gibt auch noch etwas, das ich dir zeigen muss."
Gawain führte Elara aus der Bibliothek und in einen geheimen Nebenraum, der hinter einer versteckten Wand verborgen war. Der Raum war voll mit Karten, Dokumenten und Aufzeichnungen, die sich mit der Sicherheit des Königreichs befassten. Elara erkannte sofort die Bedeutung dieser Schätze.
„Hier sind alle Berichte über verdächtige Aktivitäten", erklärte Gawain.
Elara setzte sich an den Tisch und begann, die Dokumente durchzusehen. Ihre Augen überflogen die Seiten, während sie nach einem Hinweis suchte, der die Puzzlestücke zusammenfügen könnte. Der Raum war erfüllt von der unaufhörlichen Geräuschkulisse des raschelnden Papiers und dem gelegentlichen Seufzer von Elara.
Als sie sich in die Akten vertiefte, fiel ihr ein besonders mysteriöser Eintrag auf – ein Name, der immer wieder auftauchte: Lord Aric von Valtor. Elara konnte sich erinnern, dass dieser Name in dem alten Buch, das sie gelesen hatte, bereits vorkam. Er war ein Mitglied der Adelsfamilie, der vor vielen Jahren in Verbindung mit einer gescheiterten Rebellion gegen die Krone gebracht worden und damals einer der Attentäter war.
„Gawain", sagte Elara schließlich, „dieser Name taucht immer wieder auf. Es scheint, als ob Lord Aric in irgendetwas verwickelt ist. Ist er noch an dem Hofe tätig?"
Gawain nickte. „Das ist ein guter Ansatz. Ich werde dich darüber informieren, sobald ich es in erfahrung gebracht habe. In der Zwischenzeit solltest du dich ausruhen und deine Pflichten für den Tag erledigen."
Als Gawain den Raum verließ, blieb Elara allein zurück, tief in Gedanken versunken. Gawain, Cedric und Elara verband eine lange gemeinsame Geschichte. Sie waren zusammen aufgewachsen, und obwohl Gawain als Ritter und Beschützer der königlichen Familie ausgebildet worden war, hatte er von klein auf eine enge Bindung zu den Geschwistern entwickelt.
Für Elara war Gawain nie nur ein Ritter gewesen – er war wie ein älterer Bruder, der sie in den schwierigen Momenten ihrer Kindheit tröstete und ihr beibrachte, wie man im Verborgenen spionierte oder einen Dolch hielt. Seine Stellung als Ritter schmälerte nicht die tiefe Fürsorge, die er für sie hegte. In ihm fand sie eine Vertrautheit, die über jede offizielle Pflicht hinausging, und er sprach mit ihr offen und ehrlich, wie es sonst kaum jemand wagte. Gerade deshalb war Gawains Sorge um sie und Cedric so aufrichtig und tief – und Elara wusste, dass sie ihm mehr vertrauen konnte als jedem anderen.
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